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Die Rückkehr zum menschlichen Hass

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«Der Verkehr dröhnte. Aber während des ganzen hektisch scheinenden Tages hatten sich die Kräne auf den unvollendeten Gebäuden kein einziges Mal gerührt.

Technologie ist von Übel. Das hatte E. F. Schuhmacher in Rückkehr zum menschlichen Hass gesagt: Die Botschaft des Friedens zitierte ihn oft, geißelte den Westen mit seinen eigenen Worten. Aber in Teheran umgab uns die Technologie, und einiges daran war so islamisiert oder in den Dienst des Islam gestellt worden, dass seine westliche Herkunft bedeutungslos erschien.»1

Der hartnäckige «Druckfehler» des Übersetzers – Schuhmachers Buch «Small is beautiful» handelt von der Rückkehr zum menschlichen Maß – verdichtet einen Punkt der islamischen Revolution. Die Kritiker der kapitalistischen Konsumgesellschaft, ihrer Mammutkonzerne und ihres technischen Perfektionismus werden als Zeugen gegen die «Teufel des Westens» zitiert.

«Der Westen, oder die Weltzivilisation, die er anführt, wird emotional zurückgewiesen. Er unterminiert, er ist bedrohlich. Gleichzeitig wird er gebraucht, wegen seiner Maschinen, Waren, Medikamente ... Die ganze Zurückweisung des Westens ist gebunden an die Annahme, dass es dort draußen immer eine lebendige, schöpferische, seltsam neutrale Zivilisation geben wird, offen für alle, die sich an sie wenden ... Schmarotzertum ist eine der uneingestandenen Früchte des Fundamentalismus.»2

Wer sich mit kulturellen Entwicklungen beschäftigt, muss sich mit der traurigen Wahrheit auseinander setzen, dass die Menschen immer wieder das Gute, das sie kennen, gegen ein Ideal tauschen, dessen Übel sie oft nicht anders bekämpfen können als durch ein noch höheres Ideal.

«Der Staat verfiel. Aber der Glaube nicht. Das Scheitern führte nur wieder zum Glauben zurück. Der Staat war als Heimat für die Moslems gegründet worden. Wenn der Staat scheiterte, dann nicht, weil der Traum falsch war: Es konnte nur daran liegen, dass die Menschen vom Glauben abgefallen waren. Man begann, nach einem immer reineren Glauben zu rufen.»3

Kurz nach dem 11. September 2001 wurden in New York neue Witze erzählt:

«Kennen Sie den neuen Werbeslogan von American Airlines?»

«??»

«Wir fliegen Sie direkt zu Ihrem Arbeitsplatz.»

«Ein Amerikaner und ein Araber spielen Schach. Wer gewinnt?»

«??»

«Natürlich der Araber. Dem Amerikaner fehlen die Türme.»

Solche Witze erzählen ganz gewiss nicht die Islamisten; in der arabischen Welt wird niemand über sie lachen. Der Scherz über American Airlines ist ein gutes Beispiel für ein klassisches Mittel der Trauma-Abwehr: die Identifizierung mit dem Aggressor. Der Witz greift die bekannten, bis zum Überdruss gehörten Werbesprüche auf und richtet sie gegen die Urheber. Es waren nicht die todessüchtigen Mörder, welche den Jet und seine Passagiere entführten. Es war nicht die Naivität, die Sorglosigkeit der Airline, die das ermöglicht hat. Wir müssen unseren technischen Größenwahn nicht aufgeben. Wir deuten das Attentat in einen Versuch um, unseren Service noch zu steigern. Zufällig hat es beim ersten Mal noch nicht geklappt, aber wir arbeiten daran. Wir sind nicht Opfer eines zu allem entschlossenen Angreifers geworden, der die sorglose Gier unserer Konsumgesellschaft gnadenlos ausnützte. Unser energischer Wille, unsere unvergleichliche Tatkraft ist auch für dieses Ereignis verantwortlich.

