Читать книгу Dämon der Spiegelkrieger - Werner Karl - Страница 10

Kapitel VII A. D. 195, April Metamorphose

Оглавление

Brannon erfüllte ein für ihn ungewohntes weil bisher sehr selten empfundenes Gefühl: Befriedigung. Nahezu genießerisch schritt er durch die Leichen der römischen Händler und einiger weniger römischer Soldaten. Natürlich lagen auch Vertreter anderer Völker auf den Kaimauern des kleinen Hafens der Insel, welche die Römer Sarnia nannten. Weitere Leichen lagen am Strand der umliegenden Bucht, an der die Flut bereits anstieg und begann, die Beine der Erschlagenen anzuheben. Auch in allen Gassen und Häusern der Siedlung lagen tote Menschen, abgeschlachtet von seiner noch kleinen Schar Picten und ihren Abbildern.

Tage später war er allein und bedauerte, dass alles so schnell vorbei gewesen war. Der erste Akt meiner Rache, dachte er und grinste, als er sich daran erinnerte, dass seine Krieger noch Stunden nach dem Gemetzel einen armenischen Händler aus seinem Versteck gezogen und ihm vor seinen Augen eine Klinge in den Hals gestochen hatten. Die verzweifelten Schreie des Mannes waren in einem gurgelnden Laut erstickt, der jetzt noch Brannons Herz vor Freude jubeln ließ. Das Blut des Mannes war in zwei, drei Schüben hervorgeschossen, dann erst war der Herzschlag des Kaufmannes erloschen und sein Blut in einem steten Strom aus der Wunde geflossen und hatte sich mit dem der anderen Toten vermischt.

Es war ein Massaker gewesen, kein fairer Kampf.

Die Handvoll Curragh, in denen Brannon und sein Gefolge in den Hafen eingefahren waren, waren niemandem als Bedrohung erschienen. Die wenigen Soldaten, die an den Kaimauern patrouilliert hatten, hielten sie wahrscheinlich für eine Gruppe weiterer Handelsfahrer und hatten sich mehr für die Waren der Händler interessiert und nur einen kurzen Blick auf die kleinen Boote geworfen. Die unter Decken und Fellen verborgenen Krieger sahen sie nicht. Selbst die Hafenhuren zogen mehr ihrer Aufmerksamkeit auf sich als die Neuankömmlinge. Die Hetären hatten versucht, das Geschrei der Händler mit eigenen schrillen Rufen zu übertönen. Im Grunde war es genau dieses sich überbietende Anpreisen der so verschiedenen Waren und Dienstleistungen gewesen, das dazu geführt hatte, dass seine Krieger schon Dutzende Männer und Frauen niedergemacht hatten, kaum dass sie ihre Füße an Land setzten. Erst als eine Frau mit einem Kind auf dem Arm und ihr mit Waren beladener Sklave auf einer frischen Blutlache ausrutschten und entsetzt aufgeschrien hatten, war ein erster Alarmruf ertönt.

Die Minuten danach waren ein einziges Chaos gewesen, dessen Bilder immer noch frisch in Brannons Gedächtnis standen. Er ergötzte sich daran, als sich mehrere Szenen vor seinen Augen übereinanderlegten und einen für ihn faszinierenden und doppelten Genuss darstellten. Ohne selbst an dem Blutvergießen teilzunehmen, war er durch die Reihen seiner Mörder und ihrer Opfer geschritten, hatte dort verharrt, wo es eine Tat zu sehen gab, bei der sich normale Menschen mit Grauen abgewandt hätten. Nur beiläufig hatte er registriert, dass sich seine Gefolgsleute vom Hafen, durch die Lagerhallen, entlang aller Gassen der Kleinstadt hindurchgeschlachtet hatten, sodass er kaum nachkam, aufgehalten durch Grausamkeiten, die er sich nicht hatte entgehen lassen wollen.

