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ОглавлениеWo steckte Bernhard? Eschenbach sah die Straße entlang. Von seinem weißen Mercedes-Transporter keine Spur. Kommen würde er, das hatte er ihm auf seine Nachricht hin versprochen. Seit er Bernhard vor Jahrzehnten auf einer Auktion kennengelernt hatte, war er sein bester Freund. Die Teppiche, die er sich heute Nacht als Vorabanteil am Geschäft reservieren würde, wären in Bernhards Lager in Zürich behütet wie in Fort Knox.
So wie der Afghan. Eschenbach brannte darauf, ihn zu fotografieren und sich zu versichern, dass jenes Unglaubliche, das er im Büro des Basaris auf ihm entdeckt hatte, nicht nur in seiner Einbildung existierte. Nur hatte er die Galerie seit dem Streit mit Ingrid gemieden. Wie ein Gespenst konnte sie jederzeit auftauchen.
Für heute Abend jedoch hatte sie Karten für die Premiere der Walküre im Staatstheater. Das hatte er sich gemerkt, weil es so zu ihr passte.
Bernhard mochte, überlegte Eschenbach, das niedrigere Tempo mit dem Transporter unterschätzt haben. Immerhin waren es dreihundert Kilometer. Zur Sicherheit rief er ihn an, aber er nahm nicht ab, wiederum nicht überraschend, wenn er am Steuer saß. Bernhard war genau in diesen Dingen.
Am besten holte er erst den Teppich aus dem Safe und empfing ihn anschließend unten.
Für den Fall, er käme doch gleich, deaktivierte Eschenbach die Alarmanlage und hielt die Tür mit einem Keil offen. Denn die Klingel funktionierte nicht.
Dann ging er nach oben.
»Was will er um die Zeit hier?«, murmelte Dastan.
»Keine Ahnung«, erwiderte Rahim.
Dastan hatte ihn angewiesen, auf den Beobachtungsposten zurückzufahren. Von dort beobachtete er mit dem Fernglas den Hintereingang der Galerie, in dem Eschenbach verschwunden war.
Plötzlich tauchte die hagere Gestalt des Händlers erneut in der Tür auf. Er machte sich an ihr zu schaffen, ehe er wieder im Inneren verschwand. Zurück blieb ein Lichtspalt zwischen Rahmen und Tür.
Dastan pfiff durch die Zähne. »Sieh mal an, er hat sie mit etwas blockiert. Was hat er vor?«
Während Rahim noch darüber nachdachte, legte Dastan das Fernglas beiseite. Rahim sah im Rückspiegel, wie er einen Blick mit Seyyed tauschte. »Warte hier!«, zischte Dastan.
Die beiden stürzten aus dem Wagen und hinüber zur Galerie. Um Himmels willen. Was hatten sie vor? Rahims Puls raste, und eisige Kälte breitete sich in seinem Magen aus. Er war froh, dass Dastans Drosseldraht in der Reisetasche geblieben war.
Dastan sah sich im Treppenhaus um. Es brannte Licht, rechts lag eine geschlossene Tür, vor ihm die Treppe. Der Deutsche blieb unhörbar und unsichtbar.
»Was ist dein Plan?«, flüsterte Seyyed.
Dastan war sein Gruppenführer in der Armee gewesen. Zusammen waren sie durch dick und dünn gegangen, oder eher: Seyyed mit ihm. Dastan betrachtete sich als einzigen Freund seines massigen und unansehnlichen Kumpels, der nie eine Frau gehabt hatte. Nur ihm zuliebe war er überhaupt zu den Söhnen gekommen, vermutete Dastan. Er hatte sein ganzes Leben jemanden gebraucht, der ihm einen Plan präsentierte. So wie jetzt.
»Was fragst du so blöd? Wir müssen an den Teppich ran. Das ist der Plan«, zischte er.
»Der Scheich hat doch nur von einem Einbruch geredet …«
»Wir wissen von Rahim, dass die Truhe mit ihm hier ist. Aber wie lange noch? Wenn er sie wohin schafft, wo wir nicht rankommen? Erklärst du es dann dem Scheich … und Allah?«
Seyyed schwieg und Dastan deutete auf einen grauen Kasten an der Wand, auf dem die Anzeige »Alarm aus« leuchtete. »Siehst du? Vielleicht erwartet er jemanden und will ihm den Teppich geben. Deshalb der Keil.«
Dastan öffnete die Tür rechts und spähte in den Raum dahinter. Im Halbdunkel machte er Ware, Tresen und Tische aus. Der Verkaufsraum. Hier war der Deutsche nicht, sonst hätte er Licht gemacht. Er horchte nach oben und hörte von dort leise Geräusche.
»Ich geh hinauf und du bleibst hier, ob jemand kommt.«
Dastan schlich die Treppe hoch.
