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Kapitel VIII A. D. 195, April Senator gegen Senator

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Pompullius Antiochus empfand Wut, als er die Treppen des Tempels in ungewohnter Eile hinaufstieg. Andere Senatoren – ob nun zu seinen Befürwortern oder Gegnern zählend – blickten ihm gleichermaßen erstaunt hinterher und beschleunigten unwillkürlich ihre eigenen Schritte, um nur ja nicht das zu verpassen, was Antiochus so vorantrieb. Der Senator erreichte die oberste Stufe und warf nur beiläufig einen Blick auf die Statue von Lucius Septimius Severus Pertinax, des aktuellen Kaisers von Rom. Aber Septimius Severus weilte nicht in der Hauptstadt des Reiches, sondern führte weit entfernt einen Feldzug gegen die Parther, die unablässig die östlichen Grenzen des Imperiums bedrohten.

Doch daran dachte Pompullius nicht, denn seine Gedanken drehten sich ausschließlich um die Dinge, die er von Sidonius Gavius erfahren hatte. Und von denen er jedes einzelne Wort glaubte. Sicher, Gavius konnte ihm keinen einzigen Beweis vorlegen. Doch welcher Beweis sollte das auch schon sein?

Ich habe nichts in der Hand als die Worte eines Säufers und Verlierers, grübelte er und wäre beinahe in eine Wache der Prätorianer gelaufen, die aber ein wachsames Auge hatte und einen Schritt zur Seite machte. Pompullius erschrak ein wenig, als er in dem Prätorianer den Sohn Scapulas erkannte: Mathaeus.

Sie werden mich in der Luft zerreißen. Aber ich kann nicht anders. Vor dieser Gefahr muss ich Rom warnen.

Er überlegte, ob er dem Sohn seines Widersachers etwas sagen sollte, entschied sich aber sofort dagegen. Stattdessen musterte er den Mann und fragte sich, wie der Sohn zu seinem Vater stand. Mathaeus Scapula war der Inbegriff römischer Arroganz: Er hatte den gleichen quadratischen Schädel wie sein Vater, dessen leicht geschwungene Nase und schwarzes Haar, auch wenn die des Vaters schon von etlichen silbernen Fäden durchzogen war. Beiden war die tödliche Beharrlichkeit eines Kampfhundes gemein, wenngleich dem Sohn das verschlagene Blitzen in den Augen fehlte. Pompullius Antiochus sah dem Prätorianer fast auffällig prüfend in die Augen und freute sich doppelt, als er darin nur Neugier entdeckte und keinen Hauch von Hinterlist.

Der Sohn mag sein Aussehen vom Vater geerbt haben, dazu unsere fast schon sprichwörtliche römische Überheblichkeit, aber ein Verräter oder Feigling scheint er nicht zu sein.

Pompullius musste ungewollt gelächelt haben, denn Mathaeus Scapula lächelte zurück, obwohl er sicher wusste, dass sein Vater und Antiochus im Senat fast immer anderer Meinung waren. Pompullius nickte Mathaeus stumm zu und ging weiter. Dann blieb er abrupt stehen und hob den Kopf. Mit einem Ausdruck im Gesicht, als würde er das Gebäude zum ersten Mal in seinem Leben betreten, betrachtete er den weißen Marmor, die vielen Statuen an den Seiten und Inschriften.

Kann ich ihn überhaupt anklagen?, überlegte Pompullius. Er gilt als Held und seltsamerweise nicht als Verlierer wie Gavius. Zu seiner Wut gesellte sich nun ein Anflug von Verzweiflung, denn Rom hatte schon mehr als genug Gegner. Sie werden mir schlichtweg nicht glauben. Und dann, nach einer langen Pause, die den Prätorianer beinahe dazu brachte ihn anzusprechen, wie er an dessen Verhalten erkennen konnte, dachte er noch einmal: Ich kann nicht anders.

Pompullius Antiochus konnte es kaum erwarten, bis sein Vorredner zu seinem Schlusswort kam. Sicher, die Abwesenheit des Kaisers und unerledigte Staatsaufgaben waren wichtige Themen. Doch es zerriss ihn beinahe, als Claudius Constantinus – von allen doppeldeutig nur CC genannt – in Phrasendrescherei verfiel. Als er sah, dass auch andere Senatoren die Augen verdrehten, erhob sich Pompullius rasch und nutzte eine vermeintlich bedeutungsschwere Atempause des Mannes, der sich Beifall heischend um die eigene voluminöse Achse drehte.

