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1.2 Die Rentenreform 1972Rentenreform 1972
ОглавлениеDie Rentenfinanzen gestalteten sich in der ersten Dekade nach den Reformen des Jahres 1957 außerordentlich gut und wurden gestützt durch die expansive Wirtschaftsentwicklung der Bundesrepublik Deutschland in diesem Zeitraum. Trotz Leistungsverbesserungen durch Novellierung der Reformgesetze im Laufe der 60er Jahre entwickelte sich ein sozialpolitischer Grundkonsens zu weiteren strukturellen Reformen, der die gesellschaftliche Aufbruchstimmung nach Amtsübernahme durch die sozialliberale Koalition in Bonn widerspiegelte. Als die abschließenden Beratungen zur Rentenreform 1972 allerdings im Bundestag anstanden, erhielten sie durch die wechselnden Machtverhältnisse zwischen Regierung (SPD/FDP) und Opposition (CDU/CSU) eine besonders pikante Note. Zur Erinnerung: Obwohl nach dem Übertritt mehrerer Koalitionsabgeordneter zur Opposition, das konstruktive Misstrauensvotum im April 1972 scheiterte und letztlich zu den Neuwahlen im Herbst 1972 führte, war die Verabschiedung der Rentenreform im Spätsommer 1972 von einer parlamentarischen Pattsituation gekennzeichnet. Dadurch konnten die Rentengesetze nur durch Kompromisse im Sinne der CDU/CSU beschlossen werden. So blieb z.B. das von der Regierung vorgesehene „Babyjahr“ für erwerbstätige Mütter unberücksichtigt. Erst 1986 war die Zeit reif für entsprechende familienpolitische Reformen in der Rentenversicherung. Dennoch konnten sich die erreichten Leistungsverbesserungen für Versicherte und Rentner sehen lassen.
Die Rentenreform 1972
Beibehaltung der Grundsätze von 1957, aber
Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige und Hausfrauen
lukrative Nachentrichtungsmöglichkeiten mit hoher Rendite zurück bis 1956
flexible Altersgrenzen (Senkung des Lebensalters von 65 auf 62 – Schwerbehinderte – und 63-langjährig Versicherte)
Rente „nach Mindesteinkommen“ für Kleinverdiener (Anhebung auf 75 Prozent des Durchschnittsverdienstes aller Versicherten)
Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige und HausfrauenAlle Personen ab dem 16. Lebensjahr erhielten die Möglichkeit zur freiwilligen Versicherung. Gleichzeitig wurde allen Nichtversicherten (vor allem Hausfrauen) die Möglichkeit der Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen zurück bis zum 01.01.1956 eingeräumt. Den bislang nicht versicherungspflichtigen Selbständigen wurde die Möglichkeit eingeräumt, auf Antrag versicherungspflichtig zu werden. Außerdem konnten sie von einer äußerst vorteilhaften Beitragsnachentrichtung bis zum 01.01.1956 zur Schließung vorhandener Beitragslücken Gebrauch machen. Die dabei erzielbare Rendite des eingezahlten Beitrages betrug dabei zum Teil mehr als 30 bzw. 40 Prozent pro anno.
Einführung flexibler AltersgrenzenDie starre Regelaltersgrenze mit 65 Jahren gehörte ab 01.01.1973 der Vergangenheit an. Wer die besondere Wartezeit von 35 Versicherungsjahren (Beitrags-, Ersatz- und Ausfallzeiten sowie der Zurechnungszeit) erfüllte, konnte die „flexible“ Altersrente – abschlagsfrei – bereits ab dem 63. Lebensjahr beziehen. Bis zur Änderung durch den neugewählten Bundestag war der Rentenbezug sogar ohne jegliche Einschränkungen neben dem vollen Arbeitsverdienst zugelassen. Erst ab 01.04.1973 wurden die Hinzuverdienstmöglichkeiten neben der flexiblen Altersrente auf 30 Prozent der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze festgelegt.Schwerbeschädigte Versicherte (heute: Schwerbehinderte) erhielten diese flexible Altersrente – auf Antrag – bereits ab dem 62. Lebensjahr.
Rente „nach Mindesteinkommen“Dadurch wurden Kleinstrenten langjährig pflichtversicherter Arbeitnehmer deutlich angehoben. Wer mindestens 25 anrechnungsfähige Versicherungsjahre ohne freiwillige Beiträge und Ausfallzeiten zurückgelegt hatte, erhielt einen Zuschlag an Werteinheiten in der Rentenberechnung (dies aber begrenzt auf die Pflichtbeiträge bis zum 31.12.1972). Die Werte für die Pflichtbeiträge wurden um die Hälfte – höchstens aber auf 75 Prozent des Durchschnittsverdienstes aller Versicherten – angehoben.Die Rente nach Mindesteinkommen führte allein zur Anhebung von mehr als 12 Prozent aller Renten, wobei in 4 von 5 Fällen diese Erhöhung Frauen zugutekam. Dadurch wurde das vom Gesetzgeber anvisierte Ziel erfüllt, die geschlechterspezifisch bedingte Lohnminderung langjährig erwerbstätiger Frauen zu beseitigen.