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Die Bombe im King-David-Hotel

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Ein Teil der gegenwärtig so unlösbar scheinenden politischen Spannungen hängt unmittelbar mit diesem Thema zusammen: Der Staat Israel ist von einer erfolgreichen terroristischen Organisation mitbegründet worden und fand später in einem ebenfalls zu diplomatischem Ansehen gekommenen Ex-Terroristen einen gefährlichen Gegner. Bis in die jüngste Zeit war der Anschlag auf das King-David-Hotel in Jerusalem am 22. 7. 1946, bei dem 91 Zivilisten getötet und 45 verwundet wurden – Araber und Juden, Männer, Frauen und Kinder –, einer der blutigsten, der je von Terroristen verübt wurde. Die Bombe im Erdgeschoss des Südflügels, in dem die britischen Militärbehörden zwei Etagen gemietet hatten, wurde von der Irgun gezündet, einer terroristischen Organisation, die damals von einem späteren Ministerpräsidenten Israels, Menachem Begin, geleitet wurde.

Begin hatte damals schon ein bewegtes Leben hinter sich. Er war 1913 in Brest-Litowsk (in Polen) geboren, wurde Mitglied in einer zionistischen Jugendgruppe und studierte in Warschau Recht. Als er 1935 sein Studium abschloss, hatte er eine führende Stellung im polnischen Zionismus. 1939 überfielen die Deutschen Polen und besetzten es; Begin floh nach Litauen.

Ein Jahr später verhaftete ihn die sowjetische Polizei. Begin wurde als «Agent des britischen Imperialismus» wegen seiner zionistischen Kontakte zu acht Jahren Haft in Sibirien verurteilt. Als 1941 Hitler Russland angriff, wurden die inhaftierten Polen vor die Wahl gestellt, statt der Haft in Sibirien in die polnische Exilarmee einzutreten. Begins Einheit wurde nach Palästina transportiert; damals waren Zionisten, Briten und Sowjets Verbündete gegen Hitler, dessen Feldmarschall Rommel die britischen Kolonien am südlichen Mittelmeer bedrohte.

Die Irgun war in ihrem Kampf gegen die Briten (welche die zionistische Einwanderung nach Palästina blockierten) in eine Krise geraten, seit der gemeinsame Kampf gegen Hitler Aktionen gegen die Briten verbot. 1943 übernahm Begin das Kommando der Gruppe und organisierte sie zu einer Terrororganisation, die als Stadtguerilla getarnt operieren sollte. Ihr Ziel war es, das Prestige der britischen Besatzer zu schwächen; ihre spektakulärste Operation der Sprengstoffanschlag auf das King-David-Hotel.

Der Anschlag erreichte sein politisches Ziel. Die Aufmerksamkeit der Welt richtete sich auf Palästina, die Besatzungsmacht wusste sich nicht anders zu helfen als durch Straßensperren, ständige Haussuchungen, zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen, mehr Personal und mehr Kosten für Polizisten und Militärs. Mit all diesen Mitteln gelang es aber nicht, die Terrorkampagne der Irgun zu stoppen; im Gegenteil, die Schwäche der Briten wurde immer deutlicher, die zwangsläufigen Störungen in Handel und Bewegungsfreiheit der Bürger machten die Regierung bei allen unbeliebt und vermittelten auch der Mehrheit der Juden, die gegen die terroristische Untergrundbewegung war, den Eindruck, dass die Besatzer sie mehr unterdrückten als beschützten.

Begin kalkulierte ein, dass die Briten – anders als die Deutschen, die während des Krieges mit barbarischen Vergeltungsschlägen gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen waren – im großen Ganzen an rechtsstaatliche Maßnahmen gebunden blieben. Er spricht von einem «Glashaus Israel»: Weil die Weltöffentlichkeit aufmerksam geworden war, konnte der Zivilbevölkerung nichts geschehen; die Briten anderseits konnten mit ihren Mitteln den Terror nicht auslöschen.

Jede Besatzungsmacht lebt vom Mythos ihrer Unverwundbarkeit. Dieser war nach dem Zweiten Weltkrieg bei den bisher dominierenden Kolonialmächten England und Frankreich gebrochen. Die von Begin in der Irgun entwickelte Strategie wurde zum klassischen Modell der antikolonialistischen Kämpfe. Wem es gelingt, eine Besatzungsmacht herauszufordern, die durch Rechtssicherheit eine Kolonie wirtschaftlich nutzen will und auf Terror nicht mit stärkerem Terror reagiert, der wird auf Dauer die Bevölkerung polarisieren und eine vorwiegend rational und ökonomisch orientierte Kolonialmacht zum Rückzug zwingen. Es gelang der Irgun, das Prestige Großbritanniens in Palästina zu schwächen und den Rückhalt der bisherigen Strategie in London zu untergraben.3

Voraussetzung dieser Entwicklung war der Rückhalt der Terroristen in Amerika und ihre Fähigkeit, die internationale Presse immer wieder einzubinden. Den Indianern Nordamerikas ist das in ihrem Kampf gegen die immer wieder vertragsbrüchige Regierung der Vereinigten Staaten ebenso wenig gelungen wie den Armeniern in ihrem Kampf gegen die türkischen Besatzer. Wie bereits gesagt: Das terroristische Spiel wird nur unter günstigen Umständen gewonnen, oft führt es in eine Spirale von Gewalt, die nur Verlierer zurücklässt. Die Lebensbedingungen werden durch den Terrorismus verschlechtert. Wenn es sich ungeschickter Terroristen nicht rechtzeitig entledigt, kann ein Volk unterdrückt oder ausgerottet werden, das doch befreit und gestärkt werden sollte.

Was die von der Irgun und Menachem Begin geschaffene Szene von 1947 angeht, so wäre sie weniger berichtenswert, wenn sie nicht so fatal der gegenwärtigen Situation im «siegreichen» Israel gleichen würde. In einem Brief an seine Regierung in Washington hat 1947 der amerikanische Generalkonsul die bemitleidenswerte Lage der Briten geschildert, die in ständiger Angst hinter Straßensperren und Stacheldrahtverhau versuchen, sich in «Sicherheitszonen» zu halten. Er schließt: «Man kann die Schlussfolgerung nicht vermeiden, dass die Regierung von Palästina eine gejagte Körperschaft ist, die wenig Aussicht hat, mit den Bedingungen in diesem Lande, wie sie heute sind, jemals fertig zu werden.»4

Es fällt schwer, hier nicht an die Lage der israelischen Regierung in der Gegenwart zu denken. Allerdings hatten es die Briten vergleichsweise leicht, sich aus Palästina zurückzuziehen; nicht sie, sondern die Palästinenser zahlten einen hohen Preis. Gegenwärtig stehen sich zwei zum Äußersten entschlossene Gruppen gegenüber. Die verächtliche Schwäche der einstigen Kolonialmacht England spielt im geistigen Hintergrund dieser Szene ebenso eine Rolle wie die Erfahrung der Israelis mit dem rassistischen Staatsterror und dem Genozid der Nazipartei an den europäischen Juden. Weder Schwäche zu zeigen noch vor den wieder auf Palästina gerichteten Blicken der Welt als brutale Faschisten zu erscheinen bestimmt das Dilemma der Politik Israels im Umgang mit dem Terror der islamischen Fundamentalisten und der Revolte der Palästinenser.

Der Mensch als Bombe

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