»Hab´ Dank für deine Ausführungen, werter Claudius Constantinus«, unterbrach er ihn. Dabei musste Pompullius an sich halten, um nicht die zweite Bedeutung des Kürzels auszusprechen: corpus corruptus. Beinahe hätte sein diesbezügliches Stocken Constantinus Gelegenheit gegeben, das Wort wieder an sich zu reißen. Aber der einsetzende Applaus enthob Constantinus jedes weiteren Wortes. Also machte er einige Schritte zu seinem Platz und setzte sich.

»Du hast deine Argumente deutlich und ausführlich«, einige Senatoren konnten ein leichtes Lachen nicht unterdrücken, »zum Ausdruck gebracht«, fuhr Pompullius fort. »Ich bin sicher, dass der Kaiser dir mehr Aufmerksamkeit schenken wird, sobald er wieder in Rom weilt.«

Pompullius war sich bewusst, dass auch diese Doppeldeutigkeit seiner Worte nicht zu überhören gewesen war. An der Reaktion vieler anderer Senatoren erkannte er, dass sie sich bemühten, ein hämisches Lachen zu unterdrücken. Er konnte CC nicht leiden. Pompullius konnte niemanden leiden, der in die eigene Tasche wirtschaftete, anstelle sich um das Gemeinwohl zu kümmern. Allerdings musste Pompullius zugeben, dass Constantinus noch einen der umgänglichen Typen darstellte. Andere praktizierten ihre Korruption mit einem gerüttelt Maß an Brutalität und Rücksichtslosigkeit.

Pompullius schüttelte diese Gedanken beiseite und schritt in die Mitte des Auditoriums. Er verzichtete wie immer auf großspurige Gesten, sah nur einigen der Männer in die Augen und versuchte das Gesicht Aurelius Scapulas nur zu schweifen.

»Die Abwesenheit des Kaisers«, begann er, »und den Grund dafür, kennen wir alle und hoffen, dass er diese Bedrohung unserer Grenzen ein weiteres Mal beseitigen kann.« Er legte in seine Worte die Hoffnung und Sicherheit, die er wirklich dafür empfand, dass die Parther auf ein Neues eine Niederlage erfahren würden. Zustimmendes Nicken und eine ausdruckslose Miene Scapulas waren die einzigen Antworten, die Pompullius erhielt.

»Leider – und auch das ist uns allen nur zu gut bekannt – stellen die Parther nicht die einzige Gefahr dar, die Rom bedroht. Ich will hier nicht die vielen Völker und Reiche anführen, gegen die Rom Krieg geführt hat und die alle nur darauf zu lauern scheinen, erlittene Niederlagen zu rächen.«

Er machte zwei Schritte in Richtung der Senatoren in der untersten Reihe, um die Eindringlichkeit seiner nächsten Worte zu unterstreichen und sah einen von ihnen direkt an. »Bei all diesen Feinden ist es also sehr leicht, eine Gefahr zu übersehen, die wir längst als nicht mehr existent betrachten.« Er hob seine Stimme und zwang sich erneut, Scapula nicht anzusehen.

Noch nicht.

»Aber Rom hat einst eine Niederlage erlitten, die so immens, so schrecklich war, dass wir anscheinend noch heute nicht in der Lage sind, darüber frei und offen zu sprechen. Ja, ich habe sogar den Eindruck, dass es zu einem unausgesprochenen Verbot geworden ist, über diese Katastrophe auch nur zu reden, geschweige denn zu handeln.«

Unruhe machte sich breit. Sie alle schätzten ihn als sachlichen und klar denkenden Menschen. Wenn einer wie er solche Formulierungen machte, erzeugte das nicht nur Unbehagen, sondern schürte die Angst, die in vielen unterschwellig vor sich hin köchelte.

»Von welcher Katastrophe sprichst du?«, warf eine hohe Stimme ein und Pompullius Antiochus erkannte sie als die von Senator Vitellius Nerva. Nerva war wie er mit diplomatischem Geschick gesegnet und zählte zu Pompullius Anhängern.

»Ich spreche von der Niederlage – und dem vollständigen Verlust – der Insel Britannia im Norden des Reiches.«

»Das ist mehr als zehn Jahre her«, warf Aurelius Scapula sofort ein und machte eine abfällige Geste. »Der damalige Statthalter und seine Nachfolger waren allesamt Versager. Ich konnte damals wenigstens einen Teil der Bevölkerung retten.«

Beinahe hätte Pompullius seine Dankbarkeit für diesen Einwand Scapulas gezeigt. Aber er riss sich zusammen. Es gelang ihm, sich dem Mann, der das eigentliche Ziel seiner Rede war – scheinbar ohne vorherige Absicht – zuzuwenden.

