Читать книгу Im Sparadies der Friseure - Wiglaf Droste - Страница 15
Einfach nur so
ОглавлениеIm Bahnhof kaufte ich gewohnheitsgemäß ein paar Ansichtskarten. Obwohl sie zum sofortigen Gebrauch bestimmt waren, steckte die Verkäuferin sie in eine Papiertüte, die sich als Werbeträger erwies. Blau auf weiß waren ein Brot, drei Semmeln, ein Croissant und eine Brezel auf die Tüte gedruckt. Darüber stand zu lesen: »Diese Backwaren sind mit glühender Leidenschaft gebacken.« Am unteren Ende der Tüte wurde die Leidenschaft abgerundet, aufgefangen und, wie man in Grafik-Designersprech formulieren würde, gleichsam abgebunden: »Wir lieben Lebensmittel. Edeka.« Muss es denn immer gleich Liebe sein?
Neu ist das Wühlen in großen Gefühlen zum Zwecke der Reklame nicht. Bereits in den 1960er Jahren hieß es: »Autos lieben Shell.« Der US-amerikanische Anarchist Jerry Rubin kommentierte das in seinem Buch »Do it!« damals so: »Wie kann ich sagen ›Ich liebe dich‹, nachdem ich las, ›Autos lieben Shell‹?« Das klingt nicht nur auf den ersten Blick ins Buch hin nach ausgestellter seelischer Tiefseetaucherei – es ist auch auf den zweiten Eindruck bloß Geklingel. Gottegott, der arme Kerl, denkt man sich; so sensibel ist der, dass ihn ein Werbespruch für Benzin gleich der Liebesausdrucksfähigkeit beraubt! Wer liebt, wird sich nicht durch PR-Prahlerei davon abhalten lassen. Selbstverständlich ist der Dauermissbrauch schöner und großer Worte zugunsten des stets schnöde genannten, aber allseits doch sehr geliebten Profits eine Angelegenheit von schäbiger Anmutung; Jerry Rubin indes litt nicht lange unter seinem Problem mit dem »Ich liebe dich«-Sagen und sattelte zügig vom Anarchisten zum Börsenmakler um. Soviel zu Wert und Haltbarkeit von Revoluzzerpathos.
In der Bahnhofshalle, gleich gegenüber, sah ich eine Filiale der Aufback-Kette »Le Cro Bag«. Dort sprach man zwar nicht sofort – im Sinne von »Sofortkontakt« jetzt – von Liebe, hatte aber ebenfalls jede Menge inneres Feuer im Angebot. Ein Reimwerker hatte sich an die Arbeit begeben:
»Mit Ohlàlà gemacht
Frisch in den Ofen gebracht
Zum Knuspern gedacht
Le Cro Bag
Cross & gut.«
Cross? Kross mit K ist schon seltsam, die Kunstvokabel soll wohl so etwas wie knusprig bedeuten, aber dieses Wort war ja schon im Dreizeiler weggeknuspert worden. Also Cross mit C – wie Moto Cross? Oder wie Le Croissant? Was aber, um gutmütig und gutmütterlich in der Sprache zu bleiben, war dann mit La Baguette?
An einem »Le Cro Bag«-Stand, der allerdings »coffee spot« hieß, was auch Kaffeefleck bedeutet und an dem es »Coffee to go« gab, jene böse Plörre, die nur mit Kaffee zum Davonlaufen übersetzbar ist, las ich: »Leidenschaftlich locker! Unser Butter-Croissant.« Da war sie wieder, die Leidenschaft, die auch schon im Hause Edeka glomm, glühte, loderte und explodierte. Es war zum Fürchten: Wer will schon eine Backware zu sich nehmen, in die zuvor jede Menge fremder Menschen ihre gesamte Leidenschaft hineingepumpt hatten? In die all ihre Liebe hineingeschwappt und -geflossen war? Das latent spermatöse Simulationsgetöse war doch eher anstrengend und wirkte stark appetitzügelnd.
Beim Betrachten junger, aggressiver Testosteronbolzen ächzt alle Welt händeringend: Wo kommt er nur her, all dieser Hass? Bei Lebensmitteln stellt sich die Frage andersherum: Wo kommt sie nur her, all diese Liebe, diese angebliche, ausgestellte und somit inexistent 150prozentige Gefühligkeit? Und müssen »Le Cro Bag« und Edeka sich ihre Leidenschaft eigentlich teilen? Oder hat jeder von ihnen seine eigene?
Von dieser Art Fragen restgültig in die Flucht geschlagen, sprang ich auf den Zug und schrieb eine Ansichtskarte an einen alten Freund. Es war erholsam, eine freundlich-emphatische Sache zu tun, der man nicht gleich Liebe oder Leidenschaft attestieren oder unterstellen musste. Sondern die aus dem besten aller möglichen Gründe getan wurde: einfach nur so.