Читать книгу Gewalt des Glaubens: Kampf um die Freiheit - Werner Diefenthal - Страница 16
Оглавление»Ihr habt mir gerade noch gefehlt!«, brummte Conrad von Waldow.
»Ich freue mich, dass Ihr mich vermisst habt, Hauptmann«, konterte der Gauklerfürst sichtlich gut gelaunt. »So trifft man sich wieder.«
Der Hauptmann packte Silvanus am Arm und zog ihn mit sich. Als sie außer Hörweite der Wagen waren, ließ er ihn los und näherte sein Gesicht dem des Gauklers auf Handbreite.
»Verdammt, Silvanus, Ihr seid wie eine der biblischen Plagen. Immer, wenn Ihr auftaucht, dann weiß ich, es wird noch schlimmer, als es ohnehin schon ist.« Mit knappen Worten berichtete der Soldat ihm, was in Münster vor sich ging. »Ihr seht, Ihr seid mit Sicherheit nicht gerade zum passenden Zeitpunkt hier aufgetaucht. Münster ist ein Pulverfass.« Er seufzte. »Und die Plage der Menschheit soll auf der anderen Seite der Stadt sein.«
»Von Ravensburg? Hier? Scheiße!«
»Ja, Scheiße. Ich gebe Euch den guten Rat: Dreht um und sucht das Weite. Und zwar so schnell, wie Ihr nur könnt.«
»Das würde ich zu gerne, Hauptmann, aber meine Leute und auch die Pferde sind erschöpft. Wir brauchen ein paar Tage Ruhe. Und wir brauchen Vorräte, Wasser, Heu und Hafer für die Pferde. Aber«, er hob die Arme, »dazu brauche ich Geld. Und das muss ich erst verdienen.« Er legte den Kopf schief. »So leid es mir tut, aber ich fürchte, Ihr werdet eine Weile mit unserer Gesellschaft leben müssen.«
»Das habe ich befürchtet. Ich kann allerdings nicht für Eure Sicherheit oder die Eurer Truppe garantieren. Wenn der Inquisitor wieder einige Eurer Leute verhaftet, seid ihr auf euch allein gestellt.«
»In Ordnung. Wir werden unser Lager etwas entfernt aufschlagen, aber noch nah genug, dass die Menschen zu uns finden, und wir werden die Besuche in der Stadt auf das absolut Notwendige beschränken«, antwortete Silvanus mit einem Nicken.
Von Waldow verdrehte die Augen.
»Ihr seid sturer als ein Maulesel. Und noch eines: So lange Ihr hier seid, werdet Ihr Anna bei Markus lassen.«
Conrad von Waldow wollte verhindern, dass Markus’ Konzentration litt. Silvanus seufzte.
»Die Liebe. Dagegen haben wir kein Kraut, nicht einmal Tariq kennt eines, das dagegen hilft. Nun, Hauptmann, ich drücke es mal so aus: Ich erwarte von Anna, dass sie sich an den Kosten, die wir haben werden, in angemessenem Maß beteiligt. Wie sie das macht, das überlasse ich ihr. Ansonsten kann sie Markus zuschanden reiten, solange sie danach noch ihre Pflichten erfüllen kann.«
Mit dröhnendem Gelächter entfernte Silvanus sich und rief seine Leute zusammen.
W
Markus standen die Tränen vor Lachen in den Augen. Barbara hatte ihn im Halbdunkel des Wagens scheinbar nicht erkannt, aber auch er hatte sie im ersten Moment für Anna gehalten.
Er kannte den Wagen und war einfach hineinspaziert. In einem der Betten saß eine rothaarige Frau gerade auf einem Mann, der genüsslich die Augen verdrehte. Erst als sie ihm den Kopf zuwandte, erkannte Markus, dass es Barbara war. Für eine Erklärung blieb allerdings keine Zeit, denn die Frau gebärdete sich wie eine Furie, bewarf ihn mit allem, was ihr gerade in die Finger fiel, und schrie ihn dabei an. Ihr Freier verzog nur das Gesicht, scheinbar war Markus im unpassendsten Moment aufgetaucht. Dem blieb nur der strategische Rückzug, der allerdings weniger elegant ausfiel, als er aus dem Wagen stolperte und der Länge nach hinschlug. Er rappelte sich auf, klopfte sich den Staub ab und lachte.
