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150-jähriges Bestehen der SPD (25. Mai , 23. Dezember 2013 – Quellen 2)
ОглавлениеDie Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) feierte mit einer Jubiläumsveranstaltung in Leipzig ihr 150-jähriges Bestehen. Dabei waren deutsche und internationale Gäste, an ihrer Spitze Bundespräsident Gauck, Bundeskanzlerin Merkel sowie der französische (sozialistische) Präsident Hollande.
Am 23. Mai 1863 wurde in Leipzig unter Vorsitz von Ferdinand Lassalle der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) gegründet. Ferdinand Lassalle wurde von den Delegierten zum Präsidenten gewählt. Dieser Tag gilt als der Geburtstag der SPD. In wieweit der damals fortschrittliche Mann dennoch den Zwängen seiner Zeit verhaftet war, zeigt sein früher Tod: Lassalle ist 1864 im Alter von 39 Jahren an den Folgen eines Pistolenduells gestorben. In einem Wald bei Genf hatte er sich mit dem Nebenbuhler seiner Angebeteten duelliert; er starb an dessen Kugeln.
Von Anfang an hat sich die neue Partei daran ausgerichtet, das noch weitgehend durch die Landwirtschaft geprägte Deutschland den Erfordernissen des Industriezeitalters anzupassen. Sie setzte sich zudem für soziale Gerechtigkeit und Freiheit ein. Ihre Hauptforderung war zunächst die Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts. Die Durchsetzung sozialistischen Ziele wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität wurde angestrebt.
Um die Notwendigkeit der Gründung des ADAV deutlich zu machen, muss auf die soziale Frage im 19. Jahrhundert eingegangen werden (die folgenden Ausführungen beruhen auf dem Aufsatz: „Die soziale Frage im 19. Jahrhundert“, siehe Quellen 2). Als „Soziale Frage“ bezeichnet man die wirtschaftlichen und sozialen Fragen des Übergangs von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft. Dieser Prozess setzte in England bereits um 1750 ein, in Deutschland um 1850.
Voraussetzungen für die Industrialisierung waren das Weltbild der Aufklärung und bahnbrechende Entdeckungen der Naturwissenschaften. Grund für die sogenannte Industrielle Revolution, die zu einer radikalen Änderung der Produktionsmethoden führte, war eine Krise des herrschenden Feudalsystems. Das rasante Anwachsen der Bevölkerung führte dazu, dass die Landmenge nicht mehr ausreichte. Eine Möglichkeit zur Sicherstellung der Ernährung bestand in einer intensiveren Nutzung der Landwirtschaft durch Dünger und Maschinen. Dadurch verringerte sich zwangsläufig der Bedarf an Landarbeitern. Sie wanderten in die Städte ab; dort wurden sie Arbeitskräfte für die entstehende Industrie. Durch industrielle Massenfertigung kam es zu einer Konkurrenz zu der bisherigen Hausindustrie und dem Handwerk. Das hatte ein Ansteigen der Arbeitslosenzahl zur Folge, denn die maschinelle Fertigung erforderte weniger Arbeitskräfte. Dadurch kam es zu einem Überangebot an Arbeitskräften mit der Folge von extrem niedrigen Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen. Die Arbeiter mussten den Preis für den industriellen Fortschritt bezahlen. Maschinen konnten rund um die Uhr benutzt werden. Dadurch kam es zu 12-Stunden-Tagen in einer Tages- und einer Nachtschicht an sechs bis sieben Tagen in der Woche. Die Arbeiter wurden nicht ausreichend bezahlt. Sie mussten deswegen ihre Frauen und Kinder zur Arbeit schicken. Die erledigten Schwerstarbeit für noch geringere Löhne. Kinder wurden z. B. zur Arbeit in Bergwerksschächten geschickt. So entstand der Begriff der „Proletarier“ für die Arbeiter. Sie waren ihren Arbeitgebern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Arbeitsschutz kannte man nicht. Die Unternehmer zeigten keinerlei soziales Verhalten; es zählte nur der Gewinn, den sie mit dem Einsatz der „Proletarier“ machen konnten. Deswegen lebten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland mehr als 50% der Bevölkerung unterhalb des Existenzminimums. Die Massenarmut führte in den Städten dazu, dass sie herunterkamen; Slums entstanden. Die Lebenserwartung der Arbeiter lag unter 20 Jahren. Die Kinderarbeit, die schon Kinder ab einem Alter von 4 oder 6 Jahren verrichten mussten, verhinderte ordnungsgemäßen Schulbesuch. Großfamilie, Zunftwesen oder Schollenbindung sowie die Bindung an den Gutsherrn waren durch die Verstädterung verloren gegangen. Alter und Krankheit wurden zur Existenzbedrohung.
