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Kapitel IV A. D. 195, März Fremde mit gleichem Blut

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Arianrhod blickte dem kleinen Currach sehnsüchtig hinterher. Wie gern wäre sie mit dem Boot wieder nach Breith zurückgefahren. Und um ihre trübselige Stimmung noch mehr auszuweiten, schien der Himmel über Ynys Môn die Art von Grau beibehalten zu wollen, das in seiner monotonen Gleichmäßigkeit in ihr nichts anderes hervorzubringen vermochte, als Trauer und Hoffnungslosigkeit. Sie winkte dem Mann im Boot noch einmal zu, aber er sah sie nicht, sondern konzentrierte sich darauf, die Strömung zu erwischen, die ihn ohne eigene Mühe wieder auf die große Insel zutreiben würde.

Sie dankte Swidger mit einem stummen Lächeln, als er ihr die Zügel ihres Reitpferdes reichte. Er hatte sich in all den Jahren während ihrer selbst auferlegten Pflicht angewöhnt zu schweigen, wenn sie sich auf den Weg machten, von dem er überzeugt war, dass er die Mühe nicht wert war.

Aber Brannon ist mein Sohn, dachte sie und saß mit geübtem Schwung auf. Es genügt schon, dass ich ihn nicht ständig um mich habe. Vielleicht würde er dann nicht so … anders sein.

Kaum hatte sie den Gedanken im Kopf, da wusste sie, dass auch eine dauerhafte Nähe zu ihrem Sohn ihn nicht zu einem liebenswerten Wesen wandeln würde. Sie kannte die Berichte der Druiden.

Was ist nur mit ihm geschehen? Welchen Fehler haben Túan und ich nur getan, dass aus ihm … - ja, was - geworden ist?

Als würde sie ihr Schuldgefühl niederdrücken, beugte sie sich im Sattel ein wenig vor und gab dem Pferd die Sporen.

Dumme Kuh, mach dir nichts vor!, schalt sie sich und blickte erneut zum Himmel.

Ich hasse dieses Einerlei, fluchte sie lautlos und wünschte sich wenigstens von frischem Wind oder heftigen Böen aufwirbelnde Wolkenberge. Sie hatte alle Schattierungen des breith´schen Himmels schätzen gelernt, von hellem Grau wie von jungen Tauben, bis hin zu fast schwarzen Regenwolken. Ein wildes, zerzaustes Firmament, war ihr allemal lieber, als diese unendliche Weite, die wie eine schwere Decke auf ihr zu liegen schien.

Arianrhod nahm nur aus den Augenwinkeln Swidger und den kleinen Trupp Krieger und Kriegerinnen wahr, die sie begleiteten. Nur ihr Unterbewusstsein registrierte die Wegmarken, die sie alle nur zu gut kannte.

Zehn Jahre. Seit zehn Jahren mache ich diese Reise. Und zehn Mal bin ich den halben Weg tränenüberströmt zurückgeritten. Swidger hat schon recht: Warum tue ich mir das an? Weil ich immer noch nicht zugeben will, dass ich eine schlechte Mutter bin? Dass ich versagt habe?

Plötzlich setzte Regen ein und sie hoffte, dass ihre Begleiter nicht sahen, dass sie weinte.

Wenn ich nur wüsste, durch was ich versagt habe.

Der Regen nahm an Heftigkeit zu und sie gestattete sich, mit einer Hand die Tropfen - und ihre Tränen - fortzuwischen.

Und es gibt auch sonst nichts, was mein Herz erfreuen könnte, dachte sie. Cumail ist immer noch verschwunden. Niemand hat ihn seit vielen Wochen gesehen. Yan meint, dass der alte Druide womöglich einfach in den Wald gegangen ist, um in Frieden zu sterben. Es war vielleicht ein Fehler, ihm die Bürde von Brannons Ausbildung aufzuladen. Und die Unheilige Tafel. Auch sie kann immer noch nicht vernichtet werden. Auch der letzte Versuch schlug fehl. Wie lange wird sie von der Macht des Blutes - Túans Blutes und dem aller anderen Opfer - erfüllt sein, bis wir sie endlich aus dieser Welt schaffen können?

Für eine Sekunde fühlte sie sich unendlich allein. Aber nur für eine Sekunde. Sie hob den Kopf und sah, dass Swidger sie - wie er wohl glaubte unbemerkt - aus seinen Augenwinkeln beobachtete. Ein warmes Gefühl stieg sofort in ihr auf und zu ihrer eigenen Überraschung huschte der zaghafte Versuch eines Lächelns über ihr Gesicht.

»Du siehst weitaus besser aus, wenn du dir nicht die Farbe des Himmels auf dein Gesicht legst«, versuchte er sie aufzumuntern und sie war erstaunt, dass er in der Lage zu sein schien, einen Teil ihrer Gedanken zu lesen.

Sie nickte und dankte ihm damit für seinen gut gemeinten Versuch. Auch wenn sich ihre Stimmung nicht wesentlich gebessert hatte, so erkannte sie doch, dass sie als Königin nicht so ein jämmerliches Bild abgeben durfte und richtete sich gerade auf. Der Regen an sich störte sie nicht, an den hatte sie sich längst gewöhnt. Manchmal genoss sie ihn sogar. Schließlich war er immer noch besser als die brütende Hitze Italias, die oft tagelang alles an ihr hatte kleben lassen. Kleidung, Schmuck, Haare. Alles hatte zwar nach Ölen und kostbaren Salben geduftet, aber nach wenigen Tagen drückender Temperaturen, hatte sie sich nur noch Regen gewünscht. Selbst die kurzen Erholungen im Bad mit frischem Wasser hatten ihr nur kurze Zeit Linderung verschafft.

