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Serien bieten Orientierung im Alltag

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Was unsere Daily-Drama-Serien betrifft, die auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs zusammengenommen täglich zwölf Millionen Zuschauer, die doppelte Reichweite der Bild-Zeitung, erreichten, so hat jede von ihnen über die Jahre einen umfangreichen Wertekatalog entwickelt, der soziale Grundsätze und Leitgedanken festhält. Diese Werte sind bei der Entwicklung neuer Geschichten stets präsent und fließen in die Erzählstränge mit ein. »Crime doesn’t pay off«, lautet einer der Grundsätze: Kriminalität darf sich in den Soaps nicht auszahlen. Kriminelle Machenschaften werden früher oder später bestraft. Selbst wenn der Arm des Gesetzes einmal nicht ausreicht und der Täter zunächst davonzukommen scheint, wird er früher oder später zumindest durch sein Umfeld zur Rechenschaft gezogen. Familienzusammenhalt und Toleranz sind weitere wichtige Werte. Die Familie – es mag jegliche regenbogenbunte Patchwork-Familie sein – ist für die Hauptfiguren der Serien eine Konstante im Leben. Auch wenn es innerhalb der Familie kracht, kann man sich darauf verlassen, dass die Familie in existenziellen Krisen füreinander da ist. GZSZ & Co. wollen die Familie als Ort des Geborgenseins vermitteln. Selbstverständlich spielen auch Ängste vor dem Anderssein und die sexuelle Identitätsfindung eine zentrale Rolle in den Storylines wie im Leben vieler Heranwachsender. Wann immer die Serien beispielsweise gleichgeschlechtliche Liebesgeschichten erzählen und dabei auch die Angst vor Anfeindungen sowie die mühsame Überwindung von Vorurteilen thematisieren, ist ihnen ein gewaltiges positives Feedback gewiss. Aus Online-Foren und sozialen Netzwerken wissen wir, dass solche Handlungsstränge nicht wenigen Zuschauern als Diskussionsgrundlage und Anleitung dafür dienen, ihre eigene sexuelle Orientierung zu offenbaren.

Es wäre verlogen, an dieser Stelle nur Positivbeispiele anzuführen. Bei allem Bewusstsein und bei allem Bemühen sind sicher nicht hundert Prozent aller UFA-Produktionen in den 27 Jahren meiner Geschäftsführung dem Ziel der Inspiration und der gesellschaftlichen Verantwortung vollumfänglich gerecht geworden. So wie von Axel Springer das Zitat überliefert ist, er habe »wie ein Hund« unter manchem gelitten, was zu seinen Lebzeiten in der Bild-Zeitung stand, so habe auch ich gelegentlich – zum Glück sehr selten mit Konsequenzen für die Programme – unter ein paar Extremen unseres Outputs gelitten. Vor allem dann, wenn die Darstellung einzelner Protagonisten in den Casting-Shows oder in einem Format wie Schwer verliebt, einer Dating-Doku-Soap für übergewichtige Menschen, meine persönliche Geschmacksgrenze überschritt. Aber natürlich gibt es in moralischen Fragen meist kein Schwarzweiß, sondern viele Grautöne und noch mehr unterschiedliche Auffassungen: Was ist noch zulässig, was nicht mehr? Wo erfolgt ein Tabubruch, der eine gewollte gesellschaftliche Debatte auslöst? Und wo einer, der nur Menschen oder Minderheiten bloßstellt? Wir haben das, wie schon erwähnt, regelmäßig intern diskutiert, besonders intensiv aber auch immer mit den jeweiligen Redaktionen in den Sendern. Denn Fernsehen darf ethische und moralische Wertvorstellungen nicht ignorieren. Einen eindeutigen Konsens über Trennlinien gibt es allerdings in der Gesellschaft nicht. Daher sollte man als Fernsehmacher mit Sorgfalt planen und auf Bedenken reagieren, wenn es darum geht, Grenzen zu verschieben und Diskurse anzustoßen.

In einem Fall jedoch haben wir komplett danebengegriffen. Das muss man mit Abstand so klar und schonungslos feststellen. Im Jahr 2004 produzierten wir für ProSieben The Swan – endlich schön, eine Reality-Show, in der 16 Frauen, die mit ihrem Aussehen unzufrieden waren, durch Schönheitsoperationen, Fitnesscoaching und Persönlichkeitsberatung verwandelt wurden. Unsere amerikanische Schwestergesellschaft hatte dieses Format entwickelt und mit großem Erfolg auf Sendung gebracht. Innerhalb des Fremantle-Vorstands führten wir lange, leidenschaftliche Diskussionen darüber, ob wir dieses Programm überhaupt in andere Märkte exportieren sollten. Die männlichen Board-Mitglieder waren dabei eher zurückhaltend, während die weiblichen weniger Bedenken hatten und auf die Erfolge in den USA sowie die Möglichkeit zur Selbstfindung der teilnehmenden Frauen verwiesen. Obwohl wir das ursprüngliche Konzept mit Blick auf die kulturellen Bedingungen in Deutschland etwas veränderten, hätte ich damals besser entscheiden sollen, auf den Produktionsauftrag zu verzichten. Soziale Anerkennung durch eine selbstdefinierte Physis, mehr Freunde finden mit gestrafften Wangen und aufgespritzten Lippen: Das waren nach meiner Einschätzung fragwürdige Botschaften eines Unterhaltungsformats, die zudem das Risiko einer Imageschädigung für Sender und Produzent bargen. Wir haben The Swan nach einer Staffel beendet und nie wieder etwas Vergleichbares versucht.

Mein weiter Bogen von Holocaust bis The Swan zeigt zweierlei: wie komplex, vielfältig und unvermeidbar unsere Verantwortung ausfällt, wenn wir Geschichten für ein breites Publikum erzählen; aber ebenso, dass wir es hier nicht nur mit gesellschaftlicher Pflichterfüllung zu tun haben, sondern auch mit einem geschäftlichen Imperativ. Für mich steht es außer Frage, dass der langfristige Erfolg von Medienmarken maßgeblich von der Authentizität und Glaubwürdigkeit ihrer Inhalte abhängt. Gerade in der schier unübersichtlichen Angebotsvielfalt des digitalen Medienzeitalters ist das eine große Chance für zuverlässige Marken, die ein klares Profil haben. Ein Profil, das die soziale Verantwortung sichtbar mit einbezieht und das auf dem Boden eines klar umrissenen Wertekosmos steht.

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