Pompullius nickte. »Ja, du bist mit den Überlebenden des Massakers zurückgekehrt. Diese Tat – unterstützt durch deine Söhne, von denen du einen verloren hast - brachte dich ja auch zu der Position, die du heute bekleidest.«

Scapula bewegte sich unangenehm berührt. Nur ihm schien die Betonung des Wortes aufgefallen zu sein. Alle anderen schienen seine Körpersprache als Zeichen seines Verlustes zu deuten. Doch Pompullius sah in den Augen seines Gegners, dass dieser ahnte, dass heute noch mehr zur Sprache kommen würde, als dessen persönlicher Verlust.

»Entgegen den Worten meines geschätzten Kollegen«, wieder lachten einige Senatoren verhalten, da sie wussten, dass weder Antiochus noch Scapula etwas füreinander empfanden, was auch nur entfernt die Bezeichnung Wertschätzung verdiente, »bin ich der Auffassung, dass unser damaliger Kaiser sehr wohl kompetente Männer auf die Insel geschickt hatte.«

»Hah!«, warf Scapula ein und fand zu seiner gewohnten Arroganz zurück. »Sie hatten es nicht vermocht, die Barbaren aufzuhalten.« Er streckte die Schultern und wandte seine Blicke nach links und rechts. »Sie waren in der Tat so kompetent, dass sie alle Truppen verloren und mir nicht mehr genügend Legionäre zur Verfügung standen, um den Aufstand zurückzuschlagen.« Er erweckte dabei den Eindruck, dass er das alleinige Kommando über die römischen Einheiten gehabt hatte, doch Pompullius schickte im Stillen für diese Bemerkung Scapulas an Dankgebet an die Götter.

»Gut, dass du die Statthalter zur Sprache bringst, Aurelius.« Innerlich bereitete Pompullius sich auf den Höhepunkt vor. Doch noch war es nicht soweit. »So schlecht können sie nicht gewesen sein, wenn selbst Kaiser Hadrian es für nötig hielt, einen massiven Wall zu errichten, der uns diese Barbaren vom Hals halten sollte. Wenn also selbst ein Kaiser der Auffassung war, dass es nicht möglich sei, ohne massive Verluste, den Rest der Insel zu erobern, dann kann man den Statthaltern wohl keinen Vorwurf machen, so wie du ihn hier andeutest.«

»Auf was willst du hinaus, Pompullius Antiochus?«, warf Scapula ein. »Seit mehr als zehn Jahren hören wir nichts mehr von dieser Insel«, erinnerte er ein zweites Mal. »Wenn Septimius Severus mit den aktuellen Bedrohungen fertig geworden ist, wird er sich sicher wieder auch um diese Grenze kümmern und Britannia erneut dem Reich einverleiben.« Beinahe sprühte ihm der Glaube aus den Augen, dass dann er, als Held und ehemaliger Offizier dieser Insel, der mögliche neue Statthalter sein könnte.

»Oh, wie haben sehr wohl Nachrichten und Informationen vom Geschehen der Insel erhalten«, antwortete Pompullius langsam und genoss innerlich die Überraschung, welche die Senatoren ergriff und ihnen Schauder über die Rücken zu schicken schien. »Nur wurden die Männer, welche diese Informationen zu uns trugen, nicht gehört oder ernst genommen.«

Pompullius warf einen Blick auf den Ausgang des Auditoriums und wunderte sich, warum sein Sklavenaufseher Pertiax dort nicht zu sehen war. Er hätte längst dort stehen müssen, um ihm zu signalisieren, dass sein Zeuge bereitstand, hereingerufen zu werden. Pompullius hatte keinen festen Zeitpunkt vereinbaren können, da er nicht gewusst hatte, wann er sprechen konnte und ob sich seine Rede in die Länge ziehen würde. Pertiax musste mit seinem Begleiter jeden Augenblick auftauchen.

»Nicht du warst es, Aurelius, der die Überlebenden bei Londinium versammelte«, hob Pompullius an und sah, dass die Überraschung in den Augen der Senatoren durch Neugier und Aufmerksamkeit ersetzt wurde. Scapula sagte kein Wort, sondern starrte ausdruckslos zu ihm hinunter. »Nicht du warst es, der die Verteidigung der Stadt organisierte und befehligte, sondern Ulpius Marcellus.«

»Der sich bei seinem Versagen in sein Schwert gestürzt hat!«, warf Scapula ein und seine Stimme schnitt wie ein kaltes Messer durch die Halle.

Pompullius warf einen weiteren Blick in Richtung des Ausgangs und sah zu seiner nicht geringen Erleichterung endlich Pertiax dort stehen. Von seinem Zeugen war nichts zu sehen. Wahrscheinlich hielt Pertiax ihn hinter dem Vorhang verborgen, um ihm, Pompullius, nicht vorwegzugreifen.

