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Beschäftigung von NS-Tätern in der jungen BRD nach der Nazizeit (10. Mai 2013)
ОглавлениеIn der heutigen taz steht ein interessanter Artikel über die Beschäftigung von NS-Tätern in der jungen Bundesrepublik bei Bundesministerien und - behörden nach der Nazi-Zeit. Dabei geht es um einen interessanten Aspekt der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Konrad Adenauer, der 1. Bundeskanzler unseres Landes, stand trotz aller Verdienste Zeit seines Lebens in der Kritik, weil er nach dem Krieg zu Beginn der Bundesrepublik NS-Täter in den Bundesministerien beschäftigt hatte. Der bekannteste Fall ist die Beschäftigung des Staatssekretärs Globke im Bundeskanzleramt. Der Staatssekretär Globke war während der Nazizeit als Referatsleiter im Reichsjustizministerium beschäftigt. Er hatte in dieser Zeit einen maßgeblichen Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen geschrieben, mit denen die Nationalsozialisten ihre antisemitische Ideologie von Anfang an auf eine juristische Grundlage stellten, um die Juden zu verfolgen und zu vernichten. Gerade Globke war somit kein bescheidener Mitläufer des Nazi-Regimes. Solch einen vorbelasteten Mann holte sich Konrad Adenauer als Staatssekretär in seine Regierung und beschäftigte ihn in der Schaltzentrale der Macht als Leiter des Bundeskanzleramtes. Dies war ungeheuerlich; es wurde zu Recht öffentlich kritisiert. Das passte sich ein in das Schüren von Ängsten der Menschen vor einem „Angriff aus dem Osten“. Es waren die Zeiten des „Kalten Krieges“, der verbalen Auseinandersetzungen zwischen West und Ost. Mit dem intensiven Schüren solcher Ängste (man sehe sich nur einmal die Wahlplakate der CDU / CSU zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland an) setzte Adenauer die Politik der Nazis nahtlos fort. Denn schon die hatten große Angstkampagnen gegen “den Osten“ betrieben. Nationalsozialistische ldeologie und CDU-Ideologie waren zu Anfang der Bundesrepublik Deutschland in großen Teilen ähnlich. Adenauer hielt bis zum Ende seiner Amtszeit 1963 an Globke fest.1956 hatte er in einem Zeitungsinterview erklärt, dass Behauptungen, sein enger Mitarbeiter sei ein eifriger Gehilfe der Nationalsozialisten gewesen, jeder Grundlage entbehrten. Das war ein schwerwiegender Fehler von Adenauer, der die Beschäftigung von vielen weiteren ehemaligen Tätern des NS-Regimes in Bundesministerien und -behörden zur Folge hatte.
Wie wichtig dies Thema für die Geschichte der Bundesrepublik war und auch noch immer ist, wird daran deutlich, dass noch heute um die Beschäftigung von solchen Tätern gerungen und kontrovers diskutiert wird. Die Nazi-Zeit ist für uns alle noch längst nicht vorbei. Diese schreckliche Zeit kann nicht einfach abgehakt werden nach dem Motto: Jetzt ist genug Zeit vergangen, nun soll endlich der Schwamm des Vergessens über diese schrecklichen Geschichten gezogen werden. Ob wir wollen oder nicht: Wir müssen uns mit unserer Vergangenheit immer wieder auseinandersetzen. Weil während der Nazizeit durch Deutsche die schrecklichsten Verbrechen geschahen, die unendlich viel Leid über andere und uns gebracht haben. Unsere Altvorderen haben uns ein schreckliches Erbe hinterlassen, dem wir nicht entfliehen können.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie die schrecklichen Geschehnisse der Nazizeit mit den Morden an Juden, Zigeunern, Geisteskranken und anderen von den Nazis gehasste Gruppen wie den Kommunisten und den Sozialdemokraten verdrängt wurden. Überall wurde verdrängt. So natürlich auch in den Bundesministerien. Alexander und Margarete Mitscherlich haben dies in ihrem äußerst verdienstvollen Buch “Die Unfähigkeit zu trauern“ gut beschrieben. Wenn im Kollegenkreise einmal das Gespräch auf das Dritte Reich kam - das war selten genug, denn das Thema wurde nicht geschätzt -, dann pflegten ältere Kollegen, auch solche mit akademischer Ausbildung, sofort darauf hinzuweisen: „Wir haben von alledem nichts gewusst“. Dies war der Standardsatz der deutschen Nachkriegsgeschichte. Diese Antwort des Verdrängens und Vergessens war damals hochgeschätzt. Jeder hätte Hitler’s „Mein Kampf“ lesen können, in dem seine Gedanken für seine Herrschaft schon vorgezeichnet waren. Jeder hätte sich fragen können, wo denn die Juden geblieben waren, die in ihrer Nachbarschaft plötzlich aus den Wohnungen verschwunden waren, weil sie in Konzentrationslager gebracht und in die Gasöfen getrieben wurden. Das alles und viel mehr wollten die Menschen nicht wissen. Ihre Devise war: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Da konnten sie hinterher gut reden: „Wir haben von alledem nichts gewusst“. Weil sie nichts wissen wollten. Wer nicht besonders blöde oder borniert war, der wusste Vieles und ahnte noch mehr.