»Da hat jemand aber wirklich keine Zeit verloren«, sagte er zu sich selber.
Er stutzte. Seine durch den stetigen Drill geschärften Sinne verrieten ihm, dass ihn jemand ansah, und er drehte sich langsam um. Ein Stück entfernt stand Anna, ihr Haar leuchtete in der Sonne, und sah ihn einfach nur an. Markus’ Herz setzte einen Schlag lang aus, dann stürzte er auf sie zu, packte sie und wirbelte sie herum.
Auf einen solchen Ansturm war Anna gar nicht gefasst gewesen. Sie stieß einen erschrockenen Schrei aus, als sie den Boden unter den Füßen verlor und klammerte sich unwillkürlich an dem überschwänglichen Soldaten fest.
Die Rothaarige versuchte, ernst zu bleiben. Es war so viel passiert, und sie mussten vernünftig sein! Aber gegen die pure Wiedersehensfreude in seinem Blick war sie einfach machtlos und brach in helles Gelächter aus, genoss es für einen Moment, von den kräftigen Armen festgehalten zu werden.
Schließlich blieb er stehen, ließ sie aber nicht auf den Boden zurück, hielt sie einfach auf dem Arm und blickte sie an. Anna zwinkerte ihm verschmitzt zu.
»Ich weiß nicht, was es ist, das dafür sorgt, dass sich unsere Wege immer wieder kreuzen … der Teufel, der liebe Gott oder einfach nur Glück?«
»Es ist mir egal, wie man das nennen mag. Die Hauptsache ist, dass du da bist.«
Er stellte sie auf den Boden, betrachtete sie genauer. Sie hatte sich verändert, fand er. Ihr Gesicht hatte den letzten Rest von Kindlichkeit verloren. Er nahm sie wieder in die Arme und stellte fest, dass sie sich weicher anfühlte, fraulicher. Einen Moment lang dachte Anna an alles, was geschehen war, was sie erfahren hatte, und hatte das Bedürfnis, sich zurückzuziehen, aber dann stieg ihr sein Duft in die Nase, spürte sie den festen Griff seiner Arme, und sie gab nach, schmiegte sich an ihn.
Was sprach schon dagegen, die spärliche Zeit mit ihm zu genießen?
»Wie ist es dir ergangen?«, fragte Markus leise, der für einen kurzen Moment gedacht hatte, dass sie ihn zurückweisen wollte. »Ist alles in Ordnung?«
›Ich bin die Tochter eines Monsters!‹, schoss es ihr durch den Kopf, aber sie biss sich auf die Zunge. Das konnte sie ihm nicht sagen, das durfte er nie erfahren! Nicht nur eine Hure, auch noch die Tochter des schlimmsten Inquisitors, der je durchs Land gezogen war! Also hielt sie ihn einfach weiter umschlungen, das Gesicht an seinen Hals gepresst, und nickte.
»Alles ist in Ordnung. Uns geht es allen gut, die Geschäfte sind wirklich gut gelaufen, seit wir eine Zeitlang in Italien waren. Obwohl wir im Moment von den letzten Reserven leben.« Sie rückte von ihm ab, betrachtete das markante, gebräunte Gesicht und konnte ihre Bewunderung nicht verbergen. Ein hübscher Kerl war er schon immer gewesen, aber jetzt war er geradezu unwiderstehlich geworden. »Du bist erwachsen geworden! Ich wette, die Mädchen laufen dir in Scharen hinterher!«
Er grinste sie an.
»Nicht mehr als dir die Männer«, flachste er und spürte, wie das Begehren in ihm wuchs. Er sah sich um. »Und jetzt würde ich gerne mit dir zwei Jahre nachholen.«
Anna stieß ihr fröhliches Lachen aus, und in dem Moment sah sie wieder genau so aus wie das junge Mädchen, das sie in Wien noch gewesen war. Sie griff nach seiner Hand.
»Nicht hier. In den Wagen ist es heißer als in der Hölle, und außerdem ist meiner gerade besetzt. Lass uns einen Spaziergang machen!«
Er versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
»Es ist hier überall heißer als in der Hölle«, brummte er. »Sogar die Aa hat kaum genug Wasser, um die Pferde zu tränken, und die Brühe, die da noch fließt, ist wärmer als die Suppe in den Gasthäusern.«
Anna hatte den Fluss, wenn man ihn noch so nennen konnte, auf dem Weg zur Stadt gesehen. Sie zog ihren Geliebten hinter sich her.
