Читать книгу Gewalt des Glaubens: Kampf um die Freiheit - Werner Diefenthal - Страница 15
ОглавлениеZweiter Teil
Vor den Toren Münsters, August 1533
Es war brütend heiß. Die Sonne brannte unbarmherzig auf die Erde und die Männer, die in ihren stickigen Zelten saßen, nieder. In Anbetracht der großen Hitze hatte Hauptmann von Waldow alle Tätigkeiten auf ein absolutes Minimum reduziert.
Er trat aus seinem Zelt, sah sich um. Die Hitze ließ die Luft flirren. Seine Soldaten waren ausgelaugt. Die ständige Anspannung machte sich bemerkbar. Seit im März der gesamte Stadtrat von Münster evangelisch geworden war und man Rothmann mit der Ausarbeitung einer neuen Gottesdienstordnung beauftragt hatte, waren sie in ständiger Alarmbereitschaft. Als Rothmann die Erwachsenentaufe einführen wollte, war es zu Streitigkeiten gekommen, in dessen Verlauf sich die evangelische Gemeinde gespalten hatte und alle Kirchen geschlossen worden waren. Die Bevölkerung war jedoch auf der Seite Rothmanns.
Im Moment herrschte wieder Ruhe in der Stadt. Es war ein wackeliger Frieden, das war von Waldow klar. Es genügte ein einziger Funke, um einen Flächenbrand zu entzünden, in dessen Zentrum er mit seinen Männern stehen würde. Dazu kam die unerträgliche Hitze, welche die Menschen in der Nacht nicht schlafen und zunehmend aggressiver werden ließ.
Von Waldow hatte seine Männer daher beauftragt, nur Präsenz zu zeigen, sich aber nach Möglichkeit aus allen Streitereien herauszuhalten. Er hielt eine Hand hoch und beschattete seine Augen, die den Himmel nach Wolken absuchten.
»Nichts«, murmelte er, »keine Wolke. Kein Regen. Ein weiterer Tag in der Hölle. Wir werden bei lebendigem Leib gebraten.«
»Und es wird noch schlimmer, Hauptmann«, drang eine Stimme von rechts in sein Ohr.
Er drehte sich um.
»Markus! Was hast du zum allgemeinen Elend heute beizutragen?«
»Es gibt Gerüchte, Hauptmann.«
»Und was sagen sie?«, brummte der Hauptmann.
»Es ist jemand gekommen.«
»Markus, bitte, ich habe heute keine Lust auf Ratespiele. Mein Hirn ist weichgekocht.«
»Ja. Es ist …«, er stockte, dann fuhr er leise fort. »Auf der anderen Seite der Stadt wurde ein Wagen gesehen.«
Der Hauptmann ahnte, was kommen würde.
»Sag mir bitte, dass ich mich irre, aber es ist unser alter Freund, oder?«
»Ja. Von Ravensburg ist mit seinen Leuten angekommen. Ihr wisst, was das bedeutet?«
»Dass wir jetzt richtig in der Scheiße sitzen! Auf der einen Seite der Konflikt in der Stadt, dann dieser Anabaptist und jetzt der Inquisitor! Das riecht gewaltig nach Ärger.«
Markus nickte. Seit Schmalkalden hatten sich ihre Wege nicht mehr gekreuzt. Man hörte zwar immer wieder von den Prozessen des von Ravensburg, aber er schien lange nicht mehr so schlimm zu wüten, wie es seinerzeit in Rothenburg geschehen war.
»Ich hoffe, dass wir nicht zwischen alle Fronten geraten«, sinnierte der junge Mann, als er plötzlich eine ihm wohlbekannte Stimme hörte.
»HALT! HOL MICH DER TEUFEL!! WENN DAS NICHT MEIN FREUND MARKUS IST!«
Dieser drehte sich langsam um, als wenn er Angst hätte, in das Antlitz des Teufels zu sehen. Doch stattdessen blickte er in das grinsende Gesicht von Silvanus.
»Oh mein Gott!«, entfuhr es von Waldow, der bereute, am heutigen Tag aufgestanden zu sein. »Ihr fehlt uns noch zu unserem Unglück.«
»Hauptmann! Ich freue mich auch, Euch wohlbehalten zu sehen.«
»Was zum Kuckuck wollt Ihr hier?«
»Wir sind Fahrensleute, Gaukler, Komödianten. Wir sind überall, wo es etwas zu verdienen gibt.«
Markus sah sich indes hoffnungsvoll um. Etwas entfernt entdeckte er die Wagen der Truppe und auch einige bekannte Gestalten, aber Annas unübersehbarer Rotschopf war nicht dabei. Er griff Silvanus an die Schulter, ein unruhiges Gefühl breitete sich in seiner Magengrube aus.
»Wo … wo ist Anna?«
Das Grinsen Silvanus’ reichte nun bis fast zu seinen Ohren, und er zwirbelte den schwarzen Schnurrbart, der seit ihrer letzten Begegnung deutlich gewachsen war.
»Schau dich um in unseren Wagen der Wunder! Sicher wird auch für dich etwas dabei sein!«
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Im Wagen war die Luft wie zum Schneiden, die Temperaturen standen einer Sauna in nichts nach, aber die kleine Gruppe im Inneren wagte es nicht, die Fenster zu öffnen.
