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Die Lupenbrille

Problem: Erhöhte Präzision in der Zahnmedizin

In allen Bereichen der Zahnmedizin ist das Wissen und damit der Anspruch an die Präzision der zahnärztlichen Tätigkeit enorm gestiegen:

 In der Zahnerhaltung werden das Aufspüren von minimaler Karies, die minimalinvasive Versorgung von kariösen Läsionen, Fissurenversiegelungen und die Ultraschallaufbereitung von Tag zu Tag wichtiger (Abb. 1 und 2).Abb. 1 FissurenkariesAbb. 2 Fissurenkaries im polarisationsoptischen Bild (aus: R. Heinrich-Weltzien et al.: Kann die Kariesrisiko-Einschätzung die Indikation zur Fissurenversiegelung beeinflussen? Quintessenz 50, 3, 245-251, 1999)

 In der Prothetik wird gefordert, dass der Kronenrandspalt kleiner als 50 μm (Abb. 3) sein soll, um eine mikrobiologische Besiedlung zu verhindern. Dazu ist eine hochpräzise Präparations- und Abformungstechnik notwendig (Abb. 4 bis 6).Abb. 3 Schnitt durch einen Seitenzahn mit GoldteilkroneAbb. 4 Präparationsübung an einem extrahierten ZahnAbb. 5 PolyätherabformungAbb. 6 Polyätherabformung unter der Lupenbrille

 In der Parodontalchirurgie wird mit 6.0 bis 9.0 Nähten gearbeitet, um eine möglichst reizlose, schnelle und narbenfreie Wundheilung zu ermöglichen.

 In der Füllungstherapie werden unsichtbare Ränder speziell im Frontzahnbereich gefordert.

 In der Endodontie ist das Auffinden akzessorischer Kanäle ohne eine Vergrößerungshilfe schlichtweg unmöglich.

 In der Oralchirurgie lässt sich der Langzeiterfolg einer Wurzelspitzenamputation nur gewährleisten, wenn die Wurzelspitze während des Eingriffs optisch vergrößert wird.

 Die Präzision einer selektiven Einschleifbehandlung der dentalen Okklusion ist stark von der vergrößerten Sicht abhängig.

Kurz gesagt: Man weiß nur von dem, was man sieht!

Die erprobte Lösung: Vergrößerung mit der Lupenbrille

Durch den Einsatz einer Lupenbrille kann der Zahnarzt viele der o. g. Probleme lösen (Abb. 7 und 8). Im Folgenden soll kurz darauf eingegangen werden, welche Anforderungen eine Lupenbrille erfüllen muss und was sonst noch zu beachten ist.

Abb. 7 Der Autor während einer Präparation mit Lupenbrille

Abb. 8 Lupenbrille (3fache Vergrößerung)

Tragekomfort

Die Lupenbrille sollte

 nicht zu schwer sein,

 zur Entlastung des Kopfes mit einem elastischen Halteband versehen sein

 und eine bequeme Nasenstütze haben (Abb. 9).Abb. 9 Lupenbrille (6fache Vergrößerung) mit bequemem Hinterkopfband)

Vergrößerung

Empfehlenswert ist für den Einsteiger eine 2,5- bis 3fache (Abb. 10 und 11) und für den Geübten eine 3- bis 6fache Vergrößerung (Abb. 12). Stärkere Vergrößerungen führen nach den optischen Gesetzen zu einer erheblichen Einschränkung der Tiefenschärfe und erfordern vor allem sehr schwere Prismengläser an der Brille, was ein bequemes Tragen nahezu unmöglich macht.

Abb. 10 Lupenbrille (3fache Vergrößerung) mit Weitwinkeloptik

Abb. 11 Lupenbrille (3fache Vergrößerung) mit elastischen Bügeln

Abb. 12 Lupenbrille (6fache Vergrößerung) mit schwerer Optik

Die Arbeitsweise sollte bei starker Vergrößerung verlangsamt werden (Zeitlupe), um eine ständige Kontrolle der Tätigkeit im Sichtfeld zu erhalten.

Weitwinkelprismen

Um das Arbeiten mit der optischen Vergrößerung zu erleichtern, sollte das optische System der Lupenbrille eine Weitwinkelsicht ermöglichen. Im englischen Sprachbereich wird dies als Panorama oder Panoramic bezeichnet.

