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ICH STELLTE MIR EINE PARTY VOR. Das fällt mir nicht schwer. Dieses Wort hat meine Fantasie immer zuverlässig in fabel hafte Gefilde geschickt, wie Eldorado.

Eine große Party. Sie fand in einem Haus im Marrenden Drive statt, eine Straße in Troon, nicht weit von Graithnock entfernt. Troon ist eine interessante schottische Kleinstadt. Lange hatte sie vor allem aus einer Werft bestanden. War aber außerdem ein belieb tes Seebad gewesen, das einige Betuchte zu ihrem Wohnort auserko ren hatten. Wie das meiste Schottische war sie daher vom Wesen her zwiespältig. Troon war gleichzeitig derb und vornehm. Besucher mussten die Derbheit selbst aufspüren. Das Vornehme war offensichtlicher. Einem Durchreisenden sei die Annahme verziehen, man habe die Möwen hier stubenrein erzogen.

Aber die bescheidene Vornehmheit spaltete sich ihrerseits in zwei Hälften, denn sie verbarg nicht nur den Umstand, dass die Menschen ein sehr viel härteres Leben führten, als der Ort vermuten ließ, sondern auch, dass es einige wenige von ihnen sehr viel leichter hatten als andere. Hier gab es beträchtlichen Wohlstand. Und am Marrenden Drive hatte er sich niedergelassen. In ihrer beinahe calvinistischen Ehrlichkeit wirkte die Straße wie ein geheimer und erstaunlich üppiger Garten, in dem Reichtümer unaufdringlich blühten und anschließend versteinerten.

Das Haus, in dem die Party stattgefunden hatte, war groß und befand sich auf einem Privatgrundstück. In jener Nacht musste es hell erleuchtet gewesen sein, wie eine Kleinstadt. Sein Besitzer war für eine gewisse verschwenderische Großzügigkeit bekannt. Er hieß Dave Lyons und hatte zahlreiche Geschäftsinteressen, wobei möglicherweise nur er wusste, welche. Abgesehen von dem Haus im Marrenden Drive, besaß er noch eines in Edinburgh, von dem aus er seinen Geschäften nachging. Auf der Party waren vielleicht sechzig oder siebzig Menschen gewesen. Die Gästeliste vielfältig. Dave Lyons war ein Selfmademan, der wie viele von uns in seiner Jugend mit dem Gedanken an Rebel lion gespielt hatte und bis heute lose Freundschaften zu Menschen aus allen möglichen gesellschaftlichen Bereichen pflegte. Die Party sollte Ausdruck seines sozial eklektischen Lebens mit all seinen disparaten Elementen sein, die sich in herzlicher Feieratmosphäre miteinander versöhnten.

Im Verlauf des Abends verteilten sich die Gäste im gesamten Haus, wie das häufig bei Partys so ist. Ein paar Leute standen in der Küche, gefangen in der Falle einer jener alkohollastigen Diskussionen über ein gerade höchst aktuelles Thema. Im Esszimmer pickten einige an den Resten des sehr beeindruckenden Buffets. Im geräumigen Wohnzimmer lief Musik und es wurde hemmungslos getanzt. Wer wusste schon so genau, was sich in den anderen Räumen abspielte. Oben, in dem von Dave Lyons so bezeichneten Fernsehzimmer, saßen vier oder fünf Leute und sahen eine Sendung. Sie schienen gar nicht zu bemerken, dass jemand hereingekommen war, sich hinter ihre Stühle stellte und das Geschehen auf dem Bildschirm über ihre Köpfe hinweg verfolgte. Nur das, was er wenig später machte, entging ihnen keineswegs.

Im Zimmer brannte kein Licht, nur der Fernseher flimmerte. Im friedlichen Halbdunkel, in dem Menschen mit Gläsern in den Händen entspannten, musste das Geschehen wie ein Luftangriff auf einen Badestrand gewirkt haben. Eine sehr große Kristallvase flog wie ein tödliches Geschoss über die Köpfe hinweg und knallte auf den Bildschirm. Der Fernseher, der auf einem übertrieben dekorativen Bein stand, kippte hintenüber, knallte auf den Boden, wo er Berichten zufolge mit einem nicht unmusikalischen Klirren seiner Eingeweide den Geist aufgab. Jemand ließ ein Glas fallen. Eine Frau schrie. Panische Bewegungen im Dunkeln, die an die Nachwirkungen eines Terroranschlags erinnerten. Jemand schaltete das Licht ein. Der Mann, der den Anwesenden wohlwollend zunickte, schien zu glauben, er nähme eine Parade zu seinen Ehren ab. Wie sich herausstellte, handelte es sich um Scott Laidlaw.

