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8.

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Ein bisschen Make-Up, die Haare einmal durchgekämmt, raus aus den Wohlfühl-

Klamotten, rein in die Jeans, weiße Bluse, darüber einen dünnen hellblauen Cashmere-pullover. Schon war Verena startklar. Sie schnappte sich ihre Handtasche, zog sich im Flur noch schnell ihre Sneaker an, schloss die Wohnungstür ab und hechtete die zwei Treppen hinunter zur Tiefgarage. Das war rekordverdächtig. Nicht einmal zehn Minuten hatte sie gebraucht, da sie doch sonst vor dem Kleiderschrank Zeit vertrödeln konnte ohne Ende. Überlegen, entscheiden, anziehen, Spiegelbild anschauen, umdrehen, über die Schulter blicken, grübeln, ausziehen, wieder überlegen, neu entscheiden, Plan verwerfen, ratlos in den gut gefüllten Kleiderschrank schauen, verschiedene Kombinationen aufs Bett legen, Bluse zwischen zwei Pullover packen, sich für Hose, Bluse sowie Pullover auf dem linken Stapel entscheiden und schließlich die rechte Kom­bination anziehen.

All das hatte sie sich heute gespart. Zügig fuhr sie aus der Tiefgarage nach links in die Weißer Hauptstraße Richtung Rodenkirchen, schaltete das Radio an - wie üblich war WDR 2 eingestellt - und vernahm die erste Zeile des gerade einsetzenden Songs von Bryan Adams Can´t stop this thing we started.

Nein, nicht schon wieder, drohte ihre innere Stimme. Lass´ es gut sein! Entspann dich, freu dich auf den Abend. Morgen ist auch noch ein Tag. Dann kannst du weiterstöbern.

„Ist ja schon gut“, murmelte Verena vor sich hin. Inzwischen hatte sie Rodenkirchen hin­ter sich gelassen und bog in den Militärring ein. Von hier aus brauchte sie nur noch knapp eine Viertelstunde bis nach Müngersdorf. Wie so oft dachte sie beim Durchfahren des Stadtwaldes an den Wiederaufbau der Stadt Köln. Auch hier war die Handschrift Adenauers zu erkennen, der mit Hilfe der zahlreichen Arbeitslosen nach der Währungs­reform den Grüngürtel hatte errichten lassen. Natürlich wusste sie das meiste dessen, was unter Lokalkolorit von Köln zu verstehen war, von ihrem Chef, dem Inbild des Urköl­ners. Sofort zu Beginn ihrer Kölner Zeit hatte sie sich aber auch selbst intensiv mit der regionalen Nachkriegsgeschichte befasst und sich mit Hilfe der von Peter Koch ge­schriebenen Biographie über Adenauer ihr Bild von der rheinländisch eingefärbten Poli­tik zur Zeit des deutschen Wirtschaftswunders und dem viel zitierten Kölschen Klüngel zusammengezimmert.

So diktatorisch wie er wohl oft in seinen Entscheidungen gewesen ist, ging es Verena durch den Kopf, so sehr bedurfte es wohl auch einer solch starken Hand für die Anfänge der Republik.

So ihren Gedanken nachhängend, die Uhr zeigte zwanzig vor sieben, erreichte sie den Lövenicher Weg, parkte ihren Corsa und ging schnurstracks in das gegenüberliegende Mehrfamilienhaus, in dem sich Kirstens geräumige 3-Zimmer-Wohnung befand.

„Just in time“, empfing Kirsten ihre beste Freundin und schob sie, nachdem sie Verenas Jacke im Flur aufgehängt hatte, gleich durch ins Wohnzimmer. „Bin gleich soweit, nur noch ein paar Minuten, dann ist auch das Knoblauchbrot fertig“, rief sie ihr aus der Kü­che zu.

„Knofi am Abend, erquickend und labend“, scherzte Verena. „Meinst du, das ist für eure Montagsrunde der richtige Muntermacher?“

„Keine Bange, an meinen Knoblauchkonsum haben sich die Herren Prokuristen schon gewöhnt. Und von meinem Chef sitze ich am Besprechungstisch weit genug weg. Nee, nee, das haut schon hin. Beim Protokollieren muss ich sowieso die Schnüss halten. Au­ßerdem sind ja notfalls auch ein paar 'Fischer-Männchen' zur Stelle.“

Kirstens Hang zum Kerzenlicht war wie üblich unübersehbar. Überall verteilt brannten Teelichter, meist in kleinen Schälchen oder Gläsern. Eine wohlige Wärme verteilte sich im Raum. Verena zog ihren Pullover aus. Dann setzte sie sich auf eines der beiden im rechten Winkel zueinander stehenden weißen Zweier-Leder-Sofas. Kaum hatte sie es sich gemütlich gemacht, erschien Kirsten auch schon im Türrahmen mit dem noch dampfenden Knoblauchbrot.

