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16. Mai 1991

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Leonid Luks, Chef der Osteuroparedaktion der »Deutschen Welle« erklärt in der FAZ (»Droht der Sowjetunion ein Bürgerkrieg?«) Gorbatschows »Inkonsequenz« zum »Geheimnis seines Machterhalts, seiner Verwandlung in einen eigenständigen politischen Faktor, ja in eine Institution«. Dem liege »das labile Gleichgewicht« ganz heterogener Kräfte zugrunde, die nicht mit einander können und deren keine stark genug ist, die andere unterzukriegen: Gorbatschow der »Puffer«. Stärken und Schwächen sind demnach kontrapunktisch verteilt: die KPdSU und ihr Apparat halten effektive Verwaltungsmacht, aber kaum nennenswerte Konsensmacht (nur noch 6 Prozent sollen sie stützen); die »Demokraten« sind insofern Erben der Dissidenten, als sie den Massen misstrauen, eine These, der Jelzins Populismus zu widersprechen scheint. Jede der antagonistischen Formationen hält laut Luks die Perestrojka von ihrem Standpunkt für gescheitert. Die Krise des Landes scheint dem recht zu geben. »Das zerfallende Kommandosystem und die im Entstehen begriffene zivile Gesellschaft funktionieren nach völlig unterschiedlichen Mustern und lähmen sich gegenseitig.« Aber man solle sich vom »immer weiter voranschreitenden Zerfall der wirtschaftlichen und politischen Mechanismen« nicht täuschen lassen: »Dennoch handelt es sich hier wohl um ein schöpferisches Chaos, in dem sich die Verwandlung der sowjetischen Gesellschaft von einem Objekt in ein Subjekt der Geschichte vollzieht.«

Ich stelle mir vor, wie Georg Fülberth höhnen würde, wüsste er, dass ich die Dinge nicht in jeder Hinsicht anders sehe. Aber kann es noch die sowjetische multinationale Gesellschaft sein? Kann es sie überhaupt geben, nachdem sie als solche im befehlsadministrativen System keine Rolle eigenen Rechts spielte?

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Einen Packen Theaterkritiken zu Zonschitz’ Aufführung der Schatten gelesen. Totschlag mit Worten. Ich wundere mich, dass Otto das überlebt. Roland Wiegenstein vom WDR von allen der Fahrlässigste. Widerwärtig. Insgesamt muss, da wohl keine Verschwörung, ein struktureller Effekt vorliegen, den ich nicht begreife. Es muss etwas mit der Gesamtsituation der Theater in dieser Doppelstadt zu tun haben, wobei sich das Unheil ausgerechnet über der Theatermanufaktur entlädt, die das Pech hat, in dem Haus zu spielen, aus dem die Schaubühne!! hervorgegangen ist.

Detlev Albers äußert sich »entsetzt« über Friggas Beitrag zur Situation der Linken im vereinten Deutschland in der Märznummer von »Z«; er habe daran gemerkt, »in welch verschiedenen Welten wir inzwischen leben«. Ich rätsle, was den Anstoß gegeben haben könnte. Ist es, weil Frigga den westdeutschen Linken nahelegt, »sich mit den verbleibenden Linken aus der ehemaligen DDR zu verbinden«? Ich merke daran, dass die Sozialdemokratie sich weiter nach rechts bewegt haben muss.

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