Schon immer lag im Zynismus eine radikale Weisheit verborgen. Die Identifizierung mit dem Angreifer wirkt auch in den Tätern. Viele der bekannt gewordenen Biographien wie auch die Struktur der Taten drücken aus, dass die Täter in hohem Maß von ebenden technischen Errungenschaften des Westens fasziniert sind, die sie jetzt gegen ihn gerichtet haben. Die Aktion vom 11. September ist ein Verbrechen, aber wir können auch ein Verbrechen unter einem ästhetischen Aspekt betrachten, ohne es damit zu einem rein ästhetischen Ereignis zu machen – wir fügen seinen Dimensionen nur eine weitere hinzu, die uns helfen kann, es besser zu verstehen und künftig wirksamer zu bekämpfen. Unter diesem Aspekt lässt sich nicht leugnen, dass dieses Verbrechen ein hohes Maß an Eleganz und Kreativität enthält: Es ist «gut gemacht» in dem Sinn, dass mit wenigen Mitteln ein Höchstmaß an Wirkung erzielt wurde. Verglichen mit dem wirtschaftlichen Aufwand, mit dem die Amerikaner in Afghanistan und im Irak kämpften, wirkt die terroristische Aktion erst einmal so elegant wie der Kampf Davids gegen Goliath.

Aber dieser Schein trügt. Er vernachlässigt die enorme Leichtigkeit der Zerstörung, gemessen an der großen Mühe von Entwicklung und Aufbau. Die Zivilgesellschaft ist verwundbar, weil sie allen, welche genügend Geld haben, ihre Mittel zur Verfügung stellt – auch ihre Mittel, die Spenderin zu zerstören.

Die waghalsige Verwendung der modernen Technik gegen die Begründer und Produzenten dieser Technik greift eine Tradition der orientalischen Kampfkunst auf, in der es als Ausdruck der höchsten Geschicklichkeit eines Kämpfers gilt, die Stärke eines Gegners auszunützen, um diesen zu besiegen. Der Schlag, mit dem der Schwergewichtsboxer den schmächtigen Aikido-Meister erledigen will, wird von diesem in ein Bewegungsmuster verwandelt, welches schließlich dazu führt, dass der Boxer mit dem Kopf gegen den Türpfosten prallt. Die mögliche Hochschätzung als Husarenstreich, die im Hintergrund der offiziellen Empörung über die Attentate gedieh, verdeckt die massive Selbstbestrafung, welche die Täter an sich vollziehen. Weder sie selbst noch ihre Anhänger können das entkräften. Die so häufig wiederholten Beteuerungen ihres Märtyrertums können diesen Aspekt nur verleugnen, aber nicht widerlegen. Selbstmordtäter fallen ein für alle Male aus der Welt der militärischen Aktionen heraus und betreten einen ganz eigenen Bereich. Das erste Urteil nennt ihn Wahnsinn. Aber wir können in jedem Wahnsinn Eigenheiten entdecken, die sehr viel über die Qualitäten der Vernunft und der Anpassung verraten, welche diesen Wahnsinn geboren haben. Die Beziehung der Fundamentalisten zu der Realität, die sie angreifen, ist selbstquälerisch: Sie lehnen ab, was sie beneiden, sie bekämpfen, worauf sie hoffen, sie sehnen sich nach dem, das sie zerstören. Sie hassen Boeing, weil dort wirkliche Flugzeuge gebaut werden, die unendlich überzeugender sind als alles Reden über den wahren Fortschritt. Und sie hassen sich selbst, weil sie Boeing beneiden.

In dieser Verschmelzung von Neid und Wut wurzelt die absurde Tat. Das Flugzeug wird gekapert, um es in den Racheengel einer mittelalterlichen Welt zu verwandeln. Aber dieses Spitzenprodukt der modernen Technologie für einen solchen Akt zu benötigen zeigt das Elend und Parasitentum der Täter. Die Aktion ist Gottesdienst und Ketzerei in einem. Sie enthält folgerichtig für den Täter Erlösung und Vernichtung, Lohn und Strafe. In dieser Rache vernichten sich die Rächer. Sie bestrafen sich dafür, dass sie zu Schmarotzern an einer Technik geworden sind, die jenen Geisteshaltungen entspringt, die sie verachten. Was auf den ersten Blick schockierend neu ist, wurzelt doch in der Geschichte des Terrorismus, die immer auch eine Geschichte der Auseinandersetzung mit technischen Veränderungen ist.

