Читать книгу Die Witwe und der Wolf im Odenwald - Werner Kellner - Страница 11

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Kapitel 6

Vitali Klimachow, geboren 18.10.1947 in Podolsk, ledig, seit 1965 Mitglied der ‚Bratwa‘, Jura Studium in Moskau, Straflager in Wologodski Pjatak wegen Mordes, Spionagedienst der ‚Bratwa‘ in St. Petersburg. Seit 1990 Nummer 1 und Anführer der ‚Bratwa‘ mit dem Rufnamen ‚Boss‘ agiert seit 2000 von der Operationsbasis in Kaliningrad. Stifter der Stiftung Jungbrunnen, welche offiziell diverse Seniorenheime und Rehaeinrichtungen für Atemwegserkrankungen und inoffiziell Drogen- und Menschenhandel und Bordelle betreibt.

Videokonferenz, Freitag, 7.8.2020

Versteckt unter dem Mantel einer Stiftung, die als ‚Jungbrunnen‘ im Stiftungsregister am Standort Dieburg eingetragen ist, betreibt seit Jahren die ‚Gesellschaft’ ihre illegalen Aktivitäten. Diese ‚Gesellschaft‘, welche als Bruderschaft genannt ‚Bratwa‘ aus dem Unterweltsyndikat der ‚Wory‘ oder ‚Diebe im Gesetz‘ hervorgegangen war, hat sich im Zuge der Zeit massiv gewandelt.

Es handelt sich dabei um eine nicht sehr feine Versammlung krimineller Mitglieder, die ihr operatives Geschäftsfeld über den Stiftungsansatz legalisiert und sauber gewaschen haben. Die Stiftung ‚Jungbrunnen‘ ist handelsrechtlich unter der Bezeichnung ‚Jungbrunnen GmbH & Co. KG‘ im Handelsregister eingetragen.

Coronabedingt und auf Antrag des Geschäftsführers findet die Gesellschaftersitzung in diesem Jahr als Video Konferenz statt. Sehr zum Missfallen des Hauptgesellschafters mit Wohnsitz in Kaliningrad, der das Treffen gerne verschoben hätte, bis die diversen Reise-Einschränkungen nach Deutschland vorbei wären.

Von den zwei Kapitänen des Anführers ist Frank Koch Vitalis ausgefuchster Statthalter der lokalen ‚Bratwa‘ Organisation und rücksichtsloser Chef des Drogenhandels vor Ort. Er ist auch eingetragener Geschäftsführer der Stiftung. Neben ihm tritt der langjährige Syndikus der ‘Gesellschaft’ Maxim Mutsonow auf. Beide bezweifelten, dass es zu einer baldigen Lockerung der pandemiebedingten Einschränkungen käme. Weshalb sie auf einer Beibehaltung des Termins im Format der Videokonferenz gedrängt hatten.

Die beiden hatten das dringende Bedürfnis ein paar Brandherde im geschäftlichen Umfeld ihrer Senioren- und Pflegeheime auszutreten, bevor sie sich zum Flächenbrand entwickeln und ihre Geschäfte ernsthaft schädigen würden. Sie spielten allerdings gegenüber ihren Anführern die Bedrohung etwas herunter, um nicht direkt als unfähig eingestuft zu werden. Sie bemühten sich, zu erklären, dass sie ihre Geschäfte im Griff hätten, die buchhalterisch über die Pflegeheime abgewickelt wurden.

Insgesamt hatte sich seit dem Ausbruch der Pandemie das Einkommen der ‘Gesellschaft’ aus den Geschäftsfeldern Drogenhandel, der Prostitution und der Geldwäsche ständig verschlechtert.

Parallel dazu nahm der öffentliche Druck, insbesondere durch die täglich erscheinende ‚Odenwald Zeitung‘ oder das ‚Odenwälder Journal‘, seit Wochen in einem nicht mehr akzeptablen Maße zu. Dabei lag die Hemmschwelle der Chefs, ab der sie öffentliche Klagen oder behördliche Aufsicht als nicht mehr beherrschbar empfanden, dank umfangreicher Bestechung, Erpressung und Korruption von Amtsträgern ziemlich hoch. Sie hatten sich über lange Jahre in der Region eingenistet und ließen sich von Behörden weder beeindrucken noch maßregeln.

Inzwischen hatte sich die Lage aber dramatisch verschärft, und es drohten sogar zivilrechtliche Anzeigen durch die hessische Heimaufsicht in Darmstadt und potenzielle Strafanzeigen des Gesundheitsamtes in Erbach. Die beiden lokalen Führungsoffiziere der ‘Gesellschaft’ waren einhellig der Meinung, konsequent dagegenhalten zu müssen, um nicht am Ende sogar den Status der Gemeinnützigkeit und damit den Steuervorteil zu verlieren.

