Читать книгу Gewalt des Glaubens: Kampf um die Freiheit - Werner Diefenthal - Страница 21
ОглавлениеEin Stück abseits des Wagens, in dem Anna und Markus lagen, stand Silvanus. Mit der linken Hand strich er sich immer wieder über den Schnurrbart. Seine Augen glitzerten. Er hatte gesehen, wie der junge Soldat zu der Rothaarigen gegangen war und Elisabeth den Wagen verlassen hatte.
»Da geht mir ein hübsches Sümmchen verloren«, murmelte er vor sich hin, aber er hütete sich, Markus auch nur einen Heller abzunehmen oder Anna dafür zur Rechenschaft zu ziehen, dass sie ihn umsonst in ihr Bett ließ.
Auch wenn Markus eine Rolle dabei gespielt hatte, dass Anna überhaupt verhaftet worden war, Silvanus war davon überzeugt, dass Ferdinand von Ravensburg sie auch ohne den jungen Soldaten in seinem Gefolge früher oder später geholt hätte. Und dass die Rothaarige noch lebte, verdankte sie ohne jeden Zweifel Markus. Gewissermaßen schuldete Silvanus ihm die Zeit mit ihr also. Abgesehen davon traute er Anna nicht mehr. Seit er ihr gestanden hatte, dass der Inquisitor ihr Vater, Suse ihre Mutter und Silvanus selbst ihr Onkel war, war zuviel passiert. Sie gab selten Widerworte. Tatsächlich sprach sie sogar kaum noch mit ihm, warf ihm Blicke zu, die er nur als Verachtung interpretieren konnte. Wenn nur halb soviel Feuer in ihr loderte wie in ihrer Mutter, dann wusste er nicht, wann sie explodierte wie ein Pulverfass. Darum vermied der Gauklerkönig jede unnötige Konfrontation mit der jungen Dirne.
Schließlich drehte er sich um und ging in seinen eigenen Wagen.
W
Der nächste Morgen kam für Anna und Markus viel zu schnell. Müde schälte der junge Mann sich aus den Decken, setzte sich auf und seufzte, während er nach seinen Sachen Ausschau hielt. Anna blinzelte verschlafen, setzte sich ebenfalls hin und umschlang ihn mit ihren Armen, küsste ihn in den Nacken.
»Musst du wirklich gehen?«
Er drehte sich halb zu ihr um und versuchte, die Hand, die sich in seinen Schoß verirrt hatte, zu ignorieren.
»Ja, ich muss zum Dienst.«
»Doch erst nach Mittag, hast du gesagt. Und außerdem: Der kleine Soldat ist dienstbereit, wenn ich das richtig fühle«, schnurrte sie leise. »Sollte er nicht auf Morgenpatrouille gehen?«
Markus lachte laut, ergab sich der massierenden Hand, und ließ sich zurücksinken. Nachdem sie sich ein letztes Mal geliebt hatten, musste er dann aber doch gehen.
»Ich muss zum Hauptmann, den Plan mit ihm besprechen.«
Anna sprang förmlich aus dem Bett und zog sich an, stellte erleichtert fest, dass vom Schwindelgefühl des letzten Tages nichts übrig geblieben war. Ihr viel getadelter Dickschädel kam ihr jetzt zu Gute.
»Ich komme mit.«
»Das geht nicht. Das ist eine militärische Operation, er wird nicht zulassen, dass du dabei bist, wenn wir es erörtern.«
Trotzig stemmte sie die Hände in die Hüften.
»Ach, und wer hatte die Idee? Nein, mein Lieber, ich gehe mit.«
Markus seufzte. Er wusste, es war sinnlos, mit ihr darüber zu streiten. Wenn Anna sich etwas in den Kopf setzte, war sie nicht aufzuhalten.
»Nun gut, aber du wartest draußen, bis ich dich rufe.«
Es war ihm immer noch nicht Recht, dass Anna sich in Gefahr begeben wollte, aber er sah ein, dass es die einzige Möglichkeit war, um an Informationen zu gelangen. Eine andere von Silvanus’ Dirnen zu schicken kam nicht in Frage, keine von ihnen war ihnen in irgendeiner Weise verbunden. Vor dem Wagen stand ein Korb mit Brot, Käse und Wasser. Anna lächelte, wusste sie doch genau, dass dies nur Barbara zu verdanken war. Sie war wirklich eine wahre Freundin, hatte sogar die Nacht stillschweigend anderswo verbracht, um sie nicht zu stören. Schnell nahmen sie ein paar Bissen, dann machten sie sich auf den Weg.
Es war bereits wieder heiß, die Sonne brannte trotz der frühen Stunde unbarmherzig auf das ausgedörrte Land herab.
