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10. Dezember 1990

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Große Ereignisse, wenn endlich eingetroffen, verschwinden in Banalität. Wahrnehmungsschwierigkeiten angesichts der Abrüstung Europas. Unbefangene Wahrnehmung unmöglich, weil die Veränderung von unseren Herrschenden als Landnahme nach einem Sieg praktiziert. Alles mit Zweideutigkeit geschlagen. Der latente Krieg gegen den Irak könnte die Form sein, in der die Vereinten Nationen das Zivilisationsmuster der Staatenbeziehung durchsetzen – oder die Form, in der die USA sich weiterhin (zu verschwendendes) billiges Erdöl verschaffen. Führende Leute der USA haben jedenfalls angekündigt, die Truppen würden auch nach einem Abzug des Irak aus Kuweit in der Region bleiben.

In der FAZ die Ansprache von Herbert Gottwald zur Wiedereröffnung des Historischen Instituts der Jenaer Universität. Der Untertitel definiert die Schuldigen: »Plebejer des Geistes degradierten die Geschichtswissenschaft in der ehemaligen DDR«. G. nutzt Jaspers Nachkriegsvorträge zur Schuldfrage als Matrix. Die »erzählende und orientierende« Funktion von Geschichte sei zu restituieren, »erzählend in dem Sinne, dass sie die Entzauberung der modernen Welt mit narrativen Mitteln zu kompensieren versucht«. Marxisten seien zu dulden unter der von Golo Mann 1972 formulierten Bedingung, »dass sie auch die Gegenargumente darlegen, als ob es im Augenblick ihre eigenen wären, und dass sie zum Widerspruch auffordern«. (Ich will gerne so verfahren, tue es längst, wüsste aber nicht, dass man mir gegenüber so verfährt.) Gottwalds sonderbar weichgefederte eigene Stellungnahme: »Man mag die sogenannte doppelte Glaubenskrise des Marxismus, wonach einmal der Glaube an den gesetzmäßigen Fortschritt der Geschichte zerbrochen sei und sich zugleich auf der anderen Seite der Glaube an die revolutionären Potenzen der Arbeiterklasse verabschiedet habe, durchaus akzeptieren. All dies ändert aber wenig an dem Tatbestand, dass von den Marxschen Gedanken und Methoden tiefgreifende Impulse für das 20. Jahrhundert im allgemeinen, für die Theorie und Empirie historischer Sozialforschung und insbesondere für die Analyse der bürgerlichen Gesellschaft ausgegangen sind.«

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