Читать книгу Die Schülerrepublik im Schloss Reichenau - Werner Ort - Страница 14
ZURÜCKHALTENDE PROPAGANDA
ОглавлениеAnfang April 1793 liess Tscharner einen Prospekt von acht Seiten auf Deutsch, Französisch und Italienisch drucken, «nach welchem die Inhaber der Herrschaft Reichenau und Damins gesonnen sind, im Lauf des nächsteintretenden Monats Mai eine vermischte protestantische und katholische Erziehungs- und Schulanstalt in ihrem Schlosse Reichenau, in der Republik Graubünden, zu eröffnen».116 Das war zeitlich zu knapp bemessen, um auf viele Anmeldungen hoffen zu können. Der Prospekt wurde als Inserat verschiedenen Zeitungen beigelegt117 und auch in den «Intelligenzblättern der Allgemeinen Literatur-Zeitung von Jena» veröffentlicht, dort allerdings erst am 22. Mai.118 Vermutlich war dies mit ein Grund, wieso sich die Schuleröffnung bis Mitte Juni verzögerte: Man wartete ab, ob sich nicht noch mehr Schüler anmelden würden.
Der Anfang des Prospekts schilderte die Vorzüge der Lage von Reichenau, geografisch, klimatisch und kommerziell, den Schlosspark mit seinen Lusthäuschen, Statuen, Vasen und Springbrunnen, die angenehmen Promenaden, den häufigen Postverkehr, die Nachbarschaft mit der Stadt Chur, der Gemeinde Tamins und den Herrschaftssitzen von Albertini, Capol, Mont, Travers, Ortenstein, Paspels, Buol von Rietberg und Jecklin von Realta, Blumental von Rodels, der von Planta, Salis, Conradi zu Fürstenau, Sils und Baldenstein. «Besuche, welche man abteilungsweise mit den Zöglingen in angesehenen Häusern zu machen gedenkt, so wie die Besuche so mancher Fremden zu Reichenau selbst, müssen notwendig die äussere Bildung der Zöglinge um vieles befördern helfen.» Tscharner sah es als Empfehlung für das Seminar, in einem Schloss untergebracht zu sein; die Nähe zu Adelskreisen und der gesellschaftliche Umgang mit ihnen mochte sich für den Zulauf der Schule und die Laufbahn der Schüler als nützlich erweisen.
7 — Im Prospekt vom 2. April 1793 schildert Tscharner die vorteilhafte geografische Lage des Schlosses, als Empfehlung für die neue Erziehungs- und Schulanstalt.
Die Beobachtung des regen Handels mit Fuhrwägen und Saumpferden und auf Flössen den Rhein hinunter – so der Prospekt – könne jenen Knaben, «welche zu der Handlung bestimmt sind», mancherlei Kenntnisse vermitteln. «Endlich bietet auch die im Schlosse angelegte Speditions- und Handlungsschreibstube den diesem Fache gewidmeten Zöglingen die Gelegenheit dar, nach Massgabe der vorfallenden Geschäften sich praktisch zu bilden, und bei erforderlichem Fleiss und Talenten, es so weit zu bringen, dass sie nach Vollendung eines hinlänglichen Curses in dieser Anstalt sich in dem Falle befinden, zu kaufmännischen Geschäften brauchbar zu sein und sich anständig zu ernähren.»
