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6. Kapitel

Tanja Sommer fuhr mit der U-Bahn. Mit ihrem altersschwachen VW-Polo in die Nähe des Polizeipräsidiums zu fahren, hätte bedeutet, ihn der amtlichen Verschrottung preiszugeben. Das Polizeipräsidium lag in der City Nord. Das Gebäude war im Jahre 2000 eingeweiht worden. Der Neubau ersetzte das alte Präsidium, einen fünfzehn Etagen hohen Betonklotz, der am Berliner Tor unter dem Spitznamen „Der Polizeifinger“ bekannt und verhasst gewesen war. Das neue Präsidium war ein Rundbau, der aus der Vogelperspektive wie ein Zahnrad mit zehn Zähnen aussah. Es war nur sechs Etagen hoch und wirkte wohl proportioniert, luftig und hell im Inneren.

In der Eingangshalle wurde Tanja Sommer von Hauptkommissar Kurtz in Empfang genommen.

„Hallo Frau Sommer. Dass wir uns so schnell wiedersehen, hätte ich nicht gedacht.“ Er reichte ihr die Hand.

„Guten Tag, Herr Kurtz. Ehrlich gesagt, ich auch nicht“, sagte Tanja.

„Kommen Sie, wir setzen uns in die Kantine. Dort ist es gemütlicher als im Büro. Ich gebe einen Kaffee aus.“ Die Kantine lag im Erdgeschoss und Hauptkommissar Kurtz führte Tanja an einen Platz am Fenster mit Blick ins Grüne des Innenhofs.

„Hier sind wir ungestört. Nehmen Sie Platz, ich hole uns inzwischen Kaffee. Wie möchten Sie ihn? Schwarz, mit Milch oder Zucker?“

„Schwarz, bitte“, sagte sie und nahm Platz.

Hauptkommissar Kurtz verschwand zu den Automaten.

Tanja war nervös. Sie sah sich um, nestelte an ihrer Handtasche, fühlte zum x-ten Mal, ob der USB-Stick noch da war.

Hauptkommissar Kurtz stellte die Tassen mit dem Kaffee auf den Tisch.

„So, einmal schwarz für Sie“, sagte er und schob das Gedeck zu Tanja hinüber.

„Danke“, sagte Tanja und blickte verlegen in die Tasse. Nur jetzt die Nerven behalten, nahm sie sich vor.

„Nun, was kann ich für Sie tun?“, fragte Hauptkommissar Kurtz, führte die Tasse zum Mund und nippte vorsichtig an dem heißen Gebräu. Dabei schaute er Tanja Sommer erwartungsvoll an.

Tanja druckste ein wenig und sagte schließlich:

„Ich habe hier in meiner Handtasche einen USB-Stick mit einer Menge aufschlussreicher Daten, die Sie interessieren dürften.“ Hauptkommissar Kurtz stellte die Tasse ab und blickte Tanja verblüfft an.

„Ooh“, sagte er, „und nun?“

Dass ein erfahrener Polizist nicht gleich die Fassung verliert, nur weil ihm eine Journalistin Informationen anbietet, damit hätte sie rechnen müssen. Innerlich schimpfte sie sich eine blöde Kuh. Krampfhaft suchte sie nach einer Antwort.

„Ich dachte immer, die Polizei ist an sachdienlichen Hinweisen interessiert“, sagte sie schließlich schnippisch.

Hauptkommissar Kurtz lächelte und sagte:

„Aber sicher doch. Da liegen Sie absolut richtig. Nur ein bisschen konkreter müssen Sie schon werden.“

„Na ja, es handelt sich um Daten, die helfen könnten, den Mörder meines Kollegen Otto Bergheim zu fassen. Außerdem befinden sich darauf Hinweise zu dem Attentat auf den Kanzler vor zwei Jahren“, erklärte Tanja. Dabei bemühte sie sich, so unaufgeregt wie möglich zu klingen. Hauptkommissar Kurtz rührte in seiner Tasse und hörte zu. Nur bei dem Hinweis auf das Kanzlerattentat zuckte er unmerklich zusammen. Er schwieg eine Weile, trank einen Schluck und fragte dann:

„Woher haben Sie den Stick?“

Tanja blickte ihn verwundert an.

„Schon gut, schon gut ich weiß. Sie bestehen auf Informantenschutz. Ich frage mich nur, warum kommen Sie damit zu mir? Das hört sich nach einer heißen Story an und darauf stehen Journalisten doch“, sagte Hauptkommissar Kurtz. Tanja Sommer fühlte sich im Aufwind. Ihre anfängliche Unsicherheit war verflogen.