»Und genau das entspricht nicht der Wahrheit!«, donnerte Pompullius Antiochus und nagelte Scapula förmlich mit Augen fest. Allerdings schien diesen der Vorwurf wenig zu überraschen, geschweige denn zu berühren.

Na schön, dann eben Klartext, dachte Pompullius und holte Atem.

»Ich habe einen Zeugen gefunden«, drang seine Stimme glasklar und steinhart durch das Auditorium, »der Seite an Seite mit Ulpius Marcellus gekämpft hat. Und dieser Mann hatte nach seiner Ankunft in Rom die wahren Umstände geschildert, die zur Niederlage unserer Truppen führten. Doch damals wurde er ausgelacht und seiner Stellung enthoben. Es handelt sich um Sidonius Gavius, damals Praefectus Classis in den Diensten des Statthalters Ulpius Marcellus.«

Die Nennung des Namens brachte die älteren der Senatoren ins Grübeln, kannten sie ihn doch und schienen sich nun die Schilderungen von damals ins Gedächtnis rufen zu wollen. Doch ihre Bemühungen wurden jäh von den nächsten Worten Pompullius´ unterbrochen. Die Stimme des Senators klang wie Granit, der auf Marmorboden kracht.

»Aufgrund der Aussage dieses Mannes, dieses Augenzeugen der Ereignisse in Britannia, klage ich dich, Aurelius Scapula, des Mordes an Ulpius Marcellus an!«

Für einen Wimpernschlag verstummte jegliches Gemurmel, das aufgrund der Vorwürfe Pompullius´ im Saal vorgeherrscht hatte. Aber dann erhob sich ein Geschrei und Rufen, dass nicht wenige der umstehenden Prätorianer – inklusive Mathaeus Scapulas, der überrascht zu seinem Vater blickte - an den Lärm auf Schlachtfeldern erinnerte. Pompullius sah diesen Blick trotz des Aufruhrs und fand sein Urteil über den Sohn des Senators bestätigt.

Mathaeus scheint also davon nichts gewusst zu haben, dachte er und sah zu dem Angeklagten hinüber.

Aurelius Scapula saß unbewegt und mit steinernem Gesicht auf seinem Platz. Viele der Senatoren hatten sich von ihren Sitzen erhoben und gestikulierten wild durcheinander. Pompullius beobachtete genau, wer welche Meinung vertrat und war bei mehr als einem Senator überrascht, wie dieser auf die Anklage reagierte.

Ich habe mehr Befürworter im Senat, als ich gedacht hatte, überlegte er und wandte den Kopf dem Ausgang zu. Pertiax stand dort immer noch in Begleitung zweier Wachen und machte ein Gesicht, als wollte er am liebsten im Boden versinken.

Ein ungewohnter Ort für einen Sklaven, dachte Pompullius und winkte den Wachen, Pertiax und Gavius hereinzuführen.

Doch die Wachen nahmen nur Pertiax in die Mitte und geleiteten ihn zu seinem Herrn. Immer noch erfüllte das Geschrei der aufgebrachten Senatoren die Halle und die harten Schritte der Prätorianer drangen an niemandes Ohr. Kaum hatten die drei Pompullius erreicht, beugte sich dieser zu seinem etwas kleineren Sklavenaufseher und sprach leise in dessen Ohr.

»Wo ist Gavius? Warum ist er nicht hier?«

Pertiax Gesicht nahm eine ungesunde, fast grünliche Farbe an.

»Herr, es tut mir leid. Sidonius Gavius ist tot!«

Eine kalte Hand legte sich um das Herz Pompullius Antiochus´ und drückte es zusammen. Die Kälte nahm ihn so gefangen, dass er Mühe hatte, das unvermeidliche Wort auszusprechen, ohne das seine Lippen zitterten.

»Wie?«

»Ich weiß es nicht Herr, er hat keine sichtbaren Verletzungen. Aber er hat Verfärbungen rund um den Mund.«

Pompullius drehte sich in Richtung der Sitzränge und sah inmitten der immer noch heftig diskutierenden Männer Scapula völlig still sitzen. Ein dünnes Lächeln lag auf seinem Gesicht.

Pertiax sah es ebenso und flüsterte direkt in das Ohr seines Herrn. »Simeón, unser Medicus: er ist verschwunden.«

Als hätte Scapula die Worte durch den Lärm hören können, verbreiterte sich sein Lächeln. Seine Augen aber zeigten eine Eiseskälte, die Pompullius noch nie im Gesicht eines Menschen gesehen hatte.

Dämon der Spiegelkrieger

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