Wenn es zu kritisch wurde bei Unterhaltungen und Diskussionen von älteren mit jüngeren KollegInnen (ich war damals im Bundesarbeitsministerium in einer stark überalterten Abteilung; dort saßen vereinzelt Kollegen schon seit 30, 35 Jahren auf ihrem selben Dienstposten; entsprechend einseitig waren ihre geistigen Kapazitäten ausgebildet), haben ältere Kollegen auf eine kritische Frage oder eine kritische Antwort entgegnet: „Sie wären ein guter Nazi gewesen“. Damals waren wir Jüngeren empört über diese Dreistigkeit. Heute wissen wir sie einzuschätzen als hilflose Verzweiflung; man hatte keine Argumente mehr und musste deswegen die Notbremse ziehen. Dies war kein Wunder: Diese Kollegen waren in der Regel eifrige BILD-Zeitungs-Leser und damit keine besonders scharfsinnigen Intellektuellen, die auch in Bundesministerien und –behörden eher seltener anzufinden sind. Jedenfalls wurde dort wie überall versucht, die Zeit des Dritten Reiches auf Deubel komm raus zu verdrängen.
Der Vater eines Freundes, der im Dritten Reich die Nazis unterstützt und eine bescheidene Karriere bei der Kriminalpolizei gemacht hatte, sagte mir einmal in jungen Jahren, er habe nach dem Krieg den Eindruck gehabt, er sei der einzige Nazi gewesen. Das traf die Situation punktgenau. Ich habe den Mann deswegen geschätzt, weil er mir ruhig und sachlich erklärt hat, warum er bei den Nazis mitgemacht hat, ohne in die störrische Rechthaberei zu verfallen, die manchen Alten eigen ist. Bei aller notwendigen und richtigen Kritik im Nachhinein vergisst man oftmals, dass diejenigen die die Nazis unterstützt haben, Menschen, oftmals junge Menschen mit ihren eigenen Hoffnungen, Sehnsüchten, Erwartungen und Wünschen und natürlich oftmals jugendlichem Ehrgeiz waren. Es waren viele Idealisten darunter. Sie wurden allerdings von den Nazis schändlich missbraucht.
„Die Amnesie ist eine deutsche Krankheit, man könnte auch sagen, eine deutsche Kunst: gezieltes Vergessen zum eigenen Vorteil“, schrieb dazu Ernst Piper im Berliner Tagesspiegel (Ausgabe vom 13. Mai 2013).
