Читать книгу Tödliche Sure - Wolf Thorberg - Страница 13
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ОглавлениеIch hatte eine Eingebung, die den Coretech-Fall dramatisch wenden und Jan und Ruchling unsterblich machen könnte. Dazu müsste ich nur das Datum zweier Rechnungen mit den Lagerlisten des Mandanten vergleichen. Denn Daten spielen in der Justiz eine gewichtige Rolle. Doch zu Jans und Ruchlings Pech, und zu dem des Klienten natürlich, konnte ich mich nicht mehr erinnern, welche der Tausenden von Rechnungen meinen Argwohn erregt hatten. Ich müsste den kompletten Buchungsstoff eines Jahres durchgehen.
Von dem Augenblick an aber, in dem Frau Hambrecht die Tür aufriss und mir Eschenbachs Besuch wie ein ausgebrochenes Feuer meldete, sollte ich lange Zeit keine Muße dafür erübrigen.
Die Metapher erwies sich als erstaunlich zutreffend. Eschenbach sah nicht nur übernächtigt aus und sein Anzug zerknittert, sondern im Zimmer verbreitete sich tatsächlich Rauchgestank.
»Wo ist Herr Doktor Ruchling?«, bellte er zur Begrüßung. »Sind Sie die neue Assistentin?«
Sein Blick schweifte durch das winzige, mit Ordnern und Kartons vollgestopfte Büro. Er hielt kurz inne bei der Porzellanwindmühle auf dem Schreibtisch, die mir mein Bruder als Dank für den Geburtstagskuchen aus Holland geschickt hatte, und glitt abschließend über mich, meine Jugend und damit offensichtliche Unerfahrenheit.
»Er hatte nie eine«, sagte ich kühl. »Herr Ruchling ist auf Dienstreise und ich bin Ihre neue Anwältin.«
»Davon hat er mir nichts gesagt.« Eschenbach blieb unschlüssig vor dem Schreibtisch stehen.
Einerseits verstand ich ihn. Andererseits ging mir neben anderem der vertane Abend mit der Teeprobe durch den Kopf. »Sie waren ja nicht zu erreichen«, sagte ich. »Meinetwegen können Sie darauf warten, dass mein Chef Sie anruft. Oder Sie gehen woanders hin. Oder Sie setzen sich und hören mir zu, was es Neues gibt und was ich inzwischen rausgefunden habe. Oder vielmehr – Sie erzählen mir, was los ist. Denn, etwas ist doch passiert?«
Ich schnupperte nochmals nach dem Brandgeruch, der aus seinen Kleidern dünstete, und las in seiner Miene jetzt nicht mehr nur Ärger über das unerfahrene Girl, das man ihm vorgesetzt hatte, sondern Ratlosigkeit, Verzweiflung und Entsetzen. Mir wurde flau.
»Das kann man wohl sagen«, sagte er und setzte sich.
In der nächsten Stunde erfuhr ich von einem mysteriösen Teppich, der angeblich im Muster ein Raumschiff zeigte, und vor allem alles über den nächtlichen Überfall. Im Stillen hatte ich befürchtet, er hätte jemanden umgebracht. So war ich fast erleichtert, dass es »nur« um einen Brandschaden in Millionenhöhe ging. Außerdem eventuell um Außerirdische und ausländische Geheimdienste und einen bösartigen Polizisten namens Fuchs, den er mit form-, frist- und folgenlosen Dienstaufsichtsbeschwerden bombardieren wollte.
»Am wahrscheinlichsten steckt meine Frau dahinter«, sagte er. »Sie hat zwar ein Alibi, kann die Tat aber in Auftrag gegeben haben. Ich würde es ja selbst kaum glauben, wenn sie nicht schon versucht hätte, mich zu vergiften.«
»Also damit«, hakte ich ein, »sollten Sie vorsichtig sein.« Ich berichtete ihm von dem Teegutachten, und daraufhin brach eine Welt für ihn zusammen.
»Nur Reste vom Anbau? Unglaublich!«
Einmal dabei, brachte ich das Attest zur Sprache. »Es ist methodisch angreifbar und es scheint, als wäre der Arzt verbandelt mit Ihrer Frau«, schränkte ich ein. »Aber erst einmal liegt es auf dem Tisch.«
Eschenbach war rot angelaufen, als er gehört hatte, er sei unter Umständen ein gemeingefährlicher Verrückter.
»Ich habe nie behauptet, meine Theorie könnte nicht falsch sein. Außerdem: Es gab diese Vorfälle, Herrgott! Halten Sie mich denn für verrückt?« Er sah mich herausfordernd an.