Auch die gründliche Durchsuchung jedes einzelnen Gebäudes, jeder Hütte oder möglichen Versteckes, hatte ihn nur soweit interessiert, als das es garantierte, das niemand entkam, um weitere Niederlassungen auf der Insel zu warnen, geschweige denn, eine nennenswerte Gegenwehr zu organisieren.

Und jetzt, fünf Tage nach dem ersten Blutbad, fand seine Befriedigung neue Nahrung, als er die Tafel das erste Mal in aller Ruhe studieren konnte, ohne dass ihn jemand dabei beobachtete oder störte.

Wie schade, dass ich nicht dabei sein kann, wenn meine Krieger die Insel von allen Zeugen befreien, dachte er und wusste jedoch, dass sein jetziges Vorhaben ungleich wichtiger war, als einem weiteren Massaker beizuwohnen. Ich werde noch viele Tode beobachten … und herbeiführen können, tröstete er sich. Dann vergewisserte er sich, dass die vier Fackeln an den rauen Wänden des unterirdischen Ganges, in dem er sich befand, das Objekt seiner Aufmerksamkeit optimal beleuchteten. Dabei strichen seine Hände über die Oberfläche der Tafel und musterten jedes winzige Detail. Mit lässiger Geste nahm er ein kleines Messer und machte einen langen Schnitt an seinem linken Unterarm. Er hielt ihn anschließend nach unten und ließ sein Blut auf die Tafel fließen.

Ich danke dir, Cumail, höhnte er dabei lautlos und nahm ein Tuch, als er sah, dass die Tafel hinreichend mit seinem Blut gefärbt war, und wickelte es straff um die Wunde. Deine Ausführungen waren sehr wertvoll für mich und ich bin durchaus zufrieden mit der Ausbeute meines ersten Trankes. Für ein paar Sekunden dachte er darüber nach, dass allein das Wissen des Trankrezeptes – auch ohne im Besitz der Tafel zu sein - eine mächtige Waffe darstellte. Aber er hatte den Eindruck, dass das Rezept nicht das einzige Geheimnis war, das der Stein barg. Ich hatte von Anfang an den Eindruck, dass ihr Druiden mit eurem Blut gegeizt habt. Ich hingegen werde der Tafel geben, was sie verlangt.

Er machte einen abschließenden Knoten in das Ende des Tuches und fasste die Tafel mit beiden Händen an den Rändern. Er kippte sie mehrfach auf und ab, sodass sich jede Vertiefung mit seinem Blut füllen konnte. Erst als die Tafel eine lückenlose rote Schicht aufwies, beendete er die Bewegungen.

Schon bei seiner ersten Berührung vor Wochen hatte er gefühlt, dass er und die Tafel ein Paar bildeten. Weit mehr als dies ein Mann und eine Frau empfinden mochten, die sich sahen und sofort in Liebe zueinander fielen. Das, was er gespürt hatte, ging über solch einfache Gefühle weit hinaus. Und natürlich hatte es nichts mit Liebe zu tun, gar nichts. Es war vielmehr so, als würde die Tafel ihn als perfekten Partner wahrnehmen, anerkennen, ja, vielleicht seit Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden sogar ersehnt haben.

In Wahrheit stellte er für die Tafel nur ein weiteres Werkzeug in einer über lange Zeit entstandenen Reihe dar, aber das konnte er nicht ahnen, geschweige denn wissen. Brannon war sich völlig sicher, das weder Kennaigh noch Túan auf die gleiche Weise empfunden hatten. Vielleicht Sétanta. Aber auch bei ihm war er sich im Grunde sicher, dass dieser nicht für die Art von Verbindung geeignet gewesen war, die er mit der Tafel würde eingehen können.

Die Tafel ist mir näher als die Frau, die mich geboren hat, dachte er und anstelle ihres Gesichtes sah er das verschwommene Abbild seines Vaters vor sich. Auch du hast nicht verstanden, was die Tafel ist … und was sie will. Trotzdem werde ich deinen Tod rächen, Vater. Aber ich werde mich nicht mit einer Handvoll Römer begnügen. Ich werde sie alle vernichten. Und nicht nur diese …

Seine Gedanken wurden durch eine Reaktion des Steines unterbrochen, die er von Cumail beschrieben bekommen hatte. Selbstverständlich nicht freiwillig, sondern unter den grässlichsten Schmerzen, die er ihm hatte zufügen können.

