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12.

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Verena fühlte sich völlig gerädert. Dennoch sprang sie, von innerer Unruhe getrieben, sofort aus dem Bett und nahm eine Dusche. Angenehm prickelte das warme Wasser auf ihrer Haut, vermischte sich mit dem Shampoo und strömte in kleinen Rinnsalen an ihrem Körper entlang. Ihre Gedanken tauchten wieder ein in die Zeit, als sie, meist an einem Samstag- oder Sonntagmorgen, gemeinsam mit Paul unter der Dusche stand, sie sich gegenseitig einseiften, und sie dann häufig den geplanten Einkauf verschoben, weil sie einander nicht widerstehen konnten. Oft noch in der Dusche oder er trug sie nass wie sie war auf seinen Armen ins Bett. Immer endete es so, dass sie schlaftrunken an ihn gekuschelt vor sich hindöste, aber doch noch wahrnahm, wie er leise aus dem Schlafzimmer schlich, sich im Nebenzimmer anzog und lautlos die Wohnungstür schloss. Triumphierend, wie ein kleiner Junge, der ein Autogramm von seinem Lieb­lingsfußballspieler erobert hatte, war er dann, die warmen Brötchen in der Tüte schwen­kend, in das Schlafzimmer gestürmt und hatte sie wachgeküsst.

Mit einem kalten Guss aus der Dusche beendete Verena ihre Reise in die Vergangen­heit, rubbelte sich mit dem Badehandtuch ab, das sie sich anschließend um ihre schlan­ken Hüften schlang, und föhnte ihr Haar. Während sie frühstückte, klingelte das Telefon. Es war Kirsten. Na, wie ist dir der Sonntagabend bekommen?“, fragte sie munter und offensichtlich gut gelaunt.

„Prima, aber sag mal, wieso rufst du so früh an, um diese Zeit bist du doch normaler­weise drinnen bei deinem Chef und gehst mit ihm die Tagestermine durch, erwiderte Verena. Überhaupt hast du Glück, dass ich schon aus den Federn bin. Ich könnte wirk­lich noch eine Runde Schlaf gebrauchen. Hab ganz schlecht geschlafen und wüst ge­träumt.

„Das tut mir leid, Verena-Kind, antwortete Kirsten mit ihrer typischen Anrede, wenn sie Verena trösten wollte. Was hat dich denn so aufgewühlt?

„Nichts Ernstes, wahrscheinlich ist wieder Vollmond oder ein Tag davor, wich Verena Kirstens Frage aus. Aber sag mal, wieso rufst du so früh an?

„Eigentlich gibt´s gar keinen richtigen Grund, aber mein Chef hat sich heute Morgen di­rekt von zu Hause abholen lassen und ist nach Dortmund gefahren. Irgendeine wichtige Kommissionssitzung bei der Signal-Iduna, die er leitet. Musste ihm gestern Abend noch bis neun Uhr die letzten Unterlagen für ein Referat zusammenstellen. Ewig das gleiche. Ständig alles auf den letzten Drücker. Er ist so ein Zahlen-Freak. Schrecklich! Immer muss er die neuesten Ergebnisse haben. Bei der letzten Hauptversammlung hat er nach der Sitzung einen dermaßen großen Terror gemacht, bloß weil so ein Wichtigtuer im Aufsichtsrat ihn mit neuen Zahlen konfrontiert hat, die am Vorabend in so einer politi­schen Fernsehsendung veröffentlicht worden sind. Da hat er doch tatsächlich seinen Assi angeschnauzt, er hätte ihm die morgens vor der Sitzung mitteilen müssen. Schließ­lich gehöre es auch zu seinen Aufgaben, sich solche Sendungen zu Informationszwe­cken anzusehen.

„Um deinen Chef bist du wirklich nicht zu beneiden, meinte Verena teilnahmsvoll. Für solche Workaholics ist es wohl unvorstellbar, dass ihre Mitarbeiter neben ihrer Arbeit vielleicht auch noch ein paar andere Interessen haben. Gerade wenn man noch jung ist. Wie alt ist denn sein Assistent?

„37, promoviert und immer noch Junggeselle. Das geht doch eigentlich gar nicht. Aber für die Frauen bleibt ihm offensichtlich keine Zeit. Er hat nur seine Karriere im Kopf und weil er unseren Boss im Prinzip ganz gut zu nehmen weiß, packt er das hier auch. Er ist wirklich ein helles Köpfchen. Um seine Auffassungsgabe kann man ihn nur beneiden. Außerdem ist er auch noch nett.

