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SCOTT UND ANNAS HAUS WAR DAS LETZTE in einer Reihe. Die Bäume auf der Straße ragten trotzig aus dem sich wölbenden Asphalt. Als ich zwischen zwei davon parkte, fiel mir gleich das Schild ins Auge. Es steckte im Sandsteinkies des Vorgartens. Darauf stand »zu verkaufen«.

Ich stieg aus, ging über den Weg zur Tür und klingelte. Man hörte schon dem Klingeln an, dass niemand darauf reagieren würde, es verhallte in der hohlen Stille. Es hatte etwas von einem Besuch im Mausoleum. Ich schaute durch das vorhanglose Wohnzimmer fenster. Der Raum war vollkommen ausgeräumt. Dort wo Scotts Gemälde gehangen hatten, waren die Wände heller.

In meiner Erinnerung hängte ich eines der Bilder wieder auf. Eine große Leinwand, die von einem gemalten Küchenfenster beherrscht wurde. Im Vordergrund auf dem Abtropfgitter standen Geschirr, Pfannen, Kochutensilien. Durch das Fenster sah man eine trostlose Stadt mit verwahrlosten Menschen, Kränen und Schornsteinen. Die Menschen wirkten wie Teile der Gebäude, wie von ihnen versklavt. Ich erinnere mich an ein Gesicht hinter dem geschlossenen Fenster eines Wohnblocks, das wie durch ein Gitter nach draußen blickte. Scott hatte mir erklärt, es solle ein Widerhall des Betrachters sein. Ich erinnere mich an das Gesicht eines Mannes, das im glühenden Licht seines Schweißbrenners zu zerfließen schien, als wollte er sich selbst einschmelzen. Das Ganze war mit großer naturalistischer Detailtreue gemalt, bis hin zu den erkennbar proletarischen Gesichtern unter den Mützen, aber insgesamt wirkte es wie eine Albtraumvision. Links vom Küchenfenster befand sich – wie ein ungenau eingefügter Maßstab auf einer wahnwitzigen Karte – ein kleines quadratisches Bild. Es war in Bonbonfarben angelegt und stand in lebhaftem Kontrast zur Szene draußen. Es zeigte ein idealisiertes Tal in den Highlands mit Heidepflanzen und einem Cottage, aus dessen Schornstein Rauch aufstieg. Ein Hirte und sein Hund gingen darauf zu. Scott hatte das Gemälde »Scotland« genannt.

Dann wurde es wieder zum hellen Fleck an der Wand. So einfach war es, eine so verbitterte Vision auszulöschen. Der Raum war der von irgendjemandem, niemandem. Selbst der Teppichboden war weg. Anna war immer schon sparsam gewesen.

Ich knirschte über den Kies und ging ums Haus herum. In der Mauer am Garten war eine Holztür. Sie war verschlossen. Ich setzte meinen Fuß auf den Türgriff, zog mich hoch und sprang auf der anderen Seite herunter. Hinten war nur ein kleiner Schuppen, eine Garage und ein kleines Stück Rasen. Gärtnern war keine von Scotts Leidenschaften gewesen.

Ich spazierte eine Weile umher, spähte durchs Küchenfenster. Alles leer und sauber. Anna war immer eine gute Hausfrau gewesen. Ich betrachtete den Rasen und erinnerte mich, an ein paar sonnigen Sonntagen mit Scott, Anna und Ena hier auf Decken gesessen zu haben. Die Kinder spielten um uns herum und wir tranken Bier. Unsere zerfaserten Gespräche hingen noch in der Luft. Unsere Pläne waren Staubpartikel, die die Sonne zum Vorschein bringt.

Die Tür zum Schuppen war nicht abgeschlossen. Ich sah hinein. Da standen ein alter rostiger Rasenmäher, ein Rechen, ein paar Holzlatten, eine kleine Tüte mit Ölfarben, fast alle Tuben restlos ausgedrückt. Das war’s schon?

Ich hatte das Gefühl, zufällig auf eine archäologische Ausgrabungsstätte gestoßen zu sein. Schon jetzt war kaum noch zu erraten, wer hier gelebt hatte, es sei denn, man bediente sich der Technik der Experten und schuf ein ausgeklügeltes Theoriegebäude auf Grundlage der einzigen Fakten, die dieses nicht stützten. Scotts Hinterlassenschaft war der Marktwert des Hauses und diese Handvoll Abfall hier.

Dann sah ich es. Erst war ich nicht sicher. Es stand hinter ein paar Brettern, die Vorderseite zeigte zur Wand. Ich hielt es für ein Brett, dann fiel mir der Glanzlack auf und ich merkte, dass es ein Rahmen war, und zog es heraus. Scotts Gemälde, »Scotland«.

Als ich das Bild hochhielt, konnte ich es nicht fassen. Was war zwischen ihnen vorgefallen, dass Anna so etwas machte. Sie wusste, wie viel Scott das Bild bedeutet hatte. Ich war wütend.

Ich fand einen alten schwarzen Müllsack und steckte das Bild hin ein. Dann verließ ich den Schuppen und schloss die Tür, legte es auf dem Garagendach ab. Dann kletterte ich über die Pforte und nahm das Bild. Ich war gerade dabei, es im Kofferraum meines Wagens zu verstauen, als ein Nachbar auf mich zukam. Ich kannte ihn nicht.

»Entschuldigung«, sagte er. »Was machen Sie da?«

»Ich wollte jemanden besuchen«, sagte ich.

»Besichtigungen nur nach Vereinbarung.«

»Ich habe schon genug gesehen.«

»Was haben Sie da?«

»Wer zum Teufel sind Sie?«, fragte ich. »Der Hüter der Vorstadt?«

Kaum hatte ich es gesagt, tat es mir leid. Der Mann hatte ja recht. Er hatte gesehen, wie sich ein Fremder im Garten eines leer stehenden Hauses herumtrieb.

»Schauen Sie«, sagte ich.

Ich holte meinen Ausweis heraus und zeigte ihn.

»Ich bin Scott Laidlaws Bruder und habe nur etwas abgeholt, das für mich dagelassen wurde. Ein Bild, das Scott gemalt hat.«

Er wartete darauf, dass ich es ihn anschauen ließ. Das konnte er aber vergessen.

»Na schön«, sagte er. Er ließ es sich gnädig durch den Kopf gehen. Anscheinend glaubte er, seine Meinung würde mich interessieren. Warum benehmen sich manche Leute derartig gestelzt, aus so geringem Anlass?

»Ich denke, dass alles seine Ordnung hat.«

»Ach was?«, sagte ich, klappte den Kofferraum zu und stieg in den Wagen.

Auf der Fahrt ärgerte ich mich, weil ich wütend geworden war. Halte den Köter im Zaum. Mein Zorn galt nicht ihm, sondern einem anderen. Ich spürte ihn in mir, verschlossen und bereit, er brauchte nur noch eine Angriffsfläche.

Fremde Treue

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