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Vertreibung

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Im Oktober 1945 begann die Vertreibung der Deutschen durch die Polen. Am 29. Oktober 1945 wurden wir mit einem Fuhrwerk nach Osterode in die Nähe des Bahnhofs gebracht. Mit uns trafen noch viele andere Deutsche dort ein. Auf dem Hof vor einem Getreidespeicher verbrachten wir die Nacht im Freien auf dem Kopfsteinpflaster. Am anderen Morgen starb dort mein Großvater, den wir, ohne ihn beerdigen zu können, liegen lassen mussten, denn der Zug, der ausschließlich aus Viehwaggons bestand, stand schon zu unserem Abtransport nach Westen bereit. Von Raineck waren wir im Oktober 1944 mit fünf Personen aufgebrochen. Opa war nun schon der Vierte, der nicht überlebte. War ich nun der Nächste?

Was wir mitnehmen durften, war streng reglementiert: nur das, was wir am Leib tragen konnten. So hatte jeder ein Mehrfaches an Unterwäsche und womöglich zwei Hemden an. Unser Handgepäck für vier Personen bestand aus einem Marmeladeneimer, der nur die letzten Habseligkeiten enthielt (z. B. Messer, Gabeln).

In einer zehntägigen strapaziösen Tour erreichten wir nach häufigen und oft langen Stopps das stark zerstörte Berlin. Diese Bahnfahrt ist mir noch in schrecklicher Erinnerung. Manche älteren Menschen starben während dieser Tortur in der Kälte und ohne Versorgung. Dann öffnete man die Waggontür und warf die Leichen ins Freie. Schlimm waren auch die Überfälle, wenn herumstreunende Polen uns noch berauben wollten, obwohl es doch schon lange nichts mehr zu holen gab. Von Berlin aus ging die Fahrt über Rostock in das 16 Kilometer östlich davon gelegene Sanitz, wo wir bei einer Familie einquartiert wurden.

Bei einem längeren Stopp entfernten sich die Frauen oft kilometerweit von dem Zug, um auf den Feldern nach Essbarem (z. B. Steckrüben) zu suchen, denn wir wurden weder mit Essen noch mit Trinken versorgt. Unvergesslich ist mir folgende dramatische Situation: Einige Frauen hatten sich so weit vom Zug entfernt, dass man sie nicht mehr sehen konnte. Plötzlich setzte sich der Zug ohne jegliche Vorwarnung in Bewegung. Die Frauen kamen nicht rechtzeitig zurück. Nun war die Not für die Angehörigen im Viehwaggon groß. Würden sie ihre Zurückgebliebenen jemals wiedersehen? Was könnte man tun? Mir ist in Erinnerung, dass das Vaterunser gebetet wurde. Wir waren bereits etliche Tage in Sanitz, da hörten wir, dass die Vermissten mit einem späteren Zug mitgenommen wurden. Gott sei’s gedankt!

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