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Kapitel V A. D. 195, März Das Vermächtnis des Römers
ОглавлениеDer Sklave Alexandros stand neben dem Mann, den er mehr als eine Stunde gebadet hatte und schien mit dem Ergebnis seiner Bemühungen, ihm den Geruch von Kotze und Wein weggeschrubbt zu haben, immer noch nicht zufrieden zu sein. Zumindest hatte er es versucht.
Pompullius Antiochus selbst vermeinte zwischen dem Geruch von teuren Ölen und frischer Kleidung, einen Hauch von Erbrochenem wahrzunehmen. Er sah auch, dass es noch einige Zeit, vielleicht sogar mehrere Tage benötigen würde, bis aus den blutunterlaufenen und wässrigen Dingern, die andere wohlwollend als Augen bezeichnet hätten, wieder ein klarer Blick kommen würde. Doch so lange wollte er nun nicht mehr warten.
»Sag mir deinen Namen, Säufer!«, befahl er und vermied bewusst die Erwähnung des Namens, der er schon kannte.
Verrate nicht das, was du schon weißt. Die Antworten sind ehrlicher, wenn du ihnen nicht den Weg mit Rosen bereitest.
Der Angesprochene blinzelte und sogar das kurzzeitige Schließen seiner Augen schien seinen Gleichgewichtssinn zu überfordern. Er schwankte und wäre gestürzt, wenn ihn Alexandros nicht gestützt hätte. Natürlich hatte der Senator den Legionär zuvor noch niemals gesehen. Trotzdem war er erschüttert über den Anblick, den der Mann bot.
Wenn er aufrecht stehen würde, anstelle wie von Krämpfen nach vorn gebeugt, dann wäre dieser Gavius für einen Römer recht groß geraten.
Pompullius vermutete, dass irgendeiner der Vorfahren des Mannes aus dem Norden stammte. Jetzt war dieses Detail aber nicht von Wichtigkeit. Weitaus wichtiger erschien ihm der Zustand des Mannes.
Die Augen - die ihm von Simeón, seinem hauseigenen Medicus, und einem Schwager Alexandros´, als der Eingang zum Körper beschrieben worden waren -, stellten bei dem ehemaligen Soldaten nur trübe Fenster dar, die in wässrige Tümpel führten. Seine ohnehin hagere Gestalt hatte unter dem jahrelangen Einfluss von Wein und vermutlich auch anderen schädlichen Dingen ein Stadium erreicht, das nach Pompullius´ Meinung nicht weit von dem eines Skeletts entfernt war.
Ein klappriger Geist aus der Vergangenheit, kam dem Senator ein Vergleich in den Sinn. Kein Wunder, dass ihm niemand geglaubt hat.
Pompullius Antiochus verfluchte noch heute den Umstand, dass er damals, als die kümmerlichen Reste der römischen Truppen und Zivilisten aus Britannia im Mittelmeer eintrafen, er auf einer lange dauernden diplomatischen Mission in Germania weilte. Er hatte Verhandlungen mit weniger aggressiven Germanenstämmen geführt und zu seiner Freude auch bei einigen von ihnen Erfolg gehabt.
Nun, das lässt sich nicht mehr ändern, dachte er und musste Alexandros und Simeón nur kurz zunicken, als der ehemalige Legionär verdächtig in den Knien wackelte. Der Medicus schob rasch einen Stuhl hinter den Mann und drückte ihn mit leichter Hand hinein. Jetzt aber sah dieser noch erbärmlicher aus als zuvor.
Alexandros hingegen schien die Geduld zu verlieren und stieß dem Häufchen Elend mit der Hand an eine Schulter.
»Wirst du meinem Herrn wohl Antwort geben«, forderte er ihn auf und zog sich wieder einen Schritt zurück, als Pompullius ihn nur kurz ansah. Trotzdem schob er ein: »Dein Name, Säufer!« nach.