»Komm schon! Es gibt doch bestimmt hübsche Plätzchen in den Auwäldern! So lange wirst du doch noch aushalten können, oder?«
Er folgte ihr, zunächst widerstrebend. Nach einigen Minuten gelangten sie an eine Biegung der Aa, die von einigen Bäumen überschattet wurde. Der Fluss war wirklich nur noch ein Rinnsal.
Markus sah sich um. Es war abgeschieden hier, vom Lager aus nicht einzusehen und auf der anderen Seite der Aa war weit und breit niemand zu entdecken. Genug gewartet! Er griff Anna und gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss. Diesmal stieß er nicht auf Widerstand, die Rothaarige erwiderte seinen Überfall so hungrig, dass er Zähne zu spüren bekam, und noch bevor er reagieren konnte, hatte sie ihm das Hemd über den Kopf gezogen. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass sie die Liebkosung dazu unterbrochen hatte!
Nur mit Mühe konnte er sich zurückhalten, ihr nicht das dünne Kleid zu zerreißen. Er zog es ihr nur über die Hüften, während Anna mit geschickten Fingern seine Hose aufschnürte, dann ließen sie sich beide auf den Boden gleiten. Sie zog ihn über sich, half ihm, den Weg zu finden, und wölbte sich ihm entgegen, als er in sie eindrang.
»Ich hab dich vermisst«, stöhnte er leise, während er sich in ihr bewegte.
»Ich dich auch!«, kam die heisere, von Keuchen durchsetzte Antwort.
Erst jetzt merkte sie, wie sehr! Mit keinem anderen war es so wie mit ihm, als ob sie füreinander gemacht seien. Es dauerte nicht lange, bis er sich in ihr verströmte. Zu groß war die Erregung. Aber Anna hielt ihn einfach fest, küsste ihn immer und immer wieder. Und so dauerte es nicht lange, bis das Liebesspiel weiterging. Später, sie wussten nicht, wie viel Zeit vergangen war, lagen sie ermattet und schweißgebadet nebeneinander und hielten sich in den Armen. Die Hitze spielte keine Rolle mehr. Nur, dass sie sich wieder über den Weg gelaufen waren. Seit ihrer letzten Begegnung war so viel Zeit vergangen, dass Anna schon nicht mehr daran geglaubt hatte, ihn wiederzusehen. Sie ließ eine träge Hand über Markus’ Brust wandern.
»Ich wollte nicht bei den Wagen bleiben, weil ich mit dir allein sein wollte. Hier fühle ich mich nicht wie eine Dirne!«
Es gab ihm einen Stich ins Herz. Ja, sie war eine Dirne. Das wusste er.
Aber immer, wenn sie bei ihm war, wenn er sie für sich alleine hatte, vergaß er es.
»Anna …« Er brach ab. Was konnte er sagen? »Es gibt Schlimmeres. Ich bin ein Mörder.«
Das war alles, was ihm dazu einfiel. Er hatte getötet. Auch wenn man ihm diese Sünde vergeben hatte, so war er doch ein Mörder. Wie viele Mütter warteten auf Söhne, die nie mehr zurückkehren würden? Wie viele Frauen auf ihre Männer, Kinder auf ihre Väter? Während Anna Freude und Lust spendete, so brachte er nur den Tod.
Er schüttelte den Kopf, befreite sich von den trüben Gedanken.
»Es spielt keine Rolle für mich. Und es gibt Neuigkeiten! Ich bin jetzt der Vertreter des Hauptmanns. Ich verdiene jetzt genug, um eine Familie ernähren zu können!«
Die Neuigkeit hallte in Annas Kopf tausendfach wieder, rieselte wie ein eiskalter Schauer ihren ganzen Körper hinab und schien sie einzufrieren. Sie wurde steif.
»Das ist eine gute Nachricht«, sagte sie lahm. »Hast du denn schon eine Auserwählte?«
Für einen kurzen Moment dachte Markus, Anna würde ihn foppen, doch dann erkannte er an ihrer Reaktion, dass sie es ernst meinte.
