Читать книгу Tödliche Sure - Wolf Thorberg - Страница 4
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ОглавлениеDer Schäfer Hormoz war nicht der Einzige, den die umstrittene Offenbarung Mohammeds in einem Teppich ins Unglück stürzen würde. Er war nur der Erste.
Wie meist lagerte er mit der Herde auf einem Hang unterhalb der Ruine Alamut, eine halbe Tagesreise nordwestlich von Teheran. Reckte er den Kopf, sähe er geradewegs auf einen Vorsprung, von dem sich nach einer Legende einst fanatische junge Männer hinabgestürzt hatten. Hasan-i Sabbah, damaliger Burgherr und Herrscher der gefürchteten Assassinen, hatte es ihnen befohlen, um zu zeigen: Für ihn und ihren Glauben wählten seine Mannen klaglos den Tod.
Doch daran dachte Hormoz nicht. Er genoss die kühle Herbstluft und freute sich auf einen sonnigen Tag und auf Erfan, der nachmittags zum Tee seine ansehnliche Tochter mitbringen wollte. Denn auf die machte er sich gewisse Hoffnungen. Er wandte sich dem Frühstück zu, einem mit Rahm und Honig bestrichenen Fladenbrot, als etwas seine Aufmerksamkeit erregte.
Sein Blick wanderte zum Parkplatz unterhalb der Weide. Normalerweise benutzten ihn Ausflügler, die von hier aus zur Ruine hochkletterten. Auch jetzt hielt dort ein kleiner, weißer Saipa, aus dem kurz darauf drei Männer stiegen. Für Touristen war es zu früh. Außerdem berieten sich die drei bärtigen, düster wirkenden Kerle erst vor dem Wagen. Nach einer Weile starrten sie hoch zu seiner Weide. Dann marschierten sie nicht etwa Richtung Ruine, sondern zu ihm.
Hormoz schnellte vom Felsen, auf dem er saß. Sollte er das Gewehr holen? Doch je näher sie kamen, desto entspannter, ja ergriffen wirkten sie. Als harrten ihrer nicht er und ein paar magere Ziegen, sondern der Schrein eines Heiligen. Wahrscheinlich wollten sie nur nach dem Weg fragen, beruhigte er sich. Er setzte sich wieder und wartete ab, was weiter geschah.
Ich stellte Backwerk und Sekt auf das Sideboard. Neben dem Schreibtisch und einem schmalen Durchgang war es die einzige freie Fläche meines winzigen Büros, in dem sich Kartons voller kopierter Akten des Coretech-Falls stapelten. Den Javanischen Napfkuchen mit Rum, Schokolade und karamellisiertem grünem Pfeffer hatte ich am gestrigen Sonntag gebacken, dem ersten seit Wochen, den ich nicht in der Kanzlei verbracht hatte. Der Kuchen war in transparente Folie verpackt und mit bunten Schleifen verziert, nur die Sektflasche war nackt. Ich hatte sie erst auf dem Weg gekauft, um sie mit dem Kuchen mittags zur Post zu bringen.
Ich goss mir ein Glas schale Cola ein und widmete mich wieder Coretech, und das hieß: den Jahre zurückliegenden Geschäften eines mittelständischen deutschen Händlers von elektronischen Bauteilen. Die Firma war, so seine und natürlich unsere Version, unwissentlich in die Fänge eines Umsatzsteuerbetrugskarussells geraten. Die gleiche Ware wurde immer wieder zwischen EU-Staaten hin- und hergeschoben, jedes Mal Vorsteuer geltend gemacht, doch nie Mehrwertsteuer abgeführt. Ein eingespielter Kreislauf von Schein- und Tarnfirmen, in dem sich ab und zu auch einmal ein argloser »echter« Händler verfing wie, wollen wir annehmen, unser Mandant. Sonst winkten ihm, längst pleite und herzkrank, fünf Jährchen Pension zur gestreiften Sonne.
Ruchling hatte mir Hoffnung gemacht, mich als zweite Verteidigerin zu bestellen. Eine blendende Motivation, um mich weiter durch Buchungslisten, Rechnungskopien, Börsenpreise für Vakuumkondensatoren und andere spannende Dinge zu wühlen.
Mein Kopf schien schon im charakteristischen Frequenzbereich elektronischer Schaltungen zu brummen, als Jan Seitz den Kopf ins Zimmer streckte. Sein Blick fiel auf die Flasche und mein Java-Backwerk.