»Ich danke dir, Herr«, sagte der Mann mit brüchiger Stimme und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. »Es ist lange her, dass ich mich in solcher Umgebung aufhalten durfte.«
Mit einem gewissen Erstaunen registrierte der Senator die gewählten Worte des Säufers.
Dieser blickte an sich hinunter und schien erst jetzt die einfache, aber saubere Kleidung wahrzunehmen. Sichtlich akzeptierte er diese und schien sie auch mit Dankbarkeit zu tragen, aber das leichte Schütteln seines Kopfes ließ Pompullius vermuten, dass der Mann seinen eigenen Anblick als fremd und ungewohnt empfand.
»Mein Name? Was interessiert er dich, Herr? Er ist völlig ohne Belang. Nur das, was ich zu berichten hätte, wäre wichtig. Und das habe ich oft genug versucht. Nur glaubte mir niemand auch nur ein Wort.«
»Nun, wenn du mir nicht deinen Namen nennen willst, dann fangen wir eben mit meinem an: Ich bin Pompullius Antiochus, und Mitglied des Senats von Rom. Und ich bin gewillt, dir wenigstens zuzuhören, Soldat.«
Bei der Erwähnung seines früheren Standes begann der Mann etwas Hoffnung zu zeigen, denn er richtete sich im Stuhl ein wenig gerader auf und blickte seinem Gastgeber gespannt in die Augen.
»Ich habe damals nach meiner Rückkehr von einer Reise natürlich die Gerüchte gehört«, sagte Pompullius »die unseren … Misserfolg in Britannia umgaben.« Pompullius hielt inne, denn das Skelett vor ihm hatte bei dem Wort Misserfolg laut aufgelacht.
»So bezeichnet ihr es also nun … als Misserfolg.« Er schien tatsächlich amüsiert zu sein, denn er verzog sein Gesicht zu einer Miene, das aus den ohnehin hageren Falten das komische Zerrbild eines Lachens formte. »Ich würde es eher … völlige Niederlage, Desaster, Katastrophe nennen!«
Dann erhob er sein Gesicht und schob seinen Kopf so weit nach vorne, dass eine der beiden Wachen, die stumm links und rechts hinter dem Senator standen, sich ebenfalls leicht bewegte. Sie wusste genauso wie der Mann im Stuhl, dass er keinen Angriff auf den Senator starten würde. Er hatte ja auch keinen Grund dazu. Aber sicher war sicher.
Gavius sah es natürlich und regte sich nicht mehr, blieb aber vorgebeugt.
»Und bete zu den Göttern, Senator Pompullius Antiochus, dass das, was uns dort fertiggemacht hat, auch auf dieser verdammten Insel bleibt …«
»Bevor wir uns mit den Ereignissen in Britannia beschäftigen, sollten wir trotzdem erst einmal deine Identität klären, Soldat«, begann der Senator und platzte innerlich vor Neugierde. »Und dann erzählst du mir, wie es ein Haufen Barbaren schaffen konnte, alle Römer zu vernichten oder zu vertreiben.«
Mehr als zwei Stunden später, die Nacht war längst hereingebrochen und Sidonius Gavius zeigte deutliche Anzeichen von Erschöpfung aber auch Erleichterung, hatten der Senator, Alexandros und Simeón, sogar die beiden Wachen, bleiche Gesichter bekommen.
Natürlich hatte er seinen Namen, Rang und einige Details, die seine Identität untermauerten, genannt. Vor allem die Details seines Aufenthaltes im Bordell trugen dazu bei, seine Glaubwürdigkeit bei Pompullius zu festigen. Dankbarkeit stand in den Augen Gavius´, als er den letzten Rest Wassers, dass man ihm samt einiger leichter Speisen gereicht hatte, trank und dabei ein erstauntes Gesicht machte. Scheinbar wunderte er sich, dass blankes Wasser seinen Durst stillen und ihn selbst erfrischen konnte.