Seit ich als Therapeut arbeite, haben mich die Hinter- und Abgründe jener menschlichen Eigenschaft beschäftigt, die wir «Idealismus» nennen. Eine der Folgen war die Beschäftigung mit dem Helfer-Syndrom, eine andere die mit der Destruktivität von Idealen, dem Alles-oder-nichts-Prinzip.

Im Gegensatz zu den «orthodoxen» Narzissmustheoretikern war ich immer daran interessiert, wie sich narzisstische Bedürfnisse Einzelner in Gruppen, Institutionen und Organisationen niederschlagen. In diesen Arbeiten entwickelte ich einige spezifische Vorstellungen über soziale Ausdrucksformen des Narzissmus: den pharisäischen, den kannibalischen, den parasitären Narzissmus.

Der pharisäische Narzissmus gewinnt Sicherheit und Selbst-Aufwertung aus der Abwertung anderer («Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner», Lukas 18, 11). Der kannibalische Narzissmus richtet diese Entwertungen mit einem hohen Risiko der Selbstzerstörung gegen jene Personen, von deren Anerkennung sich die oder der Betroffene abhängig fühlen, zum Beispiel gegen einen Elternteil, einen Liebespartner, einen Arbeitskollegen, Mitarbeiter oder Vorgesetzten («Mobbing»). Der parasitäre Narzissmus führt zu Erscheinungen wie Klatsch, Starkult, Denunziation. Eine gegenwärtig aktuelle Form sind die so genannten «Trittbrettfahrer», die behaupten, eine Bombe gelegt oder einen Brief vergiftet zu haben. In diesem Buch will ich eine weitere soziale Form der narzisstischen Störung untersuchen: den explosiven Narzissmus der «menschlichen Bombe».

Wer sich so lange wie der Autor mit der öffentlichen Rolle der Psychologie beschäftigt hat, wird sich auch der Risiken jenes Vorgangs bewusst, den wir «Psychologisieren» nennen. Dabei geht es nicht um Aufklärung mit Hilfe einer rationalen Untersuchung, sondern um Verschleierung von Interessen mit Hilfe psychologischer Phrasen.

Angesichts einer Arbeit über politisch so brisante Fragen wie die Selbstmordattentate ist ständige Wachsamkeit gegenüber einem derartigen Missbrauch der Psychologie angezeigt. Denn wenn es nachweisbar wäre, dass alle Selbstmordattentäter aus völlig irrationalen Motiven handeln, erübrigt sich jede Verhandlung, jedes Nachdenken über einen Prozess der politischen Versöhnung in Palästina. Wenn wir davon ausgingen, dass hier verrückte Fanatiker handeln, die an nichts anderes denken können als an den Mord an möglichst vielen Juden, wäre es unsinnig, über eine gerechte Verteilung von Macht, Land und Wasser in der umkämpften Heimat so vieler unterschiedlicher Gruppen nachzudenken.

Umgekehrt stützt die These, dass Selbstmordattentäter entschlossene, seelisch normale Personen sind, die Ideologie der arabischen Seite, welche allein in den Juden die Wurzel aller Konflikte sieht.

Wer psychologisiert, hat von Psychologie im Grunde nichts verstanden. Er missbraucht sein Wissen, um genau jene Rolle zu spielen, die es ihm, zu Ende gedacht, nehmen würde. Es ist die Rolle des Propheten, des Vereinfachers, der über Geschichte, Politik und Kultur nichts mehr wissen muss, weil er «die Seele kennt» – als ob es eine Seele gäbe, die er ohne Wissen um diese äußeren Strukturen erforschen kann.

Respekt gegen Respekt: Auch die politische Analyse greift zu kurz, wenn sie menschliches Verhalten bruchlos aus den Kräften abzuleiten sucht, welche das Handeln von Staaten bestimmen. Gerade in den Berichten über die Selbstmordattentäter in Palästina taucht immer wieder das Motiv der Eltern auf, die nicht verstehen, warum gerade ihr Kind zu einer solchen Aktion fähig war. Geschwister distanzieren sich fassungslos von der Tat eines Bruders, Eltern können nicht glauben, was sie doch wissen, und greifen – wie der Vater Mohammed Attas in Kairo – zu abstrusen Verschwörungstheorien, um sich nicht mit der Tatsache auseinander setzen zu müssen, dass ein nahe stehender Mensch sich in diese Richtung entwickelt hat, die für die meisten Betrachter eine unheimliche Qualität hat.

