Читать книгу Die Kunst vom Wahn- und Wahrsagen - Wiebke Friese - Страница 17

Alles Lüge? Von Drogen und geheimen Dämpfen

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Antike Quellen berichten, dass die Pythia den Zustand der Inspiration nicht nur durch die Dämpfe der Erdspalte, sondern auch durch das Kauen von Lorbeerblättern und das Trinken des Wassers der heiligen Kastaliaquelle herbeiführte – doch lässt sich dies wissenschaftlich bisher nicht beweisen. Zu Beginn des 20. Jhs. unternahm Professor Österreich sogar einen Selbstversuch, indem er eine sehr große Menge Lorbeerblätter kaute. Er musste jedoch enttäuscht feststellen, dass er sich „nicht mehr als üblich inspiriert“ fühlte. Auch das angeblich inspirierende Wasser der Kastaliaquelle wurde untersucht – jedoch ohne nennenswerte Ergebnisse. Bleiben die Dämpfe der legendären Erdspalte: Besonders römische Quellen berichten, dass das adyton des delphischen Tempels tiefer lag als das Laufniveau der übrigen Cella und dass sich darin eine Felsspalte befand, aus der Dämpfe entwichen, mittels derer sich die Pythia in Trance versetzten konnte. Doch keine der zahlreichen Grabungskampagnen im Inneren des Tempels konnte diese Aussagen bestätigen. Die letzten Untersuchungen ergaben zwar, dass der Bodenbelag der Cella durchaus wenige Meter tiefer gelegen haben könnte und vermutlich durch eine Mauer von der vorderen Cella abgetrennt war, Anzeichen einer Felsspalte ließen sich in dem unübersichtlichen Areal aus hinabgestürzten Baublöcken und anstehendem Felsen jedoch keine erkennen. Dies veranlasste die Forschung bis vor kurzem, die Trance der Pythia als Hirngespinst der antiken Autoren oder als bewusst in Umlauf gebrachtes werbewirksames Gerücht der delphischen Priester abzutun.

Neuere, seit den 1980er Jahren durchgeführte geoarchäologische Untersuchungen scheinen jedoch das Gegenteil zu beweisen. Im Osten und Westen des Tempels weisen oberflächliche Gesteinsfugen auf eine unterirdische tektonische Störung, die so genannte Delphistörung, hin, die quer über den Südhang des Parnass und vermutlich direkt unter dem Tempel verlief. Eine zweite Störung, „Kernastörung“ genannt, verläuft von Nordwesten nach Südosten und schneidet die Delphistörung direkt unterhalb des adytons. Der Boden über einer solchen Störung und noch mehr an der Schnittstelle zweier dieser Phänomene ist besonders durchlässig für Wasser und Gase. Da sich diese Austritte einerseits in der Folge von Erdbeben verschieben, andererseits aber durch Ablagerungen von Kalkspat im Laufe der Jahrhunderte verschließen können, ist es durchaus möglich, dass das in der Antike aktive Naturphänomen heutzutage nicht mehr sichtbar ist. Zudem kann Gas wie Wasser aus sehr schmalen Öffnungen aus dem Boden austreten, so dass man nicht unbedingt nach einer deutlich sichtbaren Erdspalte zu suchen braucht. Die delphischen Bruchzonen reichen bis in die Kalksteinschichten hinab, wo durch die ständigen tektonischen Bewegungen so viel Reibungswärme erzeugt wird, dass bituminöse Substanzen teilweise verdampfen und durch feine Risse im Gestein an die Oberfläche treten können. Welche Substanzen an dieser Stelle zutage traten, ist allerdings umstritten. Natürliche bituminöse Gase, die sich in den Gesteinsproben der Tempelumgebung ablagerten, sind Methan und Ethan, ein Zersetzungsprodukt von Ethylen. Zusätzlich trat vermutlich flüchtiger Kohlenwasserstoff zutage. Da Ethylen ein bis in die 1950er Jahre als Anästhetikum viel genutztes Gas war, plädierten der Geologe Jelle de Boer, der Archäologe John Hale und der Toxikologe Harald Spiller für Ethylen als dasjenige, das in erhöhter Konzentration aus dem Boden austrat und die Pythia in Trance versetzte. Bei Überdosierung kann dieses Gas einen an Raserei erinnernden Anfall auslösen – ganz ähnlich dem von Plutarch beschriebenen Anfall der Pythia. Die Existenz der Erdspalte von Delphi dürfte damit bewiesen sein.

Die Kunst vom Wahn- und Wahrsagen

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