Читать книгу Die O´Leary Saga - Werner Diefenthal - Страница 25
Gutshof
ОглавлениеEs dämmerte schon, als Sarah das Heim endlich verließ. Sie hatte den ganzen Tag durchgearbeitet, nur unterbrochen von einem kurzen Mittagessen aus der Heimküche, das überraschend gut gewesen war. Immerhin drei Viertel der Frauen waren geschafft. Wie Sarah erwartet hatte, gab es keine Geschlechtskrankheiten. Ein paar Hautausschläge und Husten von der Arbeit in der Wäscherei und kleinere Blessuren, über deren Herkunft die Frauen keine Auskunft geben wollten - Sarah vermutete, dass sie von den Nonnen für ein vermeintliches oder tatsächliches Fehlverhalten gestraft worden waren -, aber ansonsten waren alle gesund gewesen. Blass, dünn und lustlos, aber gesund.
Sarah war es, als nähme man ihr eine Zentnerlast von den Schultern, als sie endlich aus dem trostlosen Gebäude trat. Hinter ihr machte Solomon das quietschende Tor zu und schloss ab. Zeit für die Nachtruhe.
Für einen Moment geriet Sarah bei dem Geräusch beinahe in Panik. Sie wusste, wäre sie nun innerhalb der Mauern, sie wäre durchgedreht. Ein paar tiefe Atemzüge nehmend bekam sie sich wieder unter Kontrolle und setzte sich in Bewegung, eine Gänsehaut im Nacken. Sie drehte sich noch einmal um und war nicht einmal überrascht, Solomon am Tor stehen und ihr nachblicken zu sehen. Unwillkürlich ging Sarah schneller, als befürchtete sie, er könne ihr plötzlich nachkommen, sie zurückholen und nicht mehr hinaus lassen. Erst, als sie eine kleine Senke durchquert hatte und das Heim nicht mehr sehen konnte, atmete die junge Frau auf und verlangsamte ihre Schritte. Es war ein herrlicher Tag, zwar kalt, aber klar, und die Sonne berührte gerade blutrot gefärbt den Horizont. Sarah ließ sich Zeit, schlenderte gemächlich zum Gut zurück und ließ die Schönheit des Augenblicks auf sich wirken. Es hätte so wundervoll hier sein können, wenn sie nicht permanent das Gefühl gehabt hätte, eine Bedrohung hinge über ihren Köpfen wie Gewitterwolken.
Horatio war mittlerweile wieder auf dem Gut angekommen. Den ganzen Tag war er unterwegs gewesen, hatte mit einigen Leuten gesprochen und auch etwas erfahren, das er Sarah unbedingt erzählen wollte.
Die Gelegenheit ergab sich beim Abendessen. Sie sah müde und erschöpft aus, fand er. Sie erzählte von dem, was im Heim los war. Als Horatio ›Besuchstag‹ hörte, spitzte er die Ohren.
Er hatte auch davon gehört. Vor allem, dass sich sehr viele Fremde an diesem Tag dort einzufinden schienen. Das musste er noch genauer untersuchen.
»Ach, Sarah, hast du gewusst, dass Eleanor Lynch in Dublin ist? Sie bekommt wohl ein Kind.«
Sarah sah ihn verständnislos an. Andrew verschluckte sich fast.
»Die Schwiegertochter von Horace? Davon hab ich ja gar nichts gewusst«, brummte er.
»Das ist ja das Seltsame«, erwiderte Horatio. »Bis gestern schien kein Mensch hier etwas davon gewusst zu haben. Heute Morgen jedenfalls ist Cyril rumgelaufen wie ein aufgescheuchtes Huhn.«
Sarah schüttelte den Kopf. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie verstand nicht, wieso Eleanor ihr nie etwas gesagt hatte oder zu einer Untersuchung gekommen war. Irgendwie traf diese Nachricht sie ganz persönlich.
Um den Mädchen im Heim zu helfen, die keine andere Wahl hatten, war sie gut genug, aber die Menschen im Dorf trauten ihnen nicht. Immerhin waren die Lynchs auch nicht zu ihrem Vater gekommen, der ausgebildeter Arzt war!
»Eleanor Lynch … sie hat nie ausgesehen, als sei sie schwanger!«, rief sie aus und schüttelte den Kopf, konnte es immer noch nicht glauben.
Auch Margret wirkte verblüfft, lenkte aber dann ein.
»Allerdings war sie auch nur zweimal hier zum Sonntagsessen und hatte immer diese weiten Kleider an …«
Sarah zuckte mit den Achseln.
»Vielleicht wollte sie nicht, dass jemand davon weiß, bevor die Geburt bevorsteht. Wie ich mitbekommen habe, hat Horace sie ziemlich unter Druck gesetzt. Sie wollte sicher nicht als Versagerin dastehen, falls sie das Kind verloren hätte.«
Andrew und Margret nickten zustimmend, aber Sarah war mit ihrer eigenen Erklärung nicht zufrieden. Sie nahm sich fest vor, der Mutter bei Gelegenheit einen Besuch abzustatten.