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Kapitel 5

Odenwald Journal, dpa vom 16.10.2009.

Gestern wurden der ehemalige Oberstaatsanwalt, Karl Miltner, der zu Beginn des Prozesses gegen die Drogenmafia der Frankfurter Szene die Anklage vertreten hatte, sowie seine Ehefrau tot in ihrem Haus aufgefunden. Die Polizei prüft, ob die Todesfälle durch Fremdeinwirken zustande kamen. Gestern überraschte die Polizei im Rahmen einer Pressekonferenz mit der Meldung, dass die Kronzeugin desselben Drogenprozesses, in dem der Oberstaatsanwalt Karl Miltner die Anklage leitete, offenbar vor Überführung in das Zeugenschutzprogramm spurlos verschwunden ist. Zu den am Tatort gefundenen Spuren, welche auf eine Entführung hinweisen, wollte sich die Polizei nicht weiter äußern. Die Möglichkeit, dass es zwischen den beiden Ereignissen einen direkten Zusammenhang gibt, wurde nicht ausgeschlossen.

Wiesbaden, Freitag, 16.10.2009, 18:30 Uhr

Der Mann, den sie Andrei riefen, landete um 17:45 Uhr nach pünktlicher Ankunft seines Fluges mit Aeroflot aus Moskau. Er wartete am Ausgang am Gate B 21 des Frankfurter Flughafens in der Schlange der Passkontrolle, hatte kurzgeschorene Haare, eisblaue Augen und einen harten Mund in einem Durchschnittsgesicht. Keiner der ihn ansah, war hinterher in der Lage seine Visage im Detail zu beschreiben. Sein muskulöser Körper steckte in einem zu engen dunkelgrauen Anzug, und er hatte nur einen schlanken Aktenkoffer dabei, der ihn als Business Traveller auswies.

Der Bundespolizist, der seinen Ausweis prüfte, sah ihm nur kurz ins Gesicht und winkte ihn durch. Er war ein ‚Wolf‘ oder Spezialist für Entführungen und Auftragsmorde im Auftrag der Bruderschaft, und sein heutiger Auftrag lautete auf eine perfekte Entführung einer jungen Frau und ihrer Tochter. Wenn notwendig durfte er Gewalt anwenden, hatte der Boss ihm mit auf den Weg gegeben, aber er wollte die Opfer lebend in Empfang nehmen.

Er ging in die Ankunftshalle an den Schalter einer Mietwagenfirma und holte sich die Schlüssel für einen Transporter, mit dunklen Fensterscheiben, denn der Rückweg würde nicht per Flugzeug, sondern mit dem Auto erfolgen. Der ‚Wolf‘ ging entspannt zu den Gepäckschließfächern, entnahm den Rucksack mit seiner Standardausrüstung für solche Fälle, warf ihn über die Schulter und ging zum Mietauto Parkplatz am Ende der Halle mit den Serviceschaltern. Bevor er losfuhr, zog er sich auf einer Toilette um, und trug ab sofort die Uniform eines Hauptwachtmeisters der Frankfurter Stadtpolizei.

Der Boss hatte angeordnet, diesmal kein Fahrzeug aus dem Fuhrpark der ‘Gesellschaft’ zu benutzen, sondern einen Mietwagen zu nehmen.

Dann verließ der Mann den Flughafen in Richtung Kelsterbach und fuhr auf die A3 nach Wiesbaden. Er war frühzeitig vor Ort und drehte ein paar Runden um das Zielobjekt, um den Fluchtweg abzusichern.

Er versorgte sich an einem Kiosk mit einer Ration Energy Drinks, Proviant und Getränken für zwei Tage und besorgte sich an einer Tankstelle zwei 20-Liter-Kanister, die er mit Benzin volltankte.

Um 19:00 Uhr stellte er den Transporter nahe der Einfahrt zur Tiefgarage des Zielobjektes ab, um das Gebäude durch die Tiefgarage und über die Brandschutztür zu betreten, welche zum Keller und den Aufzügen führte. Von der Straße aus sah er in der Tiefgarage die blauen Blinklichter der Polizei leuchten.