Ich hielt seinem Blick stand. »Eigentlich nicht. Ungewöhnlich, das ja, aber nicht verrückt.« Beschworen hätte ich das jedoch nicht.
»Und glauben Sie, ich hätte meine eigene Galerie, mein Lebenswerk, angezündet?«
»Eigentlich auch nicht«, sagte ich zögernd. »Nur, was ich glaube, spielt keine Rolle. Wenn Sie sich als unschuldig bezeichnen, ist es meine Aufgabe, zu verhindern, dass Sie ohne ausreichende Beweise angeklagt oder verurteilt werden. Ob Sie es waren, geht mich im Grunde nichts an.«
»Das Ganze ist doch absurd«, murmelte er. »Wie in Kafkas Prozess.«
Nur saß so mancher Wiedergänger Josef K.s hinter schwedischen Gardinen. »Aus Sicht der Polizei sind Sie gegenwärtig der wahrscheinlichste Täter«, machte ich ihm klar. »Auch wenn es aus meiner Sicht noch nicht für eine Verurteilung reicht.«
Eschenbach schüttelte den Kopf. »Wäre ich denn so dämlich, mein eigenes Waschbenzin und Chloroform zu benutzen und damit den Verdacht auf mich zu lenken?«
»In der Realität handeln Täter nicht immer so umsichtig wie in Krimis«, erwiderte ich. »Das allein würde jedenfalls keinen Richter davon abhalten, Sie zu verurteilen. Zumal wenn er, nun ja, Zweifel an Ihrem Geisteszustand hegt.«
Eschenbach vergrub das Gesicht in den Händen. Ich konnte mir immer weniger vorstellen, dass er es selbst getan hatte. Stattdessen tat er mir leid.
»Haben Sie denn eine Idee, wer es sonst gewesen sein könnte?«, fragte ich vorsichtig. »Außer Ihrer Frau, den Außerirdischen oder den Geheimdiensten, meine ich?«
Er nahm die Hände vom Gesicht und lächelte schwach. »Nein, leider nicht, so sehr ich es wünschte.«
»Keine Feinde, Neider oder erboste Kunden?«
»Nein, keine.«
»Dann bleiben wohl nur Ihre Frau oder Zufallstäter.«
»Zufallstäter?« Eschenbach runzelte die Stirn. »Die Tür stand bloß einen Spalt auf, von der Straße kaum zu sehen. Da soll jemand spontan zum Mordbrenner werden? Wir haben nichts Wertvolles in der Galerie außer Teppichen, und die, die ich verkaufe, wird man ohne Kontakte kaum los. Die Leute bezahlen weniger für das Stück als für die Geschichte hinter ihm, die ich ihnen erzähle.«
Ich seufzte. »Herr Eschenbach, am besten reden Sie vorerst mit niemandem, weder der Polizei noch der Presse.« Er errötete, nur schenkte ich dem damals keine Beachtung. »Außerdem erteilen Sie mir vorsorglich eine Strafprozessvollmacht. Ich schicke eine Vertretungsanzeige an die Staatsanwaltschaft und fordere Akteneinsicht. Wo sind Sie zurzeit zu erreichen?«
Eschenbach beschrieb mir seine Jagdhütte mitten im Wald.
»Bekommen Sie dorthin Post?«
»Nein, wozu? Ich habe ein Postfach gemietet. Außerdem habe ich Handyempfang mit Internet.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das gilt nicht als ladungsfähige Adresse. Dann nehme ich eine Ladungsvollmacht mit auf, so kommt Ihre Gerichtspost in die Kanzlei. Justitia wird schnell nervös, wenn Sie nicht erreichbar sind.«
»Sie meinen doch nicht etwa …?«
»Ich sage nur: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.«
»Alles, was Sie wollen.« Eschenbach zog seinen Schlüsselbund aus der Tasche und nahm einen Schlüssel vom Ring ab. »Nehmen Sie gleich noch den Zweitschlüssel für meine Hütte. Ich wollte ihn für Notfälle schon lang jemandem geben …«
Wohl war mir nicht dabei. Andererseits war es rührend und so ein Vertrauensbeweis, dass ich akzeptierte. Ich befestigte den Schlüssel an meinem eigenen Bund.
»Und was unternehmen wir sonst?«, fragte er.