Pompullius Antiochus schüttelte den Kopf. »Ich fasse einmal zusammen: Du und Ulpius Marcellus seid mit der Flotte im Westen Britannias von einer Schar …« er sah das protestierende Gesicht seines Gegenübers und korrigierte sich sofort, »… na schön, einer großen Schar von Booten, vernichtet worden. Auch die Details des Kampfes scheinen mir sehr ungewöhnlich zu sein. Für ein Volk, das aus vielen einzelnen Stämmen, ja sogar winziger Clans, besteht und auch nicht gerade im Ruf steht, eine ausgewiesene Seemacht zu sein.«
Wieder sah er, dass Gavius Einwände erheben wollte, aber er wehrte sie mit beiden Händen ab und fuhr fort.
»Was ich aber nicht verstehe – und du auch nicht erwähnt hast -, ist, woher die Picten wussten, dass wir ausgerechnet dort mit einer Flotte anlanden wollten. Jeder vernünftige Stratege hätte den kurzen Weg an ihre Ostküste genommen und nicht den weitaus längeren durch die Skotische See.« Gespannt wartete er auf eine Antwort.
»Ulpius und ich hatten während unserer Flucht durch das Land einige Male darüber gesprochen und sind zu der einstimmigen Meinung gelangt, dass dies nicht anders als durch einen Verräter hat stattfinden können«, warf Sidonius Gavius ein und nahm erneut einen Schluck Wasser. Mittlerweile hatte er aufgehört, bei dessen Geschmack sein Gesicht zu verziehen und schien langsam die folgenlose Wirkung des Getränkes schätzen zu lernen. Auch langte er nun öfter zu dem Tablett, auf dem immer noch eine ansehnliche Zahl kleinerer Speisen lag, die sich nun zunehmend verringerte.
»Richtig«, knüpfte Pompullius an ein Wort des Soldaten an. »Eure Flucht. Ich verstehe, dass ihr zunächst den kürzesten Weg von der Westküste bis in den Süden Britannias eingeschlagen hattet. Nach eurer Schilderung hatten die Picten zu diesem Zeitpunkt längst den Wall, alle Kastelle des Landes bis zu einer Linie ein wenig nördlich des Flusses Tamesis niedergemacht. Dazu alle in diesem Bereich auffindbaren Römer abgeschlachtet oder in den Süden getrieben. Aber warum habt ihr plötzlich die Richtung genau umgekehrt und einige Zeit später erneut geändert? Warum diesen Zickzackkurs? Musstet ihr feindlichen Gruppierungen ausweichen?«
Das Gesicht Sidonius Gavius´ sprach längst von selbst, bevor sein Besitzer auch nur Luft holen konnte. Der Senator spürte sofort, dass ihr Gespräch, das längst den Charakter eines Verhöres verloren hatte, nun an einen Punkt angelangt war, an dem die wirklich interessanten Aspekte ans Tageslicht kommen könnten. Natürlich war es längst tiefe Nacht, aber Pompullius behielt im Geiste die Redewendung aufrecht.
Auch Gavius schien bewusst zu sein, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, wo rein militärische Schilderungen – die der Senator mit verkniffenem Gesicht, aber ohne große Aufgeregtheit aufgenommen hatte -, Beschreibungen weichen mussten, die – gelinde gesagt – mehr als unglaubwürdig klingen mussten. Aber für eine überzeugende Schilderung dieser Umstände hatte er einfach keine Kraft mehr. Alle im Raum sahen dies nur zu deutlich.
»Herr, ich danke dir für alles, was du für mich schon getan hast«, begann er schleppend »aber ich bin einfach nicht mehr in der Lage, mich noch länger aufrecht zu halten.«
Pompullius sah ihn für die Dauer einiger Herzschläge an und konnte nicht bestreiten, dass die Bezeichnung ein Häufchen Elend noch eine Untertreibung war.
In dem Zustand wird er mir wohl nicht davonlaufen, dachte er. Außerdem hat er keinen Grund von hier wegzugehen. Er scheint sehr erleichtert zu sein, endlich ein offenes Ohr gefunden zu haben. Ein Ohr, das bis in den Senat reicht.
