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Warum ich kein Hypochonder geworden bin

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Hypochonder? Ich weiß nicht, was das sein soll – das Wort klingt in meinen Ohren wie eine Mischung aus HypoVereinsbank und Expander; von beidem verstehe ich nichts. Der Kluge, das etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache, klärt mich auf: »Person mit unbegründeten Krankheitsvorstellungen. Rückbildung zu hypochondrisch‚ schwermütig (zunächst nur über Männer gesagt, im Gegensatz zu [weiblich] hysterisch). Es geht zurück auf griechisch hypochóndrios‚ unterhalb des Brustknorpels liegend. (…) Nach antiker Auffassung saßen die Gemütskrankheiten im Unterleib.« Ich will nicht klüger als der Kluge sein, sondern den Sachverhalt vielmehr in meinen eigenen Worten bestätigen: Sitz der Seele ist die Möse / Ohne Liebe wird sie böse.

Schon allein deshalb möchte man doch kein Hypochonder sein, kein männlicher Hysteriker, der in zwanghafter Selbstbeobachtung Krankheiten an sich entdeckt, egal, ob er sie hat oder nicht oder ob er sie von all der Einbildung erst bekommt. Hans Christian Andersen litt an solchen Krankheitsphantastereien; Eckhard Henscheid konstatierte an sich, als er vor Jahren das Rauchen aufgab, die Stoffwechselumstellungsfolgekrankheiten gleich en gros. Was die unterdessen erfolgte Generaleinführung des Rauchverbots aus sogenannten volksgesundheitlichen Gründen in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt: Was ist gewonnen, wenn aus Millionen von schmaddrigen Teerabhustern Millionen von Nervenbündeln werden, die 147 oder 159 neue Krankheiten an sich diagnostizieren, und die ihre Entdeckungen ja auch nicht für sich behalten, sondern sie ohne jede Rücksicht auf Kamerad Mitmensch ausjallern?

Über Krankheiten reden ist etwas für Kranke oder für Leute, die sonst nichts oder nichts mehr haben, mit dem sie sich spreizen und wichtig machen können. Mit bedeutungsgesättigter Miene und Stimme sitzen sie da und reißen Gespräche an sich, um die vom Arzt erstellte Diagnose langatmig, dabei jedes einzelne Wort zäh malmend und auskostend wiederzukäuen und die Zeit eben nicht gnädig ruckzuck totzuschlagen, sondern streckfolternd zu zerquälen. Der Arzt, selbstverständlich eine Kapazität auf seinem Gebiet, findet gerade ihren Fall ganz besonders speziell und hochinteressant, und dann muss man stundenlange Amateurmedizinermonologe und Selbstdiagnoseexpertisen über sich ergehen lassen. Selbstverständlich gibt es eingebildete Kranke; es kommt aber eben auch häufig vor, dass einer durch Krankheit erst eingebildet wird.

Nach einem unfreiwillig durchlittenen Vortrag über Heimtücke und Gefahr von Zeckenbiss, vulgo Borreliose, stand ich auf, beugte mich über den Siechtum simulierenden Sprecher, brachte meinen Mund an sein rechtes Ohr und flüsterte nach Art Marlon Brandos im ersten Teil von Francis Ford Coppolas »Paten«, also gedehnt und wie mit tamponierten Backentaschen: »Es ist mir eine Ehre, für Sie zu arbeiten, Don Borreliose … Wissen Sie, ich brauche Schutz … für meine Familie … Nur Sie in Ihrer unendlichen Güte können ihn gewähren, mi Padrino, nur Sie allein, Don, Don Borreliose ...!« Es nützte nichts; der Auswalzertänzer seiner eigenen Krankengeschichte ließ sich das Heft des Laberns nicht mehr aus der Hand nehmen.

Es gibt viele gute Gründe, kein Hypochonder zu sein. Der wichtigste ist dieser überlegen-ironische Blick, den manche Frauen aufsetzen, wenn ein Mann tatsächlich krank ist. Sie haben dann dieses implizite »Ja, ja, der Ärmste, er hat mal wieder nichts« in den Augen; die Unterstellung, ein Mann mache per se und qua Geschlecht aus einer leicht verschnupften Mücke einen krebskranken Elefanten, während Frauen an und für sich und überhaupt ja sowas von tapfer seien. Als letzte Trumpfkarte spielen sie ihr Frausein aus: »Und überhaupt, du kannst gar nicht mitreden, du hast noch nie ein Kind bekommen!« Allein um solchem Passionspathos zu entgehen, stelle ich mich lieber gesund als krank oder tot.

Hypochonder? Schon das Wort ist ohne Liebreiz. Es spricht sich mit unangenehm rachigem »ch« – manche, vor allem die der deutschen Sprache abholden Insassen Bayerns, sagen allerdings »Hypokonder«, so wie sie China »Kina« nennen. Hypokonder reimt sich auf Anakonda, also auf Würgeschlange, und das war’s dann auch schon. Das Breitreifenbayerische hat sich noch nicht zum Mitglied der Menschensprachenfamilie entwickelt, sondern entstammt noch direkt dem rückwärtsgewandten Teil einer muffigen Lederhose. In Bayern nennen sie das, auch anatomisch verblüffend, Mundart.

Angesichts einer mit Hypochondern und Simulanten vollgeprengelten Welt ziehe ich es vor, das Gegenteil eines Hypochonders zu sein: ein stoischer Ärztevermeider, der sich nicht in Behandlung begibt, sondern sagt: »Ach, das ist doch nichts, das vergeht schon«, und am Ende wird es dann richtig blöd. Aber was soll ich machen? Stil zählt mehr als Gesundheit.

Im Sparadies der Friseure

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