Jetzt habe ich mehr als genug Regen, stellte sie lakonisch fest und lächelte dabei ein wenig deutlicher. Ach hör schon auf, du jammerst wie eine verzogene Prinzessin oder Senatorengattin. Du bist jetzt die Königin der Cruithin. Und die liebt Regen!

»Ein wenig vermisse ich die Bräune meiner Haut. Dieses Land hat einfach zu wenig Sonne«, gab sie zu und blickte ihm nun direkt in die Augen. »Ich hoffe, dass du mich auch noch liebst, wenn ich aufgrund dieses Mangels – und zunehmenden Alters – nicht mehr die südländische Schönheit bin, die dich verzaubert hat.«

Sie wussten beide, dass diese kleine Neckerei sie nur davon ablenken sollte, den ganzen Rest des Weges eigene schwarze Wolken über ihren Häuptern zu erzeugen.

»Auch in meinem Land gibt es mehr Regen und graue Wolken als in Italia. Aber nicht so viel wie hier«, gab er zu. »Aber du könntest auch eine nubische Sklavin mit pechschwarzer Haut sein und ich würde dich genauso lieben. Die Farbe deiner Haut ist nicht das, was mich zu dir zieht.«

Es freute sie beide, dass sie dem scheinbar unausweichlichen Ablauf der Reise eine neue Variante zu verleihen in der Lage schienen. Auch wenn beide wussten, dass die Ablenkung nur so lange Bestand haben würde, bis sie ihr Ziel erreicht hätten.

Es hat keinen Sinn, den Grund unserer Reise totzuschweigen, dachte sie und erschrak ein wenig, als in ihr der Gedanke aufflammte, dass es am besten wäre, Brannon wäre tot.

Ich bin die schrecklichste Mutter auf dieser Erde.

Swidger hatte offensichtlich wieder erkannt, dass sie nicht in der Lage zu sein schienen, wenigstens auf dem Hinweg nicht an Brannon zu denken.

»Brannon ist zwar rasch gewachsen, aber eigentlich ist er immer noch ein Jüngling«, versuchte er zum hundertsten Male, ihr ein wenig Trost zu spenden.

»Umso mehr verwundert mich dieser unstillbare Blutdurst Brannons«, erwiderte sie heftiger, als sie eigentlich antworten wollte und die nächsten Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. »Er gibt sich nicht damit zufrieden, dass Breith von den Römern befreit ist.«

Sie blickte Swidger in einer Mischung aus Verzweiflung und Liebe an und dachte daran, dass er in all den Jahren ihr einziger Halt gewesen war. Kein adeliger Mann wie ihr Vater (den sie nur noch als Römer sah, und längst nicht mehr als Verwandten), kein magischer Druide wie Túan, sondern nur ein ganz normaler Mann.

Nun, ein Berg von Mann und in seiner Unerschrockenheit und beinahe an Berserker erinnernde Kampfeslust sicherlich nicht das, was man mit normal beschreiben sollte.

Sie lächelte in sich hinein und genoss wie immer seine unaufdringliche Präsenz.

Scheinbar war ihr Lächeln auch für ihn erkennbar gewesen, denn er ritt neben sie, ergriff ihre Hand und drückte sie vorsichtig.

»Da muss noch mehr sein, Arianrhod. Auch wenn Brannon sich in allen Belangen vor der Zeit entwickelt hat, so wundert es mich doch, dass er überhaupt Erinnerungen an seinen Vater haben kann; von Rachegelüsten ganz zu schweigen. Schließlich war er zu Lebzeiten Túans noch sehr, sehr jung. Da muss noch mehr sein«, betonte er noch einmal und drückte ihre Hand nun sehr fest, so als wolle er ihr zeigen, wie stark er war und sie immer mit dieser Stärke beschützen würde.

Arianrhod fühlte weiteres Unbehagen in sich aufsteigen; und das nicht zum ersten Mal.

»Warum nur ist Brannon so …«

»Bösartig?« Swidger hatte ohne zu zögern den Begriff verwendet, den sie, die Mutter, nicht über ihre Lippen gebracht hatte.

»Ja«, gab sie kleinlaut zu. »Meine Rache für Túans Folter und Tod ist gestillt. Die Römer sind tot oder geflohen. Und auch Sétanta hat seine gerechte Strafe gefunden. Sicher, Túan war Brannons Vater und einen Teil seines Hasses kann ich nachvollziehen. Aber er hat ihn nur wenige Male getroffen.« Sie verhielt einen Augenblick und Swidger sah, dass keine Tränen der Trauer ihre Augen füllten, so wie dies im ersten Jahr nach Túans Tod noch gewesen war. Jetzt standen nur noch Erinnerungen und vielleicht ein wenig Wehmut in ihren Augen, aber kein Schmerz mehr.

»Auch du hattest nur wenig Zeit mit ihm erleben dürfen«, sagte er und sie hörte weder Neid noch Eifersucht in seinen Worten.

Einige Stunden später, kurz vor Einbruch der Nacht, erreichten sie den Ort, den der Orden, vor allem aber Yan mac Ruith, für am geeignetsten hielt, einen besonderen Schüler zu beherbergen.

Im Grunde ist es ein Gefängnis, dachte Arianrhod und fühlte einen neuen Schub Schuld durch ihren Körper branden. Er muss da raus!

Zwei Druiden und ein Adept empfingen sie an der ersten Umzäunung.

Arianrhod, Swidger und ihre Begleiter stiegen ab und reichten die Pferde an zwei Jungen weiter, welche die müden Tiere in einem Stall abreiben, füttern und tränken würden.