»Oh, du hast es also gehört, Grete. Das mit dem Sekt ist echt lieb. Kuchen wär aber nicht nötig gewesen.«
»Bitte, was?«
Jans Humor war typisch für den Zögling eines Eliteinternats, dessen Neuzugänge zu Penissen geformte Seifenstücke oral befriedigen mussten.
»Ich muss dich enttäuschen. Der ist für meinen Bruder.«
Jan grinste. »Du bäckst Kuchen für deinen Bruder?« Er beäugte mich, als wäre ich die Avon-Beraterin seiner Frau, die sich in die gehobene Wirtschafts- und Strafrechtskanzlei nur verirrt hatte.
»Mein Bruder«, sagte ich mit einem Seufzer, »hat Geburtstag, macht ein Praktikum in Rotterdam und haust in einer schäbigen Pension mit Blick auf den Hauptfriedhof. Ich bin mir sicher, er freut sich.«
Jan sah aus, als wollte er unverrichteter Dinge wieder abziehen.
Was mich erinnerte. »Was meintest du eigentlich mit: Du hast es gehört?«
»Oh, das!« Jan trat ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Auf einmal wirkte er ein wenig verlegen.
»Ruchling hat sich entschieden, mich als Nummer zwei für Coretech vorzuschlagen. Hat er nicht mit dir gesprochen? Du sollst mir zuarbeiten, und ich wollte dich fragen, wann wir uns austauschen können.«
Jan war anders als ich schon ein Jahr in der Kanzlei. Er konnte nicht nur ein eindrucksvolles Studium an einer privaten Law School aufbieten, verbunden mit einer schnöseligen Überlegenheit, die vor mancher Strafkammer Eindruck schindete. Er vertrat auch eigene Mandate vor Gericht und gerüchteweise golfte sein Vater im gleichen Klub wie der Bruder des Mandanten. Ruchling hatte also gute Gründe.
Aber es brach mir das Herz.
Ich brauchte einen Moment, bis ich antworten konnte. »Heute nicht, wenn’s recht ist. Reicht morgen früh?«
Selbst Jan merkte es. »Natürlich, Grete.«
Er verließ das Zimmer und schloss leise die Tür wie hinter einem Trauerfall.
Die drei Männer waren bei Hormoz angekommen.
»Salam, gesegneter Bruder!«
Der ihn so ungewöhnlich gegrüßt hatte, trug einen Anzug und war älter. Auf der Nase prangte eine Nickelbrille, auf dem Kopf eine Gebetskappe und ums Handgelenk hatte er eine Gebetskette gewickelt. Kurzer Draht nach oben, dachte Hormoz verächtlich. Das Gesicht des Zweiten erinnerte ihn an einen Fladen mit Narben als Belag, der Dritte war dürr wie ein Bergstrauch und lächelte so seltsam, als summte er lautlos ein Lied. Dabei musterte er unverschämt Hormoz’ zwischen Motorrad und Zelt verstreute Kleider und Kochutensilien.
»Salam«, knurrte er. »Ihr wollt doch sicher zur Ruine, der Weg ist dort auf der andern Seite.« Hormoz streckte den Arm zum Hügel gegenüber.
Der Betbruder zuckte nicht mit der Wimper. »Gesegneter Bruder, wir wollen keineswegs zur Ruine. Wir sind gekommen, um den Teppich in Empfang zu nehmen.«
Hormoz ließ das Fladenbrot sinken und runzelte die Stirn. »Einen Teppich? Ich bin Schäfer. Handle ich etwa mit Teppichen?«
Zugleich fing sein Puls an zu rasen. Woher konnten sie es wissen?
Von abgestandener Cola war ich auf den mit Tränen verdünnten Geburtstagssekt meines Bruders umgestiegen. Und zu dem Schluss gekommen: Das konnte ich mir nicht bieten lassen.
Die Tür zu Ruchlings Büro war nur angelehnt. Ich streckte den Kopf hindurch und sah seine bärenhafte Gestalt über den Schreibtisch gebeugt. Neben ihm stand ein Rollkoffer mit einem Mantel darüber und er kritzelte etwas auf einen Block. Letzte Anweisungen für Frau Hambrecht, die Bürovorsteherin. Mein Chef war auf dem Sprung zu einem Großverfahren in Freiburg.
»Haben Sie eine Sekunde?«
Ruchling sah hoch und hörte auf zu schreiben. »Kommen Sie rein. Ich wollte sowieso mit Ihnen sprechen, ehe ich fahre.«
Natürlich sah er mir an, worum es ging. Trotzdem schaute er wie ein Unschuldslamm.
