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Den ärgsten Feind aufs Zärtlichste zu lieben

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Als Romeo und Julia sich zum ersten Mal begegnen, ist Romeo noch in Rosalinde verliebt, die seine Liebe jedoch nicht erwidert. Als er Julia trifft, ist es hingegen von beiden Seiten Liebe auf den ersten Blick. Ihre erste Begegnung findet bei einem Ball statt, zu dem Julias Familie, die Capulets, eingeladen haben, und auf den Romeo und seine Freunde maskiert als ungebetene Gäste eindringen. Das Familienoberhaupt der Capulets toleriert das wohlwollend, obwohl er Romeo als Familienmitglied der Montagues, seiner Todfeinde, erkennt. Julia erfährt von seiner Verwandtschaft erst, nachdem sie sich bereits in ihn verliebt hat. Die Verszeilen der ersten Unterhaltung zwischen Romeo und Julia ergeben zusammen ein Sonett.

ROMEO

O, sie nur lehrt den Kerzen, hell zu glühn!

Wie in dem Ohr des Mohren ein Rubin,

So hängt die holde Schönheit an den Wangen

Der Nacht; zu hoch, zu himmlisch dem Verlangen.

Sie stellt sich unter den Gespielen dar,

Als weiße Taub’ in einer Krähenschar.

Schließt sich der Tanz, so nah ich ihr: ein Drücken

Der zarten Hand soll meine Hand beglücken.

Liebt’ ich wohl je? Nein, schwör es ab, Gesicht!

Du sahst bis jetzt noch wahre Schönheit nicht.

[...]

Entweihet meine Hand verwegen dich,

O, Heil’genbild, so will ich’s lieblich büßen.

Zwei Pilger, neigen meine Lippen sich,

Den herben Druck im Kusse zu versüßen.

JULIA

Nein, Pilger, lege nichts der Hand zu Schulden

Für ihren sittsam-andachtvollen Gruß.

Der Heil’gen Rechte darf Berührung dulden,

Und Hand in Hand ist frommer Waller Kuß.

ROMEO

Hat nicht der Heil’ge Lippen wie der Waller?

JULIA

Ja, doch Gebet ist die Bestimmung aller.

ROMEO

O, so vergönne, teure Heil’ge, nun,

Daß auch die Lippen wie die Hände tun.

Voll Inbrunst beten sie zur dir: erhöre,

Daß Glaube nicht sich in Verzweiflung kehre.

JULIA

Du weißt, ein Heil’ger pflegt sich nicht zu regen,

Auch wenn er eine Bitte zugesteht.

ROMEO

So reg dich, Holde, nicht, wie Heil’ge pflegen,

Derweil mein Mund dir nimmt, was er erfleht. Er küßt sie.

Nun hat dein Mund ihn aller Sünd’ entbunden.

JULIA

So hat mein Mund zum Lohn sie für die Gunst?

ROMEO

Zum Lohn die Sünd’? O, Vorwurf süß erfunden!

Gebt sie zurück. Er küßt sie wieder.

JULIA

Ihr küßt recht nach der Kunst. [...]

Geh, frage, wie er heißt. Ist er vermählt,

So ist das Grab zum Brautbett mir erwählt. [...]

So ein’ge Lieb’ aus großem Haß entbrannt!

Ich sah zu früh, den ich zu spät erkannt.

O, Wunderwerk! Ich fühle mich getrieben,

Den ärgsten Feind aufs Zärtlichste zu lieben.

(I, 5)

Nach dem Ball verabschiedet Romeo sich eilig von seinen Freunden und kehrt zu Julias Haus zurück. Von Julia unbemerkt hört er, wie sie ihre Liebe zu ihm offenbart. Es folgt die berühmte »Balkonszene«, die unter dieser Bezeichnung bekannt geworden ist, obwohl Julia nach den Original Regieanweisungen Shakespeares »oben an einem Fenster« (»above at a window«) erscheint. In Verona gibt es heute sogar einen Julia-Balkon, in der Via Capello 23.

ROMEO

Doch still, was schimmert durch das Fenster dort?

Es ist der Ost, und Julia die Sonne!

Geh auf, du holde Sonn’! Töte den Mond,

Der neidisch ist und schon vor Grame bleich,

Daß du viel schöner bist, obwohl ihm dienend.

O, da er neidisch ist, so dien’ ihm nicht.

Nur Toren gehn in seiner blassen, kranken

Vestalentracht einher: wirf du sie ab!

Sie ist es, meine Göttin! Meine Liebe!