Der Artikel in der taz beschäftigte sich mit einem Symposium in Berlin, das sich jüngst mit der Erforschung der NS-Geschichte bundesdeutscher Ministerien befasst hatte. Dabei kommt dem Bundesjustizministerium eine zentrale Rolle zu. Weil es nicht nur die Verfolgung von NS-Tätern beeinflusste, sondern der Ort war, an dem die Republik zum Rechtsstaat geformt wurde. Eine Studie „Die Rosenburg“ (früherer Sitz des Bundesjustizministeriums in Bonn) versuchte eine Bestandsaufnahme. Danach waren Ende der 1950er Jahre 48 Prozent aller Beamten des Justizministeriums NS-belastet, bei den Abteilungsleitern waren es sogar 60 Prozent. So kam es, dass der Jurist Eduard Dreher, 1943 als Staatsanwalt in Innsbruck an Todesurteilen wegen Bagatelldelikten beteiligt, nach dem Krieg Karriere im Bundesministerium der Justiz machte. Er wurde Ministerialdirigent. 1968 schrieb Dreher in ein damaliges Ordnungswidrigkeiten-Gesetz einen Paragrafen, der einen großen Teil von NS-Tätern künftig vor der Justiz schützte. Danach konnten Planer des Holocaust (der Ermordung der Juden) nicht mehr für Mord, sondern nur noch für Mordversuch angeklagt werden. Dies war 1960 verjährt. Der Bundestag verabschiedete das Gesetz, ohne den darin aufgeführten Passus zu bemerken.
Mit seiner Nazi-Geschichte hat sich in den letzten Jahren intensiv das Auswärtige Amt (AA) befasst. Dass dies geschah, ist das große Verdienst des Politikers der Grünen und deutschen Außenministers von 1998 bis 2005, Joschka Fischer. Der hatte am 11. Juli 2005 eine unabhängige Historikerkommission mit hochqualifizierten international renommierten Wissenschaftlern eingesetzt, um die Geschichte des Auswärtigen Amtes und des Auswärtigen Dienstes in der Nazi-Zeit sowie in der Bundesrepublik Deutschland zu untersuchen. Anlass dazu waren der Nachruf--Erlass und die Nachruf-Affäre. Die Kommission veröffentlichte ihre Ergebnisse am 21. Oktober 2010 als Buch (mittlerweile auch als Taschenbuch erhältlich) unter dem Titel: „Das Amt und die Vergangenheit“.
Joschka Fischer verfügte als Chef des Auswärtigen Amtes im Jahre 2003, dass frühere NSDAP-Mitglieder künftig keinen ehrenden Nachruf mehr in der Mitarbeiterzeitung des AA erhalten. Dies führte zu öffentlichen Protesten von MitarbeiterInnen des Auswärtigen Dienstes, die noch im aktiven Berufsverhältnis standen, sowie von pensionierten Diplomaten. Es war der bisher erste öffentliche Protest von aktiven und pensionierten Diplomaten des Auswärtigen Dienstes; die Wogen kochten also hoch. Man muss dazu wissen, dass gerade Diplomaten von Berufs wegen mit öffentlichen Protesten sehr zurückhaltend sind. Daraufhin kündigte Joschka Fischer die genannte Historikerkommission an. Sie sollte die personelle Kontinuität nach 1945 und den Umgang des Auswärtigen Amtes mit der eigenen Vergangenheit auf wissenschaftlichen Grundlagen erforschen.
Nach dem Kriege haben interessierte Beschäftigte des Auswärtigen Amtes in der jungen Bundesrepublik Deutschland die Rolle des Auswärtigen Amtes im System der Nazi-Schrecken bewusst verharmlost. Man versuchte, den “Mythos des sauberen Diplomaten“ der Öffentlichkeit glaubhaft zu machen. Dies war genauso erlogen wie der „Mythos des braven deutschen Soldaten“ im Zweiten Weltkrieg. Große Teile der deutschen Wehrmacht haben an schrecklichen Verbrechen gegen Juden, Geisteskranke, Zigeuner u. a. in den damals von Deutschen besetzten Gebieten teilgenommen (dies wird auch durch die Wehrmachtsausstellung des Instituts für Sozialforschung des Herrn Reemtsma bewiesen; es kann z. B. nachgelesen werden in dem Buch von Jonathan Littell: „Die Wohlgesinnten“).