Die bisher unleserlichen Worte der Tafel wandelten sich und nahmen ein rotes Glühen an. Zu Beginn hatte er den Eindruck, als würde sein Blut das Licht des Abendrots annehmen, das außerhalb des Ganges längst den Boden färbte und mit dem getrockneten Blut seiner Opfer sich zu vereinigen schien. Natürlich sah er dieses Rot nur vor seinem geistigen Auge, doch allein die Vorstellung davon, ließ ihn eine Erektion erleben. Schnell wechselte das flammenlose Feuer in ein bösartiges, zorniges Brennen, das mit seinem Blut verschmolz und aus der brodelnden Masse neue Buchstaben formte, die er sehr wohl lesen konnte:

Sei gewarnt, du, der sein Blut gegeben hat, um dies zu erfahren:

Es wird dir eine Macht gegeben, welche selbst manchem Gott das Fürchten lehrte, lange vor der Zeit, als Menschen auf Erden wandelten.

Braue einen Trank für die Toten, welche noch nicht den Weg ins Totenreich genommen haben. Gib einen Tropfen zwischen die Lippen des Toten und er wird bald erwachen und leben, als sei er nie gestorben.

Gibst du ihm mehr, so werden Abbilder seiner selbst auferstehen in der Zahl der Tropfen, welche du ihm schenkst, ihm an Fleisch und Blut gleich, doch im Geiste unvollständig.

Kommt ein Erweckter erneut zu Tode, ist sein Dasein für immerdar verwirkt.

Alle jedoch werden an dich gebunden sein, braust du den Trank mit deinem Fleisch und Blut.

Nun lies, du, Braumeister, und beachte wohl die Dinge, die du brauchst …

Es kam ihm vor, als hätten die Worte schon immer in seinem Hirn geschlummert. Jede einzelne Silbe, die er las, drängte sich ihm förmlich auf, so als hätte er sie schon vorher nennen können. Je weiter er im Text vorankam, desto sicherer war er sich, dass er und kein anderer vor ihm, diese Worte als sein Schicksal erkannt hatte, und mit größter Bereitwilligkeit entgegennahm. Das Rezept für den Trank hatte er bereits aus Cumails zerfetzten Lippen erfahren. Die Angaben der Bestandteile hatte er wieder und wieder aus ihm herausgepresst und keinen einzigen Widerspruch in den Worten des sterbenden Druiden entdecken können. Nun die Worte vor sich zu sehen und die Aussagen Cumails bestätigt zu bekommen, war blanke Bestätigung, kein Erfüllen auch nur des leisesten Zweifels.

Meine Methoden, die Wahrheit aus jemandem herauszupressen, sind effektiv. Trotzdem: Ich hätte gelogen, soviel ich nur gekonnt hätte, überlegte er und verwarf diesen Gedanken sofort wieder, als er daran dachte, in welch jämmerlichem Zustand sich sein Opfer schon befunden hatte. Nur unter Aufbietung seiner letzten Kräfte war Cumail zu klaren Aussagen fähig gewesen, geschweige denn, dass er noch so viel Energie gehabt hätte, um sich wenigstens eine ansatzweise schlüssige Lüge auszudenken.

Nein, der alte Sack hat mir die Wahrheit gesagt. Zu etwas Raffinierterem war er einfach nicht mehr in der Lage gewesen.

Gebannt hingen Brannons Augen an jedem Strich und Haken der Buchstaben und Zeichen. Nur einmal berührte er mit einer Fingerspitze die glühenden Worte … und verbrannte sich prompt damit den Finger bis zum ersten Glied zu zerbröselnder Asche. Doch anstatt vor Schmerzen aufzubrüllen und den rauchenden Stumpf in Wasser zu kühlen, frohlockten alle seine Sinne und nahmen die Qualen als letzte Bestätigung der Schilderungen des Druiden.

