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EINE KÜCHE AM MORGEN kann ein Garten der Sinne sein. Das Sonnenlicht scheint durchs Fenster, als hätte William Blake den Auftrag bekommen, die Unantastbarkeit des Alltäglichen zu verkünden. Die Kaffeemaschine gluckerte wie der Puls der Normalität. Das Aroma, das sie verströmte, wanderte ziellos umher, lud alle ein, ihm zu folgen. Eine Frau stand im Sonnenlicht, schnitt Gemüse klein. Die opulenten Düfte, die dadurch freigesetzt wurden, ließen eine Wiese im Zimmer entstehen. Ein Mann saß am Tisch, trank Kaffee. Der Becher in seiner Hand wärmte diese brüderlich, versicherte ihm, dass wir alle Teil desselben Prozesses sind. Heute Morgen bin ich deine Tasse, später kannst du die eines anderen sein. Der Mann hatte gut gefrühstückt. Ein Hund döste auf dem sonnenbeschienenen Boden, öffnete träge ein Auge und betrachtete die Welt. Der Raum gab ihnen Kraft. Er erzeugte ein Gefühl von Hoffnung, vergangene Fehlschläge wurden begraben, neue Möglichkeiten geboren. Vielleicht hatte Gott Adam und Eva den angebissenen Apfel abgenommen, ihn sanft per Handauflegen ganz gemacht, wieder an den Baum gehängt und gesagt: ›Versucht’s noch einmal.‹ So ein Gefühl.

Als wäre Raum nur Raum und Gegenwart nur Gegenwart, aber wir dringen mit der Vergangenheit in sie ein, verkom plizieren sie mit unserer Zukunft. Der Mann am Tisch war ich und Katie die Frau am Schneidbrett. Individualisiert man den Augenblick, bewahrt man ihn nicht, sondern verliert ihn. Der Raum war immer noch derselbe, aber wir waren eine unglückliche Frau und ein wüten der Mann. Dadurch löste er sich auf in einen Strom. Wenn die Welt ein frischer roter Apfel war, dann war ich der Wurm darin.

Ich war einfach nur Jack Laidlaw, der seinen Kaffee trank und überlegte, was er als Nächstes tun konnte, um seinen Verständnishunger zu zügeln. Katie war eine überarbeitete Frau, die Suppe kochte. Nicht einmal der Hund war ein idealer Vertreter seiner Spezies. In seinem Pelz saßen Flöhe aus Banalität. Buster hatte ein ernsthaftes Problem mit seiner Aggressivität. Zufällig waren wir hier aufeinandergetroffen. Mike war irgendwo an einem geheimnisvollen Ort, an dem er sich meistens aufhielt, auch wenn er bei einem war.

Ich war mit einem Gedanken aufgewacht, der mich nicht verlassen hatte. Während ich badete, mich rasierte, anzog und hörte, dass Katie den anderen Gästen Frühstück machte, hatte die Idee bereits an der Peripherie meines Bewusstseins gespielt. Während des Frühstücks in der Küche rief ich sie zu einer ernsthaften Aussprache zu mir ins Haus. In meiner Besessenheit schien mir dies ein neuer, bedeutender Ansatz in der Auseinandersetzung mit Scotts rätselhaftem Tod zu sein. Ich dachte, ich sollte Katie auffordern, darüber nachzudenken. Und das tat ich.

»Frauen, Katie«, sagte ich. Es muss mehr nach einem sehnsüchtigen Ausdruck meines Begehrens geklungen haben als nach der Frage, die ich mir selbst laut stellte.

»Wie bitte?«

»Frauen. Scott. So wie er am Ende drauf war, da muss es doch irgendwo eine Frau gegeben haben.«

»Anna gab es.«

»Hast du sie gekannt?«

»Ich wusste, wer’s ist. Wurde mir mal auf der Straße gezeigt. Aber ich hab nie mit ihr gesprochen. Ich glaube nicht, dass sie sich viel mit dem Personal abgegeben hat.«

Die Zunge der giftigen Natter schoss heraus und zog sich wieder zurück. Ich wusste, wie gern Katie Scott gehabt hatte. Vielleicht war ihre Zuneigung nicht rein platonisch gewesen. Vielleicht hatte sie einen verbrauchten Mann in ihm gesehen, den sie gerne gerettet hätte, so wie Frauen dies manchmal tun.