Der Mann war mittlerweile so in den Stuhl eingesunken, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis er einfach zu Boden rutschen und in Ohnmacht fallen würde. Selbst für den letzten Rest Fisch, den Gavius im Mund hatte, schien er nicht die Kraft zu haben, ihn zu kauen. Also schluckte er den Bissen mühsam hinunter.
Pompullius nickte Alexandros und Simeón zu und die beiden halfen Gavius auf. Der Senator blickte den Dreien nach, als sie durch einen Spalt in den Vorhängen verschwanden, die einen Gang verdeckt hatten, der in Richtung der Sklavenunterkünfte führte.
Für die beiden Wachen genügte nur ein Blick und sie verstanden. Einer der beiden ging den Männern hinterher und würde vor dem Lager des armseligen Soldaten die erste Wache übernehmen.
Das Letzte, an das Pompullius denken konnte, bevor auch er sich in seine Gemächer aufmachte, war ein Wort, das er noch nie gemocht hatte.
Verräter!
Allein das Wort erfüllte ihn mit fast körperlich spürbarer Abscheu.
Es gibt sie überall. Doch welchen Nutzen hätte ein Verräter von so einer umfassenden Niederlage?
Es war schön später Vormittag, als Alexandros in Begleitung von Sidonius Gavius erneut in das Arbeitszimmer des Senators trat. Der Wachmann dahinter blieb am Durchgang stehen und blickte sich in stiller Professionalität um. Der Senator war schon lange wach und arbeitete sich durch eine Menge Schriftstücke, die den halben Tisch bedeckten. Eine fast heruntergebrannte rote Kerze stand neben dem dazu gehörigen Siegelring und ließ eine nadeldünne Rauchfahne nach oben steigen, die durcheinanderwirbelte, als die beiden Männer mit ihrem Eintreten Luftbewegung im Raum verursachten.
Pompullius war so konzentriert bei der Arbeit gewesen, dass er die Schritte der Männer nicht gehört hatte und für eine Sekunde dem sich verflüchtigenden Rauch nachblickte. Dann fiel sein Blick auf seinen Gast.
Sidonius Gavius war während der Nacht natürlich nicht auf wundersame Weise gesundet, doch sah er bei hellem Licht, ausgeschlafen – und nüchtern – deutlich wacher aus, als am Abend zuvor. Wie der Senator angeordnet hatte, hatte man ihn ausschlafen lassen, erneut gebadet und ein Morgenmahl in Ruhe zu sich nehmen lassen. Alexandros hatte ihn informiert, dass Gavius eher zögerlich den Speisen zugesprochen hatte, so als fürchte er, zu viel an gehaltvoller Nahrung würde ihm mehr schaden als nutzen.
Zumindest scheint er seinen Verstand nicht versoffen zu haben, dachte der Senator und deutete auf den gleichen Stuhl, in dem sein Gast schon gesessen hatte.
»Wie fühlst du dich heute Morgen, Sidonius Gavius?«, fragte er mit ehrlichem Interesse und musterte vor allem dessen Augen. Ein Ausbund an strahlender Klarheit waren sie noch lange nicht, aber dieser wässrige Blick war einem einigermaßen ruhigen Ausdruck gewichen.
»Du scheinst dich schnell zu erholen, wenn man bedenkt, dass du dich Jahre hast gehen lassen. Ein Punkt übrigens, den ich wahrscheinlich erst verstehen, wenigstens akzeptieren kann, wenn du mir Näheres berichtet hast.«
Sidonius Gavius antwortete nichts darauf und begnügte sich mit einem Kopfnicken.
Pompullius blies die Kerze mit dem Siegelwachs aus und steckte sich seinen Ring wieder an den Finger. Er begann, diesen mit dem Daumen und Zeigefinger der rechten Hand langsam zu drehen. Er machte dies immer, wenn er sich konzentrieren wollte und die Hände nicht für andere Aufgaben benötigte.