Oben im Flur, auf dem Weg zu seinem Büro, erspähte Eschenbach in der Teeküche angewidert dreckiges Geschirr. Die Reste einer Vernissage vom Freitag, um die sich die Putzfrau erst am Montag kümmern würde. Im Büro sah es noch schlimmer aus. Sein Schreibtisch war vollgestellt mit Flaschen und Schachteln, eine Lieferung ihres Chemikalienhändlers, die Freitagnachmittag gekommen sein musste. Auch vor und neben dem Tisch standen Kartons, die Sektgläser und anderes Geschirr für die Veranstaltung enthalten hatten.
War er schon so abgeschrieben, dass sein Büro als Abstellkammer diente? Eschenbach fegte die Flaschen und Kanister von seiner Arbeitsfläche. Daraufhin öffnete er den Tresor und zog die Truhe mit dem Teppich heraus. Er stellte sie auf dem Tisch ab, und erst jetzt fiel ihm auf, dass für all das Unerwünschte, das darauf gelandet war, etwas Wichtiges verschwunden war: die Transportkiste aus Aluminium. Das jahrhundertealte Holz der Truhe war zu brüchig, um sie ungeschützt zu transportieren. Nur hätte sie in der Kiste nicht in den Tresor gepasst. Deshalb hatte er sie auf dem Schreibtisch abgestellt.
Noch während er suchte, klingelte sein Handy. Es war Bernhard. In zehn Minuten würde er da sein. Eschenbach entschied sich, erst nach unten zu gehen und ihm die Teppiche aus dem Kellerlager zu richten. In der Zeit, in der Bernhard sie einlud, konnte er nach der Kiste fahnden.
Er ließ die Truhe auf dem Tisch und verließ das Büro.
Auf dem Weg durch den Flur hörte er aus der Teeküche ein Geräusch wie von einer Gabel, die auf einem Teller klirrte.
Sollte er nachsehen? Keine Zeit, entschied er.
Kurz zuvor war Dastan oben auf einen Gang gestoßen, an dessen Ende Licht aus einer halboffenen Tür fiel. Er näherte sich auf Zehenspitzen, spähte durch die Tür und sah Eschenbach sein Handy in die Anzugjacke stecken. Hatte er telefoniert? Und mit wem?
Eher er darüber nachdenken konnte, bemerkte er die kleine Truhe aus altem, dunklem Holz auf dem Schreibtisch. Er sog die Luft ein, gleichzeitig lief ihm ein Schauer über den Rücken. Obwohl er sich ihn imposanter vorgestellt hatte: Er musste es sein.
Dastan zog den Kopf aus dem Türspalt und ging alle Optionen durch: Weder er noch Seyyed trugen Waffen. Seyyed hatte sein Messer in Rahims Kofferraum gelassen, so wie er die Klaviersaite. Er würde es mit den Händen erledigen müssen. Was kein Problem wäre, wenn er … Da hörte er Schritte, die sich der Tür näherten.
In einem Reflex zog er sich zurück. Entscheidend war: Er musste Eschenbach überraschen und nicht umgekehrt. Dastan hastete zu einer dunklen Öffnung im Flur. Eine Art Küche, hatte er auf dem Hinweg registriert. Er zog sich in die Nische zurück, in der es nach Fisch und schalem Sekt roch. Gerade rechtzeitig, denn Eschenbach passierte ihn schon. Instinktiv wich Dastan weiter zurück ins Innere. Dabei stieß er gegen etwas auf der Küchenplatte, das ein Scheppern verursachte. Eine Gabel auf einem Teller. Hatte Eschenbach es gehört?
Dastan machte sich bereit. Doch die Schritte auf dem Gang entfernten sich wieder.
Er hörte Eschenbach die Treppe hinuntergehen. Sollte er hinterher? Unten stieße der Deutsche auf Seyyed. Aber der würde seine Schritte hören und sich rechtzeitig unsichtbar machen. Erst der Teppich, entschied er, nur der zählte.
Dastan schlich zurück ins Büro und trat an den Schreibtisch. Ehrfürchtig hob er den Deckel der Truhe an und sah in ihr einen verblichenen, alt und brüchig wirkenden, rötlichen Teppich. Das Geheimnis aller Geheimnisse. Dastan konnte es nicht fassen. Mit größter Vorsicht klappte er die Kiste wieder zu, die Scharniere waren fast zerfallen.
Der Schatz, der den Lauf der Welt verändern konnte, lag nun in ihren Händen. Jetzt musste er sich noch um Eschenbach kümmern. Angestrengt suchte er nach einer geeigneten Waffe. Sein Blick fiel auf die Flaschen und Kanister auf dem Schreibtisch. Manche trugen Flammensymbole, auf einem Behälter entzifferte er »Terpentin«. Auf einer kleinen, braunen Glasflasche blieb sein Blick haften, weil sie nicht nur ein Warnkreuz, sondern einen Totenkopf trug. Er las das Etikett. Chloroform. Was in aller Welt machte ein Teppichhändler damit?
Die Umrisse eines Plans zeichneten sich ab. Konnte man Chloroform nachweisen, nachdem ein Mensch verbrannt war? Würde jemand danach suchen? Dastan traf eine Entscheidung. Er verstaute die Flasche in seiner Jacke, klemmte sich die Truhe unter den Arm und eilte aus dem Zimmer.
