Читать книгу Ein unsichtbarer Feind - Werner Michelchen - Страница 13

Оглавление

9. Kapitel

„Läufer F1 nach B5“, sagte die Stimme aus dem Computer. Jakob Zölner schaute auf den Bildschirm und kratzte sich am Hinterkopf.

„Soso, du willst also eine spanische Partie mit mir spielen“, brummte er.

„Also gut. Springer G8 nach F6“, sagte er und klickte die Figur auf das vorgesehene Feld. Er saß im Sessel in seinem Büro, das früher das Kinderzimmer seiner Tochter gewesen war. Die Wohnung lag direkt am Osterbeckkanal mit Blick aufs Wasser. Die Beine auf dem Schreibtisch, den Laptop auf dem Schoß spielte Jakob Schach gegen den Computer. Seine Spielstärke lag bei circa 2000 ELO. Je nach Tagesform hielten sich gewonnene und verlorene Spiele in etwa die Waage. Jakob Zölner war ein sportlicher Typ, 1,80 Meter groß, vierzig Jahre alt, geschieden und hatte eine Tochter. Sie lebte bei ihrer Mutter in den Vereinigten Staaten von Amerika und studierte irgendwas mit Medien. Seine Ex-Frau war Hotelmanagerin bei einer namhaften Hotelkette, in der ganzen Welt unterwegs und kaum zu Hause, was letztlich der Grund für die Trennung gewesen war. Sie hatten es auch für die Entwicklung der Tochter für das Beste gehalten, getrennte Lebenswege zu gehen. Sie waren in Freundschaft auseinandergegangen und hielten auch jetzt noch engen Kontakt. Das war jetzt zwei Jahre her. Die gemeinsame Wohnung hatte Jakob behalten, und wenn seine beiden Mädchen sich in Deutschland aufhielten, wohnte seine Tochter in ihrem ehemaligen Kinderzimmer. Um die Unterkunft für seine Ex-Frau musste Jakob sich keine Gedanken machen, die wohnte komfortabel in den Hotels ihres Arbeitgebers. Jetzt war er am Zug.

„Dame D8 nach B6 und Schach.“ Jakob hatte eine starke Stellung, aber es war nur ein Spiel, eine Partie, die er gewinnen würde. Im richtigen Leben sah es düster aus. Nachts quälten ihn Albträume. Er hörte die Schüsse. Sie dröhnten in seinen Ohren wie Kanonendonner. Dann schreckte er mit Herzrasen auf und konnte nicht wieder einschlafen. Seit gut zwei Jahren ging das so. Seit der Nacht, als die Schüsse in der Elbphilharmonie dem Kanzler das Leben nahmen und ihn den Job kosteten. Hauptkommissar Jakob Zölner war für die Sicherheit des Kanzlers verantwortlich gewesen und hatte versagt. So lautete sinngemäß die Begründung für seine Suspendierung. Er war das Bauernopfer. Erst die Scheidung, dann das berufliche Desaster, schließlich der körperliche Zusammenbruch: Herzinfarkt und Bypassoperation. Während des Krankenhausaufenthalts und der anschließenden Rehamaßnahmen hatte er viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Immer und immer wieder hatte er die Abfolge des Attentates im Kopf rekonstruiert. Fest stand, der Wimpernschlag einer Unaufmerksamkeit war der Auslöser für die Katastrophe gewesen. Aber fest stand auch, dass der Attentäter nie bis in die Nähe des Kanzlers hätte vordringen dürfen. Aber dafür waren andere zuständig gewesen. Wie konnte sich ein Mann im Rollstuhl mit einer Pistole unter die Besucher mischen, ohne von den Beamten des Bundes- oder Landeskriminalamtes bemerkt zu werden? Doch das war nicht die einzige Merkwürdigkeit. Jakob erinnerte sich daran, dass in der Fahrzeugkolonne der Dienstwagen zwei Leichenwagen gestanden hatten. Zwar wurden bei besonderen Anlässen Rettungswagen vorgehalten, wie er wusste. Aber Leichenwagen? Seltsam war außerdem, dass niemand den Attentäter nach der Tat zu Gesicht bekommen hatte. Selbst die Presse hatte sich darüber gewundert, hakte aber nicht nach.

