Читать книгу Die O´Leary Saga - Werner Diefenthal - Страница 23
Howth
ОглавлениеHoratio fluchte leise vor sich hin. Da hatte Margret ihm etwas eingebrockt. Er ahnte, dass das Probleme geben würde. Aber wenn er Sarah helfen wollte, dann musste er etwas unternehmen. Also sattelte er sich ein Pferd und ritt langsam zum Pub. Er band das Tier an und ging hinein. Er war der einzige Gast, das war ihm ganz recht. Hinter der Theke stand Flora, die ihn anstrahlte, als er eintrat.
»Horatio! Welch eine angenehme Überraschung!«, rief sie. »Was darf es denn sein?«
»Ich habe neulich so einen guten Apfelkuchen hier gegessen, habt ihr davon noch was?«
Schnell eilte Flora in die Küche und schnitt ein gehöriges Stück ab, stellte ihm den Teller auf die Theke und reichte ihm eine Gabel.
»Lass es dir schmecken.«
»Danke«, murmelte er und aß langsam den duftenden Kuchen. »Du, Flora, sag mal, du bist doch hier aufgewachsen.«
»Ja, sicher.«
Er wählte die nächsten Worte sehr sorgfältig.
»Und, nun ja, sind hier eigentlich schon mal seltsame Dinge geschehen?«
»Was meinst du mit seltsam?«
»Na ja, ich meine, Dinge, die man nicht so einfach erklären kann.«
Flora lachte.
»Wir sind hier in Irland. Da sind die Geister zu Hause.«
Horatio verschluckte sich fast.
»Ich rede nicht von Geschichten, die man den Kindern erzählt, um sie zu ängstigen.«
Flora beugte sich über die Theke und gewährte Horatio einen Blick in ihr üppiges Dekolletee.
»Hier passieren oft seltsame Dinge.«
Sie sah sich um.
»Man sagt, hier verschwinden Menschen.«
»Sagt man?«
Sie nickte eifrig.
»Hast du gewusst, dass es einen Tunnel geben soll, der den alten Turm auf dem Friedhof mit Irelands Eye verbindet?«
Horatio hob die Augenbrauen.
»Ich kann ihn dir zeigen«, behauptete die Wirtstochter, auch wenn sie überhaupt keine Ahnung hatte, wo dieser Tunnel sein sollte, wenn es ihn denn gab. Hauptsache, sie konnte mit diesem gutaussehenden Burschen alleine sein, der Rest würde sich finden, sagte sie sich. Flora beugte sich noch weiter vor. Horatio bekam Angst, dass ihre Brüste aus dem Mieder fallen könnten. »Und ich kann dir noch sehr viel mehr zeigen.«
»FLORA!«, kam eine Stimme aus der Küche. »Mit wem redest du da?«
»Mr. Gordon ist hier, Mama. Dein Apfelkuchen hat es ihm angetan.« Sie zwinkerte ihm zu. »Mit leckeren Äpfeln, nicht wahr? Und es gibt noch mehr so süße Äpfel hier«, gurrte sie und schüttelte ihre Brüste.
Horatio aß hastig den letzten Happen und legte ein Geldstück auf den Tresen.
»Vielen Dank, Flora. Vielleicht komme ich mal auf das Angebot zurück.«
Er ließ ungesagt, welches Angebot er meinte, verließ den Schankraum und atmete tief durch.
»Mein lieber Mann, das war ja mehr als offensichtlich«, brummte Horatio und ritt zu dem Turm, an dem Sarah bereits einmal Babygeschrei gehört haben wollte. Auch bei Tageslicht konnte er keine Möglichkeit entdecken, wie er ins Innere gelangen konnte.
Er betrachtete ihn wieder von allen Seiten, aber er konnte immer noch keinen Eingang erkennen.