Es funktioniert tatsächlich!, triumphierte er und folgte weiter den Zeilen des Textes.

Stunden später stand Brannon, vor Begeisterung und Aufregung schwer atmend, immer noch in dem langen verwundenen Gang, in dem sich uralte Skelette unbekannter Völker aneinanderreihten. Er und seine Krieger hatten nach dem Gemetzel am Hafen und in der Stadt - und einer überraschend kurzen Suche - diese unterirdischen Begräbnisstätten gefunden. Natürlich hatten seine Krieger die Gänge nach Flüchtlingen durchsucht, aber keinen Einzigen darin aufscheuchen können. Brannon hatte, ohne zu zögern – getrieben von kaum mehr unterdrückbarer Neugier und Ungeduld – die Totenstätte als vorläufiges Domizil für sich auserkoren. Jetzt erschien ihm diese Gruft sogar noch passender zu sein, als jeder andere mögliche Ort auf dieser Insel.

Wo anders als hier, inmitten von namenlosen Toten, sollte man das Werkzeug unendlicher Macht erforschen? Die Schöpfer der Tafel haben mich an diesen Ort geführt. Er bildet einen passenden Rahmen für die Arbeit, die ich in Angriff nehmen werde.

Hätte ihn in diesem Moment ein anderer Mensch gesehen, so hätte er sich gewundert, dass die aufgerissenen stummen Münder, die staubbedeckten Augenhöhlen der Skelette um Brannon herum, diesem keinen Schauer über die Haut laufen ließen, sondern eine Kulisse bildeten, in der der einzige Akteur sich selbst stumm applaudierte.

Trotz seiner unbändigen Kraft wurde ihm nun die Tafel schwerer und schwerer. Seine Muskeln erzitterten und ließen seinen Körper in Wellen erschauern. Die Stunden, die er sie nun schon in Händen hielt, forderten ihren Tribut und er sank – die Tafel immer noch in den verkrampften Händen haltend – auf die Knie. Auch wenn Brannon den Körper eines Erwachsenen besaß - jetzt einen Kopf größer als der größte Cruithinkrieger, den er je gesehen hatte -, so konnte doch auch er nicht über Stunden ein solches Gewicht in Händen halten, ohne dass ihn seine Kräfte verließen.

Dazu kam, dass er seit Tagen nichts mehr gegessen hatte. Eine unbestimmte Abscheu hatte ihn erfasst, als er seine Männer irgendwelche Dinge essen sah. Brot, Fleisch, Fisch: Alles kam ihm wenig schmackhaft vor. Auch das frische Obst und Gemüse an den Ständen des Hafens und in den Auslagen der kleinen Geschäfte der Stadt reizte ihn nicht.

Vielmehr weckten aufgerissene Leiber sein Interesse. Zerfetzte Muskeln und Organe wirkten auf ihn wie ein gedeckter Tisch. Doch der Kampf und die kaum zu bewältigende Gier endlich, endlich die Tafel bis zur letzten Wahrheit kennenzulernen, halfen ihm über den für ihn und alle um ihn herum laut vernehmbaren Hunger hinweg.

So kniete er also geschwächt auf dem staubigen Boden. Die erhobenen Hände wackelten so heftig, als würden starke Männer ihm die Tafel entreißen wollen. Längst waren die glühenden Worte erloschen und hatten alles Blut auf der Oberfläche in Asche verwandelt. Schweiß lief ihm aus allen Poren über die Haut. An vielen Stellen hatten sich die anfangs noch kleinen rotbraunen Pusteln mittlerweile in Eier große Ausbuchtungen verwandelt. Sein Oberkörper erzitterte nun so stark, dass aus winzigen Öffnungen an den Spitzen der Wucherungen kleine Rauchfahnen drangen, die dünn und faserig auseinanderstoben.

