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ОглавлениеVielleicht wäre alles anders gekommen, hätte Eschenbach sich entschieden, zuerst zu seinen Anwälten zu fahren statt vom Flughafen direkt zur Galerie. Aber der Teppich war für ihn noch wertvoller, als es sein Alter und die immense Summe, die er gekostet hatte, nahelegten. Deshalb wollte er die Antiquität erst im Safe seines Büros verwahren.
Während er jedoch die Hintertreppe zum Dachgeschoss erklomm, dachte er trotzdem nicht allein an die Kostbarkeit in seinen Händen, sondern auch an Ingrid.
Einerseits fürchtete er sich davor, ihr zu begegnen. Deshalb kam ihm zupass, dass es Mittagszeit war, die seine Frau stets in der Stadt verbrachte. Beim Friseur, beim Einkaufen oder beim Essen mit einer Bekannten, überall, nur nicht mit ihm. Sie gingen einander aus dem Wege, seit er mit ihrer letzten Haushälterin eine flüchtige und eher erniedrigende Romanze gehabt hatte, die er längst bereute. Nicht erst seit, nun ja, seiner neuen Beschäftigung. Und nicht erst, seit Ingrid ihm etwas in den Tee gekippt und er in einem unbedachten Moment und ohne die Absicht, sie zu verletzen, einen vierhundert Euro teuren Designerrechaud zerstört und den Putz sowie ihr Bambusparkett beschädigt hatte.
Andererseits konnten sie einander nicht ewig ausweichen. Seit jenem Vorfall war er in eine gemietete Jagdhütte gezogen und sie hatten sich nicht mehr gesprochen. Er war kurz darauf wie lange geplant in den Iran gefahren, noch ohne von dem Afghan zu wissen, den ihm sein alter Geschäftspartner im Basar völlig überraschend präsentiert hatte. Jetzt brannte er auf das toxikologische Gutachten des Tees, das er selbst in Auftrag gegeben hatte. Laut Ruchling konnte es Monate dauern, bis die Staatsanwaltschaft eines vom LKA bekam, wenn sie überhaupt einen Finger rührten. Dass er so lange mit einer Mörderin unter einem Dach lebte und mit ihr ein Geschäft betrieb, konnte man wohl nicht erwarten. Er hätte sich bei der Kanzlei vom Iran aus nach dem Stand erkundigen sollen, dachte er jetzt reuevoll. Der Teppich verdrängte eben vieles.
Wenn er nur verstünde, was dahintersteckte. Ein Teil seiner Tragik bestand wohl darin, dass alle dachten, er glaube, Außerirdische seien hinter ihm her. Dabei hatte er selbst keinerlei Erklärung für die Kette der Vorfälle. Es mochte ja tatsächlich eine natürliche Deutung für alles geben. Das Auto, das ihn abgedrängt hatte, ein Zufall, der nächtliche Überfall ein Einbrecher, der Tee – nur verdorben.
Wahrscheinlich jedoch stand Absicht dahinter. Entweder Ingrid. Um ihn loszuwerden – und wäre es, indem sie ihm Angst einjagte – und das Geschäft, dem er angeblich so unermesslichen Schaden zufügte, allein weiterzuführen. Sonst, nun, ein Zusammenhang mit seiner Theorie. Er war nicht der Einzige, der in Betracht zog, dass die Amerikaner – die CIA – damals in Roswell einige Alien-Leichen in ihre Bunker geschafft hatten. Sollte er mit seiner Theorie recht haben, befeuerte dies gewiss den Verdacht von neuem. Wenn sie Überreste auf der Erde gelandeter Außerirdischer vor der Welt verbargen, galt dies naturgemäß auch für sonstige Beweise ihrer Existenz.
Und zuletzt eben das, von dem alle dachten, dass er es dachte. Aber warum sollten die Extraterrestrischen, die das Leben hier auf der Erde begründet hatten, ihn, ihren Bewunderer und eines ihrer Geschöpfe, auslöschen wollen? Und weshalb würden sie angesichts ihrer technologischen Fähigkeiten ausgerechnet zu Gift im Tee greifen?
Für die CIA et al. galt im Grunde das Gleiche. Das ließ faktisch und beinah beruhigenderweise nur Ingrid übrig.
Oben angekommen legte er die Schachteln mit Pistazien und persischen Süßigkeiten, die er auf die Kiste gestellt hatte, in der Teeküche ab und schrieb einen Zettel, alle sollten sich bedienen. Mochten sie ihn für ein durchgeknalltes Verhängnis auf zwei Beinen halten, er wenigstens hatte wie stets an sie gedacht.
Er schleppte die Kiste mit dem Teppich weiter in sein Büro, das ihm zu seiner Beruhigung unverändert schien, und hievte seine Errungenschaft auf den Schreibtisch. Er ging zum Tresor in der Zimmerecke und stellte die Kombination ein, als ihn ein Geräusch zusammenfahren ließ.
»Ist er das?«
Er fuhr herum und sah Ingrid in der Tür stehen und auf die Kiste starren.