Den Treibstoff meiner Fantasie hatte Anna geliefert – vermittelt über John und Mhairi Strachan. Aber ich vermute, meine Vorstellung wich nicht allzu sehr von den Tatsachen ab. Anna hatte Mhairi den gesamten Abend anscheinend in allen lebhaften Details geschildert. Das Ganze habe sich ihr, wie Anna meinte, ins Gedächtnis gebrannt. Es musste gehörig Eindruck hinterlassen haben. Für Anna waren das dramatische Worte, ein sozialer Diskurs, der in meinen Augen normalerweise nicht authentischer wirkte als das Lächeln einer Stewardess. Sie hatte außerdem gesagt, das Ereignis habe für sie das Fass zum Überlaufen gebracht, und in diesem etwas weniger vollmundigen Satz glaubte ich den sonst von ihr gewohnten Tonfall wiederzuerkennen.

Anna hatte gewissenhaft sämtliche im Kontext relevanten Einzelheiten von Scotts sozialer Banausenhaftigkeit gesammelt und in aller Ausführlichkeit nicht nur vor Mhairi ausgebreitet. Ich dachte, dies entspringe vielleicht dem Bedürfnis nach Rechtfertigung, das Menschen zum absehbaren Ende einer Beziehung überfällt – wie ein Kundschafter, der die Nachfolgenden auffordert, die Flanken zu decken. Ich konnte mir vorstellen, wie sie die Runde gemacht hatte – ähnlich wie ich es bei Freunden erlebt hatte, die öffentlich Gericht über ihre früheren Bindungen hielten, um klarzustellen, dass es keinen Grund mehr gab, noch länger zusammenzubleiben.

Ich musste zugeben, dass sie nicht ganz unrecht hatte. Es schien, als hätte sie die Unmöglichkeit, mit Scott zusammenzuleben, in flagranti erwischt. Nachdem John Strachan mir die Geschichte erzählt hatte, blieben wir eine Weile schweigend in der Lounge des Bushfield Hotel sitzen. Er trank sein Bier, ich meinen Whisky. Scotts großspuriger Irrsinn war gleichermaßen faszinierend wie unverständlich. Vor meinem geistigen Auge spielte sich die Szene immer wieder ab, wie die Melodie einer durchgedrehten Fiddle – Laidlaws Abschied vom gesellschaftlichen Leben. Aber waren auch Worte gefallen? Was hatte sein Verhalten zu bedeuten?

»Dieser Dave Lyons«, sagte ich. »Hab schon von ihm gehört, aber nicht von Scott. Irgendwann haben Scott und Anna ihn wohl gemeinsam erwähnt. Hat Scott sich mit ihm überworfen?«

»Ich weiß es nicht. Ich habe gedacht, die beiden hätten sich früher besser gekannt, als sie noch jünger waren. Vielleicht war’s so eine Beziehung, die einfach aus Gewohnheit überlebt. Ohne dass die beiden noch wirklich wussten, warum.«

»Ich habe mich gefragt, weshalb Scott es auf den Fernseher abgesehen hatte. War er wegen Lyons’ Reichtum verbittert? Ein Fernseher scheint mir doch eine ziemlich schäbige Zielscheibe. Wer hat denn keinen? Ist nicht unbedingt das Erste, was man mit einem Rockefeller assoziiert.«

»Nein«, sagte John Strachan. »Damit bringt man niemanden auf die Barrikaden. Tod den unterdrückerischen Fernsehapparatbesitzern …«

»Kennst du ihn?«

»Dave Lyons? Hab ihn mal gesehen, aber persönlich nie kennengelernt.«

»Dann hast du auch keine Telefonnummer von ihm?«

John Strachan sah mich an und fing an zu lachen. Er schüttelte den Kopf.

