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21. Februar 1991, auf der Reise nach Aachen

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Zur Abwechslung bei einem DFG-geförderten Colloquium über Institutionentheorie, eingeladen von Karl-Siegbert Rehberg, der ein etwas synkretistisches, aber interessante Gedanken aufnehmendes Papier verschickt hat. Sinngemäß heißt es dort etwa: Wie bei den Reichen vom Geld, schweigt man bei den Mächtigen von der Macht. In seinem Diskurs lockert R. die härtesten Tatbestände (z.B. den gegenwärtigen Krieg), um sie so umzugruppieren, dass wenig verschwiegen und doch alles folgenlos ist. Als Denker könnte er die passive Revolution personifizieren.

Konservativ ist die Institutionentheorie, wo sie ›uns‹ herabsetzt zu Ein- und Unter-Geordneten, indem sie Ordnung alias Herrschaft als Unverfügbares voraussetzt. Ich riskiere die These, dass jede Institution als Kompromissbildung entsteht. Werde dabei von Hans-Joachim Giegel unterbrochen, der verlangt, man solle endlich den normativen Ansatz von Honneth diskutieren. Da zu meiner Verwunderung weder er noch die Joas, Honneth u.a. den Begriff »Kompromissbildung« verstehen, obwohl ich auf Freud und die Wiederaufnahme seiner Gedanken bei gewissen Linguisten und Semiotikern hingewiesen hatte, erhalte ich immer wieder griffiges Material, um nachzusetzen.

Ich schlage (vergebens) vor, die römischen institutiones als Kernbeispiel zu nehmen, dem wir nicht grundlos den Ausdruck entlehnen. Es herrscht die Tendenz, den Institutionenbegriff auf jede kulturelle Bestimmtheit, auf jede Üblichkeit auszudehnen. Eine solche Ausdehnung gibt es in der Wirklichkeit; Kerninstitutionen stützen sekundäre Institutionalisierungen. Daher ist der Begriff Institutionengefüge unentbehrlich, man muss, was er meint, dann aber auch konkret als solches analysieren. Für mich der Staat die I. par excellence. Die sog. Religion bildete ja in Gestalt der Theokratie eine frühe Form von Staat, die aber gegenüber der Kriegslogik nicht stabil war. Erst die komplexe Kompromissbildung, bei der nicht nur Herrschende und Beherrschte, sondern auch die drei Ordnungen der Regierung, der Religion und des Krieges ins Verhältnis gebracht sind, gibt den Kernbestand des Institutionengefüges her.

Schließlich frage ich, warum der Ideologiebegriff in den Thesen von Rehberg und Göhler nicht vorkommt. Riskiere den Satz: Jede Institution ist eine ideologische Macht. Werde indes belehrt, dass man diesen Begriff nicht mehr benutzen könne, genau so wenig wie Herrschaft. Von Ideologietheorie scheint hier niemand etwas zu wissen. Göhler: Ideologie ist interessiertes Bewusstsein, Lenk: Zurückbleiben hinter dem fortgeschrittensten Bewusstsein, Honneth: eine Weltdeutung mit Sperren.

Hans Joas überrascht die Anwesenden mit der Kategorie der »kollektiven Efferveszenz«, die er aus dem Französischen von Durkheim ins Deutsche übernimmt, ein wunderbares symbolisches Kapital schaffend. Er begeistert sich für »affektive Bindungswirkungen«, was Kurt Lenk zum Hinweis auf Freuds und Webers Analysen des Führerkults provoziert. Seine These: Institutionen gehen aus Erlebnissen der »kollektiven Efferveszenz« oder Fusionserlebnissen hervor. Michael Greven will wissen, wie er dann den Parlamentarismus denkt. Göhler sieht die Verfassungsgebung der BRD als rein zweckrationalen Akt, der erst später retrospektiv seinen Gründungsmythos nach sich zieht.

Joas praktiziert die »Fusion« als Denkform: »Die wirkliche Begründung einer Freundschaft ist die Freundschaft, die Begründung eines Glaubens der Glaube, einer Bindung die Bindung.« Das kriegt einen positivistischen Dreh, weil er Kritik verwirft: Gegen die Wirklichkeit ein soziales Ideal zu richten (und so denkt er Kritik), sei klassisch-jugendlich. Er hat merklich Begeisterung für seine Ware entwickelt. Und das ist eine gefährliche Ware: Bindungsmythen, zwischen Sorel und Mussolini. Im Übrigen wittere ich Institutionentechnokratie in kritisch-theoretischer Verpackung. Werde aber belehrt, dass Joas nichts mit Kritischer Theorie zu tun hat. Ich riskiere die These, dass jede I. vom Gemeinwesensfundus schöpft und dass die »kollektive Efferveszenz« ein entsprechendes Erleben ist.

Ein Schmalz-Bruns von der Bundeswehrhochschule kommt mir in der Pause aggressiv. Studenten aus Aachen retten mich. Sie kennen Schriften des Projekts Ideologietheorie und haben meine Einladung angeregt.

*

Abends bei Kurt Lenk, den ich zuerst nicht wieder erkannt hatte und der mir jetzt wieder so vertraut ist, als lägen nicht zwanzig Jahre zwischen dieser und unserer letzten Begegnung. Seine Diskussionsbeiträge helfen mir, die enorme Feindseligkeit der Prätendentengeneration zu überstehen. Lenk sieht diese Ex-Achtundsechziger ihre Versöhnung mit dem Establishment begehen. Man hat sich damals in einander getäuscht, keine der beiden Seiten ist so, wie damals gemeint. Auch ich spüre bei ihnen einen Willen zum Positiven, der immer dann eine aggressive Wendung nimmt, wenn Kritik geübt wird.

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