Die Verharmlosung der Rolle des Auswärtigen Amtes und Dienstes im Nationalsozialismus ging schon los mit der verklärenden Rolle, die interessierte Kreise dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt von 1938 bis 1943 Ernst von Weizsäcker zuschrieben. Ernst von Weizsäcker war Mitglied der NSDAP und SS-Brigadeführer, was einem Generalmajor der deutschen Wehrmacht entsprach; damit gehörte er zum ausgesuchten Führungspersonal der Nazidiktatur. Er wurde 1947 von den Amerikanern verhaftet. In den Kriegsverbrecher-Prozessen in Nürnberg wurde er als Kriegsverbrecher angeklagt. Am 14. April 1949 erfolgte seine Verurteilung als aktiver Mitwisser an der Deportation französischer Juden nach Auschwitz wegen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit; dafür erhielt er 5 Jahre Haft. Aufgrund einer allgemeinen Amnestie kam er bereits im Oktober 1950 frei.
Die Historikerkommission kommt in ihrem Buch „Das Amt und die Vergangenheit“ zu dem Ergebnis, dass die Rolle des Auswärtigen Amtes im Dritten Reich neu bewertet werden müsse. Es sei kein Hort des Widerstands gewesen, sondern Wegbereiter der „Endlösung“. Im AA fanden sich viele aktive Unterstützer der Judendeportationen und der Judenvernichtung. Der historischen Verantwortung und Schuld habe sich das Auswärtige Amt nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland nicht gestellt. Im Gegenteil: Gegenüber der Öffentlichkeit wurden die Widerstandskämpfer aus den Reihen des AA übermäßig hervorgehoben.
1968 erschien das das „Braunbuch – Kriegs- und Naziverbrecher in der BRD und Westberlin“. Darin sind viele Lebensläufe von ehemaligen Nazis in der Bundesrepublik aufgelistet. Netzwerke und Seilschaften (Burschenschaften, Kameradschaften u. A.) hatten sich gebildet und gegenseitig Wege geöffnet. Dabei wurden auch gegenseitig „Persilscheine“ ausgestellt, das heißt, es wurden gegenseitig Erklärungen unterschieben, dass Personen vom Nationalsozialismus unbelastet waren. Oder es wurden gegenseitige Empfehlungsschreiben zur Verfügung gestellt. Genauso wurde es im Justizministerium gehandhabt. Wie zum Beispiel bei dem Leiter der Strafrechtsabteilung im BMJ Eduard Dreher (s. o.). Über alldem hielt der Regierungschef Konrad Adenauer seine schützende Hand. Aber ein böser Kommunist, der ein paar Handzettel verteilt hatte, wurde rauschgeschmissen. Die Kommunisten waren im Übrigen die Einzigen neben den Sozialdemokraten, die während der Zeit des Nationalsozialismus gegen die Nazis gekämpft hatten und dafür die schlimmsten Verfolgungen erdulden mussten.
Das Ergebnis der Untersuchung im Auswärtigen Amt bestätigte im Nachhinein den damaligen Bundesaußenminister Fischer in seiner kritischen Sicht der Dinge und seinem erwähnten Erlass. Das Buch wurde heftig kritisiert. Bei aller Kritik muss jedoch zusammenfassend festgestellt werden, dass das Auswärtige Amt stark in die nationalsozialistische Ideologie und deren Verbrechen verwickelt war. Wie dies bei allen anderen Ministerien und in der Gesellschaft allgemein so war. Die Beschäftigten des AA halten sich zwar stets für etwas Besseres, das ist bekannt; aber sie waren nicht besser als andere.
Derzeit wird laut taz (siehe Quellen 1) die Geschichte von vier weiteren Ministerien und zwei Behörden untersucht. Über den Bundesnachrichtendienst soll eine Gesamtgeschichte veröffentlicht werden. Mit der Fertigstellung wird für 2016 gerechnet. Über das Bundeswirtschaftsministerium ist eine Geschichte von 1919 bis 1990 in vier Bänden geplant. Untersucht werden ebenso das Arbeitsministerium und der Verfassungsschutz. Abgeschlossen sind die Studien über das Auswärtige Amt (siehe oben) und über Altnazis im Bundeskriminalamt.