„Na, das klingt ja fast schwärmerisch!

„Komm, nun sei nicht albern! Du weißt doch: Schuster bleib bei deinen Leisten.

„Du meinst wohl, bei seinen Leisten.

„Findest Du nicht, dass du ein bisschen zu frivol bist für so einen frühen Morgen. Lang­sam glaube ich, du hattest heute Nacht eher einen Wach- als einen Alptraum. Hab ich da was nicht mitbekommen?

„Da ist nichts. Also können wir uns darauf einigen, du hast nichts mit dem Assi von dei­nem Boss und ich bin sicher noch bis die Sache mit Paul völlig geklärt ist überzeugter Single, d´accord?

„Gut, akzeptiert, meine Süße. Was machen denn deine Nachforschungen? Land in Sicht?

Für einen Augenblick war Verena versucht, mit der Neuigkeit herauszurücken. Aber dann besann sie sich doch eines Besseren, getreu nach dem gefassten Grundsatz, erst einmal schweigen zu wollen. Jedem gegenüber. Also auch Kirsten nicht ins Vertrauen zu ziehen. Hallo, bist du noch dran?

„Na klar, entschuldige, habe nur mal eben einen Schluck Tee getrunken, log Verena. Nein, gestern hat sich nichts Neues ergeben. Wenn ich ehrlich bin, habe ich gestern fast den ganzen Tag gefaulenzt und gelesen.

„Und was?“

„Du erinnerst dich doch an das Buch von der Heidenreich, das ich dir im Café 'Eigel' ge­zeigt habe?

„War das nicht mit irgendwelchen Tieren in einem Boot, à la Arche-Noah?

„Quatsch, aber mit den Tieren, das stimmt schon, 'Rudernde Hunde' ist der Titel. Wirk­lich lesenswerte Erzählungen. Kann ich dir gerne mal leihen.

„Ja, so kurze Geschichten ist was für abends. Kurz vorm Einschlafen. Muss ja nicht im­mer Pilcher sein, ergänzte Kirsten in Andeutung darauf, dass Verena und sie so ganz und gar nicht übereinstimmten, was ihren Büchergeschmack betraf. So nun muss ich aber Schluss machen. Der Leiter vom Vorstandsstab hat schon zweimal so mit dem Blick 'Wenn-die-Katze-aus-dem-Haus-ist' um die Ecke gelugt. Will wohl was von mir. Also ich melde mich Donnerstagabend wieder. Vielleicht können wir etwas gemeinsam unternehmen, wenn du sonst nichts vorhast.

„Okay, ich überleg mir was. Ciao. Wünsche dir einen schönen cheflosen Tag!

„Schön wär´s. Spätestens am frühen Nachmittag ist er wieder im Haus und dann geht´s richtig rund. Diese Woche muss er noch zu einer Verbandssitzung nach Berlin. Aber am Freitagmittag ist definitiv Schluss, weil er mit den Aufsteigern des Jahres über das Wo­chenende eine Incentive Reise nach Prag macht. Endlich mal früh nach Hause. Viel­leicht findest du etwas schon für Freitag. Also ciao. Bis dann.

Verena stellte den Hörer in die Basisstation, schüttete den Rest ihres inzwischen kalt gewordenen Tees in den Ausguss, legte die nicht zu Ende gelesene Zeitung zur Seite und ging ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen. Sie entschied sich für eine verwasche­ne Jeans und ein blau-graues Kapuzensweatshirt. Ihre wächserne Segeljacke legte sie sich um die Schultern, schnappte sich eine Baseballkappe und vergewisserte sich, dass sie den Bootsschlüssel auch wirklich an ihrem Schlüsselbund befestigt hatte. Dann ver­schloss sie die Wohnungstür und nahm die Treppe zur Tiefgarage.

Verena startete den Motor, passierte das Rolltor und bog nach links in die Hauptstraße ein. Sie ließ Weiß hinter sich und fuhr auf die A 555 in Richtung Köln-Süd. Vor dem Ver­teiler bog sie auf die A 4 in Richtung Osten. Ein paar Kilometer vor Refrath verließ sie die Autobahn und fuhr durch das Bergische Land. Wie seltsam, dachte sie, dass dieses schöne Fleckchen Erde touristisch so wenig erschlossen ist. Wer außerhalb Nordrhein-Westfalens kennt schon das Bergische Land? So hing sie mal wieder ihren Gedanken nach und erreichte über Kürten schließlich Hückeswagen. Von dort waren es nur noch wenige Kilometer bis zur Talsperre, die sie noch vor elf Uhr erreichte.

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