Der Entführer entschloss sich, den Haupteingang zu benutzen, wo er mit einem Tippen des Zeigefingers an den Mützenschirm den Kollegen grüßte, der den Eingang bewachte. Der Polizist erwiderte lässig seinen Gruß, und der Entführer stieg die Treppe hoch. Im Flur des dritten Stocks sah er schon, dass das Interesse der Polizei der Wohnung der Zeugin galt. Die Eingangstür zur Wohnung stand weit offen und bei den Personen, die die Szene bevölkerten, dominierte die weiße Schutzkleidung der Kriminaltechnik.

Er baute sich neben dem Aufzug auf und aus den Gesprächen, die er belauschte, ging klar hervor, dass eine Frau vergewaltigt und schwerverletzt worden sei. Ein KTU-Mitarbeiter tütet ein Einmalbesteck ein, und die Rede ist von einem goldenen Schuss, den man der Frau zusätzlich verpasst hat. Die Frau sei von ihrem Mann, sofort nachdem er sie gefunden hatte, in eine Privatklinik gefahren worden. Über den Verbleib der Tochter bekam er nichts mit.

Trotz seiner Überraschung reagierte er professionell und ruhig. Etwas an dem Gedanken störte ihn, dass ihm jemand aus der Organisation zuvorgekommen sein könnte. Dass jemand auf eigene Faust operierte, hielt er für extrem unwahrscheinlich, und der Boss hätte niemals eine Vergewaltigung seiner verräterischen Frau angeordnet, das hätte er sich höchstens selber vorbehalten. Auch die Summe der Gewalteinwirkung überrascht ihn, da hat sich jemand ausgetobt, denkt er, das war keine professionelle Tat, wie sie von einem Auftragskiller der ‚Bratwa‘ ausgeführt worden wäre.

Er wartete noch eine Weile, bis er sicher war, dass es sich tatsächlich um die Frau handelte, die er hätte entführen sollen. Als er sicher war, verschwand er so, wie er gekommen war. Seit seiner Ankunft waren höchstens zwanzig Minuten vergangen.

Um 19:15 Uhr rief er den Boss an und erstattete Bericht. Der Boss, der einen tief betroffenen Eindruck auf ihn machte und energisch verneinte, jemand anderes mit der Erledigung beauftragt zu haben, wies ihn schroff an, sofort nach S. Petersburg zurückzufliegen.

Vorher sollte er aber noch beim Maulwurf vorbeischauen, und ihm Gelegenheit zu einer Beichte zu geben. Denn der war der Einzige, der außer ihrem Beschützer die Wohnung und den Aufenthaltsort kannte.

Die Stimme vom Boss klang jetzt nicht mehr betroffen, sondern war kalt. Der ‚Wolf‘ war natürlich mit den Feinheiten moderner Foltermethoden vertraut, um selbst hartgesottene Typen zum Singen zu bringen. Er benötigte nur die Zugangsdaten zum Domizil des Oberstaatsanwaltes. Er bestätigte den Auftrag und würde mit einem kleinen Umweg über Frankfurt zum Flughafen zurückfahren.

Er verließ die Tiefgarage und achtete bei der Rückfahrt darauf, nicht verfolgt zu werden. Er überlegte, dass für die Aktion die Polizeiuniform, die er trug, sogar hilfreich wäre, falls ihn jemand am Haus sah. Der Oberstaatsanwalt würde bei seinem Anblick verblüfft sein.

Da er bis zu seinem Besuch in der Villa des Maulwurfes in Sachsenhausen noch einige Stunden Zeit hatte, steuerte er den Van auf einen Parkplatz am Henninger Turm und gönnte sich für fünf Stunden lang einen Entspannungsschlaf. Bis ihn sein Weckalarm in die Realität zurückholte.

Er betrat kurz nach 02:00 Uhr nachts die Villa durch die Terrassentür, die er lautlos öffnete. Obwohl er das Haus nie betreten hatte, war er mit allen Details bestens vertraut. Er ging zielstrebig in das Schlafzimmer der Ehefrau, betäubte sie nicht nur mit Chloroform, sondern zusätzlich mit 3ml Midazolam intravenös. Die hatte er eigentlich für sein nicht mehr vorhandenes Entführungsopfer vorgesehen, aber hier konnte er das Mittel auch gut gebrauchen.

