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2.VERANTWORTUNG ODER: WORAN SPÜRT MAN DIE WIRKUNGSMACHT DER BEWEGTEN BILDER?

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Unter Fernsehmachern haben sich manche eilig dahingesagten Sprüche eingebürgert, die ich aus tiefstem Herzen verabscheue. Ganz oben auf meiner persönlichen Schwarzliste: »Das versendet sich.« Dicht gefolgt von »Wir machen doch nur Fernsehen und keine Herz-OP.« Während der erste Satz aus meiner Sicht einen sträflichen Mangel an Respekt vor dem Publikum offenbart, redet der zweite die Verantwortung für das eigene Tun unangemessen klein. Nein, es geht in unserem Geschäft nicht um Leben und Tod. Und mir liegt auch nichts an einem müßigen Abwägen der Verantwortung zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen. Man sollte sich möglichst nie zu ernst nehmen. Aber: Ich treffe immer noch zu viele Branchenkollegen, die ihre Verantwortung gnadenlos unterschätzen oder aus Bequemlichkeit ignorieren.

Eines der Laborseminare, das mich im Publizistikstudium an der FU Berlin am nachhaltigsten beeindruckte, bezog sich auf die Sendung betrifft: fernsehen. Das war ein medienkritisches Magazinund Dokumentationsformat, das von 1974 an zehn Jahre lang im ZDF lief. Sein Ziel war es nicht, Nabelschau zu betreiben, sondern die Medienkompetenz der Zuschauer zu stärken, oftmals mit kontroversen Themen. Helmut Greulich, der Redaktionsleiter, wagte mit uns ein Experiment, aus dem ein viel diskutierter Beitrag für seine Sendung wurde: »Vier Wochen ohne Fernsehen«. Wir bauten eine Versuchsanordnung auf, die zwei Berliner Arbeiterfamilien dabei beobachtete, wie sie für einen Monat komplett aufs Fernsehen verzichteten. Von der Kamera begleitet, ließen wir die TV-Geräte aus ihren Wohnzimmern abtransportieren und installierten dort jeweils eine Handvoll feste Videokameras. Um keinen Einfluss durch unsere Anwesenheit zu nehmen, kamen wir nur dann vorbei, wenn Videobänder und Batterien in den Kameras ausgetauscht werden mussten. Mit unserem frühen Vorgriff auf Big Brother mochten wir inhaltlich modern sein, an digitale Aufzeichnungstechnik war freilich noch nicht zu denken. Unser Experiment zeigte am Ende eindrucksvoll, welche ausgleichende Wirkungsmacht das Medium Fernsehen hatte. Es wirkte wie ein Katalysator, der die im Alltag erlittenen Frustrationen und die Zwistigkeiten innerhalb der Familien eindämmte. Ohne ihren Fernseher und die verbindende Kraft gemeinsamer Seherlebnisse kamen die Familienmitglieder nicht mehr miteinander aus. Eines der beiden Ehepaare wollte sich nach den vier Wochen sogar trennen. Es war schockierend, die enorme emotionale Bindekraft des Fernsehens in ihrer Negativwirkung vorgeführt zu bekommen. Ich verstand mit einem Mal die Wirkungsmacht und die daraus resultierende Verantwortung, die Fernsehmacher zweifellos eingingen. Dieser Gedanke sollte mich nie wieder loslassen, auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, wohin genau mein Weg mich führen würde.

Dass mir die journalistische Arbeit für Kennzeichen D und Telemotor irgendwann nicht mehr ausreichte, hatte ebenfalls mit dieser Wirkungsmacht des Fernsehens zu tun. Erst war es nur ein unbestimmtes Gefühl, dass ich meine wahre Berufung noch nicht gefunden hatte. Dann kam der entscheidende Impuls ausgerechnet am Zuschauertelefon, das ich im Anschluss an die Kennzeichen D-Sendungen regelmäßig betreute. Dort riefen Menschen an, die manchmal Nachfragen zu den behandelten Themen hatten, viel öfter jedoch einfach nur ihrem Ärger Luft machen oder ihre Zustimmung kundtun wollten. Die wesentlichen Reaktionsmuster aus Tausenden Telefonaten ließen sich auf zwei Archetypen herunterbrechen. Entweder: Ja, sehe ich genauso, danke für die Argumentationshilfe! Oder: So ein Unsinn, das stimmt doch gar nicht! In den Sendungen adressierten wir mit gut recherchierten Informationen ausschließlich den Verstand der Zuschauer. Ich begriff nach und nach, dass wir damit längst nicht so effektiv waren, wie wir uns das ausgemalt hatten. Die Medienwirkungsforschung hat oft genug nachgewiesen: Wenn neue Erkenntnisse nicht offen aufgenommen, sondern nur auf Basis bereits bestehender Wertbilder eingeordnet werden, dann kann keine Einsichtsveränderung entstehen – eine Art automatische Gehirnblockade zwecks Dissonanzvermeidung.

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