Politisch gesehen herrschte Anfang des 19. Jahrhunderts die Restauration (Versuch der Wiederherstellung früherer Zustände). Nahezu unumschränkt herrschende Landesfürsten standen auf Seiten der Unternehmer und unterstützen den Laissez-faire-Kapitalismus (lasst sie machen, sie werden es schon richten). England hatte bereits längst eine liberalkapitalistische Wirtschaftsordnung. Die Revolution von 1848 scheiterte, die an sie gestellten Hoffnungen blieben unerfüllt. 1880 wurde durch den damaligen Reichskanzler Bismarck (der „eiserne Kanzler“) eine Sozialgesetzgebung mit der gesetzlichen Sozialversicherung gegen Krankheit, Invalidität und Altersarmut eingeführt, die damals einmalig und wegweisend war. Damit wollte Bismarck der aufkommenden Sozialdemokratie den Wind aus den Segeln nehmen. Er hat dies in seinen „Erinnerungen“ beschrieben; er wollte die arbeitende Bevölkerung auf die Seite des Staates ziehen. Es war eine gesetzliche Sozialversicherung des Staates, die über 100 Jahre gut gehalten hat. Heute wird sie leichtfertig zunehmend der privatwirtschaftlichen Versicherungswirtschaft geopfert, woran Gerhard Schröder und Walter Riester eine große Mitschuld haben. Doch davon später.
Soweit zum sozialen Hintergrund bei der Gründung des ADAV im Jahre 1863. Am 8. August 1869 wurde in Eisenach auf Initiative von August Bebel und Wilhelm Liebknecht die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) gegründet. Im Mai 1875 vereinigten sich in Gotha die ADAV und die SDAP zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP). Karl Marx kritisiert deren Programm heftig.
Die prägende Gestalt der SPD war in ihren Anfangszeiten der Politiker August Bebel (1840 bis 1913). Er kam aus einfachen Verhältnissen und war Sattler von Beruf. Als er starb, war er Millionär. Seine politischen Anfänge sind im liberal-demokratischen Vereinswesen von Arbeitern und Handwerkern zu finden. Dann wandte er sich dem Marxismus zu. Zusammen mit Wilhelm Liebknecht wirkte er 1875 maßgeblich bei der Vereinigung mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) mit.
Am 19. Oktober 1878 wurde im Deutschen Reichstag das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokraten verabschiedet (sog. „Sozialistengesetz“). Dies kam einem Parteiverbot gleich.
Während der Unterdrückung der SPD durch das Sozialistengesetz entwickelte sich Bebel zum Führer der deutschen Sozialdemokratie. Ab 1892 wurde er einer der beiden Vorsitzenden der SPD, zu der sich die SAPD 1890 nach Aufhebung des Sozialistengesetzes umbenannt hatte. Er wurde populär. Dies wurde deutlich mit seiner volkstümlichen Bezeichnung als „Kaiser Bebel“, „Gegenkaiser“ oder „Arbeiterkaiser“ In den folgenden Jahren stand er weiterhin an der Spitze der Partei. Dort repräsentierte er zwischen einem linken und einem „revisionistischen“ Flügel das sogenannte marxistische Zentrum der SPD. Bebel führte die Partei mit eiserner Hand nach dem Motto „Die Partei – c’est moi!“ („Die Partei - das bin ich!“). Er war einer der bedeutendsten Parlamentarier in der Zeit des Deutschen Kaiserreiches. Auch trat er als einflussreicher Autor hervor. Sein Werk „Die Frau und der Sozialismus“ ging in die Geschichte ein und wird noch heute gelesen.
Im Oktober 1891 fand der Erfurter Parteitag statt. Dort wurde ein Parteiprogramm verabschiedet, dass zu den Thesen von Karl Marx zurückkehrte. Man nahm den Namen Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) an. Aus dem bis 1890 bestehenden „Sozialistengesetz“ ging die SPD gestärkt hervor.