»Anscheinend wirklich zugemauert und vernagelt«, brummte er. Schließlich machte er das, was er eigentlich gar nicht vorgehabt hatte, und kletterte an Efeuranken, die sich in das Mauerwerk krallten, empor. Die Steine waren brüchig und er fand guten Halt. Schließlich war er oben angelangt, aber auch dort gab es keine Möglichkeit, in das Innere des Turmes zu gelangen. Es gab keine Öffnung, kein Loch im Dach, egal, wie sehr er an den Steinen rüttelte. Entnervt gab Horatio auf und kletterte hinab.
»Dann reiten wir doch mal zum Hafen«, murmelte er.
Dort angekommen, sah er sich um. Vor einem der Schiffe saß eine Frau und schien die Netze zu flicken. Horatio band sein Pferd an und ging zu ihr.
»Guten Tag, Madam«, grüßte er höflich. Die Frau sah nur kurz von ihrer Arbeit auf.
»Guten Tag«, erwiderte sie und widmete sich wieder dem Netz.
»Entschuldigen Sie, ich glaube, wir sind uns noch nicht vorgestellt worden. Mein Name ist Horatio Gordon und …«
»… Sie arbeiten auf dem Gut des alten O´Leary bei dem neuen Gutsherrn als Zuchtmeister und Reitlehrer, ich weiß. Ich bin Elizabeth Murphy.«
Den Namen kannte Horatio und auch die Frau hätte er eigentlich erkennen müssen, er hatte sie ja in der Kirche bereits gesehen.
»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie so einfach überfalle, aber ich frage mich, warum der Turm«, er deutete hinter sich, »dort hinten zugemauert ist. Stimmt es, dass dort jemand umgekommen ist?«
Elizabeth musterte ihn.
»Das stimmt. Und genau deshalb hat man ihn verschlossen. Damit nicht noch jemand hineingeht und sich den Hals bricht oder den Schädel eingeschlagen bekommt.«
»Warum ist es dort so gefährlich?«
»Na, weil alles kaputt ist. Steine fallen aus den Wänden, die Treppe bricht weg. Und außerdem spukt es da.«
»Spukt? Etwa so mit Geistern?«
Horatio musste sich beherrschen.
»Geister, Dämonen, Kobolde. Suchen Sie sich was aus. In der Nacht, meist bei Neumond, treiben sie da ihr Unwesen. Sie poltern und stöhnen, jammern und rasseln mit den Ketten, dass einem angst und bange wird.«
»Haben Sie das etwa schon mal gehört?«
»Gehört? Nein, ich würde niemals zu dem Turm gehen. Aber ich habe Geschichten gehört. Ich sage Ihnen …«
»Elizabeth, hör auf, so einen Blödsinn zu erzählen. Der Herrschaft so etwas einzureden!« Ihr Mann William war plötzlich aufgetaucht und sah sie böse an.
Horatio entging nicht, dass sie zusammenzuckte.
»Hören Sie nicht auf dieses dumme Weib. Das sind alles so Gruselgeschichten, die man den Kindern erzählt, damit sie nicht dahin gehen. Die Wahrheit ist viel einfacher. Während der Kartoffelpest hat man in dem Turm die Vorräte gelagert. Jeder sollte immer das Gleiche bekommen, aber eines Morgens war alles weg. Gestohlen! Nur ein toter Esel lag noch drin und im Boden war ein riesiges Loch. Eine Zeitlang hat sich niemand um das Ding geschert, bis dem Davis-Jungen der Stein auf den Kopf gefallen ist. Dann hat man den Turm zugemauert. Und die Geräusche, das ist der Wind, der durch die ganzen Ritzen pfeift.«
»Ja, das klingt einleuchtend. Aber ich verstehe, dass man das auch so sehen kann, wie es Ihre Frau beschrieben hat.«
»Ja, das passt den Weibern halt besser.« Der alte Fischer lachte. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
»Nein, im Moment nicht«, erwiderte Horatio und verabschiedete sich. Auf dem Rückweg dachte er über den Turm nach.
»Irgendwo dazwischen ist die Wahrheit«, sagte er zu sich selber, als er über das Gehörte nachdachte.