Anna starrte konzentriert auf das kleine Feuer, das in einer Keramikschale unter dem gusseisernen Töpfchen brannte, und zählte leise vor sich hin. Der Mohnsaft, den sie herzustellen versuchte, durfte nicht zu lange kochen, sonst war er verdorben.
Tariq der Sarazene beobachtete sie zufrieden und ein wenig amüsiert.
»Du wirst sehen, bald weißt du instinktiv, wann du ihn von der Flamme nehmen musst.«
Anna wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Im Augenblick habe ich das Gefühl, dass ich es nie lernen werde!«
Elisabeth sah kurz zu ihr hinüber.
»Das wirst du. Wahrscheinlich schneller als wir alle zusammen. Du hast ein helles Köpfchen und einen Ehrgeiz, von dem ich nur träumen kann.«
Anna warf der Hebamme einen dankbaren Blick zu. Das Haar der älteren Frau war mittlerweile fast völlig ergraut. Seit ihre Tochter in Ravensburg bei der Hexenprobe umgekommen war, hatte sie sich nicht nur äußerlich verändert, was die Haarfarbe mehr als deutlich zeigte. Sie misstraute jedem und war ständig auf der Hut, was sich auch jetzt wieder darin zeigte, dass sie aus dem Fenster spähte und mit Argusaugen die Umgebung beobachtete.
An dem kleinen Fenster auf der anderen Seite saß Cristoff. Früher war er unter dem Namen ›Cristoff das Tier‹ bekannt gewesen, aber seit der Begegnung mit der Inquisition war die Truppe vorsichtig geworden.
Cristoff, der an Albinismus litt und am ganzen Körper völlig haarlos war, hatte sich zuvor mit Haaren, Fell, Federn oder anderen wundersamen Dingen beklebt und sich in einen Käfig sperren lassen, wo er brüllend und knurrend eine große Schau abzog. Die Leute hatten stets wirklich geglaubt, es mit einem echten Tiermenschen zu tun zu haben und teilweise horrende Summen gezahlt, um ihn sehen zu dürfen. Manchmal hatte er sich sogar mit Bartholomeus’ Bären einschließen lassen.
Seit dem Tod Simons, der Cristoffs bester Freund gewesen war, traute der gerade 15-jährige Junge sich jedoch nicht mehr, den Tiermenschen zu spielen. Zu groß war die Angst, jemand könne ihn für einen Dämon halten und an die Inquisition ausliefern. Seither hatte er sich von Wilhelm Haase in der Waffenkunst ausbilden lassen und half dabei, die Truppe zu schützen.
Das tat er auch jetzt. Es war gefährlich, was Anna, Elisabeth und Tariq trieben. Zwar stellten sie nur Medizin her, momentan den Mohnsaft, der Kranke in Schlaf versetzte und so auch längere Operationen ermöglichte, aber Häscher der Inquisition würden auch darin Teufelswerk sehen.
Darum blieben auch die Fenster des Wohnwagens geschlossen, obwohl es im Inneren so überwältigend nach Alkohol roch, dass Anna glaubte, beim nächsten Atemzug betrunken zu sein. Plötzlich sprang Cristoff auf die Füße, blickte angespannt nach draußen.
»Ich glaube, ich sehe einen Soldaten!«
Im selben Moment erklang ein schriller Schrei. Barbara! Anna erkannte die Stimme sofort! In fliegender Eile löschte sie das Feuer, und der gesamte Tisch mit allen darauf aufgebauten Zutaten und Gefäßen wurde unter eine Vorrichtung gerollt, die man herunterklappen konnte. Innerhalb von Sekunden sah die Medizinküche aus wie eine harmlose Kleiderkiste.
Die vier Verschwörer stürmten nach draußen, und im ersten Moment kam Anna die Sommerhitze nach dem Glutofen im Inneren von Tariqs Wohnwagen vor wie ein laues Lüftchen.
Sie eilten auf Barbaras Wagen zu, in dem auch Anna ihre Nächte verbrachte. Ein junger Mann stolperte gerade heraus und schützte seinen Kopf vor zahllosen Gegenständen, die Barbara ihm hinterherwarf.
»Verschwinde, elender Spanner!«, schrie sie. »Such dir gefälligst deine eigene Hure! Zusehen gibt es nicht!«
Als der Gejagte sich aufrichtete und lachend die Hände hob wie um sich zu ergeben, traute Anna ihren Augen nicht. Es war Markus! Oder zumindest jemand, der ihm verdammt ähnlich sah! Seit ihrer letzten Begegnung war er gewachsen – oder machte es nur den Eindruck, weil er sich ganz anders hielt und bewegte? Er war stets ein wenig unsicher gewesen, ein wenig verlegen, immer zweifelnd, ob er den Aufgaben, die man ihm anvertraute, auch wirklich gewachsen war. Der Mann, der dort stand, hatte keinen Zweifel in sich. Man sah auf den ersten Blick, dass er wusste, wozu er in der Lage war. Sein Haar war unverändert lang, aber in der Sonne heller geworden, und er trug nach wie vor einen kurzen, gepflegten Bart. Anna blieb stehen wie vom Donner gerührt. Sein Anblick traf sie wie ein Schlag aus heiterem Himmel, und sie war sich nicht sicher, ob der Schlag ihr Herz oder eher ihren Magen getroffen hatte.
Vielleicht beides gleichzeitig!
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