„Bin schon fertig. Kann gleich losgehen.“

„Mir läuft das Wasser im Mund zusammen“, meinte Verena, den intensiven Geruch wahrnehmend. „Dabei hatte ich eigentlich gar keinen richtigen Hunger.“

„Appetit kommt beim Essen, hat meine Mutter immer gesagt, und dabei manchmal auch ganz was anderes gemeint“, antwortete Kirsten verschmitzt und stellte die vorgewärmte Schale mit dem Lammfleisch auf den Tisch. Dann goss sie den bereits geöffneten Rioja aus dem Dekanter in die Gläser. „Nun komm schon rüber, bevor´s kalt wird. Lamm muss heiß gegessen werden!“

„Ist das wieder deine berühmte Lammkeule in Wermuth?“, und ohne eine Antwort abzu­warten, fügte Verena hinzu: „Da werden deine Kolleginnen begeistert gewesen sein. Das Rezept ist aber auch wirklich einsame Spitze. Hast es wahrscheinlich wieder herausrücken müssen.“

„Ja, ja, wie üblich. Bin mir gar nicht so sicher, dass meine Kolleginnen das Rezept wirk­lich ausprobieren. Die Kochkünste halten sich bei allen Fünfen in sehr begrenzten Bah­nen. Schließlich weiß ich, wovon ich spreche. Mit den Einladungen geht´s ja immer reih­um. Ganz ehrlich, ohne mich in den Koch-Olymp heben zu wollen, am liebsten esse ich bei mir.“

Die Freundinnen plauderten noch eine Weile über den vor zwei Wochen stattgefunde­nen Abend im Kreis der Kolleginnen und den dabei zu Tage geförderten neuesten Tratsch in der Firma. Dabei kamen auch sehr persönliche Interna und Neuigkeiten über bevorstehendes Stühlerücken im Management ans Tageslicht und Verena fühlte sich bestätigt in ihrem Entschluss, Kirsten nicht in die neuesten Erkenntnisse einweihen zu wollen. Aber es blieb im Laufe des Abends natürlich auch nicht aus, dass Kirsten sich nach Verenas Fortschritten bei ihren Nachforschungen erkundigte.

„Hast du schon eine heiße Spur? Ist Püll dir eine große Hilfe? Schön, dass du dich auf ihn verlassen kannst. Paul wusste schon, was er an ihm hatte. Ich glaube, Pauls Tod hat ihn mehr getroffen, als er es zugeben will. Mir scheint er seitdem irgendwie verän­dert, nachdenklicher, nicht mehr so voller Tatendrang. Aber vielleicht liegt´s auch daran, dass er ein bisschen damit zu kämpfen hat, bald in Pension zu gehen. Mag sein, dass er nicht loslassen kann. Hat er eigentlich Hobbys?“

Verena hörte sich gedankenverloren Kirstens Monolog an und hakte erst bei der letzten Frage ein. „So genau kann ich dir das gar nicht sagen. Als Uschi noch lebte, war sein größtes Hobby das Reisen, vor allem Studienreisen. Sie waren, glaube ich, immer mit 'Studiosus' unterwegs. Wenn ich mich nicht irre, hatten die beiden vor, nach seiner Pen­sionierung irgendwo in Griechenland ein Häuschen auf einer der zahlreichen Ägäis-In­seln zu kaufen. Deswegen hatte Paul ihm damals auch für einen Freundschaftspreis sein Segelboot verkauft. Aber irgendwie hat Püll nach dem Tod seiner Frau auch die Lust am Segeln verloren. Ein paar mal sind Paul und er noch im Spätsommer im vorletz­ten Jahr zusammen auf der Bever herumgeschippert, aber das war´s dann auch. Seit­dem liegt die 'Weiße Rose' an der Talsperre im Schuppen und Paul hat dann auch im letzten Jahr keine Anstalten gemacht, von sich aus auf Püll zuzugehen. Schließlich war es ja auch nicht mehr sein Boot. Ich selbst habe mir sowieso nie was aus der Segelei gemacht.“

„Aber mit irgend etwas muss er sich doch nach der Pensionierung in seiner Freizeit be­schäftigen“, warf Kirsten ein.

„Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Er hat natürlich noch seinen Schach-Klub, aber das ist nur etwas für abends. Wenn ich mir´s so genau überlege, weiß ich eigent­lich gar nicht so viel von ihm. Aber er war ja auch in erster Linie Pauls Freund.“

„Wird er alleine nach Griechenland ziehen und hier für immer seine Zelte abbrechen? Ich stelle mir das schwierig vor, den Freundeskreis aufzugeben und dort neu anzufan­gen. Das ist sicherlich nicht so leicht, in einem fremden Land wieder Kontakte zu knüp­fen. Die Gefahr dürfte groß sein, zum Einsiedler zu werden.“

„Püll schweigt sich zu diesem Thema aus. Immer, wenn ich unser Gespräch in diese Richtung lenke, wird er einsilbig. Nur einmal, als ich auf das Sprachproblem hinwies, meinte er, das Mittelmeer sei groß und es müsse ja nicht unbedingt Griechenland sein. Ohnehin erinnere ihn dort zu viel an die gemeinsamen Urlaube mit Uschi.“

So plätscherte der Abend dahin und als Verena das erste Mal auf die Uhr sah, war es schon fast elf. „Höchste Zeit, dass ich mich auf die Socken mache, zumal du morgen wieder früh aus den Federn musst.“

„Du weißt doch, wie wenig Schlaf ich brauche, also den letzten Schluck von dem Roten sollten wir uns noch gönnen“, erwiderte Kirsten. „Wäre schade um den guten Tropfen.“

Schließlich war es ziemlich genau halb zwölf, als Verena aufbrach. Mit Küsschen links und Küsschen rechts verabschiedete sie sich von ihrer Freundin, eilte die Treppe hinab, rief das übliche 'Tür-ist-offen' durch das Treppenhaus und trat ins Freie, wo sie, obwohl der Frühling schon vor wenigen Tagen begonnen hatte, eine empfindliche Nachtkühle empfing. Fröstelnd stieg sie in ihren Corsa und fuhr nach Hause.

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