»Nein«, sagte ich. »Anna meine ich nicht. Zwischen ihm und ihr war es vorbei. Da muss eine andere gewesen sein. Er hat schonungslos gelebt. Mir fällt nur ein Mittel gegen diese Art von Schmerz ein, und in der Hinsicht war er nicht viel anders als ich.«

Katie fand, dass Gemüseschneiden vollkommene Konzentration erforderte.

»Was denkst du?«, fragte ich.

»Woher soll ich das wissen?«

»Katie. Was du über die Menschen in deiner Umgebung nicht weißt, hat Platz auf einem Penny. Pass auf, dass du nicht ein paar Finger mit in die Suppe gibst. Du legst es drauf an.«

Beinahe hätte sie das Schneidbrett gespalten. Sie drehte sich zu mir um, das Messer noch in der Hand. Eine beeindruckende Frau. Ich glaubte entfernt im Hintergrund den Ritt der Walküren zu hören und tat, als wollte ich mich unter dem Tisch verstecken.

»Nicht werfen«, sagte ich.

Buster bekam mit seinem ausgezeichneten Spürsinn stets alles mit, kapierte aber nicht, worum es ging und fing an zu knurren. Witze prallten an ihm ab. Abwägen bedeutete für Buster die Beschäftigung mit der Frage, ob er zuerst ins rechte oder ins linke Bein beißen sollte.

»Übrigens ist dein Hund dämlich«, sagte ich. »Du solltest ihm ein frisches Gehirn einpflanzen lassen. Ich bezahl es dir.«

»Lass Buster in Frieden. Du verstehst ihn nicht, es steckt sehr viel Liebe in ihm.«

»Er ist ein dummes Arschloch. Am besten rasierst du ihm den Schädel und tätowierst National Front drauf.«

Sie legte das Messer hin. Dann starrte sie die Wand an.

»Jack«, sagte sie. »Warum bist du so wütend? Das ist ein Hund. Und die Fragen, die du stellst, sind sehr persönlich. Worüber Scott und ich uns unterhalten haben, bleibt unter uns.«

»Was soll das, Katie? Sprichst du von der Unantastbarkeit der Pub-Beichte? Für wen hältst du mich? Den Steuerprüfer? Ich bin sein Bruder, Herrgottnochmal. Ich habe ihn geliebt.«

»Willst du noch Kaffee?«, fragte sie.

»Ich will Antworten«, sagte ich.

Sie seufzte und wischte sich die Hände an der Schürze ab, dann nahm sie eine frische Tasse und eine Untertasse, stellte sie mir gegenüber auf den Tisch. Anschließend holte sie die Kaffeekanne, schenkte mir nach und sich selbst ein. Trug die Kanne zurück. Dann kam sie und setzte sich zu mir. Sie nahm eine Zigarette aus meinem Päckchen, zündete sie an und gab sie mir. Ich liebe die Art, wie Frauen aus einem flüchtigen Augenblick eine Zeremonie machen. Mag sein, dass Gesellschaft eine maskuline Verzerrung der Realität ist, Zivilisation ist jedenfalls feminin. Kleine Freundlichkeiten entwaffneten mich.

»Was ist los, Jack?«, fragte sie.

»Katie«, sagte ich. »Mein Leben ist über mir zusammengebrochen. Und ich versuche, es wieder aufzubauen. Ganz einfach.«

»Wann werden Männer nur erwachsen? Ich sehe dich immer noch in kurzen Hosen vor mir.«

Wie auf ein Stichwort sah ich wieder rot.

»Wir spielen in unterschiedlichen Stücken mit«, sagte sie.

»Was?«

»Männer und Frauen. Wir spielen in unterschiedlichen Stücken. Frauen sind realistisch. Ihr wollt immer ein großes Drama inszenieren, das es gar nicht gibt.«

Sie trank ihren Kaffee schwarz. Und sah mich unverwandt an. Mit ihrer Laune hatte sie sich den Morgen und die damit verbundenen Beschäftigungen abgeschminkt wie überschüssiges Make-up. Ich sah sie deutlich vor mir, vielleicht zum allerersten Mal. Sie wirkte nachdenklich, verständnisvoll und ein bisschen auch des ganzen Theaters überdrüssig. Wo sie gewesen war und was sie durchgemacht hatte, hatte sich auf ihrem Gesicht eingeschrieben, und die Spannung zwischen ihrer Vergangenheit und ihrer Weigerung, sich von dieser unterkriegen zu lassen, verlieh ihr Würde.