Dieser Praxisbezug der Ausbildung, mit der man insbesondere Söhne reicher Kaufleute ködern wollte, liess sich jedoch nicht durchführen, weil es an einem geeigneten Lehrgang und der Bereitschaft der Speditions- und Handelsfirma Bavier fehlte, Schüler in ihrer Schreibstube zu betreuen. Ausserdem überlegten sich Kaufleute aus St. Gallen, Basel oder Zürich wohl, dass ihre Söhne in der Schule besser ein allgemeines Rüstzeug mitbekommen sollten, um später ins väterliche Kontor einzutreten, wo sie noch reichlich buchhalterische Kenntnisse und Erfahrung in ihrem künftigen Metier erwerben konnten.119
Tscharner, selber Vater von sechs Söhnen, versuchte sich in andere Väter zu versetzen, wenn er die gesunde und sonnige Lage des Schlosses Reichenau anpries, das gute Wasser, die reine Luft und den «geräumigen, bequemen Wohnplatz für Lehrer, Haushaltung und Zöglinge». In anderen Privatschulen war es verschiedentlich zu Epidemien gekommen, also war es für die Eltern künftiger Schüler wichtig zu wissen, dass in Reichenau alles getan wurde, um die Gesundheit der Kinder zu erhalten und zu kräftigen. «Für allfällige Kranke wird ein eigenes Krankenzimmer zugerichtet werden. Ein Arzt wird die Anstalt öfters besuchen und die nötige Vorsorge treffen, und eine Apotheke ist ohnehin bisher in Reichenau unterhalten worden.» Dazu führte Tscharner eine gesunde, reichhaltige Ernährung, Leibesübungen, Spaziergänge und luftige, grosse Schlafsäle an. «Mit Recht erwartet man die Angewöhnung zur Reinlichkeit und Ordnung von einer solchen Anstalt. Man wird mit Eifer darob halten.»
Bei den Mahlzeiten hob Tscharner hervor, dass morgens, mittags und abends Suppe und Brot gereicht werde, mittags Rindfleisch und ein bis zwei Beilagen, abends Kalbs- oder Schaffleisch und eine Beilage und zu beiden Mahlzeiten zwei Glas guten Land- oder ausländischen Wein. Dieses Getränk, das schon die zehnjährigen Knaben erhielten, galt als probates Mittel, der Gefährdung durch verunreinigtes Wasser zu entgehen.
Anders als in anderen Privatschulen wurden die Kinder in Reichenau alle gleich behandelt. Es wurde kein Unterschied zwischen den Söhnen eines Barons, Gutsherrn oder reichen Kaufmanns und jenen eines Stadtwachtmeisters aus Chur gemacht. Man fand sich nicht in der im heiligen römischen Reich deutscher Nation üblichen Zweiklassengesellschaft wieder, wo die einen Schüler ihre Angelegenheiten selber verrichteten, während andere zum Frisieren und Anziehen einen Diener zur Hand hatten. Ebenso wurden ihnen zunächst keine privaten Schlafräume oder abgesonderten Esssäle angeboten. Darin spürt man den Willen zur demokratischen Gesellschaft. In Reichenau sollte, wie schon in Haldenstein und Jenins, eine Gemeinschaft der Gleichberechtigten gelebt werden, und das wäre in Frage gestellt worden, wenn die Einen den Anderen ihrer Herkunft wegen bevorzugt worden wären.
In der Kleidung konnte ein Standesunterschied sichtbar werden, aber es gibt keine Anzeichen, dass dies Auswirkungen auf das Verhalten der Lehrer und der Schüler untereinander gehabt hätte. «Die Art der Kleider wird der Willkür der Eltern anheimgestellt; sie können solche modisch oder ländlich, kostbar oder gemein kleiden lassen; auch wird für einmal keine Uniform getragen. Nur wünscht man, dass die Knaben anständig, und mehr schön als prächtig gekleidet, besonders aber alle hinlänglich mit Weisszeug versehen würden, und wird solchen die Erinnerung gegeben, dass Kleider keine Leute machen. Man kann diesfalls in Reichenau mit allem Nötigen auf eine billige Weise versehen werden.»
Man achtete sogar darauf, dass alle Kinder annähernd gleich viel Taschengeld erhielten – ein oder zwei Taler –, das ihnen von der Schulleitung vierteljährlich ausgehändigt wurde und worüber sie genaue Rechnung abzulegen hatten. Im Kapitel «Erziehung zum Bürger» wird noch einmal darauf zurückgekommen.
Als Besonderheit des Seminars Reichenau betonte Tscharner schon am Anfang des Prospekts, dass reformierte und katholische Kinder gemeinsam erzogen würden. Dies werde dadurch begünstigt, dass die Eigentümergemeinschaft der Herrschaft und das Lehrerkollegium gemischt-konfessionell zusammengesetzt seien. Beiden Gruppen wurde Religionsunterricht in ihrer Konfession garantiert, den Katholiken eine sonntägliche Messe in der schlosseigenen Kapelle und an den Fastentagen Speisen nach Vorschriften des bischöflichen Ordinariats in Chur.
