Читать книгу Hölle am Himmel - Will Berthold - Страница 4
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ОглавлениеDer Frühling ließ sich nicht lumpen. Schon der Morgen zeigte sich von seiner besten Seite, und eine rötliche Sonne stand am Horizont. Sie spiegelte sich silbern auf den Jet-Riesen, die auf Frankfurts Rhein-Main-Flughafen zum Frühstart bereitstanden. Mit ihren mächtigen Schwingen und ihren gedrungenen Rümpfen sahen sie aus, als duckten sie sich ungeduldig vor dem Sprung über den großen Teich.
Aus allen Richtungen gingen Schönwettermeldungen ein. Der Tag war wie geschaffen für den Luftverkehr, und Martin Nobis, der deutsche Flugkapitän und Chefpilot der Jet-Air-Intercontinental sah mit einem Blick auf die Wetterkarte, daß ihn die Sonne bis New York begleiten würde. Sein Jet-Riese sollte als erster um 6 Uhr 59 nach Übersee starten. Er war bereits 71 Minuten früher auf dem Flughafen eingetroffen. Überpünktlichkeit war für ihn ein Gesetz, auch wenn es bedeutete, daß seine Mutter vor Tag und Tau aufstehen mußte, um ihn nach Frankfurt zu fahren.
Es war natürlich schierer Unfug, aber das konnte er allen klarmachen, nur nicht der alten Dame selbst. Sie war noch hartnäkkiger als er. Außerdem wußte er, wie sehr er nach der Trennung ihren liebenswerten Eigensinn vermißte.
Er war ein Mann von dreiundvierzig, der kein Gramm Ballast an seinem Körper duldete. In sein Gesicht hatten sich die Abenteuer des Lebens wie Keilschrift eingeritzt. Schon auf den ersten Blick wirkte er wie ein Mann mit Mumm.
Der Flugkapitän hatte die Startvorbereitungen überprüft. Nun blieben ihm noch ein paar Minuten für einen Vorgang, der nicht auf der Check-Liste stand.
»Komm, Mutschka«, sagte er zu seiner Begleiterin, »ich bring’ dich zum Wagen.« Er legte den Arm um ihre Schultern, zog die kleine Frau leicht an sich. Aus der Entfernung sahen sie nicht aus wie Mutter und Sohn, sie glichen eher einem Liebespaar, das vor dem Abflug noch ein wenig Zärtlichkeit herausschinden wollte.
»Ist es schon soweit?« fragte die zierliche Frau. Sie war über sechzig, hatte die Figur einer Dreißigjährigen; ihr schmales Gesicht, beherrscht von lebhaften Augen, wirkte beinahe alterlos. Sie trug Schuhe mit hohen Absätzen, wie immer. Für den Morgen war sie ein wenig zu elegant gekleidet, aber ein Hauch Extravaganz gehörte zu ihrer Persönlichkeit.
Sie gingen nebeneinander zum Parkplatz, ganz langsam, als könnten sie die Zeit betrügen. Mutter und Sohn sahen sich häufig, aber immer nur kurz. Und sie hatten nie gelernt, rasch voneinander Abschied zu nehmen.
»Paß auf dich auf, mein Kleiner«, sagte Maria Nobis zu Martin, der sie um gut drei Kopflängen überragte.
Sie umarmte ihn, glitt behende in den Wagen, winkte ihm zu und startete stürmisch wie ein Mädchen. Martin stellte wieder einmal fest, wie jung seine Mutter geblieben war.
Es war 6 Uhr 41. Die Passagiere gingen gerade an Bord der Boeing 747, die den Namen ›Happy Day‹ führte. Die gutgelaunte Gesellschaft erwartete auch einen glücklichen Tag, Bob S. Greenhill vielleicht ausgenommen, dem vor dem Start immer das Flugverbot seines Hausarztes einfiel. Aber wann hätte der New Yorker Geschäftsmann schon einmal auf die Empfehlungen seiner Umwelt gehört?
6 Uhr 50. Die Bodentreppen wurden weggefahren, die Einstiegs-Luken geschlossen.
In diesem Moment platzte die angenehme Vorstellung von einem reibungslosen Luftverkehr.
Entführungsverdacht. Bombenalarm.
Nichts Neues in Frankfurt. Oder auf einem anderen Weltflughafen.
Der Prokurist einer Bank, der einen Geschäftsfreund aus Chicago abholen wollte, hatte auf der Toilette zufällig ein Gespräch mitgehört.
»Zwei Männer, vermutlich Ausländer«, meldete er aufgeregt dem amtierenden Flugleiter. »Bombe in der Maschine nach New York.«
»Aber in welcher?« fragte Müller zwo gequält. »Allein in der nächsten halben Stunde starten fünf.«
Es würde keine starten. Der Rhein-Main-Flughafen mußte zwangsläufig die Abflüge stoppen, bis alle Maschinen überprüft waren. Immer wieder gelang es Verrückten oder Verbrechern durch Bluff oder Bomben den Luftverkehr lahmzulegen.