Am 4. August 1914 machte die SPD einen der größten Fehler ihrer 150-jährigen Geschichte: Der SPD-Vorsitzende Hugo Haase begründete im Reichstag die Zustimmung zu den Kriegskrediten, gegen die er vorher in der Fraktion der SPD im Deutschen Reichstag gestimmt hatte. Da er Parteivorsitzender war, zwang ihn die Fraktion, den Kriegskrediten entgegen seiner eigenen Auffassung zuzustimmen. Damit wurde ein „Burgfrieden“ der SPD im Ersten Weltkrieg mit dem Kaiser geschlossen. Einzig Karl Liebknecht, der Sohn von Wilhelm Liebknecht, widersetzte sich dem; er stimmte mit „Nein“ im Parlament. In Gotha gründeten linke Sozialdemokraten die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD). Am 9. November 1918 verkündete Karl Liebknecht vom Balkon des Berliner Schlosses die freie sozialistische Republik; das SPD-Vorstandsmitglied Philipp Scheidemann rief am selben Tag vom Reichstaggebäude die freie deutsche Republik aus. Der Kaiser wurde nach dem 1. Weltkrieg zur Abdankung gezwungen; er emigrierte nach Doorn in den Niederlanden.
Am 1. Januar 1918 wurde in Berlin die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) von Mitgliedern der SPD und der USPD gegründet. Die zunächst noch relativ einflussreiche USPD wurde in den Folgejahren zwischen der KPD und der SPD zerrieben. Sie spielte nach 1922, als nach einer weiteren Parteispaltung ein großer Teil der USPD in die SPD zurückgekehrt war, bis 1931 in Breslau die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) gegründet wurde, nur noch eine unwichtige Rolle als Kleinpartei in der Weimarer Republik. Die Gründung der SAP war ein Protest gegen die Tolerierungspolitik der SPD gegenüber dem Notverordnungs-Kanzler Brüning und für die antifaschistische Einheitsfront mit der KPD. Willy Brandt wurde Mitglied der SAP.
Am 23. März 1933 war eine der Sternstunden der SPD in ihrer 150-jährigen Geschichte: Der Vorsitzende der Reichstagsfraktion der SPD Otto Wels begründete im Reichstag das Nein der SPD zu Hitlers „Ermächtigungsgesetz“. Otto Wels hielt eine ergreifende Rede dagegen. „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“, sagte er in seiner Rede. Während draußen die braunen Horden vor dem Reichstag standen. Diese Rede und das “Nein“ der SPD zum Ermächtigungsgesetz ist eine der großen historischen Leistungen der deutschen Sozialdemokraten. Mich hat sie zutiefst beeindruckt und schon zu Schülerzeiten zur SPD geführt (aus der ich dann aber nach dem Berlin-Beschluss des Deutschen Bundestages ausgetreten bin, weil ich mit diesem Beschluss nicht einverstanden war). Rede und Abstimmungsverhalten der SPD zum Ermächtigungsgesetz der Nazis waren mutig und wegweisend. Dagegen versagten das Zentrum (Vorgängerpartei der heutigen CDU) und die Liberalen jämmerlich, indem sie dem Ermächtigungsgesetz zustimmten. Theodor Heuss, unser hoch geschätzter 1. Bundespräsident, hatte als Liberaler dem Ermächtigungsgesetz ebenfalls zugestimmt. Im Juni 1933 wurde die SPD verboten. Viele ihrer Anhänger wurden verfolgt und in Konzentrationslagern eingesperrt.
1945 wurden SPD und KPD von den Alliierten als erste deutsche Partei wieder zugelassen. Im April 1946 fusionierten die KPD und die SPD im Admiralspalast im sowjetischen Sektor von Berlin zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Sozialdemokraten, die den Schritt nicht mit vollzogen, wurden wiederum verfolgt.
Am 15. November 1959 verabschiedete die SPD das Godesberger Programm. Damit wandelte sich die SPD von einer Arbeiterpartei in eine moderne Volkspartei. Zentrale Elemente des Godesberger Programms gelten bis heute. Hierzu gehört das Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft und zur Landesverteidigung, die Formulierung von Grundwerten und der Anspruch, Volkspartei zu sein. Maßgeblicher Gestalter und Unterstützer dieses Programms war der unvergessene Herbert Wehner, ein sozialdemokratisches Urgestein mit kommunistischem Hintergrund. Von Wehner ist bekannt, dass er keine Bundestagssitzung versäumte. Mag es noch so leer gewesen sein im Plenum; Herbert Wehner saß auf seinem Platz, hörte den Reden der Abgeordneten zu und machte Zwischenrufe. Er war berühmt und berüchtigt für seine teilweise bissigen Zwischenrufe.