»So wie Mike«, sagte sie. »Wir können keine Kinder bekommen. Was heißt das? Das ist eine traurige Sache, mit der man zu leben lernt. Ein dunkler Ort im eigenen Kopf. Aber man kann drum herum für Helligkeit sorgen. Nur er nicht. Für ihn ist es ein göttlicher Fluch. Die Welt hat es scheinbar ganz besonders auf ihn abgesehen. Um ihm das Leben zu vermiesen. Wir hätten schon vor Jahren ein Kind adoptieren können. Aber er musste dagegen angehen, nach seinen eigenen Bedingungen. Um sich selbst zu beweisen. Und jetzt ist es zu spät.«

Ihre Worte öffneten sanft eine Tür. Dahinter verbarg sich der Muff toter Träume, ein Dachboden der gespenstischen Sehnsüchte, Kinderklamotten, die nie ein Kind tragen würde. Ich sah ihren Schmerz und den Mut, mit dem sie ihn ertrug. Ich dachte an Jan und verstand sie ein bisschen besser. Sie würde sich ersparen wollen, was Katie durchmachte. Und sie hatte recht.

»Mike«, sagte Katie. »Drama, Drama. Unterschiedliche Stücke.«

Mike rückte in meinen Blick, all die düstere Verkrampftheit in ihm. Er war ein Zwist mit der Welt, eine tosende Stille. Ich sah ihn als verbissenen Anklageführer gegen das Leben, der vergebens alles daransetzte, dass es die Kränkung zurücknahm, die es ihm zugefügt hatte. Aber ich konnte ihn verstehen.

»Komisch, Katie«, sagte ich. »Aber ich sehe es umgekehrt. Ich denke, oft sind es die Frauen, die Melodramen inszenieren. Nämlich dann, wenn sie Folgen über ihre Ursachen hinaus aufbauschen. Ich habe Frauen gekannt, die Opern sangen, wenn ihnen was angebrannt ist. Ich werde verrückt, weil mein Bruder tot ist. Nicht weil ein Knopf an meinem Hemd fehlt.«

Wir sahen einander über den Tisch wie über Niemandsland hinweg an, wahrten den Waffenstillstand.

»Aber ich liebe sie trotzdem«, sagte ich.

Katie lächelte, beugte sich rüber und berührte meine Hand. »Und ich kann euch auch meistens tolerieren«, sagte sie. »Frag ruhig.«

»Gab es andere Frauen? Für Scott.«

»Hat er es dir nicht gesagt?«

Ich dachte an das, was er mir in der Nacht in meiner Wohnung hatte sagen wollen.

»Ich glaube, vielleicht war er kurz davor gewesen. Aber ich weiß es nicht. Wir hatten ein bisschen den Kontakt verloren. Eine Zeit lang hätten wir auch auf unterschiedlichen Kontinenten leben können.«

»Es gab jemanden«, sagte sie.

Die Bedeutung ihrer Worte nahm vor meinen Augen Gestalt an, so solide wie die Tür zu der geheimnisvollen Kammer in Scotts Leben, die ich nie betreten hatte. Ich zögerte davor, selbst als sein Bruder. Ich wollte nicht in seiner Abwesenheit in seiner Intimsphäre her umschnüffeln. Aber etwas in mir war darauf angewiesen, dass sie sich öffnete. Nur Katie konnte das für mich bewerkstelligen, aber sie machte keinerlei Anstalten. Ich wartete. Sie wartete, trank ihren Kaffee. Hierfür gab es Regeln, das begriff ich. Man konnte nicht einfach so hereinplatzen. Zuerst musste man feierlich seinen Respekt erweisen, Katie leitete die Zeremonie.

»Ich glaube, ich war die Einzige, der er es erzählt hat«, sagte sie.

