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Morgens um sieben war Martin abgeschlafft. Er verließ seinen Posten und fühlte sich wie ein Deserteur. Der glänzende Pilot war ein miserabler Autofahrer. Er nahm ein Taxi, das ihn zur 57. Straße brachte. Hier hatte er eine komplette Junggesellenwohnung gemietet. Es war schierer Luxus, aber wenigstens eines der Betten, in denen er schlief, sollte sein eigenes sein.

»Halten Sie vor dem Haus mit dem Baldachin«, sagte er zu dem Fahrer, bezahlte und stieg aus.

Er ging mit unsicheren Schritten zum Lift, schleppte die Müdigkeit mit sich herum wie einen Sack Zement. Sonst wirkte nach tagelanger Abwesenheit seine Wohnung immer abgestanden, aber heute war sie gut durchlüftet und dazu noch von einem verlockenden Duft überlagert: sie roch nach Brenda.

Er riß die Zimmertür auf.

Sie kam ihm lächelnd entgegen. Fast wäre er ihr ohne sein Zutun in die Arme gefallen.

»Ich bin’s wirklich«, sagte sie. »Entschuldige, daß ich bei dir eingedrungen bin.«

»Wenn du schon da bist«, erwiderte Martin lächelnd, »dann könntest du auch gleich bleiben.«

»Darüber läßt sich reden«, entgegnete sie und sah skeptisch in sein von den Strapazen plissiertes Gesicht. »Ist etwas passiert?« fragte sie besorgt.

»Nein, gar nichts«, versetzte er.

»Mein Urlaub hat schon begonnen«, wechselte Brenda das Thema. »Und wie steht’s mit deinem?«

»Schlecht«, brummte er.

»Du gehst jetzt unter die Dusche, und dann schläfst du dich aus«, sagte sie.

»Du bist ganz schön herrschsüchtig«, konterte Martin.

»Kann mir schon vorstellen, wie du dich als meine Frau benehmen wirst.«

»Soll das ein Antrag sein?« fragte Brenda.

»Du wirst doch eines Mannes Müdigkeit nicht ausnutzen wollen?« grinste er.

Er zog Brenda an sich. Sie wich ihm nicht aus. Ihr Puls schlug in seinen Händen. Er spürte die Sehnsucht wie eine Stichflamme.

Sie machte sich behutsam von ihm frei. »Ich übernehme die Telefonwache«, versprach Brenda Martin.

Er schlief sofort ein. Als er erwachte, sah er benommen in moosgrüne Augen und rötliche Haare. Alles verschwamm vor seinem Blick, bis er Brendas Lippen spürte. Und da wußte er endgültig, daß er nicht träumte.

»Wie spät?« fragte er.

»15 Uhr«, antwortete sie.

»Höchste Eisenbahn.« Er sprang aus dem Bett, ging ans Telefon.

»Diese langweiligen einfarbigen Pyjamas wirst du dir abgewöhnen müssen«, rief ihm Brenda nach.

»Du willst es wohl gestreift oder getupft?« Er grinste breit. »Du möchtest einen Tiger im Haus?«

Brenda wollte den Wohnraum verlassen, um nicht Zuhörerin des Telefongesprächs zu werden. Aber er gab ihr einen Wink, dazubleiben. Er wählte ohne richtig hinzusehen eine endlose Nummer.

»Hallo, hier New York«, begrüßte er seine Mutter. »Was gibt es Neues in Klingenberg?«

»Hast du deinen Kuchen bekommen?« fragte sie.

»Aber ja«, schwindelte er. »Und auch schon aufgegessen.«

»Soll ich dir wieder einen backen?«

»Nein, bitte keinen Kuchen«, sagte er rasch.

»Was möchtest du dann?« Sie blieb hartnäckig.

»Vielleicht ein bißchen fränkischen Leberpressack«, antwortete er, um ihr den Gefallen zu tun.

