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4. Kapitel

Tanja Sommer hatte es sich gemütlich gemacht. Sie saß im Wohnzimmer in ihrem Lieblingssessel. Einem ledernen Ohrensessel, bequem wie ein Himmelbett. Er hatte einst ihrer Mutter gehört.

Nach dem Tod ihrer Mutter hatte ihr Vater ihn ihr überlassen.

„Immer wenn ich auf den leeren Sessel schaue, erinnert er mich daran, dass Mutter nicht mehr da ist, und dann werde ich sehr traurig“, hatte er gesagt. Tanja hatte ihn gern genommen. Für sie war er eine schöne Erinnerung. Als sie klein war, hatte sie darauf oft auf Mutters Schoß gesessen, während sie ihr Geschichten erzählte.

Auf dem Couchtisch stand ein Glas Wein ihrer Lieblingssorte, spanischer Rioja, ein Schälchen mit Oliven und eins mit gerösteten Mandeln. Daneben lagen Schreibblock und Bleistift. Sie hatte sich vorgenommen, das Porträt über Otto Bergheim vorzubereiten: Stichwörter sammeln, Ideen strukturieren und so weiter.

Plötzlich klingelte das Telefon. Den Bleistift in der Hand, eine Olive im Mund griff sie zu ihrem Smartphone, das ebenfalls auf dem Tisch lag. Verdutzt schaute sie aufs Display. Es blieb schwarz. Auch der Klingelton kam ihr unbekannt vor und hörte sich merkwürdig dumpf an. Dann fiel der Groschen. Es musste das Smartphone sein, das jemand nach der Feier auf dem Sideboard hatte liegen lassen. Es befand sich noch immer in ihrer Handtasche, weil sie vergessen hatte, es zurückzugeben. Sehr peinlich, dachte Tanja, sprang auf und rannte in den Flur, wo ihre Handtasche an der Garderobe hing. Es klingelte erneut und Tanja kramte hastig in der Handtasche. Endlich hatte sie es in der Hand, drückte die grüne Taste und sagte völlig außer Atem:

„Hallo, mit wem spreche ich?“

„Es ist besser für Sie, es nicht zu wissen. Bevor wir weitersprechen, drücken Sie bitte das Icon für die Verschlüsselung“, sagte eine männliche Stimme. Natürlich wusste Tanja, dass es Verschlüsselungssysteme für Gespräche mit dem Handy gab. Aber wer benutzte sie schon? Sie waren lästig, machten das Telefonieren unbequem und sie hatten einen Nachteil. Sie funktionierten nur, wenn auch der andere Gesprächsteilnehmer eines installiert hatte. Und wer hatte das schon? Mit dieser Meinung befand sie sich in prominenter Gesellschaft. Mit der Folge, dass immer wieder Gespräche von Politikern, Wirtschaftsbossen und sogenannten Promis in die Öffentlichkeit gerieten, weil sie unverschlüsselt geführt und abgehört wurden.

Tanja hatte das Smartphone von Otto Bergheim nie in der Hand gehabt, deshalb dauerte es eine Weile, bis sie das Symbol für die Verschlüsselung auf dem Display fand und drückte. Auf einmal erinnerte sie sich an den Grundsatz, den Otto ihr immer eingebläut hatte: absoluter Schutz der Informationsquelle.

Mit zittriger Hand gab sie den Code durch, der auf dem Display aufleuchtete.

„In Ordnung. Jetzt können wir sprechen“, sagte die Stimme am anderen Ende.

„Was wollen Sie? Warum rufen Sie an? Sie wissen doch sicher, dass Otto Bergheim tot ist“, sagte Tanja verstört.

„Wir müssen uns treffen. Ich habe Informationsmaterial, das für Otto Bergheim bestimmt war.“

„Und was soll das jetzt noch nützen?“, fragte Tanja.

„Ich weiß, ich bin zu spät gekommen. Das ist traurig. Aber vielleicht war es mein Glück, sonst wäre ich jetzt wahrscheinlich auch tot. Jetzt müssen Sie die Arbeit von Otto Bergheim zu Ende führen.“ Er hielt kurz inne. Tanja lief es kalt den Rücken herunter. Ihre Stimme zitterte, als sie fragte:

„Was soll ich zu Ende führen? Ich habe nicht die geringste Ahnung, worum es bei Otto Bergheims Recherche ging.“

„Es ging um den Mord am Kanzler und um den Regierungswechsel. Alles muss ans Licht“, sagte der Anrufer. Er klang entschlossen, kämpferisch, beinahe fanatisch, hatte Tanja den Eindruck.

„Otto hat mir nichts darüber erzählt“, wandte sie ein.

„Otto Bergheim hat mir gesagt, Sie seien eine gute Journalistin. Also beweisen Sie es. Otto Bergheim hat vor Kurzem einen Datensatz von mir bekommen und in dem Material, das ich Ihnen geben werde, steckt der Schlüssel zur Lösung. Sie müssen nur den Fakten auf den Grund gehen.“

In Tanja tobte ein innerer Kampf. Einerseits war es eine Chance, sich als gute Journalistin zu profilieren. Andererseits hatte sie Angst, in etwas hineinzugeraten, dem sie nicht gewachsen war.

„Was ist nun?“, fragte der Anrufer. Seine Stimme klang ungeduldig, als Tanja nicht antwortete.

„Wo und wann wollen wir uns treffen?“, sagte Tanja schließlich und erschrak augenblicklich über sich selbst. Es hörte sich an, als hätte jemand anderes für sie geantwortet. So viel Mut hätte sie sich gar nicht zugetraut. Doch nun war es raus. Jetzt wollte sie es wissen.

„Besuchen Sie übermorgen um 11.30 Uhr den Vortrag von Dr. Wagner im Planetarium. Begeben Sie sich dazu in den Sternensaal und setzen Sie sich in die vorletzte Reihe nahe dem Ausgang. Kommen Sie allein und bringen Sie auf keinen Fall ein Handy mit. Haben Sie alles verstanden?“

„Ja“, antwortete Tanja, „und wie erreiche ich Sie, wenn etwas dazwischenkommt?“

„Überhaupt nicht. Sorgen Sie nur dafür, dass Otto Bergheims Handy betriebsbereit bleibt. Ich melde mich, falls es etwas Wichtiges geben sollte.“

Tanja wollte noch etwas sagen, aber er hatte aufgelegt. Ihr schwirrte der Schädel. Tausend Gedanken verstopften ihr Hirn und sie kämpfte wieder mit der Angst. Was hatte sie sich da bloß eingebrockt? Hastig trank sie einen Schluck Wein, verschluckte sich prompt und fing an zu husten. Mit der Ruhe und Gemütlichkeit war es für heute Abend endgültig vorbei.

Ein unsichtbarer Feind

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