Einige Krieger – darunter ein halbes Dutzend Spiegelkrieger – begrüßten die Ankömmlinge und tauschten einige Worte mit ihrem Begleitschutz. Die Ankunft der Königin und Mutter ihres Schutzbefohlenen war natürlich angekündigt worden, lange vor ihrem Eintreffen.

Swidger nahm sie kurz in den Arm und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann gesellte er sich zu den Druiden und sprach leise mit ihnen.

Arianrhod wusste in der gleichen Sekunde, als die beiden die Köpfe schüttelten, dass sich am Verhalten ihres Sohnes auch während des letzten Jahres nichts zum Positiven geändert hatte. Wäre es so gewesen, hätte sie längst Nachricht erhalten.

Swidger trat wieder an ihre Seite und schüttelte ohne ein Wort zu sagen den Kopf.

Die beiden Druiden führten Arianrhod und Swidger in das Zentrum der Anlage. Doch schon weit davor kamen ihnen Yan mac Ruith und Púca entgegen. Trotz des immer noch andauernden Regens erwiesen sie der Königin die Ehrerbietung, die ihre Stellung – und mittlerweile Freundschaft – verlangte.

Yan überwand sogar seine sonstige Distanziertheit soweit, dass er Arianrhod kurz umarmte.

»Willkommen Cear Arianrhod, willkommen in der Familie«, sagte er und sie freute sich tatsächlich, dass er in ihr den Rest seiner Familie sah. Beide vermieden in diesem Moment die Erwähnung Brannons.

Púca reichte ihr beide Hände und drückte sie zu ihrem Erstaunen überraschend herzlich.

»Kommt, gehen wir ein Stück und genießen das herrliche Wetter«, versuchte er sich an einem alten Landesscherz und allen huschte ein leichtes Lächeln über die Gesichter.

Nur Swidger lachte laut auf und schlug die Richtung zu Brannons Behausung ein. Er und Arianrhod hatten auf dem Ritt hierher vereinbart, dass sie sich nicht auf lange Diskussionen mit den Druiden einlassen wollten. Jedes Mal ging sie dann frustrierter zum Treffen mit ihrem Sohn und sie wollte ihm dieses Jahr unvoreingenommen entgegentreten.

»Wie geht es mit der Ausbildung Brannons voran?«, fragte er also, um die Person ihres Interesses möglicherweise aus einem anderen – vielleicht sogar positiven – Blickwinkel zu betrachten. Swidger tat dies nicht, um Brannon in ein gutes Licht zu rücken, Odin bewahre, sondern um es Arianrhod leichter zu machen. Und sie wusste dies natürlich und nahm seine Hand, drückte sie und ließ sie nicht mehr los.

Yan und Púca tauschten einen kurzen Blick, dann blieb Yan stehen. Alle anderen zwangsläufig ebenso.

»Wie wir es zum Beginn seines Aufenthaltes hier auf Ynys Môn beschlossen hatten, erhält er bis auf zwei Ausnahmen die gleiche Ausbildung, die jeder Adept hier genießt.« Yan wusste, dass dieser Punkt jedem bekannt war, aber er konnte nicht umhin, es auch dieses Jahr zu betonen.

»Kampfkunst und … Magie«, warf Swidger lapidar ein.

Púca lächelte und machte dann ein entschuldigendes Gesicht.

»Nun, manche unserer Künste mögen dir wie Magie vorkommen, Swidger. Aber im Grunde sind viele Dinge, die wir tun, völlig natürlich. Etwas nicht verstehen, heißt nicht, dass es sich dabei um magische Fähigkeiten handelt.«

Yan nickte und nahm seinen Weg wieder auf und blickte dabei dem Hand in Hand gehenden Paar abwechselnd in die Augen.

»Natürlich haben wir Kenntnisse und Fertigkeiten, die man nicht anders als Magie bezeichnen kann. Aber es sind die Weißen Künste der Druiden, kein finsterer Zauber böser Mächte.« Er blieb wieder stehen. Fast schien es auf Arianrhod so, als bereute er, indirekt die schwarzen Künste angedeutet zu haben. »Natürlich hat Brannon nie ein einziges Wort davon erfahren.«

Wieder nahmen sie den Weg auf.

Púca ging direkt neben Swidger und warf einen Blick auf dessen Waffen.

»Ich habe Brannon dabei beobachtet, wie er uns beobachtet hat, wenn wir Kampfübungen durchführten. Niemand hat ihn darin unterrichtet, aber ich bin fest davon überzeugt, dass er heimlich trainiert. Seine Wachen …«, er unterbrach sich nur für eine Sekunde, aber Swidger sah den Blick des Druiden zu der Gruppe Krieger schweifen, die sie an ihrem Ziel schon erwartete.

»Was ist mit ihnen?«, fragte der Germane.

»Nun, sie scheinen sich an ihn … gewöhnt zu haben. Vor allem Alain scheint recht vertraut mit ihm zu sein. Wir …« Er warf einen schnellen Blick zum Oberhaupt des Ordens und Yan nickte stumm und machte sein gewohnt finster-kühles Gesicht. »… wir haben schon überlegt, ob wir Alain nicht wieder zu seinem Clan schicken und einem anderen die Wache anführen lassen sollen.«

Überrascht sah Arianrhod zu Yan. »Warum? Ist es nicht gut, wenn er wenigstens diesen Mann als … Vertrauten um sich hat? Wenn wir ihm immer die Menschen vorenthalten, zu denen er eine Beziehung entwickelt, wird er niemals ein normales Leben … mit einer Familie führen können.« Jetzt hatten sie doch genau die Diskussion, die sie zu vermeiden versucht hatte.