Ich setzte mich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und lehnte mich mit gekreuzten Armen zurück. »Jan, Herr Seitz, hat mir gerade gesagt, dass Sie ihn zum zweiten Coretech-Verteidiger machen wollen. Er hat aber keine Ahnung vom Fall und ich arbeite daran seit Wochen!«
»Ich weiß.« Ruchling schob die Kappe mit einem Klick auf den Füller. »Aber in meinen Augen sind Sie noch nicht so weit.«
Was folgte, waren die Gründe, die ich mir gedacht hatte, nur angereichert um Begriffe wie gravitas und eine spezielle Auslegung von Jans Golfconnection: »Anwalt zu sein, ist eine Kontaktsportart, das sagte ich Ihnen, glaube ich, bereits bei der Einstellung.«
»Ich habe nun einmal keine Kontakte ins Milieu. Das sagte ich Ihnen, glaube ich, auch.«
Ruchling verzog das Gesicht. »Wenn Sie es so ausdrücken wollen, ist es mir sogar lieber.«
Der Sekt ließ den nächsten Satz leicht wie einen Korken zwischen meinen Lippen hervorploppen. »Wie wäre es, wenn ich kündige?«
Er touchierte kurz mit dem Handrücken die Nase und zog ihn wieder zurück. Ich erkannte die Geste – ein Boxer, der einen Treffer kassiert hatte. Ruchling hatte es als Amateurboxer bis zum baden-württembergischen Jugendmeister im Weltergewicht gebracht. Wie sein Faible für Strafverteidigung war es Teil seiner Jugendrevolte gegen den vermögenden Unternehmervater gewesen.
»Das wäre schlecht«, sagte er, als er sich gefangen hatte. »Wer bereitet dann den Prozess vor? Herr Seitz und ich haben noch andere Mandate. Und ich nur einen Kopf und zwei Hände.«
Das war alles?
»Haben Sie denn schon was?«
»Campbell, Trigniac & Associates haben mir ein Angebot gemacht«, bluffte ich. In der Großkanzlei in Montreal hatte ich einen Teil der Anwaltsstation des Referendariats absolviert. Wie jetzt war ich in Arbeit versunken und hatte das zweite Staatsexamen auch deshalb ein bisschen in den Sand gesetzt.
»Was muss ich Ihnen anbieten, damit Sie bleiben? Außer Coretech?«
Für den Anfang keine zu heiß gewaschene Besenkammer als Büro, flüsterte mir mein innerer Trotzkopf zu. »Ein eigenes Mandat«, sagte ich jedoch vernünftig.
Ruchling lehnte sich zurück und dachte nach. Und je länger sich die Sekunden zogen, desto heftiger schlug mein Puls. Hatte ich mich verkalkuliert?
Er seufzte. »Eigentlich kann ich mir so eine Erpressung nicht bieten lassen.«
Doch dann zog er eine Handakte aus einem Stapel hinter seinem Schreibtisch. »Das ist ein untypischer Fall, den wir sonst kaum annehmen. Vielleicht wäre das ja was für Sie.«
Er schob mir den prall gefüllten, flaschengrünen Hefter zu und ich schlug ihn auf, erleichtert wie ein Roulettespieler, der alles richtigerweise auf Rot gesetzt hatte. Zuoberst lag das Foto eines soignierten Herrn im Anzug, zwischen sechzig und siebzig. Gepflegter, weißer Vollbart und ein gütiger Blick aus rehbraunen Augen.
»Das ist Herr Eschenbach«, sagte Ruchling. »Ein erfolgreicher Teppichhändler oder, besser, Galerist. Nur sind ihm in letzter Zeit ein paar unerfreuliche Dinge passiert. Es fing damit an«, zählte er auf, »dass er sich verfolgt fühlte. Erst hat ihn ein Auto von der Straße gedrängt, dann ist er angeblich im Schlaf überfallen worden.«
»Wieso ›angeblich‹?«, hakte ich ein.