»Geht morgen ab.«

»Aber bitte nicht so viel«, lachte Martin.

Brenda sprach ganz gut deutsch, aber diesem Zwiegespräch belangloser Zärtlichkeit konnte sie kaum folgen. Sie sah nur, wie es aus seinem Gesicht die Falten und Kerben schrubbte.

»Gute Nachricht, Mutschka«, sagte er. »In zehn Tagen bin ich wieder da. Mit Rücksicht auf ihre deutschen Aktionäre hat die Jet-Air in diesem Jahr ihre Hauptversammlung nach Frankfurt verlegt. Was sagst du dazu?«

»In zehn Tagen erst?«

»Und dann hab’ ich noch eine Überraschung!« Martin hatte spontan beschlossen, seine Mutter auf Brenda vorzubereiten. »Ich bring’ dir jemanden mit.«

»Einen Freund?«

»Nein«, entgegnete er gespielt beiläufig. »Eine Freundin.«

Die Leitung blieb stumm; seiner Mutter mußte es die Stimme verschlagen haben.

»Sieh’ sie dir mal an, Mutschka«, sagte er. »Vielleicht ist es die Richtige.« Bevor er auflegte, wünschte er ihr noch ›Gute Nacht‹, obwohl er genau wußte, daß er sie um den Schlaf gebracht hatte.

»Mit wem hast du gesprochen?« fragte Brenda.

»Mit der Frau, mit der du dich demnächst auseinandersetzen mußt.« Mit einem schadenfrohen Lächeln fügte er hinzu: »Dabei wünsche ich dir schon im voraus viel Glück.«

»Deiner Mutter?«

Er nickte: »Und da gibt’s auch noch zwei Katzen«, sagte er.

»Stimmt das mit der Hauptversammlung?«

»Ja«, bestätigte er. »Wir machen dann Zwischenstation auf dem Weg nach Venedig … und zwischendurch Hochzeit.«

»Langsam«, erwiderte Brenda ernsthaft. »Dazu gehören zwei.«

»Nein«, versetzte Martin übermütig. »Drei. Und ich kann dir jetzt schon sagen, wie du es anstellst. Am besten redest du meine Mutter gleich mit ihrem Kosenamen an. Und dann sagst du: ›Liebe Mutschka, ich will Ihnen Ihren großen Jungen gar nicht wegnehmen. Ich will nur dafür sorgen, daß Sie ganz schnell Enkelkinder bekommen. Wir werden versuchen uns zu beeilen.«

»Du bist albern«, antwortete sie.

»Nein, verliebt«, sagte er, und das hörte Brenda wieder gern.

»Außerdem habe ich Hunger«, fuhr Martin übergangslos fort. »Und zwar auf etwas Handfestes.«

Er meldete Jet-Air, wo er in den nächsten Stunden zu erreichen sei. Dann gingen sie auf den Sauerkraut-Boulevard, das deutsche Viertel rund um die 86. Straße. Sie landeten im ›Jagerhoüse‹, einem Restaurant mit einem großen, hohen Saal, ringsum mit Holz verkleidet und mit wertvollen Bildern bestückt. Der Pianist spielte Wiener Lieder. Das Eisbein schmeckte nicht wie in Berlin, das Bier nicht wie in München, die Bratwürstel nicht wie in Nürnberg – dafür aber speiste das Heimweh mit.

Das ›Jagerhouse‹ war gut besucht, Martin und Brenda nahmen die anderen Gäste gar nicht wahr; sie hatten nur Augen füreinander.

»Die Sache ist die«, begann er umständlich. »Eigentlich habe ich ja meine wilden Jahre hinter mir.« Er verlor den Faden und entschloß sich zum Direktangriff. »Himmel, was soll ich lange reden«, schimpfte er, »ich hab’ dich einfach lieb.«

»Ich fürchte, mir geht’s genauso«, erwiderte Brenda.