Sie starrte auf den Tisch, schloss ein letztes Mal ihr Geheimnis fest in die Arme, bevor sie es in die Welt entließ. Ich glaubte zu sehen, was es ihr bedeutet haben musste. Es ist immer ein Liebesbrief, wenn ein anderer einem erzählt, wer er wirklich ist. Man erlangt Bedeutung in dessen Leben. An Scotts Vertrauen gewachsen wollte Katie ihn nicht hintergehen. Sie musste sich selbst überreden, es mir zu verraten.

»Irgendwie hab ich ihn auch geliebt, weißt du?«, sagte sie. »Ich glaube, das haben viele. Dabei konnte er furchtbar nerven, dein Scott. Aber selbst wenn er es tat, merkte man immer, wie verletzlich er war. Vor ein paar Monaten hab ich mich schrecklich mit ihm zerstritten. Er war nicht er selbst. Zwei Wochen lang ist er nicht mehr hergekommen. Du hast keine Ahnung, wie mir das zugesetzt hat. Ich dachte, ein Teil meines Lebens ist weg. Als er dann wieder hereinspaziert kam, war das für mich wie Weihnachten. Das beste Geschenk aller Zeiten. Er konnte einen Tag heller strahlen lassen.«

Sie trank ihren Kaffee.

»Ellie hat sie geheißen«, sagte sie plötzlich. »Sie war Lehrerin, kinderlos. Mehr weiß ich nicht.«

»Hat sie mit ihm zusammen gearbeitet?«

»Jack.«

Sie machte eine lange, gedehnte Anschuldigung aus meinem Namen. Jetzt wo sie mich in ihr Heiligtum vorgelassen hatte, wollte sie verhindern, dass ich alles dort zertrampelte.

»Was glaubst du, was Scott gemacht hat, Jack? Mir Fotos gezeigt? Er hat sie vielleicht drei oder vier Mal erwähnt, in den frühen Morgenstunden. Hat immer nur von ›Ellie‹ gesprochen, keinen Nachnamen genannt. Und ich hab nicht nachgefragt. Ich weiß, dass sie ihm viel bedeutet hat. Und dass ihm die Schuldgefühle zugesetzt haben. Anscheinend war Schluss zwischen den beiden und ich habe ein bisschen mit ihm gelitten. Auf die Einzelheiten kam es nicht an. Er hatte Liebeskummer. Hätte ich da nach ihrer Telefonnummer fragen sollen? Seine Wunden mussten versorgt werden, das habe ich gemacht.«

»Aber wer war sie? Wo hat sie gewohnt?«

Kaum hatte ich es gesagt, wusste ich, dass ich die Tür zugeschlagen hatte. Sie starrte mich an, als wollte sie die Linse eines Mikroskops scharf stellen. Was haben wir hier für eine seltsame Kreatur? Mühsam unterdrückte sie ihre Verärgerung.

»Wieso gehst du nicht ins Krematorium und siebst die Asche durch?«

»Wenn ich glauben könnte, dass es hilft, würde ich das machen«, erwiderte ich.

Ich starrte durch die Linse zu ihr zurück. Welch seltsame Kreatur hält mich für eine seltsame Kreatur?

Sie stand auf, nahm ihre Tasse und meine, obwohl sie noch nicht leer war, ging zur Spüle und wusch beide aus. Dann machte sie mit der Suppe weiter. Mir kamen möglicherweise unwürdige Gedanken in Bezug auf Katie. Vielleicht waren ihre Gründe, nicht über die unbekannte Ellie zu sprechen, weniger nobel als sie vorgab. Vielleicht gehörte Eifersucht dazu. Auch Selbstgerechtigkeit hatte ich im Verdacht. Normalerweise ist dies eine kosmetische Art, die Wahrheit zu beschönigen, ähnlich einer gepuderten Perücke auf einem verlausten Kopf.

Katie hatte ihren Suppentopf zum Kochen gebracht und die Flamme kleiner gestellt.

»Buster«, sagte sie.

Buster erkannte seinen Namen. Er war wohl doch nicht so dumm, wie ich geglaubt hatte. Katie nahm die Leine, die an einem Haken an der Küchentür hing.

