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In diesem Jahr wurden allein auf der Nordatlantik-Route mehr als fünfzehn Millionen Passagiere erwartet, und der Massenansturm auf die Jet-Riesen hatte schon ungewöhnlich früh eingesetzt. Die Urlauber wollten die verbilligten Preise der Vorsaison nutzen. Diese stürmische Entwicklung brachte den Fluglinien volle Kassen und dem FBI-Mann Larry Merx ein kaum mehr zu bewältigendes Arbeitspensum.

Daß sein V-Mann Riccio durch einen Unfall ums Leben gekommen war, bevor er präzise Hinweise über die wiedererstandene Dossola-Gang geben konnte, betrachtete Larry als Mord, auch wenn er es nicht beweisen konnte. Der ›Igel‹ war zu unvorsichtig gewesen, und nun bangte der FBI-Spezialist um Peggy, seine letzte Trumpfkarte. Sie war in das drittklassige Hotel umgezogen, in dem Tony Forthman wohnte, aber ihre Situation wurde jeden Tag schwieriger, da sie sich, ohne Verdacht zu erregen, den Nachstellungen des verkrachten Piloten kaum mehr entziehen konnte. Sie hatte Larry die Nachricht zugespielt, daß der Mann tatsächlich beabsichtigte, im Auftrag einer Gangsterbande ein Passagier-Flugzeug zu entführen.

Aber wann? Und wo?

Der Anschlag konnte überall und zu jeder Zeit verübt werden. Womöglich war die Bedrohung der Jet-Air nur ein Ablenkungsmanöver, und das Attentat galt einer anderen Linie. In dieser trüben Lage gab es nur einen Lichtblick: Solange sich Forthman noch in New York aufhielt, blieb eine Galgenfrist.

Bald schon – und doch zu spät – erfuhr Larry, daß er einen verhängnisvollen Trugschluß gezogen hatte. Weil ein fantastischer Gangster-Plan jegliche Vorstellung überforderte.

Natürlich waren die Kontrollen bei der Abfertigung der Passagiere auf ein Höchstmaß verstärkt worden. Der zeitraubende Aufwand schien sich zu lohnen, denn immerhin hatte die Jet-Air seit Beginn dieser Sondermaßnahmen alle ihre Fluggäste sicher ans Ziel gebracht – und das waren Hunderttausende; täglich ungefähr 40000, die Bevölkerung einer mittleren Stadt.

Allein diese Zahl zeigte den FBI-Leuten ihre Grenzen. So sehr sie sich auch anstrengten, das Einschmuggeln von Pistolen, Handgranaten oder gar Bomben zu verhindern, diese Blockade blieb praktisch nur Stückwerk, konnte nie lückenlos sein. Die Polizei und die Zollbeamten durften keine Panik unter den Passagieren hervorrufen, keine stundenlangen Verspätungen verschulden. Sie durften nicht alle Passagiere in die kleinen Nebenräume bitten, um sie nackt zu durchsuchen – bei früheren Flugzeugentführungen hatten die Täter Waffen im intimen Bereich versteckt.

Der Jet-Air-Flug 111 von New York nach Frankfurt war schon vier Tage vor dem Start ausgebucht. 41 weitere Anwärter standen auf der Warteliste. Eigentlich war es das gleiche Bild wie bei allen Abflügen, nur die Bordgesellschaft des Jumbo ›Happy Day‹ war diesmal illustrer. Unter den Passagieren würde sich fast der ganze Vorstand der Fluglinie befinden, der auch zur Aktionärs-Hauptversammlung nach Frankfurt mußte. Der Chefpilot Nobis nutzte diese Gelegenheit, den Riesenvogel selbst zu lenken. Brenda würde ihn begleiten, und sie planten, den Europa-Flug als Hochzeitsreise fortzusetzen.

Auf der Passagierliste standen weiterhin: hohe kirchliche Würdenträger aller Konfessionen, auf der Rückreise von einem Bibel-Kongreß in New York, ein französischer Modeschöpfer mit vier Top-Mannequins, drei US-Senatoren und bekannte Industrielle aus fast allen europäischen Ländern, die in den Staaten zu Handelsgesprächen zusammengekommen waren.

Im letzten Moment schaltete sich auch noch das State-Department mit einem sehr heiklen Wunsch ein: Ein bekannter Atomwissenschaftler hatte sich im letzten Moment entschlossen, an einer Nuklear-Tagung in Wien teilzunehmen. Der Mann war eitel und wollte ein wenig gefeiert werden. Da er ein Geheimnisträger ersten Ranges war, bat die US-Regierung ihre Bundespolizei, dem Mann einen unauffälligen Reisebegleiter mitzugeben.