Am 7. Oktober 1989 gründeten ca. 50 DDR-Oppositionelle in Schwante bei Berlin die Sozialdemokratische Partei der DDR (SDP). Sie vereinigte sich im September 1990 mit der SPD der Bundesrepublik.
Am 3. Juli 2004 gründete sich die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit. Sie kam zustande aus Protest gegen die neoliberale Politik des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder. Am 16. Juni 2007 vereinigte sie sich in Berlin mit der PDS zur neuen Partei DIE LINKE.
Dies war ein kurzer Abriss über die Sozialdemokratische Partei Deutschland, eine Partei, die auf ihre 150jährige Geschichte stolz sein kann. Sie hat alle Höhen und Tiefen deutscher Politik erlebt, erlitten und mitgestaltet. Sozialdemokratisches Holz war lange Zeit edles Holz.
Die SPD hat in ihrer 150jährigen Geschichte die deutsche Politik mit geprägt. Ohne die SPD wäre die heutige Bundesrepublik so nicht vorstellbar. Das ging mit Kurt Schumacher los, der ein engagierter Kritiker der Politik von Konrad Adenauer war, ging weiter über Erich Ollenhauer als SPD-Parteivorsitzender 1952 bis 1963 (er liegt hier in Bonn-Friesdorf auf dem Südfriedhof begraben) bis hin zu dem ersten sozialdemokratischen Bundespräsidenten Gustav Heinemann und dem charismatischen Willy Brandt, der 1969 zum Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde. Willy Brandt hat in den Jahren den Jahren seiner Kanzlerschaft bis 1974 die Politik der Bundesrepublik wesentlich zum Positiven hin geprägt. Er war das Idol der damaligen Jugend. Wegen seines charismatischen Auftretens und weil er in den dunkelsten deutschen Zeiten des Nationalsozialismus‘ aktiv gegen die braunen Horden gekämpft hatte, stand er bei uns jungen Menschen damals hoch in Kurs. Er war während der Herrschaft der Nazis emigriert. Damit war er in den Augen von uns Jugendlichen geadelt. Für uns junge Menschen war er eine Lichtgestalt nach dem Ende der muffigen und verstaubten Adenauer-Ära. Willy Brandt war ein Mann, der unsere Sprache sprach. Er sprach uns an mit seinen Begriffen. Gerade wir jungen Menschen haben Willy Brandt damals bejubelt, wir haben ihn unterstützt und wir sind noch heute stolz darauf. Bei seiner Beerdigung, die im Fernsehen übertragen wurde, habe ich geweint wie selten zuvor. Willy Brandt war ein anderes Kaliber als z. B. der Nazi-Kanzler Kiesinger oder der selbstgerechte und als Kanzler überforderte Erhard oder der politische Gegner von Willy Brandt im Deutschen Bundestag, der CDU-Abgeordnete Barzel mit seiner intrigant-schleimigen, abstoßenden Art. Oder Helmut Kohl, der pfälzische Bauernbub, der später Kanzler wurde; Willy Brandt hat mit allen seinen Kräften gesät, was Kohl hinterher geerntet hat. Deswegen ist die Lebensleistung von Willy Brandt eine weitaus größere als die von Helmut Kohl, einem Technokraten der Macht ohne eigene Ausstrahlung. Willy Brandt öffnete nach der verstaubten Adenauerzeit alle Fenster des muffig gewordenen Hauses Deutschland und ließ frische Luft hinein. Sein Slogan „Demokratie wagen“ wurde insbesondere von uns Jugendlichen begeistert aufgenommen. Wir riefen: „Willy wählen“. Seine neue deutsche Ostpolitik mit einer allgemeinen Öffnung zum Osten hin begeisterte die Menschen. Unvergessen ist sein Kniefall vor dem Denkmal für das Warschauer Ghetto. Ebenfalls unvergessen ist seine neue deutsche Ostpolitik, die zu einer der Grundlagen für die spätere Wiedervereinigung Deutschlands wurde (der „Wandel durch Annäherung“ hat sich mit der Wiedervereinigung Deutschlands ausgezahlt – hierzu siehe das in Quelle 2 erwähnte Buch von Egon Bahr; Egon Bahr war Freund und Weggefährte von Willy Brandt; er hat die eigentlichen Vorbereitungen der neuen deutschen Ostpolitik durch Willy Brandt ausgedacht und vorbereitet und wird zu Recht als der „Architekt der neuen deutschen Ostpolitik“ nach dem Zweiten Weltkrieg benannt).