»Wenn das überkocht«, sagte sie, »drehst du’s bitte runter, ja? Ich geh mit Buster raus, damit er sein Geschäft verrichtet.« Als sie weg waren, dachte ich über die euphemistische Formulierung nach. Mein Vater hatte sich genauso ausgedrückt: »Geh mit Bacchus raus, damit er sein Geschäft verrichtet«. Oder Judie. Oder Rusty. Oder Tara. Wir hatten viele Hunde und ich hab sie immer gemocht, vorausgesetzt, sie litten nicht an Größenwahn und hielten sich für die wahren Hausherren. Die Formulierung erinnerte mich an meine Familie, an die Zeit, als wir noch zu viert zusammen wohnten. Ich dachte an die Möglichkeiten, die es damals zu geben schien, und wie sie seltsamerweise dazu geführt hatten, dass ich jetzt allein in der Küche des Bushfield Hotel saß. Die anderen drei waren tot. Ich war froh, dass meine Eltern Scotts Tod nicht hatten erleben müssen. Irgendwie fühlte ich mich für die anderen drei verantwortlich. Wir hatten versucht, eine Art ehrlichen Vertrag mit der Welt einzugehen, aber jetzt kam es mir vor, als hätte die Welt uns betrogen. Das Mindeste, was uns zustand, war rückblickendes Verstehen und ich war hergekommen, um es einzufordern.

Ich hob den Hörer und wählte die Nummer der Glebe Academy. Dieselbe nette Frau wie gestern ging an den Apparat. John Strachan sei noch im Unterricht, sie wolle ihn aber holen. Während ich wartete, überlegte ich, dass ich mehr über diesen verschlossenen Raum in Scotts Leben erfahren musste, in den ich dank Katie einen kurzen Blick hatte werfen dürfen. Wenn ich nicht durch die Tür kam, vielleicht kam ich durchs Fenster. Im Gespräch mit John Strachan würde ich vorsichtig sein müssen, denn ich war nicht sicher, was er wusste. Ich war nicht einmal sicher, was ich wusste. Annäherung über Umwege.

»Hallo?«

»Hallo, John. Hier ist Jack Laidlaw.«

»Hallo, Jack.«

Ein Kneipenbesuch mästet Intimität.

»Verzeihung, dass ich schon wieder störe und dich aus dem Unterricht reiße.«

»Kein Problem. Die Klasse ist mehr oder weniger zivilisiert, trotzdem hoffe ich, der Saal steht noch, wenn ich wieder zurückkomme.«

»Es geht um …« Etwas, auf das ich erst langsam hinarbeiten muss. Also, lass mich meine Spuren verwischen, indem ich sage … »ich habe mich gefragt, ob Scott nicht noch ein paar Sachen in der Schule gelassen hat. Ich meine, er hat ja nicht gewusst, dass er nicht mehr wiederkommt. Ich dachte an Papiere und solche Sachen. Etwas, das mir helfen könnte, zu verstehen, was ihn zum Schluss umgetrieben hat.«

»Kann sein.«

»Wahrscheinlich macht es viel Mühe, aber ob du wohl für mich nachsehen könntest? In seinem Klassenraum? Ob da irgendwas ist? Etwas, das uns Hinweise liefern könnte.«

Ich versuchte die darauffolgende Pause zu interpretieren. Würde er sich weigern?

»Sein Büro«, sagte er, »ist schon wieder neu besetzt. Wusstest du das? Da ist jetzt jemand anders drin, war ein sehr begehrter Raum. Tolle Fenster für den Kunstunterricht.«

Ich konnte verstehen, warum er gezögert hatte. Er hatte mir nicht vermitteln wollen, wie schnell Scotts Tod zur praktischen Verwaltungssache geworden war. Der Tod des einen ist des anderen helles Tageslicht.

»Ich denke, der Saal wurde ausgeräumt«, sagte er. »Aber ich gehe heute hin und sehe nach, da könnte durchaus noch was sein.«

»Danke, John. Ach, noch was«, sagte ich beiläufig, denn jetzt kam ich zum eigentlichen Grund meines Anrufs. »Ellie irgendwie? Das ist eine Frau, mit der ich gerne reden würde. Aber ich weiß nicht, wie sie weiter heißt. Sagt dir der Name was?«

Dieses Mal war die Pause undurchdringlich. Wusste er von Scott und ihr? Erriet er instinktiv, was ich gerade erst über die beiden erfahren hatte? Oder sagte ihm der Name einfach nur nichts? So langsam wie die Antwort schließlich kam, vermutete ich, dass sich außerirdische Materie in seinen Gedanken festgesetzt und die Zahnräder zum Stillstand gebracht hatte.