»Hoffentlich gibt es bald Regen«, murmelte Markus. »Diese Hitze trocknet einem das Gehirn aus!«
Am Zelt des Hauptmanns angekommen wies er Anna an, sich ruhig zu verhalten, dann schlug er das Tuch am Eingang zurück und räusperte sich.
»Ach, du kommst auch schon?«, ertönte die Stimme seines Vorgesetzten. »Ich hab schon gedacht, sie hat dich aufgefressen.«
Markus grinste. Langsam gewöhnte er sich an die liebevoll gemeinten Frotzeleien.
»Viel gefehlt hat nicht, Hauptmann.«
»Nun denn, du hast ja heute dienstfrei bis Mittag, oder?«
»Ja, aber ich muss mit Euch reden.«
»Dann komm rein. Um was geht es denn?«
Markus holte tief Luft.
»Wir wissen immer noch nicht genau, was in der Stadt vor sich geht.«
Langsam, er wählte seine Worte mit Bedacht, um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, dass er möglicherweise über militärische Belange mit Zivilisten geredet hatte, erläuterte er, was Anna ihm letzte Nacht vorgeschlagen hatte. Von Waldow hörte stumm zu, dann grinste er.
»Wie wahr es also ist: Im Bett einer schönen Frau gibt es keine Geheimnisse.« Er zwinkerte Markus zu. »Du vergisst, dass ich nicht gerade im Suppenkessel über den Main geschwommen bin. Aber keine Sorge, das sind keine militärischen Geheimnisse. Das kann jeder erkennen, der weiß, dass man aus drei Pfund Fleisch ne recht gute Suppe kochen kann.« Er wurde ernst. »Ich weiß aber nicht, ob mir die Idee gefällt. Und auf keinen Fall lasse ich zu, dass Anna alleine in die Stadt geht.«
»Das habe ich auch gesagt.« Er zögerte einen Moment. »Wir werden mehrere der Gaukler brauchen.«
Von Waldow legte den Kopf schief.
»Nicht nur, oder? Komm schon, raus mit der Sprache. Du willst doch auch rein, oder?«
Markus nickte.
»Ja, und ich weiß auch wie. Das bedarf allerdings einiger Planung. Und vorher müssten wir mit Silvanus reden, ob er bei der Sache mitmacht. Wenn nicht, ist alles andere sinnlos.« Er holte Luft. »Und ich bin der Meinung …«
»Anna, komm schon rein. Ich weiß, dass du draußen bist«, unterbrach von Waldow ihn in diesem Moment mit einem Grinsen. »Wann wolltest du mir sagen, dass wir einen Lauscher haben?«
Anna huschte ins Zelt und lächelte von Waldow an. Der betrachtete ihr Gesicht, die verkrustete Wunde an ihrer Schläfe und schüttelte den Kopf.
»Ich habe schon gehört, was passiert ist. Und du willst trotzdem deinen Kopf riskieren? Ist dir klar, was passiert, wenn die da drin«, er wies mit dem Zeigefinger der rechten Hand in Richtung Stadt, »merken, dass du spionierst? Wir haben dich in Wien beschützt, dich in Ravensburg gerettet. Ich kann dir nicht garantieren, dass wir es ein drittes Mal schaffen.«
Anna schluckte trocken. Von Waldow hatte ihr gerade mit wenigen Worten verdeutlicht, dass sie dieses Abenteuer durchaus mit dem Leben bezahlen könnte. Aber einen Rückzieher würde sie nicht machen. Sie riskierte jeden Tag ihr Leben, wenn sie als Gauklerin durchs Land zog.
»Hauptmann, bei allem Respekt: Ich möchte auf diese Weise einfach meine Schulden bei Euch zahlen! Ihr habt mir das Leben gerettet und dafür bin ich dankbar. Und nicht nur mir. Sondern mehr oder weniger der gesamten Truppe. Es wird Zeit, dass wir Euch das vergelten. Lasst uns zu Silvanus gehen und mich mit ihm reden. Er wird zustimmen. Er hat keine andere Möglichkeit.«
Sie zögerte einen Moment, denn Markus hatte eine Kleinigkeit noch nicht erwähnt.
»Und wo wir gerade von Schulden reden: Wenn Ihr bereit seid, nun ja, Silvanus zu entschädigen, wird er zustimmen. Er wird Euch mit Sicherheit vorrechnen, was ihm verloren geht, wenn die Frauen nicht …«
Sie musste nicht erklären, was sie meinte, es war offensichtlich. Von Waldow sah erst Markus an, dann wieder Anna.