Vitali Klimachow hatte als Anführer der ‚Bratwa‘ und Hauptkommanditist einen Großteil seines in Europa verdienten Geldes zur Nachfolgeregelung in die Stiftung Jungbrunnen GmbH & CoKG eingebracht. Genauso wie sein Minderheitspartner, ein gewisser Leonid Demchokovsky. Beide saßen vor den Bildschirmen ihrer Computer und nahmen aus ihren Büros in Kaliningrad an der Online-Besprechung teil.

In Groß-Umstadt hatte sich Frank Koch in seiner Luxusvilla, und in der Seniorenoase ‚Jungbrunnen‘ der Maxim Mutsonow eingeloggt. Maxim moderierte die Videokonferenz.

Der Statthalter, Frank Koch, als die aktuelle Nummer 1 der lokalen Organisation war als junger Mann von der Welle der Öffnung der innerdeutschen Grenze im Jahre 1991 aus Karl-Marx-Stadt nach „hessisch“ Sibirien gespült worden. Mit Brutalität und Schläue hatte er sich zum Betreiber einer gut geschmierten Geldwaschmaschine in Form einer Drogenküche hochgearbeitet. Diese Drogenwerkstatt für die Massenproduktion von ‚medizinischen‘ Opium Derivaten war in Darmstadt angesiedelt.

Maxim Mutsonow, der als die Nummer 2 der lokalen Organisation auftrat, war neben seiner Tätigkeit als kaufmännischer Heimleiter der drei Pflegeheime noch als Seniorpartner einer Anwaltssozietät in Frankfurt tätig. In diesem Rahmen war er für die vertraglichen Belange von Leiharbeiterverträgen für die Sparte Menschenhandel zuständig. Die Sozietät arbeitete im Wesentlichen mit Werkverträgen und betreute den Handel mit Menschen vorzugsweise Sexarbeiterinnen aus arbeitsrechtlicher Sicht. Sie rekrutierte junge Frauen und Mädchen quer durch Osteuropa, die dann mit gefälschten Zeit-Arbeitsverträgen in Pflegeheimen als Pflegekräfte oder Servicekraft angestellt waren. Maxim Mutsonow hatte den Status des ‚Wory‘ von seinen Eltern geerbt und war stolz darauf.

Der Logistiker, Oliver Wolff, nahm an der Videokonferenz nicht teil und ließ sich wegen eines wichtigen Geschäftstermins entschuldigen. Tatsächlich steckte er mitten in den Vorbereitungen für einen Überfall auf einen Geldautomaten in einer kleinen Odenwaldgemeinde. Als Nummer 3 geführt, betreute er über die gesellschaftseigene Transportfirma, die wiederum im Handelsregister als Gebrauchtwagenhandel eingetragen war, die illegalen Drogentransporte und den Menschhandel der Bande.

Vitali beobachtete entspannt, wie sich die beiden anstrengten, um die Geschäfte der ‚Gesellschaft‘ voranzutreiben, und er war auf ihre Vorschläge gespannt.

Maxim hatte auf Bitten von Leonid, die gefährlichsten Angriffe auf das Pflegeheim zusammengestellt, bei deren Berücksichtigung die öffentliche Hand die Seniorenheime drastisch sanktionieren könnte. Vor allem hatte er eine Liste derjenigen Personen und deren Umfeld erstellt, welche hinter den Beschwerden und Anzeigen standen, und die es auszuschalten galt, und die er jetzt den Anführern einzeln vorstellte.

Maxim begann mit der staatlichen Heimaufsicht, „da gibt es einen gewissen Martin Silbermann, der als Gutachter bisher für die Inspektion der Seniorenheime zuständig war. Er ist 63 Jahre alt, geschieden, allein lebend und hat aktuell keine Beziehung. Dafür hat er ziemlich hohe Spielschulden und steht auf unserer Liste für Bestechungsgelder. Er hat das Heim bisher zweimal inspiziert und jedes Mal für ‚im Wesentlichen‘ mängelfrei erklärt. Aber er nähert sich dem Rentenalter, und wir haben keine Ahnung, wer ihm nachfolgt, wenn er zum Jahresende die wohlverdiente Pension antritt. Das Problem aktuell ist, dass die Heimaufsicht, als die zuständige Behörde, jetzt zum zweiten Mal innerhalb des laufenden Geschäftsjahres auf der Basis unterschiedlicher Anzeigen von Angehörigen eine komplette Inspektion der Seniorenoase angekündigt hat. Und wir wissen nicht, wen sie schicken werden.“

Maxim machte eine kurze Pause und wartete auf eine Reaktion, aber die blieb aus.

Er erläuterte danach, warum er Georg Jährling für gefährlich hielt und stellte den freiberuflich arbeitenden Investigativ-Journalisten vor.