Unter normalen Umständen hätte sich Larry Merx einem solchen Vorschlag erbittert widersetzt, da die FBI-Tätigkeit grundsätzlich auf amerikanisches Territorium beschränkt ist. Aber in diesem Fall war er erleichtert, daß er seinen Assistenten Mike Blower als bewaffneten Privatmann in den Jumbo schmuggeln konnte.

Der Start war für 7 Uhr 59 angesetzt, und das bedeutete, daß sich die Passagiere wegen der verschärften Kontrollen mindestens eine Stunde früher auf dem Kennedy-Airport einzufinden hatten. Eine gemischte Gesellschaft: Prominente neben Namenlosen, viele Mütter mit Kindern.

Die Kleinen boten den Polizeibeamten am wenigsten Probleme. Auch die Senatoren durften die Sperre ohne Kontrolle passieren. Eine weitere Erleichterung stellten auch die Stammgäste der Jet-Air dar, Leute wie zum Beispiel Bob S. Greenhill, ein bekannter Finanzier, der sich ein Haus an der Sutton-Place leisten konnte. Als Abzeichen seiner beruflichen Tüchtigkeit führte er stets ein kleines Diktiergerät bei sich. Die Bedenken gegen ihn waren weniger polizeilicher als gesundheitlicher Art: Man wußte, daß der Mann herzkrank war und Höhenflüge schlecht vertrug. Die meisten Reisenden merkten nicht, daß sie elektronisch nach Waffen abgetastet wurden. Trugen sie Metall am Körper, gab das Spezialgerät Warnsignale. Seit die Luftpiraten dazu übergegangen waren, Plastikwaffen zu verwenden, konnten freilich diese unsichtbaren Argusaugen versagen.

Der Mann, der jetzt die Sperre passierte, war hager, hatte kleine Hechtaugen und eine fast dolchartige Nase. Automatisch verglichen zwei Polizeibeamte sein Gesicht mit dem Foto des untergetauchten Gangsters Dossola. Keine Ähnlichkeit. Der Passagier zeigte einen brandneuen Diplomatenpaß vor, der ihn als Henry Smith auswies.

»Gott, ist der häßlich«, raunte ein Beamter seinem Kollegen zu. »Dachte immer, die verwenden bei unseren Botschaften nur so geschliffene Burschen wie Rock Hudson.«

Um 7 Uhr 45 war der Jumbo ›Happy Day‹ voll besetzt. Die Stewardessen kümmerten sich um die Passagiere und schufen sofort eine behagliche Atmosphäre. Nur Bob S. Greenhill beachtete die hübschen Mädchen nicht. Um seine Nerven zu bekämpfen, zählte er sie. Es waren 13 – die Unglückszahl.

»Ladys und Gentleman«, sprach eine Stewardeß in das Mikrofon: »Im Namen unseres Flugkapitäns Nobis und seiner Crew darf ich Sie begrüßen und Ihnen einen angenehmen Flug wünschen.«

Es hörte sich an, als käme die Stimme vom Tonband, aber das hätte sich die Jet-Air so wenig erlaubt, wie Speisen aus der Konservendose, es sei denn, ein Häppchen Kaviar – jährlich insgesamt vier Tonnen.

Zu dieser frühen Stunde ging es am Himmel bereits lebhaft zu. Der letzte Mittwoch des Monats Mai versprach, ein Rekordtag für den Luftverkehr zu werden. Und in den Zeitungen, die von den flotten Stewardessen des Jumbos ›Happy Day‹ angeboten wurden, konnten die Passagiere lesen, daß dank der strikten Sicherheitsmaßnahmen die Zahl der Flugzeugentführungen zurückgegangen war.

Die Boeing 747 startete auf die Minute pünktlich um 7 Uhr 59 in New York. Ausgebucht bis auf den letzten Platz. Beladen bis an die Grenze des zulässigen Höchstgewichts. Der Jumbo, Spezialanfertigung für die Jet-Air-Intercontinental, mußte erst viele Tonnen Treibstoff durch die Düsentriebwerke jagen, bevor er auf 12000 Meter Höhe kam. Dann schwenkte er auf die vorgeschriebene Luftstraße ein und nahm Kurs auf Frankfurt. Jim, der Erste Offizier, gab die Position an die Bodenstation durch. Er trug ein Sonntags-Gesicht, denn für ihn sollte dieser Flug ein letzter Test vor seiner Ernennung zum Captain sein.

Um zehn Uhr war die Welt am Himmel noch in Ordnung. Keine Verspätung. Kein Unfall. Keine Panne. Und schon gar kein Alarmruf. Chefpilot Nobis hatte seine Armbanduhr bereits auf Mitteleuropäische Zeit umgestellt; sie zeigte 16 Uhr an, und das hieß, daß er gegen 21 Uhr in der Main-Metropole landen würde.