Mit zunehmender Genesung erstarkte auch Jakob Lebensmut wieder. Er beschloss, den offenen Fragen auf den Grund zu gehen und um seine Rehabilitation zu kämpfen. Mithilfe der Gewerkschaft klagte er gegen seinen Arbeitgeber, die Stadt Hamburg. Das Verfahren war noch anhängig, sein Ausgang offen. Seitdem hing das Schwert des Damokles über Jakob. Aber er hatte vorgesorgt. Unten am Hauseingang prangte ein Messingschild mit der Aufschrift „Detektei Luchs & Partner“. Sollte er den Prozess verlieren, bliebe ihm nur, sich als Privatdetektiv selbstständig zu machen. Was sollte er auch sonst tun? Er hatte nichts anderes gelernt. Allerdings ging er fest davon aus, dass er den Prozess gewinnen und wieder als Polizist arbeiten würde. Deshalb betrachtete er seine Firmengründung auch mehr als Probelauf. Tatsächlich hatte er weder einen Partner noch Kunden. Aber einige Anrufe auf seine Anzeigen in der Lokalpresse hatte er schon. Betrogene Ehefrauen, deren Männern er nachspionieren sollte, oder Ladendiebe, die er dingfest machen sollte. Aufträge, die er mit der Begründung abgelehnt hatte, er sei ihm Augenblick ausgebucht. In Wahrheit lungerte er in seinem Kinderzimmerbüro herum und langweilte sich zu Tode, außer er spielte Schach. Turm von H3 nach A3. Schachmatt!

Diese Partie hatte er gewonnen, aber wie das entscheidende Spiel ausgehen würde, war ungewiss. Jakob klappte eben seinen Laptop zu, da klingelte es an der Tür.

„Ja bitte?“, sagte er in die Gegensprechanlage.

„Guten Tag. Mein Name ist Sommer, ich wollte zur Detektei Luchs. Bin ich da bei Ihnen richtig?“

Hoffentlich nicht schon wieder eine betrogene Ehefrau, dachte Jakob.

„Ja, erster Stock rechts“, sagte er freundlich und drückte auf den Türöffner. Dann rannte er ins Bad, warf einen Blick in den Spiegel, knöpfte schnell das Hemd zu und strich mit der Hand über die grauen Haarstoppeln. Schon klingelte es an der Wohnungstür.

„Moment, ich komme!“, rief er, lief durch den Flur und öffnete die Tür.

„Guten Tag, treten Sie ein. Dort rechts ist das Büro. Folgen Sie mir“, sagte Jakob und hielt Tanja die Tür auf.

Tanja tat zwei Schritte ins Zimmer und sah sich überrascht um. Die geblümte Tapete und die bunten Gardinen erinnerten sie an ihr eigenes Kinderzimmer. Das Büro einer Detektei hatte sie sich anders vorgestellt. Mehr wie eine Anwaltskanzlei mit Ledersesseln und Vorzimmerdame. Nicht mit Ikea-Schreibtisch und Esszimmermöbeln als Besprechungsecke. Tanja war verunsichert.

„Kommen Sie, wir setzen uns dort an den Tisch ans Fenster“, sagte Jakob, griff sich Block und Bleistift vom Schreibtisch und rückte seiner Besucherin den Stuhl zurecht.

Tanja hatte das Gefühl, am falschen Ort zu sein. Am liebsten hätte sie auf dem Absatz kehrtgemacht und hätte das Haus verlassen.

Allein die freundliche Stimme und das sympathische Aussehen des Mannes gaben den Ausschlag, dass sie blieb.

„Nun, Frau Sommer, wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte Jakob und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.

„Ein Bekannter hat Sie mir empfohlen, Herr Luchs“, sagte Tanja nach kurzem Zögern.

„Ich bin nicht Herr Luchs. Ich heiße Zölner, Jakob Zölner mit einem L wie Zölibat“, sagte Jakob schmunzelnd.

„Ach so, dann sind Sie der Partner von Herrn Luchs“, kombinierte Tanja laut vor sich hin.

„Nein, es gibt keinen Herrn Luchs und auch keinen Partner. Es gibt nur mich“, erklärte Jakob und lächelte freundlich.

Tanja fühlte sich auf den Arm genommen und fragte verärgert:

„Und wieso steht dann ,Luchs und Partner‛ auf dem Firmenschild?“

Jakob druckste ein wenig verlegen herum und sagte schließlich:

„Das mit dem Luchs und dem Partner ist mehr als Marketinggag gedacht, wenn Sie verstehen, was ich meine“, räumte er ein.

„Nein, das verstehe ich ganz und gar nicht!“, sagte Tanja wütend. So ein arrogantes Arschloch, dachte sie, stand auf und ging.

Ein unsichtbarer Feind

Подняться наверх