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Dieser extrem dürre Mensch in seinem langen schwarzen Kapuzenmantel mit seiner fahlen Gesichtshaut, seinen ergrauten schütteren Haaren und grauen Augen sah aus wie ein abgestorbener Baum mit nur noch wenigen trockenen Ästen. Er wartete auf seine Chance. Eine Chance, auf die er so viele Jahre gewartet hatte. Er wollte den Auftrag zu Ende führen, den er im Kloster Santo Thomás in Avila von seinem Prior erhalten hatte, persönlich gesprochen im Namen des Großinquisitors von Spanien, Robert Bellarmin.

Der Racheengel, als den sich der Dominikanermönch gern selbst sah, bezog seinen Posten unter der ausladenden Linde an der Südseite des Braunschweiger Doms. Längst war es finstere Nacht geworden an diesem ungemütlich nasskalten Apriltag.

Die Braunschweiger hatten im Zuge der Reformation die Dominikaner schon vor Jahrzehnten vertrieben und ihr Kloster damit aufgelöst. Vielleicht trug der Mönch für sein Vorhaben deshalb trotzig das Ordensgewand der Dominikaner, allerdings ohne den sonst obligatorischen weißen Überwurf. Er wollte von seinem Opfer nicht vorzeitig entdeckt werden. Die Armbrust verbarg er mit der linken Hand unter dem Mantel. Das war zu dieser Stunde eigentlich unnötig, denn keine Menschenseele trieb sich mehr in den Gassen herum.

Es war dem Mönch seinerzeit zwar gelungen, Don Miguel zu Tode foltern zu lassen, seine Kinder Sarah und Alfonso aber hatte er aus den Augen verloren. Auch die von der Inquisition geforderten Dokumente hatte er nicht beschaffen können. Eine Niederlage, die er nicht verwinden konnte.

So war er also nach Hamburg gegangen. Er hatte gewusst, dass Don Miguel vorgehabt hatte, seinen Bruder Juan Salomon dort aufzusuchen. Vielleicht würden die Kinder auch eines Tages dort auftauchen, nahm er an. Jahrelang war nichts geschehen. Er hatte es geschafft, sich an Juan Salomon heranzutasten und tatsächlich eine Anstellung als Schreiber in seinem Handelskontor zu bekommen. Mit der Zeit hatte er sich mit seinem Schicksal arrangiert. Er hatte sogar geheiratet und war Vater eines Sohnes geworden. Niemand hatte auch nur geahnt, dass er Dominikanermönch war. Die Mutter seines Kindes war bei dessen Geburt gestorben. Uriel war daher zunächst in einem Heim untergebracht worden. Später hatte der Mönch eine Haushälterin eingestellt, die auch seinen Sohn betreute: ein in sich gekehrter Knabe, der nach und nach, genauso verblendet wie sein Vater, zu seinem willigen Instrument wurde. So hatte er seinen Sohn von Zeit zu Zeit nach Amsterdam zu Don Manuel Isaak, dem zweiten Bruder Don Miguels geschickt, um herauszufinden, ob Sarah und Alfonso dort aufgetaucht waren. Das aber war nie der Fall gewesen.

Dennoch hatte er jedes Jahr einen Brief an den Großinquisitor von Spanien, Bellarmin, auf den Weg gebracht, in dem er versicherte, nicht ruhen zu wollen, bevor sein Auftrag ausgeführt sei. Regelmäßig hatte er auch eine zustimmende Antwort und einen kleinen Geldbetrag für seine Auslagen bekommen.

Der Mönch konnte nicht wissen, dass schon lange nur der Sekretär sein Briefpartner war und nicht etwa Bellarmin persönlich, auch wenn der Großinquisitor scheinbar unterschrieben hatte. Immerhin: Zu den Akten wollte man die Sache offenbar noch nicht legen. Selbst die Inquisition hatte Ausdauer.

Der Mönch fand die Gewohnheiten Alfonsos schnell heraus. Zwar war er selbst beim Grafen in Lucklum zu Gast. Der Pfarrer der Dörfer, die zum Gut gehörten, hatte das eingefädelt. Aber hin und wieder kam er, natürlich in „Zivil“, in die Stadt. Er fand heraus, dass Alfonso wochentags nach seiner Tätigkeit als Prokurist bei der Druckerei Duncker eine Witwe aufsuchte – wohl seine Geliebte. Auf dem Rückweg kam er dann immer um Punkt zehn Uhr am Dom und an der Linde vorbei. Genau hier sollte er nun ins Jenseits befördert werden.

„Ich werde ihn mit einem Schuss töten und später werden auch die anderen Gottlosen büßen“, zischte der Mönch lauter als beabsichtigt in die Dunkelheit. Die Familienverhältnisse von Alfonso und Sarah hatte er schnell herausfinden können. Mutter, du wärst stolz auf deinen Engel gewesen, sagte er sich in Gedanken.

Seine Mutter hatte ihn kurioserweise Engel genannt, obwohl er ohnehin den Namen des Erzengels Gabriel führte. Sein brutaler Vater hatte von ihm indes immer nur als „Das Kind“ gesprochen.

Der Plan war klar: Der Graf hatte sich, nach allem, was geschehen war, bereitwillig in die Machenschaften des Dominikanermönchs einbinden lassen. Er hatte sich großzügig gezeigt, indem er die Wachen am Magnitor mit einem Betrag bestechen ließ, den sie nicht ablehnen konnten. Sie sollten einen Mönch in schwarzer Kutte um ungefähr eine Viertelstunde nach zehn Uhr ungehindert passieren lassen. Nur wenige hundert Meter weiter hatte der Graf einen Knecht mit den Pferden postiert.

Die Uhr des Doms zählte ihre zehn Schläge in die Nacht. Der Mönch wurde langsam unruhig. Wo ist er? Verdammt! Wieso kommt er heute zu spät? Der Nachtwächter kommt nur zehn Minuten nach diesem Bastard auf seiner Runde hier vorbei, schwirrte es ihm im Kopf herum.

Alfonso war allerdings nur wenig verspätet. Den Kragen seines Umhangs wegen des nasskalten Wetters hochgeschlagen, ging er wie immer auf direktem Wege in Richtung Linde – und damit seinem Schicksal entgegen.

Der Dominikanermönch spannte die Armbrust und legte einen Bolzen ein. Alfonso würde so dicht an seinem Mörder herankommen, dass ein Fehlschuss unmöglich war.

Der Nachtwächter indes war in der Ferne schon zu hören. Ausgerüstet war er mit einer Kurzwaffe, einer Laterne, einem Signalhorn und einer hölzernen Knarre. In einem Notfall würde er die Bürger alarmieren.

Die ihre Seele töten

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