In fünf Stunden. Mutschka würde ihn abholen. Wie immer. Aber zum erstenmal war er nicht allein. Und diesmal würde es eine für ihn entscheidende Begegnung werden; eine Zwischenlandung, die vermutlich eine Art Endstation für Martin bedeutete. Würden sich Brenda, seine zukünftige Frau, und die alte Dame vertragen? Immer wieder probte er in Gedanken das Zusammentreffen, das sicher nicht so unproblematisch verlaufen würde, wie dieser Jet-Air-Flug 111.

Nach zwei Stunden Flugzeit erhob sich der Diplomat Smith von einem Sessel in der Ersten-Klasse-Kabine und stieg über die Wendeltreppe nach oben in die Lounge. Er nahm an der Bar einen Drink, rauchte eine Zigarette und nickte einem anderen Passagier zu wie einem flüchtigen Bekannten.

Smith, alias Dossola, sah auf die Uhr.

Er wartete noch zwei Minuten.

Dann erhob er sich und ging auf die Cockpit-Tür zu. Mit diesen Schritten wurden die Insassen des Jumbo einem ungewissen Schicksal ausgeliefert. Aus einer simplen Atlantik-Überquerung, auf acht Stunden programmiert, sollte ein Flug in die Hölle werden.

An der Art, wie die Cockpit-Tür aufgerissen wurde, erkannte der Flugkapitän, daß es Scherereien geben würde.

»Guten Morgen, meine Herren«, sagte der Eindringling mit italo-amerikanischem Akzent.

Martin drehte sich unwillig um.

Schon im ersten Moment witterte er die Kälte, die von diesem verpfuschtem Typ ausging.

»Wer sind Sie?« fuhr er ihn an. »Und was haben Sie hier zu suchen?«

»Ich heiße Smith«, erwiderte der Unbekannte und schloß behutsam die Cockpit-Tür hinter sich. »Henry Smith. Ich möchte Sie bitten, mich vorübergehend als Ihren Chef zu betrachten.«

Er sprach wie ein Schurke, der einen Gentleman spielt; er hatte kleine, fischige Augen, schmale, blutleere Lippen, eine stark vorspringende Nase wie eine Messerspitze und Schnittnarben hinter beiden Ohren. Um sie zu bemerken, mußte man schon genau hinsehen, und dazu würde Martin künftig reichlich Gelegenheit haben.

»Entführung?« fragte er.

»Sie begreifen rasch«, erwiderte der Luftpirat. Der Mann war unbewaffnet, und Martin mußte seinen Co-Piloten Jim mit den Augen bremsen, sich nicht auf den Kidnapper zu stürzen.

Die Stunde X. Nicht unerwartet, doch überraschend. Sie hatten sie hundertmal am grünen Tisch erörtert und noch öfter im Sandkasten durchgespielt. Grundsätzlich stellte der Chefpilot Nobis seinen Flugkapitänen frei, das Cockpit während des Fluges zu verschließen; er selbst hielt nichts davon, denn eine Pistole, an die Schläfe einer Stewardeß oder einer anderen Geisel gesetzt, würde zwangsläufig die Tür aufsprengen. Die meisten Flugkapitäne schlossen sich freiwillig der Auffassung ihres Chefpiloten an, aber alle Meinungen waren bislang bloße Theorie geblieben. Nun begann die Praxis bereits mit der Frage, warum dieser sicherdreiste Halunke keine Waffe im Anschlag hielt.

»Ich muß Ihnen mitteilen, daß Sie bis auf weiteres die Toilette am Oberdeck nicht mehr benutzen können«, sagte der Luftpirat. Er lächelte schief; sein Mund wurde krumm wie ein Kleiderbügel. »Wir haben an diesem Örtchen eine Bombe eingebaut und können sie jederzeit auch aus der Ferne zünden … Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, wird Ihnen Ihre Bodenstation gleich das Modell unserer recht witzigen Höllenmaschine erläutern. Wir lassen gerade in Ihrem New Yorker Hauptquartier den Plan hinterlegen, und …«

»Was heißt wir?« erwiderte Martin gereizt. »Wie viele Entführer haben sich hier eigentlich eingeschlichen?«

»Fragen stelle ich«, erwiderte Mr. Smith. »Es sind zum Beispiel 73 Mütter mit 107 Kindern an Bord. Außerdem ein Kardinal, sechs Bischöfe, ein Oberrabbiner und zwei Patriarchen. Dazu tragen Sie als Kapitän die Verantwortung für drei US-Senatoren und mehrere bekannte Wissenschaftler. Glücklicherweise sind auch Herren Ihres Vorstands auf dem Weg zur Hauptversammlung an Bord; sogar Mr. Lovestone, Ihr Präsident. Außerdem eine ganze Reihe prominenter Wirtschaftsführer und natürlich auch Brenda Fairday, Ihre Verlobte, und …«

Der Mann kannte die Passagierliste besser als der Flugkapitän, und Martin erfaßte, daß er es weder mit einem Verrückten oder einem Amokläufer noch mit einem Einzeltäter zu tun hatte, sondern daß eine ganze Bande nach raffiniertem Plan vorging.