»Tja«, sagte er. »Ich weiß nicht. Ist kein ungewöhnlicher Name. Hier hat mal eine Frau gearbeitet, eine Ellie. Aber ich weiß nicht, ob du die meinst. Ist inzwischen auch gar nicht mehr da. Ellie Mabon. Meinst du Ellie Mabon?«

Das wusste ich nicht. Aber wenn man im Dunkeln schießt, sollte man sich lieber ansehen, was man getroffen hat. Vielleicht ist es ja das, worauf man es abgesehen hatte.

»Keine Ahnung«, sagte ich. »Kann sein. Danke jedenfalls.«

»Schon gut«, sagte er schließlich, wobei er sich vielleicht fragte, wofür ich ihm dankte. »Ich kümmere mich um Scotts Klassenraum. Und rufe an, wenn ich was finde.«

»Ich werde heute unterwegs sein, John.«

»Wenn ich dich nicht persönlich erwische, schau ich einfach später im Bushfield vorbei. Irgendwann am Abend, okay? Ich muss los, mal sehen, ob die wilde Meute schon unruhig geworden ist. Wiedersehen.«

»Wiedersehen.«

Ich legte auf und suchte Katies Telefonbuch. Oben hörte ich jemanden herumgehen und stellte mir vor, wie Mike in dem Psychogefängnis, das er sich selbst gebaut hatte, auf und ab ging. Das Buch lag hinter dem Brotkasten. Typisch Katie. Wir waren gar nicht so verschieden wie sie glaubte.

Beim dritten Mabon fand ich eine Ellie. Der erste war nicht drangegangen. Der zweite klang nach einem unglaublich alten Mann, der mir unbedingt von einem Problem mit seinen Rohrleitungen im Haus erzählen wollte. Ich versprach schließlich, mich darum zu kümmern. Der dritte war eine gute Adresse in Graithnock. Die Stimme klang kurz angebunden mit einem interessanten Unterton, wie ein sinnlicher Körper im strengen Kostüm.

»Hallo?«

»Entschuldigen Sie die Störung, möglicherweise habe ich die falsche Nummer. Ich suche eine Ellie Mabon.«

»Am Apparat.«

Ich wusste sofort, dass sie’s war. Vorübergehend lähmte die Erkenntnis meine Sprechmuskeln. Sie wusste nicht, wie eng wir miteinander verbunden waren oder was ich über sie wusste.

»Hallo?«

»Entschuldigung«, sagte ich. »Mein Name ist Jack Laidlaw. Ich bin Scotts Bruder.«

Sie übte eine Weile lang atmen.

»Oh Gott«, sagte sie. »Eure Stimmen sind sich so ähnlich.«

»Sie haben Scott gekannt«, sagte ich. Nicht unbedingt eine meiner hellsten Bemerkungen.

»Na ja, wir haben nicht nur miteinander telefoniert, falls Sie das meinen.« Dann spürte ich, wie ihr bewusst wurde, dass sie zu schnell zu viel von sich preisgab. Als sie sich wieder zu Wort meldete, klang sie wie eine Frau, die sich gerade das Kleid zurechtzupft. »Wir haben an derselben Schule unterrichtet, vielleicht wissen Sie das.«

»Ja, das weiß ich. Können wir uns treffen und darüber reden?«

»Wie bitte?«

»Verzeihen Sie, das muss Ihnen seltsam vorkommen. Aber es fällt mir schwer, Scotts Tod zu akzeptieren. Ich bin noch dabei, es zu begreifen, und spreche mit Leuten, die ihn gekannt haben. Verstehen Sie? Ich dachte, vielleicht können wir uns unterhalten.«

»Da haben Sie recht«, sagte sie. »Das klingt wirklich seltsam.«

»Hab ich mir gedacht.«

»Was wollen Sie von mir hören?«

»Ich weiß nicht.«

»Also, wenn Sie es nicht wissen, ich weiß es auch nicht. In Ordnung?«

»Nicht so richtig«, sagte ich. »Kommen Sie, bitte. Das ist doch eigentlich halb so wild.«