»Ich habe die halbe Nacht über deine Schilderung der Seeschlacht, den Kämpfen in Londinium und an der Küste nachgedacht, Gavius. Zwei Umstände – von Fakten möchte ich jetzt noch nicht reden – drängen sich immer und immer wieder nach vorne: zunächst die Art der Picten zu kämpfen. Alles was du geschildert hast, hört sich nicht nach einer Horde primitiver Barbaren an. Im Gegenteil: Sie scheinen ab einem gewissen Zeitpunkt mit Voraussicht, Tücke und messerscharfer Logik sich die Schlachtfelder ausgesucht zu haben … und waren außerdem in der Lage, unsere Truppen genau dorthin zu locken, wo sie sie haben wollten.«
Er blickte Gavius an, der durch die Erinnerung noch ruhiger geworden war und wieder eine unnatürliche Blässe im Gesicht trug.
»Stimmst du meiner Einschätzung zu?« Die rhetorische Natur der Frage war für Gavius offensichtlich, sodass er sich erneut nur zu einem Nicken aufgefordert sah.
»Wenn wir mal einen Verräter als Tatsache betrachten und nicht als Spekulation, dann erscheint mir dieser Punkt als äußerst plausibel.« Dieses Mal beugte sich der Senator hinter seinem Schreibtisch so weit vor, dass Sidonius Gavius seinen Oberkörper aufrichtete und sich an die Lehne des Stuhls drängte. »Und glaube mir, Soldat: Wenn es diesen Verräter gibt, werde ich ihn finden und im Circus Maximus hinrichten lassen!«
Der ehemalige Praefectus Classis machte ein Gesicht, dass Pompullius wie eine Mischung aus Dankbarkeit und Schuldgefühl interpretierte.
Wie sind erst am Anfang, ahnte der Senator und setzte sich wieder entspannt in seinen Stuhl. In diesem Mann stecken noch viel mehr Geheimnisse.
»Und der zweite Punkt, Herr?«, erinnerte ihn Gavius und wusste schon, was der Senator sagen würde.
»Diese schier unglaubliche Anzahl der Pictenkrieger. Es ist ein kleines Land, eine Insel. Und die Picten haben nach deiner Aussage nach keine Söldnertruppen eingesetzt.«
»Richtig, Herr. Zumindest sahen wir zunächst keine …«, gab er zu und ihm war anzusehen, dass er diesen Punkt gerne erst später hätte erwähnen wollen … oder gar nicht.
»Also doch?«, fuhr der Senator auf und beugte sich nun über den Tisch, sodass einige der Schriftrollen zu Boden fielen und ein wenig davonrollten.
»Warte, Herr, warte«, beschwichtigte ihn Gavius. »Wir haben einige Skoten gesehen, aber nicht viele und ich bin überzeugt, dass sie ohne große Bedeutung … für uns Römer waren … sind … sein werden, wie auch immer.« Er sah seinem Gastgeber in die Augen und wechselte von Unentschlossenheit zu allergrößter Aufrichtigkeit.
Pompullius sah förmlich, wie der Mann vor ihm um seine ohnehin von allen anderen angezweifelte Glaubwürdigkeit fürchtete. Er wollte diese einmalige Chance, endlich einen einflussreichen Mann gefunden zu haben, der ihm zuhörte und nicht auslachte oder davonscheuchte, nicht verspielen. Sichtlich rang er mit Worten und Formulierungen.