»Nun gut. Ich sehe schon, hier haben sich zwei Dickköpfe gefunden, wie es sie selten gibt. Gott möge mich vor euren Kindern bewahren, wenn es mal welche geben sollte.« Er grinste, dann gürtete er sein Schwert. »Dann wollen wir mal dem größten Halunken, den ich kenne, einen Besuch abstatten und über die Höhe der ›Entschädigung‹ reden.«
W
»Wir müssen weiterziehen!«
Silvanus sah mit wachsender Ungeduld Caspar Meisner nach, der an der Feuerstelle der Gaukler hin und her lief wie ein gefangenes Tier. Er hatte in der Mittagshitze sein Hemd abgelegt, und sein muskulöser Oberkörper wies an mehreren Stellen große, blutunterlaufene Stellen auf, an denen er von den Wurfgeschossen der Münsteraner getroffen worden war. Silvanus trat an den Kessel, in dem eine dünne Suppe über dem Feuer blubberte, und starrte hinein.
»Wir können nicht weiterziehen!«
»DAS MÜSSEN WIR!«
In einem plötzlichen Wutausbruch stieß Caspar das ganze Gestell, an dem der Topf hing, um. Die Suppe ergoss sich ins Feuer und erstickte die Flammen. Mit blitzenden Augen und geballten Fäusten trat er an Silvanus heran, der nicht einmal zurückwich. Mit leicht erhobenen Augenbrauen hielt er dem Blick des jungen Akrobaten stand. Hinter ihm standen schon der starke Adam und Wilhelm Haas, bereit, einzugreifen falls Caspar die Beherrschung vollends verlor. Auch dessen Brüder hatten sich erhoben. Beide hielten den Atem an. Sie wussten, dass Caspar kurz vor der Explosion stand, besonders, da Anna bei dem Aufruhr in der Stadt verletzt worden war. Der junge Blonde zitterte am ganzen Körper, aber er schrie nicht mehr.
»Du warst nicht dabei, Silvanus! Sie haben uns aus der Stadt gejagt wie streunende Köter! Ich dachte, sie reißen uns in Stücke! Wir können in Münster nicht auftreten!«
Es zuckte nur kurz im Gesicht des Gauklerfürsten.
»Ich habe auch nicht gesagt, das wir das tun werden! Zugegeben, ich habe nicht erwartet, hier auf so große Ablehnung zu stoßen, aber wir werden trotzdem nicht weiterreisen. Wir haben kein Geld und keine Vorräte mehr. Wie willst du die Truppe versorgen, mit Jagen und Fischen? Bis zur nächsten Stadt sind wir verhungert! Nein, wir bleiben hier!«
»Und tun was?«, zischte Caspar erbost.
Wieder wollte er einen Schritt auf Silvanus zu machen, aber diesmal hielten Moritz und Valentin ihn an den Armen zurück, damit Silvanus’ Leibwächter nicht vollendeten, was die Münsteraner begonnen hatten.
»Willst du nur für die Soldaten auftreten? Die haben nach spätestens einer Woche die Nase voll, und nur von den Einnahmen der Dirnen können wir auch nicht leben, das weißt du genau!«
Tatsächlich war die Gruppe darauf angewiesen, in mindestens ein vornehmes Haus am Ort eingeladen zu werden, sei es wegen der Hübschlerinnen oder ihrer Vorstellung. Bisher war das auch immer passiert. Hier war eine solche Einladung äußerst unwahrscheinlich! Silvanus ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Er lachte spöttisch.
»Mein lieber Caspar, mir scheint, du bist erst seit gestern dabei! Tu nicht so, als ob du nicht wüsstest, was wir für Möglichkeiten haben! Wir tarnen uns. Wir verkleiden uns als Bettler. Wir schleichen in die Stadt, und während einer vorn etwas erbettelt, schneidet der andere hinten die Geldkatze ab! Wenn wir es richtig anstellen, haben wir innerhalb einer Woche genug erbeutet, um verschwinden zu können!«
»Ich will mal so tun, als hätte ich das nicht gehört!«
Conrad von Waldows strenge Stimme ließ den Gauklerfürsten herumfahren. Markus’ Hauptmann stand mit verschränkten Armen und missbilligendem Gesichtsausdruck hinter ihm, im Schlepptau Markus und Anna.
Mit dröhnendem Gelächter trat Silvanus auf von Waldow zu und hieb ihm auf die Schulter. Jeder andere Mann wäre unter dieser Begrüßung wohl zusammengebrochen, aber der großgewachsene Hauptmann geriet nicht einmal ins Wanken.