»Brannon wird niemals ein normaler Mensch werden. Und wir sollten uns in diesem Punkt nichts vormachen. Wir können froh sein, wenn er sich nicht zu einem zweiten Sétanta entwickelt«, warf Yan grimmig ein.

»Ihr beide habt noch nicht gesagt, wie euer Schüler eure Unterweisungen aufnimmt«, versuchte Swidger das Thema wieder auf seine ursprüngliche Frage zu lenken.

Yan war es, der antwortete und dieses Mal blieb er nicht stehen, sondern beschleunigte seinen Schritt. Die anderen mussten sich beeilen, um keinen Abstand entstehen zu lassen. Er wandte seinen Kopf nach rechts und knurrte ihnen über seine Schulter zu.

»Er ist wie ein Schwamm. Er saugt jedes Wort auf, das wir von uns geben. Nicht, dass er dabei still das Wissen aufnimmt, nein. Er erdreistet sich, vieles infrage zu stellen, manches lächerlich zu kommentieren und uns bei anderen Sachen lauthals auszulachen.«

Púca nickte bestätigend und machte für Arianrhod und Swidger eine überraschende Äußerung.

»Es hat den Anschein, dass wir bald einen Zeitpunkt erreicht haben werden, an dem wir ihm nichts mehr von Belang beibringen können. Die Weißen Künste selbst würden noch Jahre der Unterweisung erfordern, aber dieses Wissen soll er niemals besitzen.«

Sie hatten mittlerweile eine Stelle im Gelände erreicht, an dem es nur noch zu Brannons Broch ging oder zurück. Man hatte mit Absicht ein Gebäude für ihn ausgewählt, das abseits von allen anderen auf einem Hügel lag.

Yan mac Ruith und Púca blieben stehen. Sie würden die Königin und Swidger nicht weiter begleiten.

»Darüber werden wir reden, wenn ich mir selbst einen Eindruck von ihm gemacht habe«, sagte sie. Die beiden Druiden nickten nur, wandten sich wortlos um und gingen in Richtung des Haupthauses des Ordens davon.

Swidger sah ihnen mit einem Ausdruck nach, der Arianrhod verriet, dass er die beiden am liebsten begleitet hätte. Aber genauso wusste sie auch, dass er sie jetzt niemals allein lassen würde.

»Also schön, Königin«, murmelte sie unhörbar für ihn, »bring es hinter dich.«

Der Weg zu den Räumen ihres Sohnes erschien ihnen wie ein Spießrutenlauf. Jeder Blick eines Druiden, jede Waffe in den Händen der Cruithin, zeugte vom wahren Status ihres Sohnes.

Kein Schüler, sondern ein Gefangener. Ein Kind in Einzelhaft, schoss es ihr durch den Kopf und wie jedes Mal wusste sie, dass mit dem ersten Blick auf ihn, all die Vorwürfe verschwinden würden, wie ein Blatt im Sturm.

Der Germane neben ihr blickte ausdruckslos auf den Weg, beobachtete die Umgebung und schien sich nur für ihre Sicherheit zu interessieren. Sie wusste aber, dass er mit Brannon anders verfahren würde, und nur die Tatsache, dass er ihr Sohn war, ihn davon abhielt.

Plötzlich sträubten sich ihre Nackenhaare und ein schneller Blick in Swidgers Gesicht verriet ihr, dass es ihm ebenso erging. Wie zufällig landete seine Hand auf dem Knauf seines Schwertes und schien dort nur zu seiner Bequemlichkeit platziert worden zu sein. Sie jedoch erkannte die Veränderung in seinem Gang und die federleichte Anspannung seines Schwertarmes.

»Was ist?«, fragte sie leise und betrachtete die kleine Gruppe Spiegelkrieger, die vor dem Eingang zu Brannons Behausung postiert war und sie erwartete.

»Irgendetwas stimmt nicht«, antwortete er ebenso leise und hielt den Blick auf die Krieger gerichtet.

Es waren insgesamt fünf, zwei spiegelgleiche Frauen, ein gleiches Paar Männer und ein weiterer Mann, in dem Arianrhod jetzt Alain mac Carnonacae, den Sohn Fionnghals erkannte. Alain war der Anführer der Cruithinkrieger, die man zu Brannons Bewachung abgestellt hatte. Arianrhod kannte ihn nicht besonders gut, aber sie hatte den Eindruck, dass er sich seit ihrem letzten Treffen verändert hatte. Allein wie er dastand und sie musterte, verursachte ihr ein Kribbeln auf der Haut. Vielleicht hatten Yan und Púca doch Recht.

»Ich bleibe an der Tür«, wisperte Swidger ihr zu, als sie nur noch wenige Schritte von der Gruppe trennten.

Sie nickte nur und verzog ihren Mund zu einem missglückten Lächeln.

»Alain, schön dich wieder zu sehen«, begrüßte sie den Krieger und empfing anstelle seines üblichen breiten Lächelns nur ein zaghaftes Nicken.

»Königin«, kam es mehr gebrummt als gesprochen über seine Lippen.

Die anderen sagten gar nichts, sondern musterten nur Swidger. Arianrhod hatte den Eindruck, dass sie sich bemühten, nicht zu offen zu zeigen, dass sie genau registrierten, welche und wie viele Waffen sie bei sich trugen. Aber weder ihr noch dem Germanen entgingen diese Blicke. Jetzt sah Arianrhod bei Swidger Gänsehaut aufsteigen und auch sie fröstelte.