„Um ehrlich zu sein, ich habe es meiner Redaktion noch gar nicht angeboten, weil ich der Meinung bin, es ist Aufgabe der Polizei, nach Mördern zu fahnden.“

„Gut gebrüllt, Löwe“, lachte Hauptkommissar Kurtz „soweit ich die Journaille kennengelernt habe, wären Sie die große Ausnahme. Wenn ich Finanzbeamter wäre, würde ich vermuten, Sie wollen mir ein Paket Steuersünder verkaufen. Aber für sachdienliche Hinweise zur Ergreifung des Mörders von Otto Bergheim ist bisher keine Belohnung ausgelobt worden. Es sei denn, Ihre Redaktion plant, dafür Geld in die Hand zu nehmen. Ich glaube vielmehr, da steckt etwas anderes hinter. Nun rücken Sie schon raus mit der Sprache. Was ist der wahre Grund?“

Tanja Sommer fühlte sich ertappt. Vor Aufregung fing sie an, zu schielen. Sie hob die Tasse zum Mund, versuchte verlegen, ihren Silberblick dahinter zu verstecken und dem Blick des Hauptkommissars auszuweichen. Sie brauchte eine Weile, um sich zu sammeln.

„Nun kommen Sie schon“, ermunterte der Hauptkommissar sie und ein Lächeln überzog sein Gesicht.

„Also gut“, trat Tanja die Flucht nach vorn an, „ich glaube, das Material ist so umfangreich, dass meine Redaktion weder die Zeit noch die technischen Möglichkeiten besitzt, um es auszuwerten. Ihre Möglichkeiten sind dagegen weitaus größer.“ Tanja machte eine kurze Pause, holte tief Luft, blickte dem Hauptkommissar direkt ins Gesicht und versuchte, die Wirkung ihrer Worte einzuschätzen.

„Und weiter?“, sagte Hauptkommissar Kurtz nur trocken. Er sah Tanja unvermindert an. Tanja hatte das ungute Gefühl, vernommen zu werden. Jeden Augenblick rechnete sie mit ihrer Verhaftung und hörte in Gedanken schon die Handschellen klicken. Aber Aufgeben kam für sie nicht infrage. Trotzig sagte sie:

„Also wenn Sie es genau wissen wollen …“

„Ja, das will ich“, fiel ihr der Hauptkommissar ins Wort.

„Nun, ich habe mir gedacht, ich gebe Ihnen die Daten zur Auswertung und bekomme von Ihnen die Ergebnisse für meine Exklusivgeschichte.“

Hauptkommissar Kurtz lachte laut auf.

„Haben Sie das mit Ihrem Redakteur ausgeheckt?“

„Nein, verdammt noch einmal! Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass die Redaktion nichts davon weiß“, schnauzte Tanja wütend.

Hauptkommissar Kurtz hatte sich verschluckt, hustete und lachte gleichzeitig. Als er sich schließlich wieder gefangen hatte, wischte er sich die Tränen aus den Augen, schaute Tanja freundlich an und sagte mit ernster Miene:

„Sie sind zwar eine ziemliche Kratzbürste, aber ich finde Sie trotzdem ganz in Ordnung …“

„Ist das jetzt ein Lob oder machen Sie sich über mich lustig?“

„Nein, ich mache mich nicht über Sie lustig, sondern ich mache mir Sorgen um Sie.“

„Wie soll ich das verstehen?“

„Auch wenn ich den Inhalt des USB-Sticks nicht kenne, habe ich das ungute Gefühl, er ist brandgefährlich. Ich rate Ihnen dringend, sich an eine Person ihres Vertrauens zu wenden. Einen Menschen, der Sie im Ernstfall auch beschützen kann, wenn es hart auf hart kommt. Verstehen Sie, was ich meine?“

„Nein, das verstehe ich ganz und gar nicht. Ich habe mich doch an die Polizei, an Sie gewandt.“

„Das ist zwar richtig, aber leider kann ich nichts für Sie tun. Wir wurden vom Fall Otto Bergheim abgezogen. Er wird jetzt vom Landeskriminalamt bearbeitet und es ist nicht auszuschließen, dass er bei der Bundesanwaltschaft landet. Verstehen Sie jetzt, was ich meine?“

Tanja war völlig durcheinander. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Ihr erster Gedanke war, den verdammten Stick in die Alster zu werfen. Aber damit wäre sie das Problem nicht los, fiel ihr ein. Hilflos schaute sie Hauptkommissar Kurtz an. Er besaß genug Menschenkenntnis, um Tanjas innere Not zu bemerken.

„Hören Sie“, er zückte einen Kugelschreiber, griff nach einer Serviette und schrieb einen Namen und eine Telefonnummer drauf, „wenn Sie niemanden kennen, an den Sie sich wenden können, dann rufen Sie diese Nummer an. Es ist ein guter Freund von mir, auf ihn können Sie sich jederzeit verlassen“, sagte er und schob die Serviette zu Tanja über den Tisch.

„Danke“, murmelte sie kleinlaut. Dann fiel ihr noch etwas ein.

„Sagen Sie, ist die Wohnung von Otto Bergheim schon wieder freigegeben? Und wenn ja, wer hat den Schlüssel?“

„Soviel ich weiß, ja. Und der Schlüssel liegt bei den Asservaten.

So, ich lasse Sie jetzt allein. Ich muss wieder an die Arbeit. Leider machen die Gangster auch keine Pause. Und befolgen Sie meinen Rat“, sagte er noch im Weggehen und verschwand irgendwo im Gebäude.

Ein unsichtbarer Feind

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