Читать книгу Gewalt des Glaubens: Kampf um die Freiheit - Werner Diefenthal - Страница 26
ОглавлениеAußerhalb von Münster, Weihnachten 1533
Ferdinand von Ravensburg kniete nackt in seinem Wagen vor dem gekreuzigten Jesus. Der Wind pfiff, ließ das Gefährt erzittern. Es war bitterkalt, aber er spürte die Kälte nicht. Im Gegenteil, der Schweiß rann ihm in Strömen über den Körper. Wieder und wieder schlug er mit der Lederpeitsche über seine Schultern, geißelte sich, fügte sich den Schmerz zu, der ihm dabei half, dem Herrn nahe zu sein. So redete er sich es jedenfalls ein.
Das Blut rann ihm über die Hüften, tropfte zu Boden, gemischt mit dem salzigen Schweiß, der zusätzlich in den Wunden brannte. Dabei murmelte er unablässig Gebete, bis er für einen Moment innehielt.
»Es reicht nicht«, sagte er leise. »Meine Sünden lasten zu schwer auf mir. Herr, vergib mir, ich habe gegen deine Gebote verstoßen.«
Von Ravensburg stand auf, hielt sich an der Wand fest, alles um ihn herum schien zu schwanken. Er öffnete die Tür des Wagens, sah hinaus in die Nacht.
»STEFFAN!«, rief er in die Dunkelheit.
Es dauerte nicht lange, bis sein treuergebener Gehilfe sich näherte.
»Ihr habt nach mir gerufen, Eminenz?«
»Ja, komm herein, ich brauche deine Hilfe.«
Steffan Rabensteiner zu Döhlau betrat den Wagen und wandte sich beschämt ab, als er sah, dass der Inquisitor nackt vor ihm stand.
»Was … was kann ich für Euch tun, Eminenz?«
In seiner Magengrube machte sich ein unangenehmes Gefühl breit. Verstohlen sah er auf die aufgerichtete Männlichkeit des Inquisitors und er schluckte. Wollte von Ravensburg etwa …? Nein, sagte er sich. Das konnte er sich nicht vorstellen. Aber was wollte er? Da sah er das Blut auf dem Boden und die blutverschmierte Lederpeitsche.
»Ich will, dass du mir hilfst, mit unserem Schöpfer zu reden. Zu viel lastet auf meiner Seele, die Teufel wollen sich ihrer bemächtigen. Du musst sie vertreiben.« Er nahm die Peitsche, drückte sie dem verwirrten jungen Mann in die Hand, kniete sich vor seinen kleinen Altar. »Schlag zu.«
Steffan wog die Peitsche in der Hand.
»Eminenz, ich kann Euch nicht schlagen.«
»TU ES!«, befahl von Ravensburg barsch. »Tu es um unser beider Seelen Willen.«
Zu Döhlau trat einen Schritt zurück, hob die Peitsche und schlug zu. Das Leder schnitt in die Haut des Inquisitors, der nicht einmal zuckte.
»Was soll das? Du schlägst wie ein Mädchen. Ich habe nichts gespürt. Fester!«
Erneut holte Steffan aus, schlug mit aller Kraft zu. Das Blut spritzte förmlich aus der Wunde.
»JA! HERR! ERHÖRE MICH! ERLEUCHTE MICH!«
Steffan geriet in eine Art Blutrausch. Wieder und wieder schlug er zu. Das Leder klatschte auf den Rücken des knienden Inquisitors, der laut betete, bis er schließlich zusammensackte und zuckend auf dem Boden liegen blieb. Erst da hörte zu Döhlau auf, sah neugierig auf seinen Anführer hinunter. Dieser hatte seine Gliedmaßen nicht mehr unter Kontrolle, sie zuckten, schlugen aus. Dabei brabbelte er auf Latein vor sich hin. Mit großen Augen sah Steffan, wie der Inquisitor sich ergoss, wie er sich mit den Fingernägeln die Haut von der Brust riss. Angewidert wandte er sich ab, wollte aus dem Wagen.
»Mein Sohn, wo willst du hin?«
Steffan fuhr erschrocken zu Ferdinand von Ravensburg herum, der ihn mit weit offenen Augen ansah. Ganz ruhig lag er jetzt da. Doch es war nicht die gewohnte Stimme, mit der er sprach.
»Ich … ich dachte, Ihr wollt jetzt alleine sein.«
»Nein, mein Sohn. Höre meine Worte, präge sie dir ein: Du musst meinem Diener Ferdinand zu Ravensburg treu zur Seite stehen. Es werden Dinge geschehen, die er alleine nicht bewältigen kann. Doch du bist seine Hand, sein Arm. Du wirst die richten, die er dir zuführt. Sei du auch mein Arm. Ich werde dich führen, dich leiten. Und du wirst schauen die Herrlichkeit, du wirst stehen an der Spitze derer, die da kommen, um zu trennen die Gerechten von den Ungerechten, die dir zeigen, wer die falschen Propheten sind.«
»Ja Herr«, murmelte zu Döhlau und sank demütig auf die Knie. »Doch wer seid Ihr?«
»Ich bin der, der gekommen ist, um zu sterben. Der, der die Sünden der Welt auf sich genommen hat. Und der, der wiederkehren wird, um den Gerechten den Weg ins Himmelreich zu zeigen.«
Zu Döhlau bekreuzigte sich.
»Herr, verzeiht mir meine Zweifel.«
»Du bist jung, du hast noch viel zu lernen. Stehe meinem Diener zur Seite und du wirst aufgenommen in das Heer derer, die ich senden werde.«
»Ja Herr.«
Ein Zittern ging durch den Körper des Inquisitors, er blinzelte.
»Steffan? Was machst du hier?« Heiser kam die Frage über die trockenen Lippen. »Gib mir bitte zu trinken.«
Zu Döhlau sprang auf, nahm den Krug mit Wasser und goss dem Inquisitor einen Becher ein, den dieser in einem Zug leerte.
»Ihr habt mich gerufen, Herr.«
»Ich erinnere mich nicht.«
»Eminenz, dann wisst Ihr auch nicht, was Ihr zu mir gesagt habt, als Ihr auf dem Boden lagt?«
Von Ravensburg blinzelte verwirrt.
»Ich weiß nur, dass unser Herr in mich gefahren ist. Er sagte mir, ich solle nur dir vertrauen.« Er legte den Kopf schief, schlang die Arme um sich. »Es ist kalt.«
Zu Döhlau wickelte den Inquisitor in eine Decke.
»Ihr habt mit mir geredet, aber ich glaube, es war der Herr, der aus Euch gesprochen hat. Ich soll Euch zur Seite stehen, bis wir die Gerechten von den Ungerechten getrennt haben.«
»So in etwa hat er zu mir auch gesprochen.« Er rappelte sich auf, legte Steffan die Arme auf die Schultern. »Das, was hier geschehen ist, bleibt unbedingt unter uns. Das ist ein Band, das geschmiedet wurde von unserem Herrn.«
»Ja, Eminenz.«
»Gut, mein treuer Freund. Nun lass mich alleine. Ich werde beten.«