Eine der Kriegerinnen öffnete – zumindest hatte Arianrhod den Eindruck – beinahe widerstrebend die schwere Tür und ließ sie eintreten. Als auch Alain Anstalten machte, der Königin zu folgen, schob sich Swidger dazwischen und brummte nicht weniger finster:

»Mutter und Sohn möchten allein sein.«

Dabei hätte er sie selbst nur zu gerne begleitet, wie sie an seinem raschen Blick noch erkennen konnte, bevor sie in einen schwach erleuchteten Gang eintrat und die Tür sich hinter ihr wieder schloss. Nur eine einzige Fackel wies ihr den Weg, den sie natürlich schon kannte. Mit entschlossenen Schritten überwand sie die kurze Strecke. Sie öffnete die Tür am Ende des Ganges des beinahe festungsartig ausgebauten Brochs (wieder drängte sich ihr der Eindruck eines Gefängnisses auf) und dann sah sie ihn. Zumindest seinen Rücken.

Wie groß er geworden ist, staunte sie und schätzte ihn auf beinahe zwei Meter.

»Komm herein, Mutter«, tropften seine Worte wie zäher Brei zu ihr. »Ist es wieder mal soweit? Freut es dich, mich zu sehen? Oder ist es dir eine Last geworden, mich zu besuchen?«

Er drehte ihr immer noch den Rücken zu und schien irgendetwas in den Händen zu halten, denn unentwegt schwangen seine Ellbogen ein wenig auf und ab, so als würde er eine Kugel in seinen Händen balancieren.

Wenn er nicht geplärrt hatte – und das war oft genug – hatte er schon als Kind diese honigsüße Stimme eingesetzt. Aber nur, wenn er etwas von mir wollte und wusste, dass er es mit Protest nicht bekommen würde. Aber dieser ironische Unterton ist neu.

Was sie nicht ahnen konnte, war, dass seine Stimme einen verhängnisvollen Einfluss auf sie ausübte.

»Ich habe dir schon oft erklärt, dass ich in meiner … Position … Aufgaben auferlegt bekommen habe, die es nicht erlauben, mit einem Kind durch das Land zu ziehen. Oder dir die Ausbildung angedeihen zu lassen, welche dir die Druiden ermöglichen.« Sie hatten dieses Gespräch schon mehrere Male geführt und Arianrhod kam sich wie in einem Strudel vor, der sie immer im Kreis vorantrieb. Genauso wusste sie, dass es eine Ausrede war.

»Welche Aufgaben sollen das sein, Mutter?« Irgendwie betonte er das Wort auf eine Art und Weise, die sie verunsicherte.

»Im Krieg gegen die Römer wurden viele Dörfer und Siedlungen zerstört, Felder und Viehherden wurden verbrannt oder abgeschlachtet«, begann sie aufzuzählen. »All das …«

»Ist zehn Jahre her!«, donnerte er, und obwohl er ihr immer noch den Rücken zukehrte, zuckte sie vor seinen Worten zurück wie von einem Schlag.

»Viele Familien wurden auseinandergerissen«, sagte sie fast flehentlich. »Es gibt Hunderte Waisen und noch immer finden wir versprengte Gruppen, die sich in die Berge und Wälder geflüchtet hatten und immer noch nicht wissen, dass Breith wieder frei von Römern ist.«

Er hörte auf, mit dem zu spielen, was er in Händen hielt und reckte seine Schultern hoch.

»Ist das so?« Seine Worte schlichen fast wie Schlangen auf sie zu. Leise. Bedrohlich. Beinahe konnte sie das Zischeln in seinen Worten hören.

»Kein einziger Römer befindet sich noch auf der Insel«, sagte sie und bedauerte, dass der Wolf, Marcellus Maximus Lupinius, vor einigen Jahren gestorben war. Wenigstens er hatte einen normalen Tod.

»Und was ist mit dir, Mutter?«, schrie er sie an und wirbelte plötzlich herum. »Bist du etwa keine Römerin?«

»Woher …?« Der Schock seines Anblicks und die Tatsache, dass er ihre frühere Identität kannte, rissen ihr den Atem vom Mund. Kreidebleich stand sie vor ihm und konnte die schreckgeweiteten Augen nicht von ihm wenden.

Sein Gesicht war wutverzerrt und glich trotz aller Schönheit mehr einem bösen Geist als einem Menschen. Sie erkannte, dass er viel von ihrer Anmut geerbt hatte und diese sich mit der Stärke seines Vaters zu einem Gesicht geformt hatte, dass, wäre es einem anderen Menschen gegeben worden, die Herzen aller im Sturm erobert hätte. Doch dieser Hass, der seine Miene in wahren Wellen überzog, machte daraus eine Fratze, die sie abstieß. Für mehrere Sekunden war sie von seinem Anblick gefangen und konnte erst dann den Blick auf seinen Körper senken.

Als er ihr noch den Rücken gezeigt hatte, hatte sie geglaubt, dass die Felle, die ihn umhüllten, auch vorne in ähnlicher Weise gefertigt waren. Doch diese Ansammlung zerschnittener, blutiger Fetzen hatte nicht die Aufgabe seinen Körper zu wärmen. Sie sah mit Entsetzen, dass die abgetrennten Teile noch frisch waren, denn dünne Rinnsale von Blut und Sekret tropften zu Boden. Wenn er sich bewegte, dann schmatzte es ekelerregend. Und dann fiel ihr Blick auf das, was er in Händen hielt.

Es war ein Kopf.

Kein blanker Totenschädel. Sondern ein halb verwester Kopf, den er zwischen seinen kräftigen Händen hielt, als wolle er ihn vor ihren Augen zerquetschen.