Arbeitsabstand

Der Arbeitsabstand bei einer Lupenbrille wird von der Oberfläche des Auges bis zum Objekt gemessen. Die Normwerte für die Arbeitsphysiologie werden in Deutschland von der Universität Darmstadt festgelegt. Sie liegen derzeit bei 32 bis 35 cm vom Auge zum Objekt (Abb. 13).

Abb. 13 Arbeitsabstand bei entspannter Körperhaltung

Allerdings ist der Arbeitsabstand stark von den körperlichen Proportionen des Einzelnen abhängig. Es gibt so genannte Sitzriesen, d. h. Menschen mit hohem Oberkörper und langen Armen, und Sitzzwerge, die bei gleicher Körpergröße einen niedrigen Oberkörper und kurze Arme haben. Aus diesem Grund sollte der Arbeitsabstand individuell getestet und festgelegt werden.

Pupillendistanz

Für das stereoskopische Sehen ist es wichtig, dass die beiden Einzelbilder des linken und des rechten Auges korrekt ausgerichtet sind. Dazu ist es hilfreich, die Augenabstände vom Augenarzt oder Optiker ausmessen zu lassen. Sie sind in der Regel nicht symmetrisch! Die meisten Lupenbrillen haben einen horizontalen Einstellbalken mit Millimeterskala, auf dem sich die ermittelten Abstände einstellen lassen. Diese Voreinstellung wird für beide Augen einzeln überprüft und nachjustiert, und anschließend wird das stereoskopische Sehen mit beiden Augen getestet. Es empfiehlt sich die Justierung mit einem Kreuz auf hellem Hintergrund.

Neigungswinkel

Es sollte die Möglichkeit bestehen, die an der Lupenbrille befestigten Teleskope in ihrem Neigungswinkel der Kopfhaltung anzupassen. Der Kopf sollte bei aufrechter Haltung des Oberkörpers leicht und entspannt geneigt sein (vgl. Abb. 7 und 13).

Der Neigungswinkel spielt ebenso wie der Arbeitsabstand und die Lagerung des Patienten eine wichtige Rolle bei der Vermeidung von muskoskelettalen Problemen, wie sie im zahnärztlichen Bereich leider sehr verbreitet sind. Der Behandler neigt dazu, durch verkrümmte Körperhaltungen eine bessere Sicht zu erzielen. Diese ständigen isometrischen Muskelanspannungen in unphysiologischer Körperhaltung führen unweigerlich zu orthopädischen Problemen (Abb. 14).

Abb. 14 Was macht den Zahnarzt krank? (Ausschnitt aus einem Titelblatt der ZM)

Ein physiologisch richtig eingestellter Arbeitsabstand und ein korrekter Neigungswinkel sorgen für ein körperlich entspanntes Sehen in aufrechter Körperhaltung!

Beleuchtung

Die OP-Lampe am Behandlungsstuhl lässt häufig keine direkte und schattenfreie Ausleuchtung des gewünschten Arbeitsfeldes zu. Folgende Beleuchtungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung:

 Kaltlicht an einem Kopfrahmen, über einen Lichtleiter mit einem stationären Generator verbunden;

 Kaltlicht an der Lupenbrille befestigt, über ein Stromkabel mit einem stationären Netzgerät verbunden;

 Kaltlicht an der Lupenbrille befestigt, über ein Stromkabel mit einem am Körper getragenen Akku verbunden.

Als Lichtquelle können Halogen-, Dioden- und Xenonleuchten verwendet werden. Das Ausleuchtungslicht sollte nicht zu hell sein, da sonst ein kontraproduktiver Blendeffekt auftritt, der vor allem die Farbsehtüchtigkeit beeinträchtigt. Für den zahnärztlichen Arbeitsbereich ist eine Helligkeit von 10.000 bis 15.000 Lux ausreichend.

Hygienefähigkeit

Um die vergütete Oberfläche der Teleskope zu schützen, sollte wie bei einer Spiegelreflexkamera eine Schutzlinse davor gesetzt werden können. Leider gibt es bis jetzt nur einen Hersteller, der eine solche Möglichkeit anbietet.