»Hauptmann von Waldow«, trompetete Silvanus und schob den Soldaten gönnerhaft näher an das erloschene Feuer und den umgestürzten Suppenkessel. »Welch Glanz in unserer bescheidenen Runde! Tretet doch näher! Ich würde Euch etwas zu Essen anbieten, aber wir haben nicht mehr viel!«
»Macht Euch keine Umstände. Können wir uns ungestört unterhalten?«
Silvanus verzog keine Miene, bat den Hauptmann und Markus in seinen Wagen. Als er Anna nicht eintreten lassen wollte, zog von Waldow sie einfach wortlos mit hinein.
»Es betriff vor allem Anna, was wir zu bereden haben«, brummte er dumpf.
Der Gauklerfürst verdrehte die Augen.
»Kommt mir jetzt nicht damit, dass Ihr Anna freikaufen wollt! Das Gespräch können wir uns sparen.«
Markus zuckte zusammen, verbiss sich allerdings jeden Kommentar. Stattdessen packte von Waldow Silvanus am Kragen.
»Silvanus, mir reicht es jetzt mit Euren Spielchen.« Er ließ ihn los, atmete deutlich hörbar aus. »Nein, so gerne ich das tun würde, darum geht es nicht. Und, so ungern ich es zugebe, ich brauche Eure Hilfe. Und die von Anna und einigen Eurer Leute.«
Silvanus blinzelte verwirrt.
»Sollen wir etwa wieder mal Gräben ziehen und Mauern bauen, so wie in Wien?«
»Nein. Wie wäre es, wenn Ihr mir zuhört, bevor Ihr sinnlos daherplappert?« Conrad erläuterte Silvanus, was Anna und Markus sich ausgedacht hatten. Langsam dämmerte es dem Gauklerfürsten, dass von Waldow sich wirklich in einer prekären Lage befinden musste, wenn er sich ausgerechnet von ihm Hilfe erbat. »Und es soll auch Euer Schaden nicht sein«, schloss der Soldat seine Ausführungen ab.
»Und das hat Anna sich ausgedacht?«
Silvanus war erstaunt. Er hatte der Rothaarigen nicht zugetraut, dass sie zu solchen Ideen fähig wäre. Doch es zeigte ihm auch, dass sie schlauer war, als er es für gut empfand.
»Ja, es ist ihre Idee«, erwiderte Markus, konnte ein wenig Stolz aus seiner Stimme nicht verbannen.
»So so«, brummelte Silvanus. Er überschlug seine Möglichkeiten. Lehnte er ab, würde er sofort und auf der Stelle den Schutz durch die Soldaten verlieren. Von Waldow hatte es zwar nicht gesagt, aber das brauchte er auch nicht. In dem Fall würde er sofort weiterziehen müssen, denn alleine durch die Tatsache, dass auch von Ravensburg in der Nähe war, wurde die Gefahr zu groß. Aber umsonst würde er es nicht machen.
»Also, was sagt Ihr«, weckte ihn der Hauptmann aus seinen Überlegungen. Der Gauklerfürst lehnte sich mit einem jovialen Grinsen zurück.
»Ihr sagtet etwas, das wie ›Entschädigung‹ klang.«
Anna hielt sich die Hand vor den Mund, um das Kichern, das ihr in der Kehle aufstieg, zu unterdrücken. Sie hatte genau gewusst, wie das Zauberwort lautete. Von Waldow blickte finster.
»Ist das alles, was für Euch wichtig ist? Nicht, dass sich Anna und einige Eurer Leute in Lebensgefahr begeben könnten?«
»Ach was, die können alle sehr gut auf sich aufpassen. Aber Ihr habt Recht, das muss ich bei der Entschädigung berücksichtigen. Was, wenn ich eine meiner besten Hu… ich einen meiner besten Akrobaten verliere? Wer ersetzt mir den Schaden?«
Markus ballte die Hände zu Fäusten. Am liebsten wäre er Silvanus an die Gurgel gegangen dafür, dass er von Anna sprach wie von einem Stück Vieh. Doch von Waldow sah ihn nur an, und er entspannte sich wieder. Conrad trat ganz dicht an Silvanus heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
»Das ist nicht Euer ernst«, fauchte der empört.
»Doch, Silvanus. Das ist es!«
Der Gauklerfürst biss sich auf die Unterlippe, dann flüsterte er etwas ins Ohr des Hauptmanns. Der schüttelte den Kopf.
»Indiskutabel!«
So ging es eine Weile hin und her, bis sie sich die Hände reichten. Dann sah von Waldow Markus an. »So, Markus. Jetzt müssen wir noch überlegen, wie wir es genau machen und euch alle auch wieder an einem Stück aus Münster rausholen.«