»Woher ich weiß, dass du eine Römerin bist?«

Wieder hatte sie den Eindruck, dass jedes Wort mit gespaltener Zunge auf sie zu kroch. Jedes seiner Worte wirkte auf sie wie ein Knebel, der sie beinahe zu ersticken drohte. Sie wollte schreien, konnte aber nur mühsam atmen. Langsam drehte er den Kopf in seinen Händen so, dass sie dessen Gesicht sehen konnte. Und sofort erkannte sie den Mann, auch wenn das Gesicht an vielen Stellen verunstaltet war.

Cumail.

Götter!, seufzte sie und schluckte den Würgreiz hinunter, der sie beharrlich quälte. Was ist aus meinem Sohn geworden?

Wie erstarrt stand sie vor Brannon und konnte sich nicht mehr bewegen oder sprechen. Sie fühlte ihre Beine zittern und betete zu römischen und cruithischen Göttern gleichzeitig und hoffte, er möge es nicht bemerken.

»Verschlägt es dir die Sprache … Königin?« Das letzte Wort traf sie nun wirklich wie ein Hammerschlag und sie taumelte einen Schritt rückwärts.

Brannon ließ den Kopf nun in seiner Handfläche wie einen Ball auf und ab hüpfen.

»Cumail hier war eine echte Quelle.« Erst grinste er verächtlich, dann mit eindeutig bestialischem Ausdruck. »Zum Beginn meiner … Befragung weigerte er sich noch. Aber dann konnten meine kleinen Freunde ihn doch davon überzeugen, das preiszugeben, was ich wissen wollte.«

Brannon warf den Schädel mit einer achtlosen Geste in eine Ecke des Raumes und machte zwei Schritte auf sie zu. Wieder taumelte sie mehr, als dass sie ging zurück und fühlte die Tür in ihrem Rücken.

Wenn ich schreie, müsste mich Swidger trotz der beiden Türen und des Ganges hören können, raste ein Gedanke durch ihren Kopf. Aber sie brachte keinen Ton über die Lippen.

»Du bist die letzte Römerin in Breith«, sagte er nun mit harter Stimme, die sie seine vorherige harzige Süße fast vermissen ließ. »Ich weigere mich, dein Erbteil an meinem Körper anzuerkennen.« Er griff mit spitzen Fingern an seine Brust und zog mit einem schmatzenden Geräusch ein handtellergroßes Stück Fell ab und warf es auf den Boden. Sie sah, dass seine Haut darunter kleine Pusteln aufwies, die wie ein Ausschlag wirkten. Es konnten aber auch nur Reste von Blut und Fett sein; so genau konnte sie es nicht sehen, da er mit seinem Rücken das Licht der Feuerstelle verdeckte.

»Wie du siehst, bin ich gerade dabei, an meinem Äußeren gewisse … Veränderungen zu entwickeln. Bis dieser Prozess abgeschlossen ist, werde ich mich mit allem bedecken, was dazu beiträgt, meine noch glatte Haut zu verbergen. Mir ist blutrote und totenblasse Haut lieber, als dein römischer Ton.«

Er bückte sich rasch und pappte sich das am Boden liegende Hautstück wieder auf die Lücke.

»Ach ja, Cumail«, fuhr er fort und deutete mit einer lässigen Bewegung in Richtung des Kopfes, der sie beide mit offenen Augen aus der Ecke anzuklagen schien. »Er hat wirklich interessante Dinge gewusst, Lucia. Nicht nur, dass mein Vater ein Druide war, nein, er konnte mir auch sehr glaubhaft versichern, das Túan mac Ruith der Druide war, der die Spiegelkrieger zum Leben erweckt hat.«

Dann schob sich Brannon ganz nah an das Gesicht seiner Mutter heran und sie konnte seinen Atem riechen. Ihre Nasenflügel bebten, als sie den Geruch nach rohem Fleisch wahrnahm. Verzweifelt rangen in ihrer Brust der Drang nach erklärenden Worten und das Verlangen, einfach ihr Schwert zu ziehen um die Vorherrschaft. Aber sie konnte sich nicht im Geringsten bewegen. Seine Worte schienen sie förmlich festzunageln. Seine Stimme hatte nun wieder die klebrige Süße angenommen.

»Und das Allerbeste, was er ausplauderte, ist natürlich die Quelle dieser Macht, Lucia: der Stein!«

Er weidete sich an ihrer Angst, genährt von Entsetzen und maßloser Enttäuschung. Dann rückte er wieder ein paar Schritte zurück und drehte sich ein wenig ins Licht, so als wolle er ihr seine ganze Pracht zeigen.

»Cumail war so freundlich, mir auch das größte Geheimnis der Druiden zu verraten«, fuhr er genauso süß weiter:

»Ich … weiß … wo … die … Tafel ist!« Er hatte jedes Wort betont und ergötzte sich an ihren weit aufgerissenen Augen und ihren Versuchen, auch nur ein Wort zu sagen.

»Bemüh´ dich nicht, Lucia. Es ist zu spät. Freunde von mir sind schon auf dem Weg in die Höhle. Und du wirst nicht mehr die Gelegenheit haben, sie aufzuhalten.« Mit überdeutlicher Geste nahm er sich ein Schwert, das von ihr unbemerkt an einer Wand gelehnt hatte, und hielt es sich vor die Augen. »Weißt du, Lucia, es ist mir eine Freude, mit dir den wirklich letzten Römer auf Breith zu töten.«

Plötzlich konnte sie schlucken und spürte, wie ihre Stimme zurückkehrte. Wie auch immer er es zuwege gebracht hatte, sie zu lähmen und am Sprechen zu hindern, jetzt war dieser Bann verschwunden, zumindest geschwächt.

»Aber ich werde mich nicht damit begnügen, dich zu töten, Lucia. Ich werde den Mord meines Vaters mit dem Tod aller Römer rächen!« Seine Stimme klang nun wie splitterndes Eis und sie glaubte ihm, dass er diesen Plan todernst meinte.