Willy Brandt wurde abgelöst von Helmut Schmidt, ein nüchterner Hanseat, der die Jahre 1974 bis 1982 mit seiner Kanzlerschaft prägte. Er hielt den Laden am Laufen. Als Hamburger war er stets nüchtern und sachlich; Emotionen wie Willy Brandt gestattete er sich nicht. Er war in seinem Regierungshandeln effizient und vertrat gut die deutschen lnteressen. Viel zu tun hatte er mit dem Kampf gegen die Terroristen der damaligen Rote-Armee-Fraktion. Intensiv gekümmert hat er sich mit seinem Freund Giscard d’Estaing, dem französischen Präsidenten von 1974 bis 1981, um die deutsch-französische Einigung.
Helmut Schmidt wurde am 23. Dezember 2013 95 Jahre alt. Er feierte seinen Geburtstag privat in seinem Haus in Hamburg. Eine öffentliche Feier wollte er nicht. Die ARD brachte am Abend eine anderthalbstündige Sendung mit dem Titel "Lebensfragen". Darin unterhielt sich der Chefredakteur der Wochenzeitung DIE ZEIT Giovanni di Lorenzo mit dem Herausgeber der ZEIT Helmut Schmidt und stellte ihm Fragen, die Schmidt beantwortete. Begleitet wurde das Gespräch mit Bildern von Episoden aus dem Leben des Altbundeskanzlers. Erstaunlich war auch hier wieder einmal die Klarheit der Gedanken von Helmut Schmidt noch in seinem hohen Alter. Es wurde die disziplinierte Haltung seines gesamten langen Lebens deutlich. Helmut Schmidt ist ein Mensch, der die Aufgaben seines Lebens stets erkannt, angenommen und mit großer Disziplin zu realisieren versucht hatte. Eine Grundtugend, die ihm in seinem Leben geholfen habe, es zu meistern, sei die Gelassenheit gewesen, meinte er. Es mutet schon seltsam an, dass gerade dem Bundeskanzler Helmut Schmidt mit seiner norddeutschen Kühle, Distanziertheit und Selbstdisziplin dieser Helmut Kohl gefolgt ist. Eine von dessen ersten Maßnahmen als Bundeskanzler war die Einführung "schwarzer Kassen" bei der CDU. Dies war ein eindeutiger Gesetzesverstoß und im Nachhinein betrachtet wohl seine Vorstellung von geistig-moralischer Wende, von der er vorher gefaselt hatte.
Später kam dann noch der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder (1998 bis 2005) hinzu. Er war letztendlich ein eher blasser Bundeskanzler, misst man ihn an seinen sozialdemokratischen Vorgängern im Kanzleramt, dem manchmal die notwendigen Umgangsformen fehlten Eine seiner großen Leistungen für unser Land war allerdings die Ablehnung des Irak-Krieges. Ein großer Fehler war die von ihm durchgesetzte Agenda 2010. Damit wandte sich die SPD von ihrer Klientel, den „kleinen Leuten“, ab und unterstützte die Verteilung von unten nach oben. Seitdem werden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer. Dies führte dazu, dass seitdem die Mitgliedschaft in der SPD um über 400.000 MitgliederInnen gesunken ist. Nicht ohne Grund wurde Schröder als „Genosse der Bosse“ bezeichnet. Wie Viele aus kleinen Verhältnissen, wollte er unbedingt nach oben kommen und buhlte deswegen um die Anerkennung der Mächtigen. Die hat er bekommen. Das sozialdemokratische Volk hat er dabei verloren. Mit Gerhard Schröder begann der Niedergang der guten, alten SPD.