Seine Gefühle mußte er ausschalten; er hatte sich ausschließlich auf die Sicherheit der Passagiere einzustellen.

»Ich will unser Verhältnis nicht unnötig belasten«, fuhr der Gangster in seinem zynisch-höflichen Ton fort, »aber wir würden nicht zögern, diesen Jumbo in die Luft zu sprengen, falls Sie sich unseren Wünschen ernsthaft widersetzen sollten.«

»Was wollen Sie eigentlich, Sie Selbstmörder?«

»Das erfahren Sie gleich«, erwiderte Henry Smith. »Ich möchte nur, daß Sie von vornherein Ihre Situation richtig sehen. Entweder sind Sie schon bald wieder ein freier Mann – oder …«, er sprach betont nebensächlich, »vielleicht aber auch schon in zwei Minuten tot.«

»Sie aber auch«, zischte ihn Martin an.

»Wir haben nichts zu verlieren«, entgegnete der Pirat gelassen, »aber Millionen zu verdienen.«

»Ich beuge mich der Gewalt, so lange Sie nicht verlangen, daß ich die Flugbestimmungen verletze. Verstehen Sie denn überhaupt etwas von der Fliegerei?«

»Natürlich nicht soviel wie Sie«, sagte der Entführer, »aber genug, daß Sie mich nicht hinters Licht führen können.« Ein schräges Lächeln kroch langsam über sein Gesicht, von links nach rechts. »Im übrigen haben wir wohl ein gemeinsames Interesse am Überleben, nicht?«

»Zur Sache«, versetzte Martin Nobis. »Kann ich die Bombe sehen?«

»Das nicht«, sagte Smith. »Aber ich zeige Ihnen etwas anderes.« Er öffnete die Cockpit-Tür und winkte einen Komplizen herbei, der an der Bar saß: »Nun zeig mal den Herren deine Artillerie, Sandy!«

Der Mann schob sich heran, öffnete grinsend seine Jacke, präsentierte stolz eine Maschinenpistole. Chefpilot Nobis verwünschte die Magnetschranken bei der Abfertigungkontrolle, die auf Reißverschlüsse, Herzschrittmacher, Zahnprothesen, Sprungdeckeluhren, Stahlnägel in Hüftgelenken und auf Drahtbügel in den Büstenhaltern ansprechen, aber eine ganze Kollektion von Plastikwaffen passieren lassen.

»Ich glaube nicht, daß du dazu kommst, an Bord Schießübungen zu veranstalten, Sandy«, sagte der Anführer und gab seinem Gorilla einen Wink, Wache zu halten.

»Das ist nur einer meiner Leute«, erläuterte der Entführer, »keineswegs der einzige.« Er lächelte und entblößte dabei seine Zähne. »Falls Sie sich langweilen sollten, können Sie sich mit dem Rätsel befassen, wie viele von uns wirklich an Bord sind.« Er sprach, als leierte er einen fremden Text herunter. »Zunächst einmal stellen Sie den Sprechverkehr auf Lautsprecherbetrieb um«, befahl er. »Ich bin neugierig.« Er klappte den Stuhl neben dem Bordingenieur auf, setzte sich, betrachtete die Instrumente, sah auf seine Armbanduhr. »In etwa fünf Minuten werden Sie den Notruf für Entführung ausstrahlen und gleichzeitig Ihren Passagieren mitteilen, daß sie sich in unserer Gewalt befinden.«

Jack Dossola schlug seine Beine lässig übereinander und zündete sich eine Zigarette an. »Zur Beruhigung werde ich selbst ein paar Worte mit den Leuten sprechen. Zuvor aber möchte ich noch mit Ihrem Präsidenten über ein paar geschäftliche Dinge verhandeln.« Er wandte sich an den Co-Piloten. »Erheben Sie sich, junger Mann!«

Martin sah seinen Ersten Offizier scharf an, weil Jim dem arroganten Erpresser an die Kehle fahren wollte.

»Sie bitten Mr. Lovestone zu uns. Nur ihn. Und kein Wort von der Sache. Sandy wird Sie begleiten.« Er öffnete die Tür, winkte seinen Leibwächter heran: »Paß auf«, befahl er und deutete auf den Co-Piloten, »daß unser Freund keine Dummheiten macht. Andernfalls legst du ihn einfach um.«

Auf einmal hatte er seine eigene Sprache wiedergefunden.

Hölle am Himmel

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