»Ganz schön unverblümt. Was hast du vor? Anrufen und sagen: ›Hallo, es geht um Ihren kaputten Fernseher?‹«

»Nein«, sagte ich. »So schroff bin ich nicht. Ich würde anrufen und sagen: ›Hallo, schön, dass wir uns sprechen. Also, es geht um Ihren kaputten Fernseher.‹«

»Ach so, na dann ist ja gut«, sagte er. »Jetzt, wo ich das weiß, kann ich dir helfen. Ich kenne jemanden, der die Nummer haben müsste. Ich versuch’s mal.«

Er ging raus an das Münzetelefon im Flur und ich holte uns weitere Getränke an der Bar. Allmählich ging es hier lebhafter zu. Die Gesten wurden ausladender. Es hatten sich drei Gruppen gebildet. Ich wurde einem der dänischen Hausgäste vorgestellt. Sein Name war Sören, was mich sofort für ihn einnahm. Aber anders als Kierkegaard schien er noch nie Angst gehabt zu haben, sein Gesicht ähnelte dem eines Babys, das gerade zum ersten Mal gekitzelt wird. Seine Laune war ansteckend. Anscheinend sollte es noch eine lange Nacht im Bushfield werden.

John Strachan kam mit der Nummer und einer Adresse zurück. Der Anblick des frischen Biers auf seinem Platz schien ihn nervös zu machen. Er musste allmählich zurück zu Mhairi. Ich dankte ihm für seine Hilfe und wir unterhielten uns noch ein bisschen, ich erzählte ihm, wie sehr mich das Gemälde von den fünf Männern am Tisch interessierte.

Als er weg war, ging ich zum Münztelefon und wählte die Nummer, die er mir gegeben hatte. Die Stimme, die sich meldete, klang kräftig und selbstbewusst.

»Ja?«

»Hallo. Ist da Mr Lyons?«

»Am Apparat. Wer ist denn dran?«

»Entschuldigen Sie die Störung. Mein Name ist Jack Laidlaw, ich bin Scott Laidlaws Bruder.«

»Ach, hallo. Hat mir wirklich leidgetan, als ich das mit Scott erfahren habe. Ein schrecklicher Verlust.«

»Ja. Ich bin gerade in Ayrshire, Mr Lyons, auf einer Art Reise in die Vergangenheit. Ich muss mir über meine Gefühle in Bezug auf Scotts Tod klar werden und habe mich gefragt, ob ich sie vielleicht diese Woche irgendwann mal sprechen dürfte.«

Er hatte nicht geklungen wie ein Mann, der lange zögern würde.

»Entschuldigung, aber woher haben Sie meine Nummer?«

Jetzt war es an mir zu zögern, da ich nicht wusste, woher ich die Nummer hatte. Ich hörte leise etwas im Hintergrund, das ich für Mozart hielt.

»Als ich Scotts Papiere durchgesehen habe, hat mir das Schicksal Ihre Nummer in die Hände gespielt.« Mir war meine Formulierung peinlich, sie war mir einfach so rausgerutscht. Auch hatte ich es ziemlich unheilvoll klingen lassen: Hallo hier spricht der Tod, Sie sind als Nächstes dran.

»Ich meine, ich habe Ihre Telefonnummer gefunden. Und ich dachte, da Sie ein Freund von Scott waren, würde ich mich gerne mit Ihnen unterhalten. Ich hatte gegen Ende hin ein bisschen den Kontakt zu ihm verloren und hätte nur gerne ein klareres Bild.«

»Papiere?«, fragte er. »Was für Papiere?«

Eine seltsame Frage, um nicht zu sagen unverschämt. Das interessierte mich. Anscheinend gab es möglicherweise Papiere, deretwegen Dave Lyons sich Sorgen machen musste. Mit meinem halbherzigen Ausweichmanöver schien ich auf etwas gestoßen zu sein. Ich beschloss, vorsichtiger vorzugehen.

»Zwischen Scotts Sachen.«

»Na ja, also ich hab diese Woche sehr viel zu tun. Normaler weise wäre ich in Edinburgh und da wäre es sowieso nicht gegangen. Aber diese Woche arbeite ich von zu Hause aus. Tut mir leid, aber mein Zeitplan ist sehr eng.«

»Würde gar nicht lange dauern, Mr Lyons. Da ist etwas ganz Bestimmtes, worüber ich mit Ihnen reden möchte.«

»Was mag das sein?«

Papiere, bedeutende Papiere, hoffte ich, würde mein vorübergehendes Schweigen signalisieren.