Noch bevor er den Unterricht im Einzelnen vorstellte, äusserte sich Tscharner ausführlich zum Thema «Aufsicht und Erziehung». Dabei wies er auf die grosse Erfahrung der Schulleitung hin.
«Diese Anstalt ist nicht neu, und läuft daher auch nicht die Gefahren, denen gemeiniglich jede neue Unternehmung ausgesetzt ist. Denn einerseits tritt der Herr Professor Nesemann mit Schülern in solche ein, welche bisher seinen Unterricht genossen haben. Andernteils wird die bisher zu Jenins gestandene Privaterziehungsanstalt, mit ihren Anlagen zu Bibliothek- und zu Natur-, Kunst- und Münzkabinett, so wie mit ihrer Einrichtung von Meritentafeln, Fleiss- und Tugendmarken, Ordensmedaillen, Landcharten, Kupfern etc. nach Reichenau hinübergebracht; auf diese Weise wird dieses öffentliche Kollegium nur eine Fortsetzung und Erweiterung zweier schon lange bestehender Privatanstalten sein, und schon Anfangs eine Anzahl wohlerzogener Knaben aus vornehmen und bürgerlichen Häusern aufweisen, welche den neuen Ankömmlingen zur Gesellschaft und zur Ermunterung dienen werden.»
Die «Meritentafeln, Fleiss- und Tugendmarken, Ordensmedaillen» waren Überbleibsel des philanthropinischen Erziehungsmodells von Johann Bernhard Basedow in Dessau und in Marschlins, das Tscharner in Jenins zur Ermunterung und Belohnung der Schüler wieder hatte aufleben lassen. In Reichenau wurden diese Mittel – wohl auf Nesemanns Bestreben, welcher den philanthropischen Neuerungen in Marschlins skeptisch gegenübergestanden war – nach 1795 wieder abgeschafft.120
Die Kinder sollten zu tugendhaftem Benehmen, äusserer Bildung und guter Lebensart, zur Leibesertüchtigung, Reinlichkeit und Ordnung erzogen werden und keine Stunde ohne Aufsicht bleiben. «Die Freistunden und Feiertage werden zu Spaziergängen und andern nützlichen körperlichen und Geistesergötzungen verwendet werden.» Zu den Freizeitbeschäftigungen zählten halbjährliche öffentliche Reden und die Aufführung von Schauspielen. Tscharner war es darum zu tun, zu zeigen, dass die Zeit im Seminar nicht unnütz vergeudet werde und Vielseitigkeit und Abwechslung die Eintönigkeit des Schulalltags durchbreche.
In den beiden Schlafsälen – für Katholiken und Protestanten getrennt – würden die Zöglinge in je eigenen Betten schlafen, überwacht durch einen Lehrer ihrer Konfession; es brenne in jedem Raum ein Licht. «Zu Verhütung aller Unanständigkeit wird vermittelst weiter Schlafröcken und leinerner Nachtbeinkleidern gesorgt.» Damit war auch dieser Punkt geklärt.
Abwechslung brachten auch die Unterrichtsfächer, die (im dritten Teil des Prospekts) aufgezählt wurden. «Jeder Zögling wird täglich 6 Stunden wissenschaftlichen Unterricht, und ungefähr 2 Stunden in Musik, Zeichnen etc. je nach eines jeden Bestimmung und Fähigkeit, erhalten.» Dabei würden die Eltern und das Talent des Kindes bestimmen, was es lernen solle. Angeboten wurden:
a. Die reformierte und evangelische Glaubenslehre
b. Die römisch-katholische Glaubens- und Sittenlehre
c. Die allgemeine philosophische Moral
d. Schönschreiben und richtige Orthographie, in allen zu erlernenden Sprachen
e. Die Rechenkunst – einfache und doppelte Buchhaltung
f. Theoretische Handlungswissenschaft
g. Sprachen: – Deutsch, Latein, Französisch, Italienisch, Englisch; auch auf besonderes Verlangen: Griechisch, Hebräisch, und unser rhätisches Romansch
h. Geographie und Statistik
i. Historie; die allgemeine und die besondere Staatsgeschichte von Bünden, der Schweiz, Italien, Deutschland, Frankreich etc.
