Читать книгу Gewalt des Glaubens: Kampf um die Freiheit - Werner Diefenthal - Страница 19
ОглавлениеWittenberg, August 1533
Martin Luther saß mit einigen Studenten in der Küche seines Hauses. Seine Frau hatte ihnen einen Eintopf bereitet, den sie schweigend zu sich nahmen. Als sie ihre Schüsseln geleert hatten, sah einer der Studenten, ein junger Mann mit einer Narbe quer über die Wange, Luther an.
»Verzeiht mir, aber darf ich Euch eine Frage stellen?«
Luther hob die Augenbrauen. Es war mittlerweile schon eine Institution, dass er einmal die Woche mit einigen Studenten ein Mahl zu sich nahm und danach mit ihnen theologische Fragen erörterte.
»Sicher, das ist doch einer der Gründe, weshalb wir uns hier treffen und das Brot miteinander brechen.«
»Ich danke Euch. Sagt, ich habe so viel von den Anabaptisten gehört und auch Eure Schriften dazu gelesen.«
»Dann dürfte Euch meine Haltung dazu bekannt sein.«
»Gewiss, dennoch: Wie sollte man mit ihnen verfahren? Sind sie nicht, wie wir auch, an einer Erneuerung der Kirche interessiert? Stellen sie nicht auch die Lehren infrage?«
Luther fühlte, wie sein Gesicht sich erhitzte, wie er rot wurde.
»Erneuerer? Diese Anabaptisten sind nichts anderes als ekelhafte, widerliche Ketzer!«
Die anderen Studenten saßen stumm am Tisch. Diese Diskussion schien interessant zu werden. Der junge Mann mit der Narbe sah dem Reformator offen in die Augen. Er war nicht zufrieden mit der Antwort.
»Sind wir das in den Augen der katholischen Kirche nicht auch?«
»Es ist ein Unterschied, dem Volk den Glauben und das Wort Gottes nahebringen zu wollen oder aber es mit Predigten, die völlig absurd sind, erneut in eine Abhängigkeit zu treiben.«
»Warum Abhängigkeit? Verzeiht mir meine Hartnäckigkeit, aber ich möchte es verstehen. Ich glaube, es sind viele, die den Unterschied nicht begreifen. Warum ist die eine Reformation gut, während die andere in Euren Augen Ketzerei ist?«
Luther war verblüfft. Einer seiner eigenen Studenten wagte es, an ihm zu zweifeln, an dem, was er sagte, Kritik zu üben. Ein seltener Vorgang, aber eine äußerst willkommene Gelegenheit, den Studenten eine Lehre zu erteilen.
»Seht, die Lehren dieser Anabaptisten unterscheiden sich in grundlegender Form von dem, was wir als die Wahrheit Gottes verstehen. Und vor allem erkennen sie das von Gott gegebene Verhältnis zwischen Obrigkeit und Volk nicht an. Sie stellen sich über ihre Herren, rufen das Volk zum Widerstand gegen die Obrigkeit auf. Das alleine ist schon Ketzerei.«
»So ist das Vergehen der Anabaptisten im Grunde genommen, dass sie die Ordnung, die wir kennen, umstoßen wollen, das Volk über die Herrschaft stellen?«
»So kann man es ausdrücken, mein junger Freund.«
Der junge Mann nickte.
»Und wie soll man, Eurer Meinung nach, mit ihnen verfahren?«
»Das ist einfach: Sie sind zu behandeln wie gemeine Verbrecher, wie ein Mörder, ein Kinderschänder, ein Dieb.«
»Ihr seid also der Meinung, sie gehören, wenn nötig, auf das Rad geflochten?«
»Es ist alles zu tun, um dieser Plage Herr zu werden. Und da ist jedes Mittel Recht. So, wie man mit den Juden und Hexen verfahren sollte, so ist auch mit den Anabaptisten zu verfahren. Beantwortet das deine Frage?«
Der junge Mann senkte den Kopf in Demut.
»Ja, ich danke Euch.«