»Ist ein bisschen zu kompliziert, um es am Telefon näher auszuführen.«

Ich vermutete, sein Schweigen bedeutete, dass er mit sich rang, ob es besser war, mich jetzt gleich abzuwürgen, oder erst mal zu sehen, was ich in der Hand zu haben glaubte. Da war etwas. Ich spürte das.

»Ich sag Ihnen was. Diese Woche ist wirklich sehr voll. Und viel Zeit habe ich nicht für Sie. Aber morgen. Da habe ich mittags ein Geschäftsessen im Cranston Castle House. Wenn Sie ungefähr um zwei Uhr dort sind? Dann können wir uns vielleicht ein paar Minuten herausnehmen. Aber nur ein paar Minuten. Mehr geht nicht.«

»Wunderbar«, sagte ich. »Vielen Dank.«

»Wissen Sie, wo das ist?«

»Nicht genau. Aber ich werd’s finden.«

»Schön, also dann, bis morgen.«

Ich freute mich auf die Begegnung mit ihm. Als ich in die Lounge zurückkehrte, kam der Abend in Fahrt. Die Gespräche streiften alles Mögliche. Der fröhliche Däne und ich stellten fest, dass wir beide Kris Kristofferson mochten. Ein Fremder sprach mir sein Beileid aus und erzählte mir, ein alter Mann namens Sanny Wilson habe Scott an dem Abend, an dem er starb, in einer Bar gesehen. Sanny hatte dem Mann etwas erzählt, an das er sich erinnerte. Scott habe irgendwann gesagt: »Der Mann im grünen Mantel ist noch einmal gestorben.« Ich war fasziniert. Der Mann sagte, wenn ich morgen Abend da sei, würde er versuchen, Sanny Wilson mitzubringen, damit der mir selbst davon erzählte. Ich sagte, ich wolle da sein.

Nach der Sperrstunde blieben die Hotelgäste in der Lounge. Ein Gitarrist, der nach einem Auftritt in einem anderen Pub hergekommen war, beschloss ebenfalls, über Nacht zu bleiben. Wir sangen ein bisschen. In den Pausen führte ich lange ausufernde Gespräche mit Katie, der ich alles Mögliche über mich selbst offenbarte. Als ich zum ersten Mal an die Reihe kam, sang ich Cycles. Später, als sich die Stimmung dank des Alkoholpegels etabliert hatte, bekamen die anderen The Learig von mir zu hören, gut möglich, dass es Scotts Lieblingslied war. Zur Belohnung bekam ich jede Menge gute Ratschläge, wie ich Cranston Castle House am besten finden würde.

Ich wäre noch viel länger geblieben, so gut war’s, nur wollte ich noch ein paar Gehirnzellen für den nächsten Tag aufsparen. Ich verabschiedete mich von allen, als hätte ich sie mein Leben lang gekannt. Bevor ich nach oben ging, holte ich noch Scotts Gemälde und die Flasche Whisky aus dem Wagen. In diesem Moment erschien es mir ungeheuer dringend. Als ich wieder hereinkam, hatte ich eine geniale Idee. Zu diesem Zeitpunkt kam mir nicht in den Sinn, dass sie ähnlich genial war wie Caesars Einfall, zum Kapitol zu gehen. Ich rief Jan an. Zum Glück meldete sich niemand.

In meinem Zimmer packte ich Scotts Gemälde aus und stellte es an die Wand. Ich zog mich aus, setzte mich aufs Bett und betrachtete die Schottlandbilder. Dann öffnete ich die Flasche Whisky, kommunizierte mit der Kunst und unterhielt mich lange mit dem Antiquary, erinnerte mich an alte Zeiten. Später löschte ich das Licht und legte mich ins Bett.

Plötzlich erwachte ich in der Dunkelheit mit zwei Gedanken, so hell und klar wie Nachtlichter.

Der Mann auf dem Bild mit den fünf anderen trug einen grünen Mantel.

Wie stirbt man zwei Mal?

Fremde Treue

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