»Ich möchte vorausschicken, Herr, dass ich weder an … Götter noch an Zauberer glaube«, begann er und hielt dabei seinen Blick kerzengerade auf den Senator gerichtet. »Ich habe weder früher, und erst recht nicht in den letzten Jahren, einen Tempel aufgesucht oder mir von den Priestern aus Eingeweiden von Tieren die Zukunft weissagen lassen. Alles Okkulte liegt mir so fern, wie die Sterne am Himmel. Ich bin … ich war ein Mann der Tat. Ich glaubte nur das, was ich anfassen, riechen und schmecken konnte.«
»Und jetzt ist dem nicht mehr so?« Die Selbstbeschreibung Gavius´ traf in so ziemlich allen Punkten auf das zu, was Pompullius für sich selbst in Anspruch nahm. Auch er mied die Tempel, soweit es ihm seine Stellung erlaubte. Manchmal musste er allerdings Zeremonien beiwohnen, die in ihm nur Ablehnung und Verachtung hervorriefen. Mehr als alle Berichte der Stunden und Tage zuvor erzeugte dieses Bekenntnis des ehemaligen Legionärs die Bereitschaft in ihm, Gavius Glauben zu schenken. »Sprich weiter, Gavius, ich höre dir sehr aufmerksam zu«, sagte er also und begann wieder seinen Ring zu drehen.
»Du hast sicher schon von ihren Druiden gehört, Herr.«
Gavius schien ein wenig stolz zu sein, dass er das Wort ohne Zittern in seiner Stimme ausgesprochen hatte. Natürlich hatte Pompullius viele Gerüchte über die Druiden, ihre Fähigkeiten und Geheimnisse gehört. Aber nach seiner Meinung nach waren sie allesamt Übertreibungen und schierer Aberglaube. Er sah, wie Gavius einen tiefen Schluck Wasser aus einem Becher nahm, der auf einem Tablett neben ihm stand. Dabei beobachtete Gavius seine Reaktion und schien auf ein höhnisches Gelächter zu warten.
»Habe ich«, antwortete er. »Zu meinem Bedauern muss ich zugeben, dass es selbst im Senat etliche Männer gibt, die diesen Unsinn zu glauben scheinen. Ich darf dir verraten, dass es sich um die gleichen Männer handelt, die auch den Priestern jedes Wort glauben.«
Pompullius Antiochus schüttelte den Kopf und nahm seinerseits einen Schluck aus einem Becher, in dem sich aber verdünnter Wein befand. Beide stellten ihre Becher wieder ab und sahen sich eine Weile gegenseitig in die Augen.
»Ich sah einen dieser Druiden, Herr. Ich war dabei, als er einen Zauber sprach. Und glaube mir: Wir alle waren nüchtern und im Besitz unserer geistigen Kräfte, wenn leider nicht auch unserer körperlichen. So eine Hatz durch Feindesland, mit wenig Nahrung und Wasser zehrt an den Kräften. Vor allem dann, wenn der Feind dir hundertfach überlegen ist.«
»Schon wieder diese Massen. Wie soll das möglich sein, Gavius? Ich hatte schon erwähnt, dass es eine Insel ist …«
»Es ist völlig ohne Bedeutung, wie groß oder klein dieses verdammte Land ist, Herr«, unterbrach Gavius den Senator fast schon zornig. »Einzig wichtig ist, dass die Picten – zumindest dieser Druide – es zuwege bringen, die Toten wieder zum Leben zu erwecken!« Gavius hatte sich in Erregung geredet und übersah das entsetzte Gesicht seines Gastgebers. »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, Herr: Die Krieger lagen tot am Boden, niedergemetzelt von den skotischen Söldnern genau dieses alten Druiden. Und dann marschiert er mitten in der Nacht über das Schlachtfeld und erweckt sie zu neuem Leben!«
»Warum? Wieso soll er sie erst töten lassen und dann wieder erwecken?«, fragte der Senator und sah zu dem Wachmann hinüber, der ein Gesicht machte, als schien er sich nicht entscheiden zu wollen, ob er das Gehörte für Irrsinn oder Wahrheit halten sollte.
»Ich verstehe es ja auch nicht, Herr, aber es war so!«, betonte Gavius verzweifelt und seine Augen schienen wieder in Britannia zu weilen und die Szene erneut zu sehen. Dann senkte er den Kopf und seine Stimme wurde sehr leise, so als fürchte er, dass jemand anderer als der Senator seine Worte hören könnte.