„Der nächste Fall ist unser Hauptproblem, denn der Georg Jährling ist ein ernstzunehmender Störenfried, der keine Ruhe gibt, wenn er sich einmal in einen Fall verbissen hat. Er ist dreiundvierzig Jahre alt, Witwer mit einer fünfzehnjährigen Tochter, welche die Realschule in Fürth besucht, und bei ihrer Großmutter mütterlicherseits wohnt. Georg Jährling ist einfach ein anderes Kaliber. Er hat die Organisation schon zu Zeiten des florierenden Drogenhandels vor zehn Jahren unangenehm begleitet, als er daran arbeitete, die einzelnen Stationen der Transportrouten des Opiums zurück zu den Drogenbaronen in Afghanistan zu eruieren. Nach dem Tod seines Kollegen Mummert hat er sich auf andere Gebiete der Recherche verlegt. Er war zweimal als Kriegsberichterstatter in der deutschen Zone in Afghanistan im Einsatz und musste seinen Aufenthalt wegen einer Verletzung nach einem Taliban-Überfall abbrechen.“

Er trank einen Schluck Wasser, bevor er fortfuhr.

„Vor einigen Jahren hat er sich dann aus den Nachforschungen zum Rauschgiftschmuggel zurückgezogen. Er hat sich auf weniger aufregende Themen wie den Sozialbetrug spezialisiert, und damit rührt er wieder Schmutz in unserem Revier auf. Wir haben einmal versucht, ihn zu kaufen, aber der Versuch scheiterte.“

Last but not least berichtete er über eine gewisse Steffi Schwaiger, 35 Jahre alt, rothaariger Typus „widerspenstige“ Hexe und ihres Zeichen Beauftragte des Gesundheitsamtes Michelstadt. Sie repräsentierte den schrillen Typus einer modernen jungen Frau, die sich absolut resistent gegen jeden Versuch, sie zu beeinflussen, gezeigt hatte. Sie war alleinstehend, hatte bereits mehrfach im Auftrag ihrer Behörde die Seniorenoase ‚Jungbrunnen‘ besucht und mit harter Kritik massive Missstände angeprangert. Erschwerend kam dazu, dass sie nebenberuflich als Hilfsermittlerin für einen Bestatter arbeitete, der wiederum im Nebenjob als Privatermittler in der Schmutzwäsche seiner Klienten wühlte.

„Was in ihrem Fall noch wichtig ist, wenn wir überlegen, wie wir uns vor ihren Ermittlungen schützen, betrifft die Tatsache, dass vor kurzem der Sohn des Ermittler-Bestatters mit seiner Tochter bei ihr eingezogen ist“, ergänzte der Syndikus. Er hatte seine Spürhunde schon auf die drei angesetzt, um die Möglichkeiten für eine Einschüchterung auszuspähen. Das Ganze klang ausbaufähig, wie er schmunzelnd hinzufügte.

Zusammengefasst erklärte der Syndikus das Risiko für nicht unerheblich, dass umfassende behördliche Strafmaßnahmen gegen die Seniorenoase und deren Geschäftsverantwortliche sowie das Aufheben der Steuerbefreiung oder im härtesten Fall die Schließung der Heime verhängt werden könnten. Das würde naturgemäß auf die operativen Geschäftsfelder der ‚Gesellschaft‘ durchschlagen, wie den Vertrieb von Opium Derivaten genauso wie die Edel-Prostitution mit sehr jungen Damen. Und es beträfe den großflächigen Menschhandel ganz allgemein, mit dem sie Asylsucher und billige Saisonarbeiter aus den osteuropäischen Staaten für die Spargel- und Apfelernte oder das Baugewerbe ausbeuteten.

Vitali, der Boss der ‘Gesellschaft’, nahm den Bericht aufmerksam zur Kenntnis und richtete an die beiden hinter den hessischen Bildschirmen die Frage, „ich habe eure Bedenken verstanden, was schlagt ihr jetzt konkret vor, um das Risiko aus der Welt zu schaffen“.

Außerdem ließ er sich zu einem knappen Statement bezüglich seines Streits mit Oliver Wolff und über dessen ungenehmigte Nebentätigkeit hinreißen, „bis zu meinem nächsten Besuch im Stiftungsheim Jungbrunnen möchte ich ein Ende dieser dämlichen und plump inszenierten Einbruchserie sehen, die unser aller Existenz gefährdet“.

Der Syndikus versprach, sich mit Oliver kurzzuschließen, und sich umgehend zurückmelden. Vitali knurrte ein Okay und warnte davor, er würde höchstpersönlich seinen Sicherheitsdienst losschicken, um reinen Tisch zu machen.

