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6. Februar 1991

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Gestern kam ein junger Geophysiker (Lehmann) aus der vormaligen DDR, der seit vier Jahren in Leningrad studiert, in meine Sprechstunde. Er will zur Philosophie überwechseln. Erfährt sich im Vergleich zu den sowjetischen Studenten als mathematisch unbegabt, obwohl auch er von einem Spezialgymnasium kommt. Als sein Stipendium auf DM umgestellt wurde, kam das einer Verdreißigfachung gleich. Inzwischen sogar das Fünfzigfache. Durch den Einzug der 50- und 100-Rubelscheine sei das Vertrauen in die Währung vollends zusammengebrochen. Er glaubt nicht, dass diese Maßnahme irgendwie den Schwarzhandel trifft. Studieren würde er gerne bei Merab Mamardaschwili, wenn dieser nicht gestorben wäre. So höre ich zum zweiten Mal von diesem Tod, an den ich nicht glauben mag.

Seit der Annexion Kuwaits im August 1989 sind 5–10 Mrd USD auf schweizer Banken verlagert worden. Bis September 1989 waren es schon 2,3 Mrd USD aus dem Nahen Osten. Dafür musste man die Wachstumsannahmen von 2 auf 1 Prozent halbieren.

In der FAZ ein Artikel des Kölner Historikers Otto Dann über Ernest Gellners Nations and Nationalism von 1983, durchsetzt mit ›Gramscismen‹, ohne Gramsci zu nennen. Im Kern geht es um das Verhältnis von »Kulturgesellschaft« und »politischer Gesellschaft« als Schlüsselfrage der Nationalstaatsbildung. Mit der Verallgemeinerung der Schriftkultur im Zuge der Industrialisierung homogenisiert sich aus der agrargesellschaftlichen Heterogenität heraus die Kultur. Für Gellner ist dies der entscheidende Akt bei der Nationbildung. Die Nation ist nichts Naturales, betont er, basiert nicht auf einem Volk, sondern wird durch den Nationalismus erst geschaffen. Die Intellektuellen als Träger der Schriftkultur spielen dabei eine entscheidende Rolle. Gellners These: Nationalismus ist die adäquate Form für Kapitalismus. Dann verweist auf Benedikt Anderson, Imagined Communities, 1983. Für Otto Dann und die FAZ ein gefundenes Fressen, den Nationalismus aus dem Schatten des NS zu holen. Friedrich Meineckes »Kulturnation« wird wieder ausgegraben, ihre Kongruenz mit der »Staatsnation« zur strategischen Schlüsselposition erklärt.

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