Also war sie nicht beim Friseur oder im Nagelstudio.
»Ist wer was?«, fragte er verdattert.
»Der Teppich, für den du eine Million zum Fenster rausgeschmissen hast, wie mir Frau Beckmann heute Morgen gebeichtet hat.«
Frau Beckmann war ihre Buchhalterin, und natürlich hatte er sie anrufen müssen, damit sie das Geld auf ein Konto in Dubai überwies.
Ingrid näherte sich mit klappernden Absätzen. Sie fasste sich, wie um sich zu beruhigen, an ihr Seidenhalstuch und legte ihr Gesicht in so zornige Falten, dass sie so alt aussah, als wäre sie seine Mutter.
»Ich habe nichts ›rausgeschmissen‹«, entgegnete er. »Der Teppich ist so außergewöhnlich, dass ich ihn für ein Mehrfaches verkaufen könnte.«
Ingrid blieb vor dem Schreibtisch stehen und fixierte ihn mit einem rabenschwarzen Blick. »Du könntest es, aber du wirst es nicht tun, oder?«
Eschenbach zuckte mit den Achseln. »Das Geschäft gehört zur Hälfte mir. Betrachte ihn als einen meiner Anteile.«
»So wie die anderen für ein Irrsinnsgeld gekauften ›Beweise‹, die sich bis zur Decke stapeln? Was ist es diesmal, sag schon!«
Eschenbach legte die Hände auf die Schnappverschlüsse der Metallkiste, unentschieden, ob er Ingrid die Holztruhe mit dem Teppich darin zeigen oder sie im Gegenteil hindern sollte, selbst nachzuschauen.
»Ein Afghan. Aber was genau darauf ist, wird dich kaum interessieren.«
»Etwa die Weltformel?«, höhnte sie. »Oder die Koordinaten ihres Heimatplaneten? Da mach dich gleich hin!«
Vielleicht hätte er es Ingrid ja gezeigt. Jetzt nicht mehr. »Ja«, sagte er. »Das käme dir zupass! Nachdem du’s nicht geschafft hast, mich zu vergiften. Dass du’s überhaupt wagst, mir gegenüberzutreten.«
Ingrids Lachen klang wie ein spitzer Schrei. »Ja, dass ich es wage. Gehst du diesmal statt mit dem Rechaud mit einem Messer auf mich los?«
Eschenbach nahm die Hände vom Metallkoffer und machte eine beschwichtigende Geste. »Hör zu, Ingrid, ich habe bis jetzt keine Ahnung, was im Tee war. Ich glaube, du wolltest mir bloß einen Schrecken einjagen. Ich halte dich nicht für so dumm und begreife ehrlich gesagt kaum, wie du so tief sinken konntest. Ist es das Geld? Oder dass sogar deine Friseuse wegen meiner ›Narrheit‹ die Mundwinkel verzieht? Oder immer noch Dolores?«
Dolores war der Name der ehemaligen Haushälterin, mit der er dummerweise etwas angefangen hatte. Aber Ingrid schüttelte nur den Kopf und er fuhr fort: »Ich mache dir ein Angebot. Wir trennen uns im Guten, aber zu meinen Bedingungen, und ich vergesse alles, was du mir angetan hast.«
Ingrids Augäpfel quollen bedenklich aus ihren Höhlen. »Zu deinen Bedingungen? Alfred, du lebst wirklich in einer anderen Welt. Du gehörst nicht hierher … Du gehörst …«
»Was?«, fragte Eschenbach scharf.
»Du saudummer Hund, du! Was glaubst du, was sie im Tee finden werden? Nichts! Weil niemand was reingetan hat. Dafür habe ich inzwischen ein Gutachten über deinen Geisteszustand, und der Psychiater empfiehlt, dich in der Geschlossenen unterzubringen.«
»Du hast … heimlich einen Klapsdoktor engagiert?«
»Ja. Hat dir das dein famoser Anwalt nicht gesagt?«
»Ich habe noch nicht … Wie konntest du?«
Eschenbach packte eine Wut wie damals. Ingrid musste es ihm ansehen, denn sie griff in ihre Handtasche und zog eine kleine Sprayflasche hervor, die sie ihm wie ein Kruzifix entgegenhielt.
»Stopp!«, rief sie. »Sonst wünschst du dir die nächsten Tage, du hättest keine Augen.«
Pfefferspray, begriff er. Für sie war er nur mehr ein tollwütiger Hund.