Konkret gefragt, wie er die Gefährder der Stiftung ausschalten wollte, schlug der Syndikus vor, mit Entführungen und Gewaltandrohungen zu arbeiten. Die beiden Mädels, das heißt Georg Jährlings Tochter und Steffi Schwaiger, wären optimale Entführungsopfer, und es sollte ein Leichtes sein, die Hauptakteure mit einigen unfeinen Drohungen auf ihr familiäres Umfeld gefügig und mundtot zu machen.

Vitali waren Warnungen allein zu wirkungslos, „ihr wisst, ich bin ein Freund von effektiven Maßnahmen. Das setzt voraus, dass die Störenfriede entweder massive physische Schmerzen am eigenen Leib erlitten oder um Leib und Leben ihrer entführten Liebsten fürchten sollten. Diese Kerle werdet ihr nur durch hartes Vorgehen zum Schweigen bringen“.

Leonid, der bisher geschwiegen hatte, meldete sich zu Wort und seine Handbewegung unterstrich, dass er immer noch immer einen sauberen Auftragsmord als alternativlose Lösung ansah.

„Leonid, die Zeiten, den beiden eine Kugel in den Kopf zu jagen, sind vorbei und außerdem ist es dafür schon zu spät“, wandte sich der Syndikus an den Boss.

Der knurrte nur und sagte, dass die Drohungen schon extrem sein müssten, um das gewünschte Ergebnis sicherzustellen. „Wie wäre es, wenn ihr diesen Journalisten in einen gut gemachten Selbstmord treibt? Der wäre dann an den Spätfolgen seines Afghanistantraumas gestorben, wenn man es nur richtig anpackt. Den Übrigen auf eurer Gefährderliste könnte man ja gezielt Warnungen als Abschreckung zukommen lassen?“

Maxim widersprach, denn bei unklaren Todesfällen von Investigativ-Reportern wäre für die Polizei nichts naheliegender als deren letzte Ermittlungen oder Veröffentlichungen zu untersuchen und die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Er wies darauf hin, dass Behörden hierzulande eher in geringem Umfang bestechlich und erpressbar wären. Deshalb wäre das keine so gute Idee, und die Heimleitung hätte in einem solchen Fall sofort die Kripo am Hals.

Hier vor Ort, verteidigte Maxim seine Linie, müsste man die beiden Letzteren sicherlich sehr hart einschüchtern, um eine Wirkung zu erzielen. Und mit dem richtigen Hebel könnte man die Einschüchterung beliebig lang aufrechterhalten. Die Opfer wären dann immer unter Kontrolle, das sollte also auch kein Problem sein.

„Meine Freunde, es gibt da, was Frauen anbelangt, noch einen anderen Weg, der außerdem Spaß macht, um ein unbefriedigtes Weib als Bedrohung für unser Geschäft zu eliminieren. Ich brauche maximal vier Wochen und das Problem ist erledigt“, prahlte Frank Koch mit seiner Erfahrung als ausgebuffter Womanizer.

Der Vorschlag kam in der Tat weniger gut an. Franks Anspruch, nicht nur ein Frauenversteher, sondern darüber hinaus auch ein Frauenzähmer zu sein, disqualifizierte ihn in den Augen der Mitbrüder. Die schätzten vielmehr die Disziplin, Härte und Brutalität, anstelle weicher Verhandler, die auf emotionale Druckmittel setzten. Frank hingegen konnte es nicht sein lassen und war sogar stolz auf seine Referenzliste an Opfern, die er mit sanfter Gewalt gefügig machte.

Vitali war extrem unzufrieden und würde im Nachgang zur Videokonferenz mit seinem Syndikus ein ernstes Wort reden, um Frank Koch auf die Finger zu schauen.

Nach einer Denkpause und einer leisen Unterhaltung mit Leonid stimmte Vitali letztlich dem Entführungsvorschlag unter der Bedingung zu, dass sich das Problem innerhalb von ein paar Wochen lösen ließe. Ansonsten wäre ein härteres Vorgehen angezeigt. Leonid nickte bloß.

Damit wandten sie sich der finanziellen Situation des Heimes zu, sowie den übrigen Geschäften, und die Bilanz fiel ziemlich ernüchternd aus. Vitali forderte mit harschen Worten ein kurzfristiges Programm an, und er war der Meinung, gerade die allgemeine Unruhe im Zusammenhang mit Corona sollte ihnen auch die Gelegenheit geben, spezielle Geschäftsfelder expandieren zu lassen. Seine beiden Gesprächspartner bestätigten, dass sie dabei wären, neue Einnahmequellen zu erschließen, und sie würden bei seinem nächsten Besuch, sicherlich schon Erfolge vorweisen können.

Damit endete die Videokonferenz.

Die Witwe und der Wolf im Odenwald

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