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Von der Schneekatastrophe zum Gaskrieg
ОглавлениеIn Deutschland war Winter. Das hatte es lange nicht gegeben; in den Krawallmedien, die Anfang 2009 die bedauerliche Tatsache ihrer 25-jährigen Existenz als Grund zum Feiern missverstanden, kommt längst kein Winter mehr vor. Sondern stattdessen: »Schnee-Chaos!« Oder, noch Bild-kompatibler: »Schnee-Katastrophe!« Was ins Deutsche zurückübersetzt bedeutet, dass man vielleicht die Scheiben seines Autos freikratzen oder eine Viertelstunde lang auf einen Zug warten muss.
Dann aber kam tatsächlich ein Winter, und mit dem eisigen Wind aus den sibirischen Lagern bekam man, ebenfalls aus Russland, eine weitere und offenbar hoch willkommene Hiobsbotschaft frei Haus geliefert: den Gas-Krieg. Russland und die Ukraine befinden sich schon lange in einem Streit, der medial als Duell in Szene gesetzt wird: Moskau gegen Kiew, Gazprom gegen Naftogaz, Putin versus Timoschenko. Von »Gas-Diebstahl« war die Rede, auch die Europäische Union hatte viel dazu zu sagen. Als in einigen Ländern das Gas knapp zu werden drohte, wurde der eigentlich strafrechtlich relevante Vorwurf der ökonomischen »Geiselnahme« erhoben.
In Deutschland hätte man ein paar seltene, angenehm verlangsamte Wintertage genießen können. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Michael Glos betonte mit bernhardinerhafter Jovialität: »Deutschlands Wohnzimmer bleiben warm.« Doch ohne Schreckensszenarien scheint vielen das Leben keinen rechten Spaß zu machen. In den Redaktionen der Vulgärmedien malt man sich also Katastrophen aus. Katastrophen sind die »Sissy«-Romane des Journalismus, sie kosten nichts und erzielen große Wirkungen beim Publikum.
Darf sich Europa, darf sich Deutschland, dürfen WIR uns von Russland erpressen lassen? – So fragen Leitartikler, und man weiß wieder, warum und wofür Kriege geführt werden und weshalb deutsche Soldaten in Afghanistan schon mal üben. Menschenrechte sind ein gut klingender Vorwand für wirtschaftliche Interessen, und in mancher Schreibtisch- und Laptop-Existenz liegt viel kriegerisches Potential verborgen. Zwar ist niemand bedroht in Deutschland, doch genügt es, sich das vorzustellen und sich in die Rolle eines Großstrategen hineinzuphantasieren.
Mir aber gefiel es, den rhetorischen Katastrophismus auszublenden und einfach den Winter einen Winter sein zu lassen. Durch knackende Kälte zu stapfen und sich anschließend am Feuer zu wärmen, ist eine archaische Lust. In der Sauna zu schwitzen und sich im frischen Schnee zu wälzen, beschert animalische Freude und bärenhaftes, großes Glück. Man ahnt, wie frei Bruno sich gefühlt haben muss, bevor er genau deshalb abgeknallt wurde – nicht zu vergessen, wo: im sogenannten Freistaat Bayern.