»Alfred, ich habe dir jetzt einen Vorschlag zu machen, und es ist mein einziger. Du ziehst dich sofort aus dem Geschäft zurück, gibst mir die Schlüssel und verschwindest für immer. Das Ding da«, sagte sie mit einem Blick auf die Kiste, »ist der letzte Beweis, dass du nicht zurechnungsfähig bist. Wenn du verschwunden bist, zahl ich dich aus, sobald ich kann. Selbstverständlich nach Abzug des Rufschadens und der Fehlkäufe, die auf dein Konto gehen. Dann bin ich auch bereit auszusagen, du hättest doch nicht auf mich gezielt.« Ingrid zog mit der anderen Hand einen Umschlag aus ihrer Tasche. »Darin ist eine Einverständniserklärung. Ich will sie zusammen mit dem Schlüssel unterschrieben zurück.«
Sie legte das Kuvert wie eine Kapitulationsurkunde zwischen ihnen auf den Schreibtisch und streckte die Hand aus. »Die Schlüssel, bitte!«
Die Wut wich aus Eschenbach wie Luft aus einem zerschnittenen Reifen. Er hatte verloren. Aber nicht so. Ließ er sich darauf ein, würde sie ihn nach vierzig Jahren Rackerei mit einem Trinkgeld abspeisen. Er schüttelte den Kopf. »Meinetwegen. Du hast gewonnen«, erwiderte er zum Schein. »Ich will nur meine Sachen rausräumen. Außerdem mit dem Anwalt reden. Du kriegst die Schlüssel nächste Woche.«
»Spätestens Montag«, sagte Ingrid. »Sonst gilt das Angebot nicht mehr.«
Sie steckte das Pfefferspray weg, drehte sich um und rauschte davon.
Eschenbach zückte das Handy, um einen Termin in der Kanzlei zu vereinbaren. Doch dringlicher erschien ihm, den Teppich im Tresor zu verstauen und seine Unterlagen und persönlichen Dinge in die Jagdhütte zu schaffen. Dringlicher war auch der Plan, den er gerade gefasst hatte. Also wählte er stattdessen Bernhards Nummer. Als er nicht abnahm, hinterließ er eine Nachricht mit der Bitte, Sonntagabend mit dem Transporter in der Galerie vorbeizukommen.
Ingrid würde noch staunen.
Als sein Zielobjekt nach einer Stunde wieder aus der Galerie auftauchte, wartete Rahim noch immer im Wagen. Er wollte sichergehen, dass Eschenbach den Teppich nicht hinterher fortschaffte. Niemand sollte ihm die Schuld in die Schuhe schieben, wenn es am Ende schiefging.
Seine Vorsicht erwies sich als begründet. Entsetzt sah er, wie Eschenbach wieder etwas in den Händen trug. Der Teppich? Fuhr er ihn jetzt zu einem Bankschließfach? Rahim zerrte das Fernglas aus der Tasche. Diesmal kam ihm kein herumschnüffelnder Mummelgreis in die Quere. Sondern schlicht das Postauto, das in diesem Augenblick vor der Galerie parkte und ihm die Sicht versperrte.
Legte Allah ihm Steine in den Weg? Warum lief in Filmen immer alles glatt? Rahim fluchte und drosch auf das Lenkrad ein. Der gelb gekleidete DHL-Mann räumte mit einer Gemächlichkeit Pakete aus dem Wageninneren, als hätte er sich den ganzen Nachmittag dafür reserviert. Er war noch nicht einmal mit ihnen zum Ladeneingang getrottet, als Eschenbachs Mercedes an ihm vorbei auf die Straße preschte.
Rahim überlegte fieberhaft, was er in seinen Armen gesehen hatte. Einen Korb? Oder eine Kiste? Wie die, die er mit hineingenommen hatte? Er war sich unsicher. Instinktiv glitt seine Hand zum Zündschloss und er ließ den Motor an.
Die nächste halbe Stunde wurde zum Horrortrip. Zweimal hätte Eschenbach ihn fast abgehängt und einmal war er direkt hinter ihm gewesen. Er betete, dass er ihn nicht bemerkt hatte. Am schwierigsten wurde es, als der Teppichhändler die Stadt verließ und Richtung Wald fuhr. Wollte er den Teppich dort verbuddeln? Jedenfalls musste Rahim Abstand halten und prompt war Eschenbachs Wagen nach einer Kurve verschwunden.
Doch endlich einmal hatte er Glück. Es gab nur eine Abzweigung, die in Frage kam, ein asphaltierter Waldweg. Danach verpasste er nochmals eine Abfahrt, die Eschenbach nahm. Wieder fand er irgendwie die richtige. Schließlich tauchte am Ende des Weges eine Lichtung auf und darauf die schwarze Limousine.
Rahim atmete durch. Schwitzend parkte er in einer Bucht und schlich zu Fuß weiter.
Eschenbach war über den Kofferraum gebeugt, wie Rahim durchs Fernglas erkennen konnte. Der Wagen stand vor einer Jagdhütte, die er erst aufgesperrt haben musste, ehe er den Wagen leer räumte. Er wuchtete heraus, was Rahim beim Verlassen der Galerie in seinen Armen nur erahnt hatte. Es war keine Metallkiste, sondern eine grüne Gitterbox und in ihr schienen nur Bücher und Unterlagen zu liegen.
Rahim verstaute das Fernglas in der Jacke, die inzwischen schweißgetränkt war. London rückte näher.
Damit aber auch der Einbruch.
Als er zum Wagen zurückschlich, fror er. Dabei war es ein warmer Herbsttag.