Er ist vollkommen wahnsinnig! Die Römer aus Breith zu vertreiben war eine Sache, aber sie alle töten zu wollen … ist Größenwahn!

Scheinbar hatte ihn die Vision seiner Rache so erregt, dass er den Bann vernachlässigt hatte.

Ich habe nur eine Chance!, dachte sie und holte tief Luft. Gleichzeitig lockerte sie ihre Arme und betete erneut, dass er es nicht bemerkte.

Brannon drehte die Waffe elegant in seiner Hand und machte einen halben Schritt nach vorn.

Grundstellung.

Jetzt!

»Swidger!«, schrie sie mit aller Kraft und packte gleichzeitig ihre beiden Schwerter, die sie wie einst Túan auf dem Rücken trug.

Swidger trat ungeduldig von einem Bein auf das andere. Ihm war kalt und er war nass bis auf die Haut. Und die ständigen Blicke der Krieger gingen ihm auf die Nerven. Diese Truppe war völlig anders als die Picten – Cruithin – und sogar Spiegelkrieger, die er näher kannte. Sicher waren sie tödliche Gegner und er schätzte sich glücklich, nicht mehr auf der Seite der Römer kämpfen zu müssen. Aber wenn man ihre Freundschaft einmal errungen hatte, so waren sie mindestens genauso zuverlässige Mitstreiter und fröhliche Zecher, wie einst seine Brüder und Freunde in Germanien. Nur für eine Sekunde blitzte das Gesicht Ingas durch seine Gedanken.

Als hätte Arianrhod seinen Gedanken gehört, schrie sie seinen Namen, natürlich aus einem anderen Grund. Der Schrei drang zwar gedämpft hinter seinem Rücken auf, doch der angsterfüllte Ton war trotzdem überdeutlich für ihn zu hören.

Und als wenn er es die ganze Zeit gewusst und nicht nur als beharrliches Prickeln tief in seinen Eiern gefühlt hätte, reagierten die fünf Krieger und Kriegerinnen vor ihm ganz anders, als sie hätten reagieren sollen. Anstelle nach einer Gefahr für die Königin und ihrem Sohn zu suchen, griffen sie sofort nach ihren Waffen und machten Anstalten auf ihn loszugehen.

Im gleichen Moment, als er sein Schwert zog, schoss ihm nur ein Gedanke durch den Kopf.

Hoffentlich hält sie solange durch, bis ich dieses Pack hier in Stücke gehauen habe!

Arianrhod hatte zu ihrer Überraschung sichtlich Mühe, sich ihren Sohn vom Hals zu halten. Auch wenn er dem Alter nach noch ein Jüngling war, sein Körper und seine Kraft waren die eines ausgewachsenen Mannes. Eines sehr großen Mannes. Einzig seine Unerfahrenheit im Schwertkampf hatte verhindert, dass er sie gleich beim ersten Angriff tötete. Sie parierte seine Schläge und verlegte sich nach dem ersten Konter darauf, seine wuchtigen Hiebe abzulenken. Hätte sie alle massiv blockieren wollen, wäre ihr Arm unter seiner Kraft längst taub geworden.

Dazu kommt noch der kleine Umstand, dass ich ihn nicht töten will, dachte sie und machte einen schnellen Schritt zur Seite und sein über Kopf geführter Schlag fuhr zischend an ihr vorbei.

Ich muss aus diesem Raum heraus. Früher oder später wird er mich erwischen, ob unerfahren oder nicht.

Brannon sah offensichtlich ihre Zurückhaltung und schien sich zu ärgern, dass er gegen eine Frau nicht so ohne weiteres siegen konnte. Seine Angriffe wurden noch stümperhafter, als sie ohnehin waren und Arianrhod verlegte sich darauf, zwischen Abwehr und Scheinangriff hin und her zu tänzeln.

Aber unterschätzen darf ich ihn trotzdem nicht, schwor sie sich und überlegte, ob er für Schläge gegen die Schläfe empfindlich genug sein könnte.

»Du solltest deine mütterlichen Gefühle mir gegenüber vergessen, Lucia«, begann er und wieder klebte jedes Wort an ihren Ohren wie stinkendes Pech. Dabei fuchtelte er mit dem Schwert in rasender Eile vor ihrem Gesicht herum, dass sie Mühe hatte, seine Augen zu beobachten.

Ich lasse mich von dir nicht täuschen. Ich sehe es, wenn du zu einem tödlich gemeinten Schlag ausholst.

Zu ihrer Verwunderung schienen sich auf einmal seine Bewegungen zu beschleunigen. Es kam ihr so vor, als würde sie sich durch ein unsichtbares dickes Moor bewegen.

Seine Stimme!, zuckte ein Alarm in ihrem Gehirn flammend rot auf. Es ist diese süße Stimme, die mich lähmt und nicht ihn!

Swidger achtete nicht auf die Kriegerin und den Mann, die er schon zu Boden geschickt hatte. Die anderen Drei – vor allem Alain – hatten sofort erkannt, dass Einzelangriffe auf ihn sie nur nach und nach zu blutenden Verlierern werden lassen würde. Sie hatten ihn eingekreist und hackten mit allem, was sie an Waffen bei sich trugen, auf ihn ein. Bislang konnte er sie nur durch die Länge seines Breitschwertes auf Abstand halten. Dabei brüllte er mit aller Kraft nach Druiden oder anderen – hoffentlich auf seiner Seite kämpfenden - Cruithin.