k. Naturgeschichte und Naturlehre
l. Reine Mathesis, nebst praktischer Feld- und Körperausmessung
m. Wenn hinlängliche Liebhaber sich finden, auch einige Theile der angewandten Mathematik
n. Briefstyl und Redekunst
o. Haus- und Landwirtschaft
p. Logik
q. Vokal- und Instrumentalmusik
r. Zeichnen
s. Nach Umständen Tanzen und Fechten
Im vierten Teil des Prospekts wurden unter dem Titel «ökonomische Einrichtung» die übrigen Leistungen des Seminars festgehalten, damit die Eltern unbesorgt um das Wohlergehen ihrer Kinder bleiben konnten:
«6. Alle Jahre werden die bestimmten 14tägigen Sommervakanzen dazu verwendet werden, wie es schon zu Jenins geschah, 8- bis 14tägige Fussreisen mit den grössern und verdientem Zöglingen in die verschiedenen Landschaften Bündens, so wie in die nächsten Teile der Schweiz, Italiens und Deutschlands zu machen. Körper und Geist gewinnen dabei.
Die Kleinern werden sich indessen mit kleinern und kurzen Reisen in die nächstumliegenden Orte begnügen.
7. Folgender Entwurf wird für hinlängliche Bedienung bürgen. Die Verwaltung der Haushaltung wird eine verständige Person übernehmen, und genugsame Dienerschaft unter sich haben. Die Bäckerei wird durch einen eigenen Bäcker, die Metzg durch einen eigenen Schlächter, und die Gärten durch einen eigenen Gärtner versehen. Die Wäsche wird auch besonderen Personen übergeben und die mangelhafte Kleidung und Schuhe zu bestimmten Zeiten von eigenen Schneidern und Schustern abgeholt. Zur Abwart und Bedienung der Zöglinge werden nach erforderndem Verhältnis derselben zwei oder mehrere männliche Aufwärter für die nötigen Dienstleistungen bestellt werden.»
Das Schulgeld belief sich auf einen halben Louisdor wöchentlich, worin alles inbegriffen war, auch die Schulbücher, Tinte, Feder und Papier, mit Ausnahme der jährlichen grossen Reisen, der Kosten des Schneiders, des Schuhmachers und des Unterrichts in Musik, Zeichnen, Fechten oder Tanzen.121
Personen, die sich für das Seminar Reichenau interessierten, Männer von Stand und Vermögen, waren über das geringe Schulgeld erstaunt, und es wundert kaum, dass sich schon nach einem halben Jahr ein Defizit abzeichnete und Tscharner am Essen und an den Lehrergehältern zu sparen versuchte. Das Schulgeld aber wurde nicht erhöht. Es sollte auch weniger reiche Eltern nicht davor abschrecken, ihre Söhne nach Reichenau zu geben. Man spürt bei den Projekten Tscharners, dass er kein Geschäftsmann war; seine Kalkulation war mehr von Idealismus und Optimismus als von Realismus geprägt. In einem Inserat für das Seminar Reichenau schrieb er, dass die Summe von 26 Louisdor jährlich
«gewiss jedermann höchst wohlfeil finden wird, wer den Nutzen dieser Anstalt und die Unkosten derselben zu berechnen versteht. Auch würde es unmöglich sein, mit dieser kleinen Pension alles das, was im Plan versprochen worden, und gewissenhaft erfüllt werden soll, auszuführen, wenn nicht die Herrschaft mit Hintansetzung von Interessspekulationen das Schloss, den Garten, und die Gelegenheit zur edelsten aller bürgerlichen Absichten – zur Erziehung der Jugend – zu verwenden beschlossen hätte, und solches grosse Kapital dieser Anstalt so gut als unentgeltlich zu statten käme, so wie die vielen Bemühungen mehrerer der ersten hierzu wirkender Männer, fern von Eigennutz unentgeltlich geleistet werden.»122
Dies brachte Tscharner mit anderen Teilhabern der Herrschaft schon bald in Konflikt, da nicht alle Mitglieder der Familie Bavier so grosszügig dachten, sondern die Spekulation auf «Interesse», also eine angemessene Verzinsung des eingebrachten Kapitals, für die Handels- und Speditionsfirma als ausschlaggebend ansahen.
