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Hoch droben auf dem Berg

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Genug für heut, Herr Hofer? Genug Krieg und genug Nachkrieg? Wenn ich das so genau wüßte. Wer immer und genau weiß, was er tut, der tut Abgelegtes, Vergangenes: der tut im Grunde nichts Neues, Zukunftsweisendes.

Du machst dich, Karl.

Gell? Aber das haben Sie mir alles beigebracht. Natürlich auch noch einige andere: aber in der Hauptsache Sie. Wußten Sie eigentlich, Herr Hofer, daß ich in der Burg, in dem Gefängnis einem Gesangverein angehörte?

Du hast es mir gesagt!

Ich weiß schon, daß ich nicht singen kann. Hab da halt mitgebrummelt ... Es war ein großer Chor, ein reiner Männerchor. Wir haben uns im Erdgeschoß in der Mitte unter der Kanzel getroffen. Der Dirigent kam von draußen, aber ich glaube nicht, daß ihm der Unterschied klar war zwischen hier und draußen oder daß er in uns andere Leute sah als die draußen. Er war in seiner Sache vollkommen versunken. Wir haben alle Lieder durchgemacht von Nord bis Süd und von Ost bis West. Und es gab da ein Lied – ich glaube das hieß »Hoch droben auf dem Berg« oder so ähnlich. Wir haben dann hinterher in den Zellen immer gesungen: Hoch droben auf dem Berg, gleich hinter den vergitterten Fenstern, da saß ich ein Jahr ...

Hoffentlich hat mich jetzt niemand gehört.

Und wenn?

Freilich, ich weiß; bei einem Sonderling wie mir ist das ja völlig normal. Unnormal wäre das Gegenteil. Sie haben mir viele Dinge gesagt, Herr Hofer, das meiste habe ich vergessen. Es gibt aber auch Sprüche und Sätze, die verstehe ich erst jetzt – oder ich sehe sie mir erst jetzt genauer an. Von Ihnen weiß ich den Namen Hölderlin – ein schwäbischer Dichter, haben Sie gesagt, in Tübingen in geistiger Umnachtung verstorben. Tübingen, Herr Hofer .... Ja, da warst du auch damals, Karl. Aber wieder zu Hölderlin – ich möchte ihn schon einmal selber lesen. Doch bis jetzt getraue ich es mir nicht. Sie haben mir Gedichte von Friedrich vorgelesen, und ich habe ein paar Zeilen behalten. In einem Gedicht wendet er sich an jemand über ihm: an Gott oder an Götter und beklagt sein eigenes Leben. Und dann wünscht er sich so zu leben wie die Götter – nur »einmal« – mehr will er nicht. Und mehr braucht es auch nicht, meint er. Und das habe ich mir jetzt überlegt: Der Hitler, der hat doch gelebt wie ein Gott. Er ist angebetet worden; man ist ihm gefolgt – überall hin. Was kann er noch mehr wollen? Wo soll es ihm noch besser gehen im Weltall: wo kann er noch mehr angebetet werden oder wo könnte man ihm noch mehr folgen wie im Krieg in Deutschland? Herr Hofer, Sie schweigen?

Karl – Friedrich, Fritz –, das verstehst du noch nicht.

Hoffentlich! Wenn da aber etwas Wahres dran ist, Herr Hofer – ist das nicht furchtbar?

Es ist furchtbar, so oder so! Die Nazis haben auch Hölderlin gelesen – und ihn mißverstanden.

Der Sonderling

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