Er fegte dem Spiegelbild des am Boden liegenden Kriegers mit einem gewaltigen Schwung den Kopf vom Hals und wartete nicht ab, dass dessen Körper zusammenbrach und sich dessen Blut mit dem seines Abbildes vermischte. Mehr im Reflex duckte er sich und konnte damit gerade noch dem Hieb einer Axt ausweichen, welche die verbliebene Kriegerin nach ihm geschwungen hatte. Sie erwischte trotzdem einen Zopf seines Haares und blickte erstaunt auf, als die Klinge seines Schwertes ihre Brust durchstieß und bis zur Hälfte am Rücken wieder austrat.

Der Kampf war natürlich nicht unbemerkt geblieben und mehrere Druiden, darunter Púca, stürmten heran, gefolgt von mehr als drei Dutzend Cruithin. Sie bildeten einen weiten Kreis um die beiden verbliebenen Kontrahenten und wussten nicht, was sie tun sollten.

Dann kam Swidger eine Idee.

»Verrat!«, schrie er. »Die Königin ist in Gefahr.«

Zu mehr kam er nicht, denn Alain hatte sprichwörtlich Schaum vor dem Mund und ignorierte die Menge um sie herum. Mit blitzschnellen Attacken versuchte er, die Abwehr des Germanen zu durchbrechen. Seine Augen waren blutunterlaufen und er war sichtbar nicht mehr bei Sinnen.

Plötzlich teilte sich der Kreis und Yan mac Ruith schritt eilig heran und sprach Worte in einer Sprache aus, die Swidger sofort die Haare zu Berge stehen ließen. Er wehrte einen letzten Schlag Alains ab, fühlte dabei jedoch, dass dessen Kraft rapide abgenommen hatte. Er wollte schon zu einem tödlichen Stoß ansetzen, als ihm Púca in die Hand fiel.

»Halt! Warte!«, rief er und drückte Swidgers Hand mit dem Schwert nach unten.

Yan hielt sich nicht bei ihnen auf, sondern schritt schnell an die äußere Tür des Brochs und stieß sie mit einem harten Tritt auf. Dabei wurde seine Stimme immer lauter und auch Swidger fühlte, wie sein Kampfeswille erlahmte, obwohl er nicht das Ziel der magischen Worte war. Er sah, wie Yan in den Gang trat und in das trübe Licht blinzelte. Ein dunkler Schatten kam den Gang entlang, und als er die eine Fackel passierte, sah Swidger erleichtert, dass es Arianrhod war, die taumelnd durch den Gang rannte.

Mit einem schnellen Blick überzeugte sich Swidger davon, dass von Alain keine Gefahr mehr ausging. Dieser stand ein wenig wacklig auf seinen Beinen und ließ die Arme hängen, in denen er immer noch ein Schwert und einen Dolch hielt, der verdächtig feucht schimmerte. Ohne auf die anderen zu achten, stürmte Swidger ebenfalls in den Gang und fing Arianrhod auf, die ihm förmlich in die Arme stürzte.

Yan mac Ruith war an ihr vorbeigegangen und hatte unentwegt seine Beschwörungen gerufen. Nicht ohne einen kurzen Blick auf sie zu werfen, als sie ihn erreicht hatte. Er schritt völlig unbewaffnet den Gang entlang und verschwand in dem Raum, den Brannon bewohnt und dort beinahe seine Mutter getötet hätte.

»Er wollte mich tatsächlich umbringen«, sagte sie und verzog schmerzhaft das Gesicht, als Swidger ihr aufhelfen wollte. Er war an etwas Feuchtem ausgerutscht, und als er im Licht der Fackel seine Hände betrachtete, waren sie rot vor Blut.

»Du bist verletzt! Wo …?«, begann er und beugte sich zu ihr nieder, die Augen voller Sorge und Wut.

»Halb so schlimm«, schwächte sie ab und deutete mit einer Hand auf ihren Rücken. »Er hat mir nur zu einer neuen Narbe verholfen.« Sie schaffte es, ihn dabei neckisch anzulächeln. »Ich hoffe, sie wird dir den Gefallen an meiner Haut nicht nehmen.«

Verblüfft kniete er sich zu ihr nieder und schüttelte den Kopf. »Frauen! Wie kannst du jetzt an Sex denken?«

»Du bist der Einzige, der mir geblieben ist«, entgegnete sie entwaffnend und konnte scheinbar selbst nicht begreifen, dass sie den Angriff ihres Sohnes auf diese Weise beiseiteschieben konnte. Er sah trotzdem die Verzweiflung in ihren Augen.

»Holt Salbe und Binden!«, rief er über die Schulter und nahm sie in den Arm. Er drückte ihr einen Kuss auf den Mund und zu seiner Überraschung und Freude erwiderte sie ihn mit unerwarteter Leidenschaft. Als sie sich wieder voneinander lösten, stand Yan mac Ruith wieder neben ihnen und machte ein noch finsteres Gesicht als üblich.

Arianrhod blickte zu ihm hoch und hatte Tränen in den Augen.

»Ich habe keinen Sohn mehr«, sagte sie halb erstickt.

»Du hattest nie einen Sohn«, antwortete Yan düster und hielt ein Stück Stoff in der Hand, das einen runden Gegenstand zu enthalten schien. Sie wusste sofort, was es war.

»Du hast Cumail gefunden.«

»Er muss ihn lange gefoltert haben«, sagte Yan tonlos »Vielleicht seit dem Tag, an dem er verschwunden ist.« Er zögerte einen Augenblick und schien mit sich zu ringen. »Ich … werde versuchen, Cumail wieder zu erwecken.«

Dann ging er mit dem Kopf in der Hand hinaus ins Freie.

Dämon der Spiegelkrieger

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