Die Polizei rückte aus. Kriminalbeamte mischten sich unter die Passagiere. Die Feuerwehr hielt sich in Reserve. Zwei Notärzte standen bereit. Sprengstoff-Spezialisten wurden alarmiert.
Der Aufwand wirkte lächerlich, aber ein Versäumnis wäre tödlich.
Im letzten Moment gelang es, die New York-Passagiere der Lufthansa, der Panam, der BEA und der TWA am Flugsteig zurückzuhalten, aber die beinahe vollbesetzte Boeing 747 der Jet-Air-Intercontinental stand bereits mit laufenden Triebwerken auf der Rollbahn.
Im Cockpit duftete es nach Lack, Farbe und Leder. Der Jumbo, gestern in New York erstmals in Dienst gestellt, trat heute den Rückflug seiner Jungfernreise an. Eine solche Premiere nutzte der Chefpilot, um sich – zum Leidwesen seines Präsidenten Lovestone – vom Schreibtisch weg an den Steuerknüppel zu stehlen, zumal seine Mutter nur eine gute Autostunde von Frankfurt entfernt lebte.
Flugkapitän Nobis sah auf die Uhr. Die Starterlaubnis ließ auf sich warten. Ein Flughafen, der im Jahr viele Millionen Passagiere ›umsetzt‹, konnte sich auch nicht die kleinste Unpünktlichlichkeit leisten; dann drohte ein Chaos. Der Tower blieb stumm.
Flugkapitän Nobis griff zum Mikrofon.
»Jet-Air-Flug 99«, meldete er sich. »Was ist eigentlich los? Habt ihr uns vergessen oder macht ihr Frühstückspause?«
»Mitnichten«, antwortete der Mann ruhig. »Tut mir leid, aber Ihr Flug wird sich weiter verzögern.«
»Das hab’ ich gerne«, versetzte der Jumbo-Kommandant. Der deutsche Flugkapitän war nicht nur der Chefpilot seiner Linie, er saß seit einem Jahr auch als Vertreter des fliegenden Personals in ihrem Vorstand und war Sprecher von 751 Flugkapitänen, 913 Co-Piloten und 2 499 Stewardessen.
»Vielleicht wollen uns ein paar Herren der Wüste wieder einmal mit dem Nahost-Problem vertraut machen«, unkte der Co-Pilot.
»Oder ein Ehemuffel versucht seine hochversicherte Frau loszuwerden«, spöttelte der Bord-Ingenieur.
»Nein«, warf Peggy, die blonde Chefstewardeß ein, die alle Passagiere für eine Amerikanerin hielten, obwohl sie aus München stammte. »Ein frommer Räuber will zum Papst nach Rom.«
»Schluß damit!« sagte Nobis barsch; ihm lag diese Unterhaltung nicht. Alles war schon einmal dagewesen und konnte sich jederzeit wiederholen.
»Jet-Air-Flug 99«, meldete sich endlich der Mann im Turm wieder. »Wir schicken einen Bus für die Passagiere. Wir müssen Ihren Jumbo durchsuchen … Bombendrohung.«
Flugkapitän Nobis erhob sich.
Als Halbgott in Blau hätte er die Räumung der Maschine auf seinen Ersten Offizier abwälzen können. Aber der Mann, von dem eine berühmte US-Journalistin gesagt hatte, er könne länger fliegen als laufen – sein verstorbener Vater war ein Lufthansa-Pionier der ersten Stunde gewesen – erledigte wie immer die Dreckarbeit selbst.
»Wir haben eine kleine Verspätung, weil Manöver der NATO den Luftraum blockieren«, log er mit dem Charme des geborenen Verführers. »Ich darf Sie zu einem kleinen Frühstück in unsere Cafeteria einladen …«
Er schaffte den Auszug der Passagiere mühelos.
Ein VW-Transporter karrte Sprengstoff-Spezialisten heran. Sie begannen, den üppigen Jumbo mit elektronischen Suchgeräten abzutasten. Die Männer arbeiteten stumm und schnell, hatten angespannte Gesichter und wissende Hände, die vor den zurückgelassenen Taschen und Aktenmappen nicht haltmachten.
Martin Nobis nahm an, daß die Fluggäste in Kürze wieder an ihre Plätze zurückkehren dürften.
»Können Sie noch eine verspätete Passagierin an Bord nehmen?« fragte jemand von der Flugabfertigung.
»Von mir aus eine ganze Hammelherde«, knurrte Nobis. »Wenn sie stubenrein ist.«