Wenn eine solche Explosion stattgefunden hat, heißt es oft, Amokläufe und Attentate seien nicht voraussehbar. Die Täter handelten aus Motiven, die dem gesunden Menschen völlig fremd sind. Solche Thesen werden sogar von Forschern vertreten, die beispielsweise behaupten, es gebe keine wissenschaftlich exakten Beweise für einen Zusammenhang zwischen Mediengewalt und Amoklauf, zwischen emotionaler Entwicklungsstörung und der Neigung zur grandiosen terroristischen Tat.

Solche Einwände erinnern mich an die pseudowissenschaftlichen Argumente, mit denen lange Zeit die Unschädlichkeit von Radioaktivität oder DDT in unserer Umwelt begründet wurde. Überall, wo es auch nur das kleinste Interesse gibt, einen Zusammenhang zu bagatellisieren und Warnungen in den Wind zu schlagen, sollte es sich jeder seriöse Forscher verbieten, Harmlosigkeitsbescheinigungen auszustellen.

Der explosive Narzissmus, dessen dramatischer Ausdruck gegenwärtig die menschlichen Bomben sind, speist sich, so paradox es klingt, aus dem Sicherheitsbedürfnis traumatisierter Menschen. Es gibt Kränkungen, die wir ertragen können, und andere, die unsere Psyche überfordern. Dann setzen Verarbeitungsmöglichkeiten ein, die mit dem «Leben aus der Substanz» verglichen werden können, das eine Notsituation auf prekäre Weise stabilisiert. Wenn wir hungern, baut der Organismus erst Fettreserven ab; das schadet ihm kaum, kann sogar den Körper entlasten. Wenn aber diese Reserven aufgebraucht sind, beginnt der Organismus sich selbst zu verzehren; auch innere Organe werden angetastet. Jetzt wird ein langfristiger Schaden in Kauf genommen, um die kurzfristige Überlebenszeit zu verlängern. Stabilisierende Mittel, unser narzisstisches Gleichgewicht zu erhalten, bieten die aktive Bewältigung der Realität, die tröstende Phantasie, die liebevolle Beziehung zu anderen. Aber unter größeren Belastungen reichen solche Mittel nicht aus. Es kommen andere hinzu, die uns nicht so positiv erscheinen, obschon wir doch merken, wie hilfreich sie waren, wenn auch sie versagen. Es sind die Beweise eigener Überlegenheit und Dominanz, der erkämpfte Sieg, die Erniedrigung der Feinde, die Verleugnung und Verdrängung eigener Schwäche. Wir geben dann nicht mehr, um im Austausch etwas zu erhalten, sondern wir rauben, beuten aus, gewinnen Überlegenheit durch Unterdrückung oder Entwertung von anderen. Wird durch eine einzelne oder öfter durch eine ganze Kette von Traumatisierungen die Möglichkeit zerstört, das seelische Gleichgewicht wieder zu finden und das Selbstgefühl zu stabilisieren, entsteht jenes Krankheitsbild, das heute als posttraumatisches Stress-syndrom diagnostiziert wird und früher als Granatenschock oder Kriegsneurose Nervenärzte ebenso beschäftigte wie Literaten, die eine «verlorene Generation» beschrieben. Dieser Zustand ist durch den Verlust der Kontrolle über die eigene Vorstellungswelt charakterisierbar. Zwangserinnerungen (Flashbacks) an die verletzende Situation tauchen auf, ohne dass sich das Opfer wehren kann, das weit lieber seine Peiniger vergessen möchte. Die Reizbarkeit ist erhöht, die Fähigkeit geschwunden, störende Signale auszublenden: Es gibt Traumatisierte, für die selbst das Ticken einer Uhr zu einem derart unerträglichen Lärm wird, dass sie in sinnloser Abwehr den Zeitmesser von der Wand reißen und zertreten.

Eine solche Reaktion zeigt einen Teil der Dynamik einer narzisstischen Explosion: der Reizschutz und die Reizverarbeitung sind geschwächt; parallel dazu ist auch die Fähigkeit der inneren Abwehr reduziert, mit deren Hilfe Primitivreaktionen in Schach gehalten werden. Dieser Aspekt der Traumareaktion ist als Zentralisation beschrieben worden.

Der Mensch als Bombe

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