»Weil es keine Zeugen und Spuren dafür gibt. Genauso wenig wie für die neueste Behauptung, seine Frau habe ihm den Tee vergiftet.«
»Und … wie kommt er darauf?«
»Weil … nun, Eschenbach hängt seit einiger Zeit sonderbaren Theorien an. Es hat zu tun mit außerirdischer oder, wie er es nennt, Extrinischer Mathematik in Teppichmustern. ›Extrin‹ steht übrigens für ›Extraterrestrische Instanz‹. Er glaubt anscheinend, den Urhebern sei es lieber, ihre außerordentlichen Möglichkeiten blieben der Menschheit vorerst weiter verborgen.«
Ich riss die Augen auf. »Und seine Frau steht mit diesen … ›Extrins‹ im Bunde und hat ihn deshalb vergiftet?«
»So ungefähr, obwohl er selbst das gar nicht behauptet. Er sagt, er kenne das Motiv nicht.«
Ich hatte mich im Studium am Rande mit Unterbringungsrecht beschäftigt. Dort gehörten Außerirdische zum täglich Brot und bis jetzt klang die Geschichte nicht sonderlich bizarr. Es fehlten die Geheimdienste, Gedankenkontrollstrahlen und anderes Zeugs. Dafür war die Mathematik etwas Neues und, musste ich zugeben, ziemlich Interessantes.
»Es ist nicht so, wie es auf den ersten Blick scheint«, sagte Ruchling und unterbrach damit meinen Gedankengang. »Ich kenne Herrn Eschenbach von einem früheren Mandat und er wirkte auf mich weder damals noch heute psychisch krank. Der Teppich unter Ihrem Stuhl stammt übrigens aus seiner Galerie.«
Ich sah zu Boden und fahndete im Gewebe des leuchtend blauen, prachtvollen Persers nach geheimen Formeln oder steganographischen Botschaften fremder Zivilisationen. Stattdessen machten mich der Sekt und die hypnotischen Muster nur schwindlig.
»Zum anderen«, fuhr Ruchling fort, »wurden in seinem Tee immerhin Spuren von Pflanzenschutzmitteln gefunden. Allerdings laut toxikologischem Gutachten so wenig, dass es sich um Reste vom Anbau handeln dürfte.«
»Wenn es so ist – was erwartet Herr Eschenbach dann von uns?«, fragte ich mit einer gewissen Enttäuschung.
»Seine Frau hat inzwischen einen Psychiater eingeschaltet und sie und die Staatsanwaltschaft betreiben auf der Grundlage eines Attests seine Einweisung.«
»Warum die Staatsanwaltschaft?«, fragte ich verblüfft. »Er ist doch keine Gefahr … nur wegen seiner Theorie.«
»Aber beim Streit um den Tee hat er den Rechaud aus schwerem Kristall an die Wand geschleudert.«
»Ojemine. Hat er auf seine Frau gezielt?«
»Ihm zufolge nein, ihr zufolge ja.«
Ich betrachtete das Bild des friedlichen alten Herrn und spontan überkam mich Mitleid. »Und jetzt?«
Der Blick meines Chefs richtete sich auf die Tür. »Ihr Taxi ist da, Herr Doktor Ruchling«, hörte ich von hinten Frau Hambrechts Stimme.
Er griff nach Stift und Block und stand auf. »Jetzt, Frau Pfennig, kümmern Sie sich um ein psychiatrisches Gegengutachten. Streuen Sie Zweifel und skizzieren Sie eine Theorie, dass alles auch anders gewesen sein könnte. So entgeht er noch einer Einweisung.«
Meinte er damit, dass Eschenbach tatsächlich von Außerirdischen verfolgt wurde? Ich stand ebenfalls auf und hetzte Ruchling hinterher. »Und wie kann ich ihn erreichen? Ich meine, wohnt er noch bei seiner Frau?«
»Nein. Ausgezogen. Zurzeit ist er im Iran und kauft Teppiche«, sagte er, ehe er im Aufzug entschwand.
Die drei warfen einander Blicke zu, als hätten sie mit allem gerechnet, nur nicht damit.
Der Ältere mit der Gebetskappe, offenbar ihr Anführer, ergriff wieder das Wort: »Gesegneter Bruder, unser Imam hat geweissagt, dass dereinst ein Hirte auf Alamut einen Teppich finden wird, und mir scheint, du wurdest dafür von Allah auserwählt.«
Hormoz schüttelte den Kopf. »Von Allah auserwählt? Ich?«
Die Miene des Anführers verfinsterte sich, und der Dürre und das Narbengesicht machten einen Schritt auf ihn zu. Hormoz hatte befürchtet, sie kämen von den Archäologen oben. Jetzt wünschte er fast, es wäre so. Hätte er nur das Gewehr geholt. Aber noch war es nicht zu spät.