»Und das ist noch nicht alles, Senator Pompullius Antiochus.« Zum ersten Mal hatte er den vollen Namen und Titel seines Gastgebers ausgesprochen. »Nicht nur der Tote erhob sich wieder und schien alle Verletzungen und Wunden überstanden zu haben … sondern noch weitere Ausgaben seiner selbst! Und nicht nur ein Abbild des Getöteten erhob sich, sondern mehrere von ihnen!«
Pompullius sah, dass Gavius das Entsetzen in seinen Augen mit Enttäuschung aufnahm, und fühlte selbst ein kaltes Eisen in seine Eingeweide schwer und bedrohlich dringen. Er wusste nicht, woran es lag, aber er glaubte Sidonius Gavius, Legionär Roms, ehemals im Range eines Praefectus Classis, jedes einzelne Wort. So als hätte Gavius erkannt, dass seine Worte endlich geglaubt wurden, sah er sich ermutigt, noch ein Detail nachzuschieben.
»Und sie glichen sich wie ein Ei dem anderen.«
Wieder waren einige Stunden vergangen, in denen Pompullius immer wieder nachfragte und mit Querverweisen nach Lücken in der Geschichte Gavius´ forschte. Er versuchte, darin Widersprüche zu entdecken oder seinen Gast – nun sah er ihn wirklich als solchen an – eindeutiger Lügen zu überführen. Aber es gelang ihm nicht. Er hatte nur einmal nach Simeón rufen lassen und diesem eingeschärft, dafür zu sorgen, dass niemand sie belauschen oder stören konnte. Auch dem anwesenden Wachmann hatte er befohlen, jedes einzelne Wort für sich zu behalten und ihm mit einem Besuch als Hauptattraktion bei den nächsten Spielen gedroht, sollte dieser auch nur eine Silbe - an wen auch immer - verlauten lassen. Der Wachmann hatte als Antwort nur geknurrt, dass seine Wortkargheit ihm schon die dritte Frau gekostet hätte. Er wäre auch außer Dienst so stumm, dass es keine lange bei ihm aushielte.
Pompullius selbst hatte sich seit Eintreffen seines Gastes bei seiner Frau über Gebühr rar gemacht und vor dem Einschlafen beharrlich zu ihren Fragen geschwiegen. Sie hatte es nach wenigen Versuchen aufgegeben. Vor allem aus dem Grund, da sie merkte, dass er völlig damit beschäftigt war, das Gehörte zu verarbeiten. Und auch aus dem Wissen heraus, dass er sie zu gegebenen Zeitpunkt ohnehin einweihen würde. Nicht zuletzt um ihre unabhängige Meinung dazu zu hören.
So saßen sie alle drei – auch der Wachmann hatte mit Erlaubnis des Senators sich einen Stuhl genommen – in dem Arbeitszimmer und waren erschlagen von dem, was Gavius geschildert hatte. Letzterer aufgrund erneuter Erschöpfung, die beiden anderen vor Grauen und wenig verhohlener Angst.
Nach einigem Schweigen fand Pompullius zu seiner Stimme zurück und seufzte.
»Wie schade, dass es Ulpius Marcellus vorgezogen hat, sich in sein Schwert zu stürzen«, begann er und sah plötzlich Hass in den Augen seines Gegenübers aufflammen. Doch er sah auch, dass dieser Hass nicht ihm galt. »Wieso«, fuhr er verwirrt fort »müssen sich immer und immer wieder unterlegene Römer töten, anstatt aus ihren Fehlern zu …« Er unterbrach sich, als er sah, dass Sidonius Gavius fast nicht mehr an sich halten konnte.
»Mein Herr hat sich nicht in sein Schwert gestürzt, Senator!«, spuckte er die Worte wie harte Brocken aus seinem Hals hervor. »Er wurde hinterrücks ermordet!«
»Von den Picten? Ihren … Doppelgängern?«
»Nein, von einem Römer!«