Mit der Agenda 2010 hat sich die SPD zur Hilfstruppe des Kapitals gemacht; die Menschen liefen ihr davon. Der enorme Wählerschwund für die Partei hält bis heute an. Die Agenda 2010 führte zu bedrohlichen Lebensverhältnissen für die untere Schicht unserer Gesellschaft. Millionen Menschen haben kein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis, Ihnen stehen nur Leiharbeit oder Zwangsteilzeit als Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung oder sie werden mit Billigjobs abgespeist. Ihre verminderten Einkommen werden künftig zu verminderten Rentenzahlungen führen. Die Agenda 2010 sowie Hartz IV sind die tiefsten Einschnitte in die Sozialpolitik Deutschlands seit 1949. Mit den sogenannten Reformen der Agenda 2010 (die ja keine Reformen im herkömmlichen Sinne der Verbesserung waren, sondern eine allgemeine Verschlechterung für große Teile der Bevölkerung) wurden Kontrollen und Repressalien der Jobcenter und der Sozialämter gegenüber den Betroffenen drastisch verschärft. Es ist bedauerlich, dass gerade ein Bundeskanzler der SPD dies durchgesetzt und den falschen Beifall von den falschen Leuten bekommen hat.
Die psychosozialen, gesundheitlichen und soziokulturellen Folgen der Reformagenda 2010 werden stets unterschlagen. Es verletzt das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen, dass jahrzehntelang tätige ArbeitnehmerInnen nach einer kurzen Schonfrist auf das Fürsorgeniveau von Menschen herabgedrückt wurden, die noch nie gearbeitet haben, während sich die Reichen mit steuermindernden Schlupflöchern und steuerkriminellen Machenschaften von ihrer Steuerpflicht davonschleichen. Da ist etwas faul in unserem Staate.
Das derzeitige Problem der SPD ist, dass ihr die wirklich starken und charismatischen Persönlichkeiten fehlen. Willy Brandt, Herbert Wehner und Helmut Schmidt waren solche Persönlichkeiten. Sie sind mittlerweile Mangelware geworden. Peer Steinbrück, Frank-Walter Steinmeiner und Sigmar Gabriel mögen gute Manager der Macht sein; sie haben jedoch allesamt kein Charisma. Die SPD wird sich nur dann wieder regenerieren können, wenn sie sich für ihre althergebrachte Klientel, die sogenannten kleinen Leute, einsetzt, gegen die Interessen des Kapitals kämpft und mit einer fortschrittlichen, zukunftsorientierten Politik Besserverdienende mitnimmt. Den Weg der Agenda 2010 sollte sie schleunigst wieder verlassen. Erste Ansätze dazu sind sichtbar. Radikale Abgrenzung zum Kapital wäre die Aufgabe der SPD, um ihr Eigenprofil wieder deutlich zu machen. Die Partei DIE LINKE kann dies nicht leisten, weil sie durch geschickte Strategie der rechten, konservativen Kräfte noch immer in die Rolle einer Partei der ehemaligen DDR gedrückt wird; sie kann sich von diesem Druck nicht befreien.
Politik zeigt sich in Personen. Ein Frank- Walter Steinmeier wird eher wahrgenommen als leitender Angestellter denn als ein Führer der „kleinen Leute“. Er war sicherlich ein guter Organisator des Bundeskanzleramtes unter Gerhard Schröder – mehr nicht. Der glücklose Peer Steinbrück ist nicht der Führer der „kleinen Leute“; die rechten, konservativen Kräfte haben ihn – nicht ohne Grund - mit gezielter Agitation in die Rolle des Millionärs mit seinen eigenen Interessen geschoben. Franz Müntefering, einstmals SPD-Parteiführer und Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, der nicht mehr im neuen Deutschen Bundestag vertreten sein wird, war eher der Typ des Vertreters der „kleinen Leute“. Mit seinem sauerländischen Charme machte er eine gewisse Bodenhaftung eines sozialdemokratischen Politikers deutlich. Allerdings war sein Ausspruch „Opposition ist Mist“ nicht gerade förderlich. Denn der Ausspruch lässt vermuten, dass man sich mit allen möglichen Leuten verbindet, nur um der Rolle der Oppositionspartei zu entgehen. Gerade diesen Eindruck muss die SPD aber vermeiden.
Wohin gehst Du, gute alte SPD?
Die MitgliederInnen der SPD können stolz sein auf ihre Partei. Sie hat in 150 Jahren ihrer Geschichte mehr geleistet als die anderen etablierten Parteien, und ihre PolitikerInnen haben für ihre Ziele gelebt und gelitten. Die moderne Bundesrepublik Deutschland, so wie sie sich heute darstellt, ist mit ihr Werk. Das verdanken wir den vielen beharrlichen und tapferen PolitikerInnen der SPD in Deutschland und einem Parteivolk, dass ihre Oberen unterstützt und mitgeholfen hat, die schlechten Verhältnisse immer wieder zu verbessern.