O, wüßte sie, daß sie es ist!

Sie spricht, doch sagt sie nichts: was schadet das?

Ihr Auge red’t, ich will ihm Antwort geben. –

Ich bin zu kühn, es redet nicht zu mir.

Ein Paar der schönsten Stern’ am ganzen Himmel

Wird ausgesandt und bittet Juliens Augen,

In ihren Kreisen unterdes zu funkeln. [...]

O, wie sie auf die Hand die Wange lehnt!

Wär ich der Handschuh doch auf dieser Hand

Und küßte diese Wange!

JULIA

Weh mir!

ROMEO

Horch! Sie spricht. O sprich noch einmal, holder Engel! [...]

JULIA

O Romeo, Romeo! Warum denn Romeo?

Verleugne deinen Vater! Deinen Namen!

Willst du das nicht, schwör dich zu meinem Liebsten,

Und ich bin länger keine Capulet!

ROMEO

Hör ich noch länger oder soll ich reden?

JULIA

Dein Nam’ ist nur mein Feind. Du bliebst du selbst,

Und wärst du auch kein Montague. Was ist

Denn Montague? Es ist nicht Hand, nicht Fuß,

Nicht Arm noch Antlitz, noch ein andrer Teil.

Was ist ein Name? Was uns Rose heißt,

Wie es auch hieße, würde lieblich duften.

So Romeo, wenn er auch anders hieße,

Er würde doch den köstlichen Gehalt

Bewahren, welcher sein ist ohne Titel.

O Romeo, leg deinen Namen ab,

Und für den Namen, der dein Selbst nicht ist,

Nimm meines ganz!

ROMEO

Ich nehme dich beim Wort!

Nenn Liebster mich, so bin ich neu getauft,

Und will hinfort nicht Romeo mehr sein.

JULIA

Wer bist du, der du, von der Nacht beschirmt,

Dich drängst in meines Herzen Rat?

ROMEO

Mit Namen

Weiß ich dir nicht zu sagen, wer ich bin.

Mein eig’ner Name, teure Heil’ge, wird,

Weil er dein Feind ist, von mir selbst gehaßt.

Hätt’ ich ihn schriftlich, so zerriss’ ich ihn.

JULIA

Mein Ohr trank keine hundert Worte noch

Von deinen Lippen, doch es kennt den Ton.

Bist du nicht Romeo, ein Montague?

ROMEO

Nein, Holde; keines, wenn dir eins mißfällt. [...]

Der Liebe leichte Schwingen tragen mich;

Kein steinern Bollwerk kann der Liebe wehren;

Und Liebe wagt, was irgend Liebe kann:

Drum hielten deine Vettern mich nicht auf.

JULIA

Wenn sie dich sehn, sie werden dich ermorden.

ROMEO

Ach, deine Augen drohn mir mehr Gefahr

Als zwanzig ihrer Schwerter; blick du freundlich,

So bin ich gegen ihren Haß gestählt. [...]

Liebst du mich nicht, so laß sie nur mich finden,

Durch ihren Haß zu sterben wär’ mir besser

Als ohne deine Liebe Lebensfrist. [...]

JULIA

Gut, schwöre nicht. Obwohl ich dein mich freue,

Freu ich mich nicht des Bundes dieser Nacht.

Er ist zu rasch, zu unbedacht, zu plötzlich;

Gleich allzu sehr dem Blitz, der nicht mehr ist,

Noch eh man sagen kann: es blitzt. Schlaf süß!

Des Sommers warmer Hauch kann diese Knospe

Der Liebe wohl zur schönen Blum entfalten,

Bis wir das nächste Mal uns wiedersehn.

Nun gute Nacht! So süße Ruh und Frieden,

Als mir im Busen wohnt, sei dir beschieden.

ROMEO

Ach, du verlässest mich so unbefriedigt?

JULIA

Was für eine Befriedigung begehrst du noch?

ROMEO

Gib deinen treuen Liebesschwur für meinen.

JULIA

Ich gab ihn dir, eh du darum gefleht.

Und doch, ich wollt’, er stünde noch zu geben.

ROMEO

Wollt’st du ihn mir entziehn? Wozu das, Liebe?

JULIA

Um unverstellt ihn dir zurückzugeben.

Allein ich wünsche, was ich habe, nur.

So grenzenlos ist meine Huld, die Liebe,

So tief ja wie das Meer. Je mehr ich gebe,

Je mehr auch hab’ ich: beides ist unendlich.

(II, 2)

Einfach Shakespeare

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