Brannon schrie vor Wut, als sein Körper nicht mehr in der Lage war, den Stein zu halten und dieser zu Boden fiel. Halb aus Gier, halb aus Erschöpfung stürzte er mit dem Oberkörper auf den Stein und blieb auf ihm liegen, wie ein Fels, der in einen zähen Morast stürzt. Er brach sich dabei das Nasenbein, doch der kurze Stich des Schmerzes war nicht mehr in der Lage, die tiefe Bewusstlosigkeit aufzuhalten, die ihn umschlungen hatte.

Brannon mac Ruith lag drei Tage und zwei Nächte wie tot auf dem Stein und niemand aus seinem Gefolge wagte es, ihn zu stören. Er hatte jedem mit dem endgültigen Tod und vorhergehenden und ausgiebigen Qualen gedroht, der auch nur einen Schritt in den Gang machen würde, bevor er nicht selbst aus diesem heraustrat. Er hatte ihnen gesagt, dass es lange dauern würde und niemand hatte ein Wort des Widerspruchs erhoben. Zu solch eigenständigen Entschlüssen waren die Wiedererweckten schlichtweg nicht in der Lage. Sein Befehl war für sie unumstößliches Gesetz.

Allerlei krabbelndes Getier hatte ihn erreicht und war in seine Haare und seine Kleidung eingedrungen. Viele Insekten hatten ihn gebissen und manche hatten Eier in die Schnittwunde am Unterarm oder in Hautfalten gelegt. Selbst die Beulen auf seinem Körper hatten die Tiere versucht anzunagen, doch jedes dass es versucht hatte, war binnen Augenblicken tot herabgefallen und zu einem nicht mehr identifizierbaren Gespinst zusammengeschrumpelt.

Seine Atemzüge kamen mit unnatürlicher Langsamkeit, sein Herzschlag wäre für niemanden fühlbar gewesen, wenn es denn einer gewagt hätte, ihn auch nur zu berühren. Die vier Fackeln waren erloschen und der starke Rauch, den sie erzeugt hatten, lag wie eine dichte Wolke auf dem Boden und umhüllte ihn und den Stein, auf dem er immer noch lag. Doch Brannon erstickte nicht an ihr.

Dann kam eine Phase, in der noch nicht einmal Atemzüge und Herzschläge den Körper bewegten, der in eine todesähnliche Ruhe gefallen war.

Stunden später wallte die Decke aus Rauch plötzlich auf, was natürlich niemand sehen konnte, da erstens kein Mensch in der Nähe war und zweitens völlige Dunkelheit herrschte. Asseln, die sich ein bequemes Plätzchen gesucht und darin für Nachkommenschaft gesorgt hatten, stoben in alle Richtungen auseinander und verschwanden rasend schnell in jeder Ritze und jedem noch so kleinen Loch, das sie finden konnten. Andere Insekten, die das Pech hatten, sich genau dort aufzuhalten, wo sich Glieder regten, Hände und Beine bewegten, wurden zermalmt und zerquetscht. Die jungen Larven, die sich in seiner selbst zugefügten Wunde entwickelt hatten, rieselten tot und verkümmert aus dem sich gelockerten Verband und fielen auf die Erde.

Aus den Schwaden erhob sich ein Körper, der ein wenig größer war, als der, der dort niedergesunken war. Für eine Weile schien es so, als hinge der Qualm wie ein alter zerrissener Mantel an dem Mann, der sich nun anschickte, sich vollständig aufzurichten und dabei langsame, ja, fast vorsichtige Bewegungen machte. Die unzureichende Höhe des Ganges verhinderte, dass Brannon sich kerzengerade aufrichten konnte. Also streckte er die Arme zur Seite und rollte mit den mächtigen Schultern, das es vernehmlich knackte und knirschte. Erst jetzt, beinahe widerwillig, fiel der Rauch langsam herab und gab den Kopf Brannons frei.