»Wild? Hören Sie. Was mich betrifft, könnten Sie mit Ihrem Anliegen direkt aus dem Dschungel am Amazonas kommen. Warum kehren Sie nicht einfach dorthin zurück?«

Das Gespräch verlief nicht optimal. Ich hatte das Gefühl, dass mich nur noch Sekunden davon trennten, diesen Faden zu verlieren. Aber zwei Sachen waren mir aufgefallen: die Bemerkung, sie habe mit Scott nicht nur telefoniert, war ein codiertes Eingeständnis und das wusste sie. Wenn sie so entrüstet war, wie sie tat, wieso hatte sie noch nicht aufgelegt? Ihre Strategie bestand darin, mich aus ihrem Leben herauszuhalten. Das hatte ich begriffen. Ich konnte es sogar nachvollziehen. Aber ich durfte es mir nicht leisten, mich damit einverstanden zu erklären. Vielleicht brauchte ich etwas, das sie mir würde sagen können. Ihre Schwäche bestand darin, nicht aufzulegen, bevor sie sicher war, dass sie mich endgültig abgeschreckt hatte. Ich wusste, dass ich nur eine einzige Karte auszuspielen hatte.

»Sie wohnen in der Sycamore Road 28«, sagte ich und las die Adresse aus dem Telefonbuch ab. »Ich bin sicher, das finde ich.«

»Was? Hören Sie mal. Ich bin verheiratet.« Sie dachte darüber nach und verbesserte sich. »Glücklich verheiratet. Ich kann es nicht gebrauchen, dass Sie mein Leben durcheinanderbringen. Was soll mein Mann denken?«

»Wann kommt er nach Hause?«, fragte ich.

»Um halb sieben.« Sie hatte es gesagt, bevor ihr bewusst wurde, wie unverschämt die Frage war. Was sie nur noch wütender machte. »Was zum Teufel geht Sie das alles an?«

»Mrs Mabon«, sagte ich. »Ich will Ihr Leben nicht durcheinanderbringen. Was hätte ich davon? Ich will nur reden. Ich kann nachmittags kommen, niemand muss etwas davon mitbekommen.«

»Ich habe Nachbarn.«

»Wir können an der Tür stehen bleiben.«

»Was ist mit den Kindern?«

»Mrs Mabon, Sie haben gar keine.«

Schweigen.

»Heute Nachmittag. Okay?«

»Ich glaube Ihnen nicht.«

»Vielleicht sollten Sie’s aber.«

»Auf keinen Fall. Fahren Sie zur Hölle«, sagte sie und legte auf, als wollte sie mir eine runterhaun.

Ich blieb mit dem Hörer sitzen und schämte mich. Bis ich aufgelegt hatte, wusste ich bereits, dass ich das Angedrohte nicht durchziehen konnte. Es stand mir nicht zu. Was Katie gesagt hatte, stimmte. Ich siebte Asche. Und sollte sie doch ruhen lassen.

Katie kam mit Buster zurück. Sie sah aus, als wüsste sie, wie richtig sie gelegen hatte. Ich hatte ein schlechtes Gewissen wegen dem, was ich in ihrer Abwesenheit getan hatte, und das Gefühl, ihr mit meiner Hartnäckigkeit recht gegeben zu haben. Dass ich die Suppe hatte überkochen lassen, machte es nicht besser. Als Katie kein Wort darüber verlor, sondern nur die Flamme kleiner stellte, fühlte ich mich noch schlechter. Buster war der Herzlichste im Raum. Das bedeutete, dass es Zeit war zu gehen.

Ich holte meine Jacke. Als ich wieder runterkam, schaute ich in die Küche. Katie klopfte Fleisch, als wäre es mein Kopf.

»Ich bin dann mal weg, Katie«, sagte ich. »Danke fürs Frühstück. Bis später.«

Sie drehte sich um, sah an mir vorbei.

»Bleibst du den ganzen Tag fort?«, fragte sie.

»Ist das eine Frage oder eine Bitte?«

Fast hätte sie gegrinst. Mit einer wegwerfenden Handbewegung schickte sie mich raus.

Fremde Treue

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