Am Fuß der Treppe stieß er fast mit Seyyed zusammen. Der deutete auf beleuchtete Stufen, die noch tiefer führten: »Er ist im Keller.«
»Gib mir deinen Schal«, kommandierte Dastan. »Dann warte hier und pass auf die Kiste auf.«
Er stellte die Truhe auf dem Boden ab. Seyyed warf einen ehrfürchtigen Blick darauf, während er eilig seinen dünnen, grauen Wollschal abnahm.
Dastan schlich mit dem Schal erst die Treppe hinunter, dann den Gang entlang, in dem es intensiv nach Teppichen und Mottenkugeln roch. Eine der Türen stand offen. Er pirschte sich heran und sah den Deutschen in einem Lagerraum Brücken auf einen Stapel schlagen. Zum Glück kehrte er ihm den Rücken zu.
Dastan tränkte den Schal mit der farblosen, süßlich riechenden Flüssigkeit aus der Flasche – und bog sich zurück, denn die Dämpfe ließen ihn schwindeln. Auf Zehenspitzen stahl er sich in den Raum. Eschenbach wandte den Kopf. Doch da war Dastan schon bei ihm. Er presste dem Deutschen den Schal auf den Mund und umklammerte ihn gleichzeitig mit einem Arm.
Eschenbach zappelte für einige Sekunden. Dann sackte er in sich zusammen.
Dastan fing ihn mit Mühe auf und legte ihn auf den Teppichstapel. Er stopfte den Schal in die Jacke, spurtete nach oben, vorbei an Seyyed, weiter die Treppe hoch und holte aus dem Büro den Kanister Terpentin und noch eine Flasche mit einem Flammensymbol.
Unten stoppte er wieder vor Seyyed. »Hast du dein Feuerzeug?«
Seyyed rauchte nur gelegentlich. Er kramte in den Jackentaschen, aber die Hände waren leer, als er sie herauszog.
»Nein, in der Reisetasche.«
»Verdammt, Seyyed! Ich weiß nicht, wie lang er bewusstlos ist.«
»Lass uns einfach mit dem Teppich abhauen.«
»Denk nach! Wenn er überlebt, vermisst er ihn und stellt Nachforschungen an. Wenn wir aber das Geschäft anzünden, wer soll ahnen, dass das heilige Stück nicht verbrannt ist?« Dastan machte Anstalten, in den Keller zu spurten. »Ich erwürge ihn.«
Seyyed hielt ihn zurück. »Warte!«
Er öffnete die Tür zum Verkaufsraum, verschwand darin für kurze Zeit, und als er zurückkehrte, lag etwas in seiner Hand. Ein Feuerzeug aus gebürstetem Aluminium. In ihm eingraviert das Logo der Galerie, ein aufgerollter Teppich.
»Davon steht ein Korb voll auf dem Tresen«, sagte Seyyed. »Hab ich entdeckt, als ich mich vor ihm drin versteckt und mit der Lampe umgesehen hab.«
Seyyed trug stets ein Mini-LED-Licht am Schlüsselbund.
»Mein Bester!« Dastan tätschelte ihm die Wange.
Er schnappte sich das Feuerzeug, raste in den Keller und leerte das Terpentin über einige Teppiche aus.
Dastans Lid zuckte kurz. Der Deutsche tat ihm leid. Aber er erfüllte Allahs Willen. Außerdem musste er an das kleine, schwarze Buch des Scheichs denken. Und an die Augen des Jungen in dem abgetrennten Kopf. Als hätten sie ihn angestarrt.
Er hielt das Feuerzeug an die benzingetränkten Fransen eines Teppichs und zündete es mit einem Klick.
In den vergangenen Minuten hatten sich Rahims das Lenkrad umkrallende Hände mit Schweiß bedeckt. Was trieben die zwei da drin? Einmal wäre er fast abgehauen.
Erst als die beiden aus dem Hintereingang stürmten und er in Seyyeds Armen etwas Schwarzes, Eckiges wie eine Truhe sah, löste sich seine Beklemmung und wich Triumph.
Sie hatten Eschenbach den Teppich irgendwie abgeluchst. Rahim sah sich in London, als Held vor dem Scheich und vor Zahra. Ein siegreicher Kämpfer Allahs.
Er ließ den Motor an.
Die beiden sprangen in den Wagen, schlugen die Türen zu. Seyyed legte die Truhe auf dem Rücksitz neben sich ab.
»Fahr los!«, zischte Dastan.
Rahim tat es mit quietschenden Reifen.
Erstaunlich gefasst lenkte er danach den Corsa auf die Hauptstraße, Richtung Stadtausgang.
Nur dass es im Wagen bald nicht mehr nach Dastans Parfüm stank oder nach Seyyed, sondern nach etwas Süßlichem, Stickigem und nach Benzin. Spätestens damit begann seine Beunruhigung.