Ferner wäre es wünschenswert, wasserdichte Optiken zu haben, um die Lupenbrille regelmäßig im Ultraschallbad reinigen zu können. Wer schon einmal eine Lupenbrille nach einer ausgedehnten Präparation gesehen hat, wird diese Forderung als unabdingbar betrachten!

Trainingsprogramm

Viele Zahnärzte leihen sich eine Lupenbrille zum Test aus, beginnen sofort eine Präparation, bekommen Kopfschmerzen sowie Schwindelgefühle und gelangen zu dem Ergebnis, dass eine Lupenbrille für sie nicht geeignet sei. Die Anwendung einer starken Vergrößerung ist aber ein Lernprogramm, das je nach Vergrößerungsfaktor zwischen 1 und 3 Wochen dauert. Es geht nicht allein um das Sehen – die Propriozeption unserer Bewegungen muss im Vergrößerungsfeld erlernt werden!

So ist folgendes Trainingsprogramm zu empfehlen:

 Ausarbeitung von Provisorien (Markierung der Präparationsgrenze mit Feinbleistift und anschließendes exaktes Ausarbeiten) außerhalb des Mundes (Abb. 15);Abb. 15 Das ausgearbeitete Provisorium

 Wurzelglättung und Kürettage in der Parodontalbehandlung (Abb. 16);Abb. 16 Der extrahierte Zahn nach geschlossener Kürettage und Extraktion

 Ausarbeitung und Politur von Kompositfüllungen (Abb. 17);Abb. 17 Die fertig polierten Seitenzahnfüllungen

 selektives Einschleifen (Abb. 18);Abb. 18 Selektives Einschleifen unter der Lupenbrille

 Oralchirurgie mit Nähten 6.0 bis 9.0;

 Kontrolle der Präparationen von Zahnrestaurationen;

 Präparationen von Zahnrestaurationen (Abb. 19).Abb. 19 Präparation eines Keramikinlays

Auswahl

Für den Zahnarzt als optischen Laien können folgende Empfehlungen zum Kauf einer Lupenbrille gegeben werden:

 Qualität der Optik: Nehmen Sie beim geplanten Kauf ein 10 cm2 großes Stück Millimeterpapier mit. Wenn beim Blick durch die Lupenbrille auch im Randbereich noch Quadrate zu sehen sind und keine verformte Geometrie, handelt es sich um eine gute Optik (Abb. 20).Abb. 20 Sichtprobe mit einer Lupenbrille (Stifte auf Millimeterpapier). Die Optik ist gut

 Bequemlichkeit: Sie sollten die Lupenbrille ein paar Minuten aufsetzen, verschiedene Gegenstände betrachten und sich dann folgende Fragen stellen: Ist die Nasenstütze bequem? Kneift das Hinterkopfband nicht? Ist die Lupenbrille nicht zu schwer?

 Körperhaltung: Stimmen der Neigungswinkel und der Arbeitsabstand? Kann ich aufrecht und entspannt sitzen und in allen Arbeitsbereichen gut sehen?

 Ausleuchtung: Sind alle Arbeitsbereiche gut ausgeleuchtet? Komme ich mit der technischen Ausrüstung zurecht?

Bewertung

Die Lupenbrille ist nach Meinung des Autors das wichtigste Werkzeug für den Zahnarzt in der modernen Zahnmedizin. Sie gestattet ein Sehen in Bereichen, in die unser Auge normalerweise nicht vordringen kann, und ermöglicht eine früher nicht gekannte Präzision. Damit kann in vielen Bereichen der Zahnmedizin zum Wohle unserer Patienten ein Langzeiterfolg erzielt werden, der bis vor einiger Zeit nicht vorstellbar war.

Materialliste

Möglichkeiten des Kaufes gibt es beim Optiker und u. a. bei folgenden Firmen:

1 Fa. Gerd Loser, Leverkusen,

2 Fa. Lercher, Emmingen-Liptingen,

3 Fa. Girrbach, Pforzheim (Produkte der Fa. Zeiss, Oberkochen),

4 Fa. Eickhorst, Hamburg und

5 Fa. American Dental Systems, Vaterstetten.

Die oben genannten Firmen bieten eine ausführliche Beratung sowie die Möglichkeit, Lupenbrillen mit Zubehör auszuleihen und einige Zeit in der Praxis zu testen.

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