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5. Februar 1991
ОглавлениеNeuer Tiefenrekord des US-Dollars. »Pessimisten erinnern an die langwierige Depression nach 1929 und halten nach dem Zusammenbruch des Sozialismus den Kollaps des Kapitalismus, ausgelöst durch eine schwere Krise des Finanzsystems, für möglich.« (Gerald Braunberger im Wirtschaftsleitartikel der FAZ) In den USA sind die Steuereinnahmen wegen der Rezession (wie sie die Krise entnennen) um 87 Mrd USD unter den Erwartungen geblieben. Die Sanierung der Sparkassen wird noch über 100 Mrd USD kosten. Aus dem erhofften New Deal mit Sozialinvestitionen in Verkehr, Gesundheit und Bildung wird nichts.
In ihrem Editorial-Entwurf fürs nächste »Argument« lässt Nora Räthzel uns bereits mitten im Dritten Weltkrieg sein. Eines von vielen Anzeichen der Unsicherheit und Verwirrung. Wir wollen klar dagegen sein und erfahren uns verstrickt.
Die FAZ dagegen auf ganz hohem Ross. Gestern zeichnete Reißmüller im Leitartikel Serbien »als Festung des Kommunismus, aus der sich vielleicht eines Tages im Zusammenwirken mit einer wieder zur alten Ordnung gebrachten Sowjetunion der Leninismus-Stalinismus in der östlichen Hälfte Europas aufs Neue ausbreiten ließe. Zu diesem Zweck lassen sie ihre Panzer auffahren. Die ersten Schüsse würden einen Krieg auf mitteleuropäischem Boden eröffnen.« – Man will vollends aufräumen.
Verzweifelt bemüht sich Gorbatschow um einen neuen Unionsvertrag. Ich habe früher (wie er) übersehen, dass dies zu den Vorbedingungen der sozialökonomischen Umgestaltung gehört hätte. Ich habe immer verstanden, dass die politischen Reformen den ökonomischen vorausgehen müssten (natürlich Wechselverhältnis der Reformetappen in Politik und Ökonomie), aber auf die inneren Reformen blickend vergessen, dass auch ein solches »Innen« bei Lockerung der äußeren Zwangsfesseln erst geschaffen werden müsste. Jetzt wirkt Gorbatschow wie ein Gefangener seiner Gewaltapparate.
Lese nun erst, was Gorbatschow am 28. November 90 bei einem Treffen mit »Kulturschaffenden« (u.a. mit Jewtuschenko) gesagt hat: Lockere Plauderei, bisschen philosophischer Würdezierrat (»die alten Griechen hatten wieder einmal recht: alles fließt, alles bewegt sich«). Dazwischen Protokollsätze wie Notschreie (»das ist eine schleichende Konterrevolution«) und jenes Bekenntnis zum Sozialismus, von dem ich seinerzeit in der Presse gelesen hatte, das er aber dadurch wieder in Luft auflöst, dass er sich mit dem spanischen Regierungschef Felipe González vergleicht, »einem ebenfalls überzeugten Sozialisten«. Zum Privateigentum sagte er: »Ich habe mich immer für Marktwirtschaft ausgesprochen und tue das weiter. Doch obwohl ich für Marktwirtschaft bin, akzeptiere ich beispielsweise kein Privateigentum an Grund und Boden. Machen Sie mit mir, was Sie wollen – ich akzeptiere es nicht. Pacht – selbst für hundert Jahre, sogar mit dem Anspruch auf den Verkauf und die Vererbung der Pachtrechte – bitte schön.« Das schützt selbstwirtschaftende Bauern und geht gegen Bodenspekulation. Ansonsten spricht sich Gorbatschow für Privateigentum in der Produktion aus, glaubt aber nicht, dass es dominieren wird bzw. dass seine Dominanz vom Volk hingenommen würde. Sonderbares Wischiwaschi: »Durch verschiedene Formen des Aktienbesitzes, durch Pacht und dann vielleicht durch vollen Erwerb wird der Betrieb zum Volkseigentum gemacht. Man (?) soll den Menschen (?) dieses Eigentum geben (?). Mögen sie es verwalten und über ihre (?) Produktion verfügen (?).« a) Wer ist dieses »Man«?; b) »Die Menschen« – welche? c) Verkaufen nicht = geben; d) Die Produktion eines Betriebs nicht = »ihre« (der Privateigentümer) Produktion; fehlen die Arbeiter; e) der Staat wird die Eigentümer (wie alle übrigen) doch wohl zur Kasse bitten, also einen Teil »ihrer Produktion« in Steuern verwandeln, über die sie mitnichten verfügen.
Dann spricht Gorbatschow von Grenzen der Veränderung, Unantastbarkeiten, die er »letzte Bastion« nennt: »da darf man um den Tod nicht weichen, wie vor Moskau, wie vor Stalingrad.« Was er meint, ist die multinationale Gesellschaft der Sowjetunion. Soll etwa das Kriegspotenzial der Supermacht SU unter Nachfolgestaaten aufgeteilt werden?
Auf die Genese der Perestrojka zurückblickend, erwähnt er einen Spaziergang mit Schewardnadse im Dezember 1984, wo sie sich darüber verständigt haben, dass »alles verfault« ist. Er nennt keinen anderen. Sah also den Rücktritt Schewardnadses wohl auch nicht voraus.