»Dann ist ja alles in bester Ordnung. Wenn jetzt nur nicht dieses dämliche Schlamassel bei der Jet-Air wäre – ausgerechnet jetzt!«

»Der Spuk ist sicher bald vorbei«, tröstete ihn Brenda.

»Das hoffe ich. Vielleicht übertreibt auch mein Freund Larry«, sagte Martin und lächelte spöttisch. »Ein Bankier sieht nur Geld. Ein Arzt nur Krankheiten. Ein Pastor nur Sünden –«

»– und ein Blinder sieht gar nichts«, ergänzte Larry Merx, der unbemerkt hinzugetreten war und die letzten Worte gehört hatte.

»Deine Auftritte sitzen«, kommentierte Martin launig. Er stellte seinen Freund vor. »Wir können ruhig über alles reden«, sagte er, »ich hab’ mit Brenda ein Abkommen getroffen, daß –«

»Ich weiß«, versetzte der FBI-Spezialist knapp. »Miß Fairday hat gestern ein Angebot ihres Verlegers abgelehnt, eine Reportage über Flugzeug-Entführungen zu schreiben.«

»Sie sind wohl allwissend«, stellte Brenda fest.

»Nur vorsichtig«, antwortete Larry bescheiden.

»Wir haben Tony Forthman gefunden. Deinen früheren Lieblingsschüler. Ganz schön abgerutscht, der Mann. Hascht, säuft, treibt sich mit Gangstern herum.«

Martins gute Laune trübte sich.

»Das ist leider noch nicht alles. Er erteilt Verbrechern theoretischen Flugunterricht. Bei einer heimlichen Hausdurchsuchung haben wir eine komplette Passagier-Liste gefunden.« Larry ließ Martin Zeit, diese Nachrichten zu verarbeiten. Dann fuhr er fort: »Du mußt mir helfen. Ich bin überzeugt, daß der Weg zu den Banditen über Tony Forthman führt. Natürlich könnte ich mir den Burschen greifen und in die Zange nehmen. Aber dabei kommt kaum etwas heraus, davon ganz abgesehen, daß die Hintermänner vorzeitig gewarnt werden.«

Der Ober brachte die Speisekarte. Der FBI-Experte winkte ab. »Man müßte versuchen, privat an ihn heranzukommen. Gibt es jemand bei dir, mit dem sich dieser Tony angefreundet hat?«

»Angefreundet ist zuviel«, antwortete Martin. »Er war einige Zeit hinter Peggy her, wie ein Hund hinter dem falschen Hasen. Sie ist unsere Chefstewardeß«, erläuterte er, »und soeben mit mir vom Frankfurt-Trip zurückgekommen. Ein modernes Mädchen. Sehr selbständig. Macht gerade ihren Blindflugschein als Sportpilotin, als ob die Abenteuer auf ihren Langstreckenflügen nicht ausreichen würden –« Mitten im Satz brach er ab, begriff, daß er schon zuviel gesagt hatte. Er verstand nicht viel von Larrys Job, aber er befürchtete zu Recht, daß der Freund Peggy als Köder mißbrauchen könnte.

»Weiter«, bat Larry.

»Was willst du eigentlich von dem Mädchen?«

»Ich möchte vielleicht mit Peggys Hilfe versuchen, eine Katastrophe zu vermeiden.«

»Sie ist mit einem unserer Ingenieure verlobt«, erwiderte der Chefpilot. »Eigentlich sollte sie längst verheiratet sein. Sie konnte sich nur nicht von ihrem Beruf trennen und –«

»Wir werden sie fragen«, unterbrach ihn Larry. »Es soll ihre freie Entscheidung sein.«

»Freie Entscheidung ist gut«, versetzte Martin gereizt. »Die Antwort kann ich dir jetzt schon sagen –«

»Dann ist Peggy die Richtige«, entgegnete Larry.

Hölle am Himmel

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