»Sonst?«, echote ich. »Wir warten ab, was die weiteren polizeilichen Ermittlungen ergeben.«
»Denen trau ich nicht mehr. Nicht mehr seit diesem Fuchs. Ich glaube, meine Frau hat ihn schon eingewickelt.«
Das brachte mich auf eine Idee. »Wir könnten ja einen Detektiv engagieren, der Ihrer Frau auf den Zahn fühlt.«
Ich hatte befürchtet, er würde mich für verrückt halten oder für verschwenderisch. Doch sein Gesicht leuchtete auf wie eine Bergwiese im Sonnenschein nach dem Gewitter. »Damit kennen Sie sich aus?«
»In der Kanzlei, für die ich zuvor tätig war«, übertrieb ich mein kanadisches Referendariat, »haben wir es ab und zu gemacht. Ich kann Ihnen sicher einen besorgen. Allerdings hat es seinen Preis …«
Er winkte ab. »Das ist nicht entscheidend.« Ein Satz, der das Herz meines geliebten Chefs sicher höher schlagen ließe. »Machen Sie’s! Ich hätte selbst drauf kommen sollen.«
Wir erledigten den Papierkram und erhoben uns, um uns zu verabschieden. Heute jedoch war mein Tag der Ideen.
»Mir fällt übrigens ein: Der Teppich, von dem Sie sprachen …«
»Ja?«
»Sie meinten ja, er könnte das wahre Motiv sein. Müssten ihn die Täter dann nicht mitgenommen haben? In dem Fall sollte man keine Spuren mehr von ihm finden.«
Eschenbach hob anerkennend eine Braue. »Ja, ganz recht! Der Teppich stand in einer Holztruhe auf meinem Schreibtisch. Selbst wenn er verbrannt ist, müsste man Spuren finden vom Holz. Außerdem geschmolzenes Silber. Die Kiste war damit ausgeschlagen, um Keime abzutöten.«
»Ich könnte versuchen, das herauszufinden«, sagte ich. »Mit der Feuerwehr oder einem Brandsachverständigen. Der Punkt ist ja: Finden sich keine Überreste, käme nur jemand in Frage, der von dem Teppich wusste, nach ihm gesucht hat. Wer war denn eingeweiht, außer Ihnen und Ihrer Frau?«
»Niemand. Unsere Buchhalterin war informiert, dass ich etwas gekauft habe, nicht was. Und ich bin direkt vom Flughafen in die Galerie, und dort hat mich nur meine Frau gesehen …«
»Damit bleibt es bei Ihnen beiden.«
»Und ich scheide aus.«
»Fall praktisch gelöst«, sagte ich im Spaß.
Eschenbach gab mir die Hand. »Wissen Sie: Inzwischen bin ich froh, dass Doktor Ruchling auf Reisen ist …«
Ich schenkte ihm zum Abschied das Einzige, was es in der Kanzlei Ruchling & Suttner umsonst gab: mein Lächeln.
Ich nutzte den Schwung und ging zu Frau Hambrecht, um mich nach Detekteien zu erkundigen, mit denen die Kanzlei zusammenarbeitete. Viel erwartete ich nicht und sah mich schon die Gelben Seiten des Internets durchwühlen. Doch überraschenderweise zog sie umstandslos eine Visitenkarte aus einem Fach.
»Normalerweise mit denen«, sagte sie.
Ich las: ARGUS – Agentur für Recherchen, gewerbliche Überwachung und Sicherheit. Als Nummer stand nur die Durchwahl der Zentrale auf der Karte.
»Und jemand Bestimmtes?«, fragte ich. »Außer dem Fräulein vom Amt?«
Sie sah nachdenklich über ihre Lesebrille zur Tür, durch die vor einer Minute Eschenbach hinausgegangen war. »Für ihn, meinen Sie?«
Ich nickte. Ich wusste längst, dass Frau Hambrecht mehr war als eine übliche Kanzleivorsteherin. Sie war kinderlos, geschieden, und wenn sie hier spätabends ausharrte, hörte sie leise einen Klassikradiosender, las große Teile des Schriftverkehrs und machte sich ihre Gedanken. Ruchling pflegte zu scherzen, sie könne Menschen und Fälle besser einschätzen als jeder Staatsanwalt.
Sie zog eine zweite Karte aus dem Fach. »Vielleicht er. Er arbeitet entweder für ARGUS oder direkt.«
Auf cremefarbenem, dickem Papier stand: F. Molban. Darunter eine E-Mail-Adresse und eine Handynummer. Sonst nichts.
Auf meinen skeptischen Blick hin ergänzte sie: »Er ist fähig. Übrigens der Halbbruder von Herrn Ruchling.«
»Aha. Und sonst?«
»Hat mal Jura studiert, aber auf Philosophie umgesattelt. Seitdem arbeitet er als Dozent und als Detektiv natürlich. Außerdem als Yogalehrer.«
»Na bestens«, sagte ich.