Er atmete tief und sog dabei die Rückstände der nach unten fallenden Schwaden gierig ein. Er blähte dabei die Nasenlöcher und öffnete auch den Mund, um seine Lungen mit dem lange entbehrten Sauerstoff zu füllen. Die spärlichen Reste des Qualms erzeugten keinen Hustenreiz in ihm, wie sie das bei jedem anderen Menschen verursacht hätten, sondern bildeten eine willkommene Würze, die in ihm den Wunsch nach mehr davon erwachen ließ.

Dann erst öffnete er seine Augen.

Die Lider noch zu engen Schlitzen gesenkt, drang es dunkelgrün aus ihnen hervor. Seine Augenhöhlen, die Nase und die hohen Wangenknochen wurden in einen fahlen Schein gehüllt, der nicht nur unnatürlich wirkte, sondern auch unheimlich. Doch es war niemand da, der von diesem beklemmenden Eindruck hätte erfasst werden können.

Brannon horchte mit allen seinen natürlichen und neuen, weit weniger menschlichen Sinnen in sich hinein und in die Umgebung. Er spürte, dass die kleinen Veränderungen, die er seit dem Tag, an dem er die Tafel in seinen Besitz bringen konnte, einen deutlichen Fortschritt erfahren hatten. Natürlich sah er das grüne Leuchten seiner Augen und fragte sich, was es bedeuten mochte. Doch einen Effekt stellte er sofort fest, als er die Lider völlig öffnete und in die Dunkelheit des Ganges vor sich blickte. Auf viele Schritte konnte er alles absolut scharf erkennen, jede Bodenkrume, jeden scharfen Vorsprung der rau behauenen Wände, selbst einzelne Sandkörner. Erst fünf oder sechs Mannslängen entfernt, ließ die Schärfe nach. Aber über eine gleichlange Strecke konnte er immer noch so gut sehen, als stünde dort am Ende des Ganges ein Mann mit einer Fackel, um ihm zu leuchten.

Ich brauche kein Licht mehr, um im Dunkeln sehen zu können, dachte er befriedigt und fragte sich, wie weit wohl seine Nachtsichtigkeit im Freien reichen würde.

Der Gedanke, die Totenstätte zu verlassen, erschien ihm wenig reizvoll. Doch sein Magen knurrte nun wieder auf und das in einer unanständigen Lautstärke und zunehmender Häufigkeit, sodass er mit raschem Griff die Tafel in die Linke nahm und mit gebücktem Oberkörper den Gang entlangstapfte. Ein Blick nach unten zeigte ihm, dass seine Beine angeschwollen waren, genau wie seine Arme. Überhaupt hatte sich sein gesamter Körperbau ausgeweitet und drohte, die wenigen Kleidungsstücke, die er trug, auseinanderzureißen. Die menschlichen und tierischen Hautfetzen, die er einige Zeit so lustvoll ausgeschnitten und sich auferlegt hatte, fielen nacheinander zu Boden. Er beachtete sie nicht. Brannon spürte, dass sein veränderter Körper selbst für eine äußere Hülle sorgen würde, die ihm zusagen würde.

Er fühlte eine Kraft in sich, wie er sie noch nie zuvor erreicht hatte. Gleichzeitig erkannte er, dass dies längst nicht die Stärke war, die er in Zukunft würde erlangen können.

Ich spüre das schwelende Potenzial in mir und der Tafel. Ich muss mich länger und intensiver mit ihr beschäftigen, beschloss er und ärgerte sich, dass er Zeit für eine so lästige Sache wie Nahrungsaufnahme verschwenden musste.

Mit einem wuchtigen Tritt stieß er die massive Holztür auf, die den Eingang zur Begräbnisstätte bildete. Sonnenlicht fiel auf seine Augen, die er sofort schloss und trotzdem einen weiteren Schritt ins Freie machte.