Im sechsten Abschnitt des Prospekts ging es um die «Eigenheiten dieser Anstalt»:
1. Gemeinschaftliche Erziehung katholischer und protestantischer Christen, wodurch der Geist brüderlicher Liebe und Duldung von früher Jugend an eingeflösst wird; eine für die Schweiz und andere Staaten vermischter Religion besonders zu nehmende Rücksicht.
2. Die Vereinigung des theoretischen Unterrichts mit der Praxis in allen vorgedachten Wissenschaften, wie auch in der Kaufmannschaft und dem Landbau.
3. Versorgung der Jünglinge mit allen zum Gebrauch nötigen Büchern, Kupfern, Instrumenten, Papier etc. zufolge oben bestimmter jährlichen Pension. Sie finden bei ihrer Ankunft augenblicklich und immer das Beste, was sie für ihren Unterricht brauchen und den Eltern werden dadurch grosse und meistens überflüssige Ausgaben erspart.
4. Es wird von der Mehrheit der Eltern die Verfügung abhängen, ob die Zöglinge im Winter und bei schlechtem Wetter die Freistunden zu Erlernung eines nützlichen Handwerks anwenden sollen, wie es in einigen der neuesten Anstalten geübt wird, sowohl um etwas Nützliches zu lernen, als um sich zu einer Zeit Bewegung zu geben, wenn das Wetter die gewohnten Übungen nicht gestattet.
Alle halbe Jahre, im Mai und im November, sollten öffentliche Prüfungen abgehalten und den Eltern oder Vormündern ausführliche tabellarische Zeugnisse über das Betragen und die Fortschritte ihrer Kinder zugesandt werden.
Bezeichnend ist, wie stark dieser Prospekt und die folgenden bis 1795 hervorheben, dass sich das Seminar in einem herrschaftlichen Schloss befinde, in der Nähe anderer Schlösser und Adelsgeschlechter, mit denen die Schüler bekannt gemacht würden, um von ihnen Lebensart und Umgangsformen zu lernen. Obwohl Tscharner bereitwillig Söhne von Grossbauern und Kaufleuten aufnahm, sollte Reichenau sich auch als Schule für die Bündner Aristokratie präsentieren, deren Nachwuchs all das geboten würde, was in seiner adligen Gesellschaft nützlich sein konnte: ausser den politischen Ämtern und Redeübungen auch Musik, Zeichnen, Fechten und Tanzen. Das ist kein Zufall.
Tscharner, der gemeinhin als Demokrat ohne ständische Vorurteile galt, sich selber auch so sah und herkunftsmässige Privilegien und Titel tadelte, war auf seine patrizische Vergangenheit stolz, einen Amtsadel, der sich in die Mitte des 16.Jahrhunderts zurückführen liess.123 Er befasste sich gern mit seinem Stammbaum und seiner Familiengeschichte, die belegen sollte, dass seine Familie sehr wohl neben jener der Barone und Freiherren von Salis bestehen konnte.124
In einer Rückblende auf die Kindheit evozierte Tscharner seine Aversion gegen zwei seiner Mitschüler im Seminar Haldenstein, Söhne des Barons von Haldenstein, die sich besser dünkten als andere, und rechtfertigte dann, wieso er selber angefangen habe, sich «von» zu nennen, «in manchen meiner Schriften alle mögliche Titul häufte, in den Ankauf der Herrschaft Reichenau mit einstand, sogar auf ihre mithinige ganze Erwerbung dachte, mir das Prädikat von Aspermont (das vom Hause Guler zu Jenins an mich gekommen, Schlossruine ob Jenins) und von Planaterra (dem wahrscheinlichen Namen unsers Sitzes zu Chur beim untern Tor) beilegte, 125 und schon eine Zeichnung zu einem Wappen entwarf, worin alle diese Titul ausgedruckt wären». Er habe dies nicht aus Anmassung getan, sondern um den anderen Bündner Geschlechtern nicht nachstehen zu müssen und, falls Bünden von Habsburg unterworfen worden wäre, seinen Söhnen eine Laufbahn in österreichischem Dienst oder als Offizier vorzubereiten.126