»Ja. Die habe ich. Ich halte sie im Arm.« Er machte eine kurze Pause. »Anna, du bist die Frau, die ich will. Wir haben so lange gewartet, jetzt ist es so weit, ich werde dich mit mir nehmen.«
Einen Augenblick lang blieb Anna die Luft weg. Was sollte sie darauf antworten? Sie wollte ihm nicht wehtun, auf keinen Fall. Dafür bedeutete er ihr viel zuviel. Aber sie konnte auch nicht zustimmen. All ihre Beherrschung aufbringend sah sie ihn an und lächelte, strich ihm zärtlich über die Wange.
»Ach, Markus. Das geht doch nicht. Wir waren Kinder und haben geträumt, aber jetzt sind wir keine Kinder mehr. Du kannst keine wie mich heiraten. Du brauchst eine Ehrliche! Eine Bürgerstochter. Ich hab nicht einmal einen Vater, der mich dir übergeben könnte!«
Zumindest hatte sie keinen Vater, den man auf seiner Hochzeit gern dabei haben wollte, aber das konnte sie ja schlecht zugeben! Er schnaubte.
»So ein Blödsinn! Wir suchen uns eine Stadt, in der wir leben können, meinetwegen Rothenburg oder wo auch immer. Es gibt bestimmt Städte, in denen man dich nicht kennt. Wer soll es dann wissen? Nein, Anna, das akzeptiere ich nicht! Ich habe die letzten zwei Jahre hart gearbeitet, habe gespart. Und ich kann dich ernähren! Mein Kontrakt läuft bald aus und ich werde ihn nicht verlängern. Ich will mit dir leben!«
Er hatte sich in Rage geredet. In der Tat hatte er jeden Pfennig, den er entbehren konnte, zur Seite gelegt. Seit Hauptmann von Waldow ihn befördert hatte, war auch sein Salär angestiegen. Dazu kam, dass er hier in Münster fast kein Geld brauchte. In die Gasthäuser gingen sie nicht mehr und die Huren, die er für die Männer organisierte, bedankten sich mehr als großzügig, sei es mit einem kleinen Anteil oder mit anderen Gefälligkeiten. Seine Entschlossenheit beeindruckte Anna, machte ihr aber auch ein wenig Angst. Sie bemühte sich, ruhig zu bleiben.
»Und wenn dein Kontrakt ausläuft, was dann? Du bist noch so jung und schon auf dem Weg zum Hauptmann! Willst du eine große Karriere beim Militär wegwerfen, um mit mir zu leben? Was willst du stattdessen tun? Ein Dasein bei irgendeiner Stadtgarde fristen?«
Zuerst wollte er zu einer scharfen Antwort ansetzen, doch er besann sich. Er wollte ihr Wiedersehen nach so langer Zeit nicht mit einem Streit beginnen lassen. Markus schluckte die Worte, die ihm auf der Zunge lagen, herunter, und lächelte sie an.
»Verzeih mir. Ich fürchte, ich habe dich einfach überrumpelt. Wir müssen das nicht jetzt und hier besprechen, aber kannst du wenigstens in Ruhe über diese Möglichkeit nachdenken? In Wien wollten wir bleiben, schon vergessen? Aber jetzt genug davon, lass uns nicht streiten. Stattdessen sollten wir lieber …«
Er beugte sich über sie, küsste sie. Erst sanft, dann verlangend, fordernd. Seine Hände schienen überall zu sein und nur zu gerne ergab sich Anna diesem Ansturm. Als sie sich völlig ermattet auf den Weg zurück ins Lager machten, kam ihnen eine Gestalt entgegengerannt. Es sah zu komisch aus, wie dieser riesenhafte Kerl lief und sprang. Markus dachte dabei an einen Tanzbären, den man von der Leine gelassen hatte, und er wusste genau, wer da auf sie zukam.
»Anna, tief Luft holen!«, konnte er der jungen Frau noch zurufen, als zwei Arme sie umfingen und beinahe erdrückten.
»ROTE ANNA! Max so froh, dass du wieder da bist!« Vorsichtig stellte er sie ab, betrachtete sie. »Und noch viel hübscherer geworden! Wenn Markus nicht bester Freund, Max würde rote Anna heiraten!«, sagte er im Brustton der Überzeugung und kniff ein Auge zu.
W