Die Krieger und Kriegerinnen, die dort draußen seit Tagen kampierten, fuhren überrascht auf, als ihr Herr und Meister so unvermittelt nach Tagen der Abwesenheit auftauchte. Hände, die sich nach ihren Waffen ausgestreckten, hielten in der Bewegung inne oder sanken nach unten. Auch wenn die meisten von ihnen Wiedererweckte, und in ihrer Entschlussfreudigkeit ein wenig eingeschränkt waren, so waren sie doch vollwertige Menschen mit allen normalen Fähigkeiten und Fehlern. Alle waren sie verblüfft. Nur die wenigen Originale unter ihnen waren erschrocken über die Veränderung, die Brannon offensichtlich erfahren hatte.

Er hob erneut die Lider und alle sahen das grüne Leuchten darin, anstelle seiner von Geburt an schwarzbraunen Augen. Seine Pupillen besaßen jetzt das dunkelste Smaragdgrün, das je ein Händler gesehen hatte. Doch der Ausdruck darin vermittelte nicht die Anmut edler Steine, sondern drohte mit einer solchen Vehemenz, dass einige der weniger hartgesottenen Männer und Frauen geflohen wären, hätte sie nicht das unzerreißbare Band an ihn gefesselt. Und Brannon spürte mehr als das er es wusste, dass die Verbindung zwischen ihm und seinen Spiegelkriegern eine andere Qualität besaß, als je ein Druide vorher zu seinen Wiedererweckten genossen hatte.

Brannon blickte sich um und bedauerte, dass Alain nicht mit ihm hatte fliehen können. Wahrscheinlich hatten ihn die Druiden gefangen genommen oder er war sogar getötet worden.

Wenn er noch lebt, dachte er gelassen, wird er ihnen früher oder später verraten, was er weiß. Den Schöpfern der Tafel sei Dank, dass er im Grunde nichts über mich und meine Pläne weiß. Also sollen sie ihn doch töten. Ich werde bald genug Ersatz haben und dann …

»Habt ihr die Insel von dem Pack befreit?«, rief er und stellte fest, dass sich auch seine Stimme gewandelt hatte. Sie hatte nicht mehr diese verführerische Süße, sondern eine hässliche Klebrigkeit, die eher an einen stinkenden Pfuhl erinnerte, der seine Opfer unerbittlich in den Abgrund zog. Dabei war sie dröhnend und tiefer geworden.

Eine Kriegerin trat hervor, deren Namen er nicht kannte und der ihm auch eigentlich nicht interessierte.

»Ja … Meister«, antwortete sie mit fester Stimme und zeigte nicht den Hauch von Angst. »Wir haben auch mehr als ein Dutzend gebärfähiger Weiber am Leben gelassen«, fuhr sie fort. »Ganz so, wie dein Befehl lautete.« Sie stand dabei ruhig vor ihm und hatte ihren Kopf bei der Erwähnung der Frauen nur sehr kurz über ihre rechte Schulter bewegt.

Brannon blickte in die angedeutete Richtung und sah in einem Pferch aus relativ eng eingeschlagenen Stämmen eine Schar verdreckter und verängstigter Frauen auf dem Boden liegen und teilweise schlafen. Er grinste sardonisch und wandte sich wieder an die Kriegerin vor ihm.

»Ich habe Hunger«, verkündete er und leckte sich dabei die Lippen. »Wascht eine von ihnen, dann schlitzt sie der Länge nach auf und bringt sie mir sofort.« Er unterbrach sich und sein Grinsen wurde um eine Stufe finsterer. »Nein, wartet. Lasst mich sie selbst töten …« Wieder leckte er sich über die Lippen und fühlte, dass seine Zunge ebenso gewachsen war, wie der Rest seines Körpers. »Wenn ich mich gesättigt habe«, fuhr er langsam fort, »dann bringt mir eine der anderen. Ob ihr die Zweite wascht oder nicht, ist mir egal. Hauptsache, ihr Arsch und ihre Titten sind groß genug, dass sie ein Kind von mir empfangen und nähren kann.«

Dämon der Spiegelkrieger

Подняться наверх