Er zwang sich zu einem Lachen. »Langsam, Brüder! Ich wollte nur sichergehen, dass ihr die Auserwählten seid, die ihn in Empfang nehmen sollen. Wartet, ich bring ihn euch!«
Er stand auf und ging von ihren bohrenden Blicken begleitet zum Zelt. Dort zog er das Gewehr unter einem Stapel Decken hervor. Es war ungeladen, und es jetzt nachzuholen, würden sie draußen hören. Außerdem wollte er sie nur verjagen, nicht erschießen. Er lauschte nach draußen. Umgekehrt schien ihnen unklar zu sein, dass man durch den Stoff alles mitbekam. Jedenfalls gaben sie sich keine Mühe zu flüstern. Offenbar wunderten sie sich über sein neues Geländemotorrad.
»Ein Hirte, Scheich Khalil. Woher hat er das Geld?«
Hormoz lugte durch die Plane und sah das Narbengesicht und den Betbruder neben dem Motorrad. Er brachte das Gewehr in Anschlag, schob mit dem Lauf den Zeltstoff beiseite und kroch vors Zelt, um sie zu überraschen.
Da explodierte der Schmerz in seinem Kopf in einem weißen Blitz. Er verlor für einen Augenblick das Bewusstsein und ließ das Gewehr fallen. Der Dürre. Er hatte ihn gegen den Kopf getreten und zerrte ihn vors Zelt, während das Narbengesicht die Waffe vom Boden riss und auf ihn richtete.
»Und jetzt gib uns endlich den Teppich!«, zischte der, den sie Scheich Khalil genannt hatten.
Hormoz’ Blick fiel auf sein Frühstücksklappmesser. Es lag neben einem Felsen. Wenn er … Sie wussten ja nicht, dass das Gewehr ungeladen war. Er machte eine Bewegung in die Richtung. Doch der Dürre bemerkte es und trat ihm auf die Hand. Es gab ein Übelkeit erregendes, knackendes Geräusch und Hormoz heulte auf.
Der Dürre packte selbst das Messer, warf sich wie ein Reiter auf ihn und presste ihm die eigene Klinge gegen die Kehle.
»Von Allah kommen wir«, sagte der Scheich, »und Seine Weisheit hat dafür gesorgt, dass oben in der Nische, in die sich eine deiner Ziegen verirrt haben muss, Spuren geblieben sind.«
Spuren? Es war stockfinster gewesen, als er … »Du behauptest, ich hätte in der Ruine einen Teppich geklaut? Was zum Scheitan …« Hormoz bäumte sich auf, aber das Messer presste sich nur fester gegen seinen Hals.
Der Scheich flüsterte seinem Peiniger etwas zu und trat anschließend beiseite. »Wie du willst«, sagte er laut. »Du sollst sehen, wie es Lügnern ergeht.«
Der Dürre machte eine Bewegung und die Klinge verschwand von Hormoz’ Kehle. Dafür brannte gleich darauf ein Schmerz an seiner Kopfseite. Etwas Warmes floss ihm den Hals herunter, und im Staub vor ihm lag ein blasses, knorpeliges Ding.
Er erkannte sein Ohr und gab einen erstickten Laut von sich.
»In der Nische liegen Holzsplitter von einer alten Truhe und Mottenpulver«, sagte der Scheich. »Doch vor allem: Ziegenhaare. Und du bist der einzige Schäfer hier. Allah mag dich ausgewählt haben, den Teppich zu finden. Aber mich hat er erwählt, dir den gierigen Hals durchzuschneiden, wenn du ihn nicht rausrückst. Also …?«
Hormoz linste zur schneeweißen Laleh, der Ziege, die er selbst mit der Flasche aufgezogen hatte, weil ihre Mutter sie abgelehnt hatte. In der Tat hatte sie sich vor einem Gewitter in eine bis dahin verborgene Nische geflüchtet, die das Erdbeben neulich freigelegt hatte. Jetzt hörte sie auf zu grasen und sah herüber, als verstünde sie, worum es ging. Oh Laleh, was hast du mir angetan.
Die Schmerzen in der Hand und an der Kopfseite trieben ihm schwarze Punkte vor die Augen und ließen ihn beinah ohnmächtig werden. Golschifteh, Erfans Tochter, verblich zur fernen Erinnerung, ebenso wie sein freudiges Gefühl beim Aufwachen, wie jener verfluchte »Glückstag«, an dem er die Truhe entdeckt hatte.
»Ich hab ihn doch nicht mehr«, flüsterte er. »Ich hab ihn verkauft. In Teheran, im Basar.«
»Erbärmlicher!«, schrie der Scheich. »Das Geheimnis aller Geheimnisse! Das wird dich in die Hölle bringen. Sag uns, an wen. Sonst …«
Hormoz wollte niemanden mit hineinziehen. Aber er wusste, er würde sonst qualvoll sterben.