Als er das Schlafzimmer des getrennt von seiner Frau schlafenden Maulwurfs betrat, fixierte er diesen und behandelte ihn mit den Nettigkeiten seiner Folterkammer, um ihn zum Reden zu bewegen. Als Erstes verlangte er die Herausgabe seiner Dienstwaffe, einer Sig-Sauer-225, wie sie die hessische Polizei standardmäßig verwendet. Die Waffe lag, noch nicht einmal eingeschlossen, griffbereit in der Nachttischschublade.

Leider regte sich der Maulwurf so darüber auf, dass der ‚Wolf‘ begann sich Sorgen um die Gesundheit des Maulwurfs zu machen. Er stritt vehement ab, einen eigenen Auftragskiller mit der Beseitigung der Zeugin beauftragt zu haben. Er hätte mit der ganzen Sache nichts zu tun und er wusste auch nicht, dass und wohin das Opfer verschwunden war. Der ‚Wolf‘ stellte frustriert fest, dass er aus ihm nichts über den Aufenthaltsort seines Entführungsopfers herausbekommen würde. Er steckte ihm den Lauf seiner Dienstwaffe in den Mund und jagte ihm eine Kugel durch den Kopf. Dann ging er ins Schlafzimmer seiner Ehefrau und erschoss sie ebenfalls. Dann löste er die Fesselung des Maulwurfs und deponierte die Waffe auf dem Boden unter dem schlaff herabhängenden Arm des toten Oberstaatsanwaltes, nachdem er ihm die Waffe in die Hand gedrückt hatte.

Er loggte sich mit dem Zeigefinger des Toten in dessen Handy ein und checkte die letzten Nachrichten.

Er fand einige SMS, die der Oberstaatsanwalt mit einem Foto der lebenden Verräterin und ihren Koordinaten an zwei Adressaten verschickt hatte, von denen er nur den ersten kannte. Das war die Nummer vom Syndikus, der sie an den Boss weitergeleitet hatte. Die zweite mobile Nummer stammte von einem Provider für Prepaid-Karten und würde sich vermutlich nur schwer rückverfolgen lassen.

Eine SMS von dieser Telefonnummer hatte der Oberstaatsanwalt erhalten mit einer sehr kurzen Textnachricht.

„Alles erledigt.“ Der Zeitstempel der SMS lautete 15.10.2009, 18:17 Uhr.

Der ‚Wolf‘ setzte seinerseits eine SMS ab und leitete alle SMSen auf dem Handy des Maulwurfs an seinen Auftraggeber weiter.

Der Empfänger der SMS schäumte vor Wut. Er verfluchte alle, die er mit dem Verschwinden seiner Frau in Verbindung brachte. Angefangen von dem dämlichen Fahrer des Transporters, der wegen einer Pinkelpause seiner Geliebten den Halt an der Tankstelle eingelegt hatte, an der es zu dem Schusswechsel mit der Polizei kam. Er schwor, er würde keine Ruhe geben, bis er die Hauptschuldigen gefunden und alle bei lebendigem Leib begraben hätte.

Der ‚Wolf‘, auf dessen erfolgreiche Umsetzung seiner Befehle der Anführer so gehofft hatte, war im Begriff das Objekt des Oberstaatsanwalts zu verlassen, nachdem er noch die übrigen Räume durchsucht hatte.

Der Sohn des Maulwurfes war nicht in der Wohnung, und so fuhr er direkt zum Flughafen. Dort gab er den gemieteten Transporter zurück und druckte sich am Online-Ticket Counter das Flugticket und die Bordkarte für den Rückflug nach St. Petersburg aus, den der Buchhalter der ‘Gesellschaft’ für ihn gebucht hatte. Im Flieger machte sich der Überbringer der schlechten Nachricht Sorgen, ob er wohl trotzdem sein Honorar bekäme.

Die Witwe und der Wolf im Odenwald

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